Die Arbeitskultur verändert sich
Die traditionellen Büroarbeitszeiten, die noch aus der Zeit der Industriegesellschaft stammen, sind mittlerweile überholt. Dennoch halten viele Firmen unbeirrt an ihnen fest. Dabei ist es überhaupt nicht notwendig, dass sich alle Mitarbeiter zu festen Zeiten an ihrem Arbeitsplatz befinden. Wer sagt, dass man nur von seinem Büro aus arbeiten kann? Haben Sie nicht auch schon erlebt, dass Sie Ihre besten Ideen gerade nicht am Schreibtisch, sondern beim Spazieren, Aufräumen, Kochen, Baden oder sogar kurz nach dem Aufstehen haben? Das lässt sich ganz einfach erklären: In diesen Situationen sind Sie entspannt und stehen nicht unter dem Druck, zu einem Einfall gelangen zu müssen. Dennoch gehen Sie jeden Morgen ins Büro, obwohl es Ihnen aus mehreren Gründen schwerfällt, dort konzentriert zu arbeiten:
- Sie werden zu leicht abgelenkt.
- Sie leiden unter der Monotonie Ihrer Arbeit.
- Sie befürchten bei abweichendem Verhalten Druck von Ihren Vorgesetzten.
- Sie haben zu wenig Möglichkeiten, Ihre Tätigkeit zu steuern.
- Sie müssen sich Arbeitsrhythmen unterwerfen, die nicht Ihren eigenen Rhythmen entsprechen.
„Wir arbeiten – mitten in der Wissensgesellschaft – mit Strukturen, Abläufen und Vorurteilen aus der Zeit der Industriegesellschaft.“
Schlafforscher teilen die Menschen in A- und B-Typen ein: Frühaufsteher und Morgenmuffel. Gerade Kopfarbeiter arbeiten dann effizienter, wenn sie sich nicht nach der Stechuhr richten müssen, sondern jene Zeiten nutzen können, in denen sie erfahrungsgemäß am produktivsten und kreativsten sind. Die freie Zeiteinteilung ermöglicht es überdies, gerade dann zu arbeiten, wenn Arbeit vorhanden ist. Festangestellte leiden nämlich nicht nur unter dem Burn-out-, sondern auch unter dem Bore-out-Syndrom, der Langeweile. Manchmal ist zu viel und manchmal zu wenig Arbeit da.
Das Wohlfühlbüro
Viele Unternehmen von heute bieten ihren Mitarbeitern eine Reihe von Extras zur Zerstreuung und Entspannung an, um Frustration und Überarbeitung entgegenzuwirken. So gibt es z. B. morgens frisch gepressten Orangensaft, in der Teeküche steht ein Kickertisch, und auf Wunsch kommt ein Masseur ins Büro – selbstverständlich alles auf Firmenkosten. Die durchaus gut gemeinten Motivationsmaßnahmen des Chefs können zur Folge haben, dass die Angestellten das Büro überhaupt nicht mehr verlassen. Die angenehme Atmosphäre eines solchen Wohlfühlbüros bietet eine Art Ersatz-Zuhause, aber die wirkliche Freizeit kommt dadurch zu kurz. Und das kann auch nicht die Lösung sein.
Gesellschaftliche Trends
Heute werden Gewinne hauptsächlich durch innovative Ideen eingefahren. Der Anteil der kreativen Berufe beträgt, zählt man die technischen Berufe dazu, in den Industrienationen über 40 %. Für den kreativen Prozess, der am Ende idealerweise etwas Neues hervorbringt, sind Phasen der Recherche und der sozialen Kommunikation genauso wichtig wie Zeiten der Ruhe, der Kontemplation und des Rückzugs. Letzteres ist im hektischen Büroalltag meist nur schwer möglich.
„Die Programmiersklaven der Start-up-Unternehmen mussten 14-Stunden-Schichten knüppeln und mit dem Schlafsack unter dem Schreibtisch schlafen, bevor ihr Unternehmen erst an die Börse und dann pleiteging.“
Mütter und Väter wünschen sich häufiger flexiblere Arbeitszeiten und Homeworking, damit sie Arbeit und Familie unter einen Hut bringen können. In der Tat: Für frei angestellte Eltern fällt das lästige tägliche Pendeln zum Arbeitsplatz weg, durch die selbst eingeteilte Arbeitszeit kann eine bessere Kinderbetreuung gewährleistet werden, und nicht zuletzt steht so mehr Zeit zur Verfügung, um Kontakte zu Freunden und Familie zu pflegen. Leider hat dieses Bild mit der Realität meist sehr wenig zu tun.
„Nahezu alle Jobs, bei denen der Arbeitnehmer täglich vorm Computer sitzt, sind heute räumlich und zeitlich zu flexibilisieren.“
Die Jugendlichen von heute sind nicht mit Schreibmaschine oder Wählscheibentelefon, sondern mit Computer, Internet und Handy aufgewachsen. Vernetzung ist für sie selbstverständlich. Für diese Generation wird eine starke berufliche Mobilität ein wichtiger Aspekt bei der Berufswahl sein. Ein Achtstundentag am Schreibtisch wird für sie nicht sehr verlockend klingen. Sie mit Belohnungen zu ködern, damit sie sich in das traditionelle Arbeitsbild einfügen, wäre sicher weniger erfolgreich, als umgekehrt das Arbeitsumfeld ihrem Lebensstil und ihren Bedürfnissen anzupassen. In Zukunft wird man immer weniger zur Arbeit gehen – stattdessen wird die Arbeit zu einem kommen.
Der Siegeszug der Technik
Die Technik bietet seit einigen Jahren schnelle und kabellose Internetverbindungen, ein flächendeckendes Mobilfunknetz, internetbasierte Software, leistungsstarke Endgeräte, Speicherplatz und Internettelefonie – und das alles zu erschwinglichen Preisen. Heute schon können Sie Ihr ganzes digitales Büro samt Programmen und Datenbanken auf einem kleinen USB-Stick mit sich herumtragen und auf jedem x-beliebigen Computer abrufen. Zudem haben Sie die Möglichkeit, via Internet und Fernsteuerung auf externe Computer zuzugreifen. Über Online-Textverarbeitungen können mehrere Nutzer an einem Projekt arbeiten. Dienste wie YouSendIt erlauben durch bequemes Hoch- und Herunterladen die Weitergabe oder den Austausch von Dateien, die für E-Mail-Anhänge zu groß sind. Die Software für Video- und Telefonkonferenzen ist den Kinderschuhen entwachsen. Die neueste Handygeneration übernimmt zusehends die Leistungen des unhandlicheren und schwereren Laptops.
„Die Zufriedenheit der flexiblen und mobilen Arbeitnehmer liegt deutlich über jener von monoton ins Büro gezwungenen.“
Informieren Sie sich über den neuesten technischen Stand und eignen Sie sich technische Kenntnisse an. Denn wenn Sie z. B. am Flughafen in Heathrow sitzen, kann Ihnen bei IT-Problemen die Unternehmenszentrale nicht so einfach einen Experten vorbeischicken. Investieren Sie aber nur in diejenigen Geräte, die Sie tatsächlich benötigen und die auf Ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Es ist auch möglich, dass Ihnen die Firma Ihren Homecomputer oder Laptop einrichtet und mögliche Schwierigkeiten über Fernzugriff behebt.
Bedenken gegen das mobile Arbeiten
Die Hauptsorge der Chefs ist, dass die Mitarbeiter zu wenig arbeiten, wenn Kontrolle, Druck und äußere Motivation wegfallen. Doch bei hoch motivierten und engagierten Freiangestellten kann es sogar umgekehrt sein: Sie neigen dazu, eher zu viel als zu wenig zu arbeiten. Lassen Sie den Mythos des Immer-erreichbar-sein-Müssens hinter sich, um sich die ebenso nötigen Phasen der Entspannung zu gönnen. Überhaupt ist es die Aufgabe und Herausforderung der Freiangestellten, ihre Arbeitsabläufe eigenverantwortlich zu strukturieren. Faulenzer können sich in herkömmlichen Büros hinter geschäftigen Mienen und Flachbildschirmen leichter tarnen als bei freier Zeiteinteilung außerhalb des Büros. Denn zu Hause beeindrucken die bloße Anwesenheit und das Vortäuschen von Dienstbeflissenheit niemanden, hier geht es um tatsächliche und überprüfbare Leistungen und Ergebnisse. Ein Risiko des ergebnisorientierten Arbeitens könnten die zu hohen Erwartungen der Chefs sein, sodass die Freiangestellten nur mit schlechtem Gewissen Feierabend machen. Einige tarifvertragliche und arbeitsrechtliche Regelungen beziehen sich überdies auf die herkömmliche Arbeitszeit und den „arbeitsstättenrichtliniengerechten Arbeitsplatz“ und sind daher nicht immer hilfreich für die Einführung des mobilen und flexiblen Arbeitsmodells.
„Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern Freiheit, Selbstverantwortung, Mobilität und Kontrolle über ihre Zeit einräumen, sonst werden sie im internationalen Wettbewerb nicht mithalten.“
Das mobile Arbeiten birgt natürlich auch Nachteile aufseiten der Freiangestellten: schlechteres Image, weniger Aufstiegschancen und Vereinsamung. Diesbezüglich gilt es in der Unternehmenskultur umzudenken. Das US-Vorzeigeunternehmen hinsichtlich mobiler Arbeit, Best Buy, bietet seinen Freiangestellten unverbindlich zahlreiche Freizeitaktivitäten an. Diese gemeinsamen Aktivitäten schweißen oft mehr zusammen als der Büroalltag.
Nutzen Sie die Vorteile des mobilen Arbeitens
Wenn sich die Mitarbeiter ihre Zeit freier einteilen und selbstbestimmter arbeiten können, sind sie zufriedener, ausgeglichener, gesünder und glücklicher. Dieser Effekt kommt einer indirekten Gehaltserhöhung gleich. Die Vorteile für die Freiangestellten ziehen auch Vorteile für die Unternehmen nach sich: Die Mitarbeiter werden mit ihrer Arbeit schneller fertig, aber nicht, weil sie in der Firma schludern würden, sondern weil sie zu Hause effizienter, produktiver und konzentrierter arbeiten können. Die Fehlzeiten und die Fluktuation der Mitarbeiter nehmen ab. Ihr Unternehmen wird attraktiv für hoch qualifizierte Arbeitnehmer, und Sie erlangen ein zukunftsfähiges Image. Zudem sparen Sie Räumlichkeiten und Infrastruktur ein. Bei der British Telecom z. B. nutzen 6000 von rund 100 000 Mitarbeitern die Möglichkeit der Telearbeit, und die Hälfte aller Angestellten kann ihren Schreibtisch und die Niederlassung nach dem Desksharing-Prinzip frei wählen. Durch diese Maßnahmen hat das Unternehmen bei gestiegener Produktivität die Immobilienkosten um 50 % gesenkt und 230 Millionen Pfund eingespart. Global operierende Unternehmen ziehen aus dem Umstand Nutzen, dass die Freiangestellten zu den unterschiedlichsten Zeiten arbeiten. Dezentralisiertes Arbeiten legt ein Unternehmen im Fall von Terroranschlägen oder anderen Katastrophen nicht so leicht lahm. Darüber hinaus entlastet die Heimarbeit den täglichen Berufsverkehr. Wenn Sie nicht mit dem Auto zur Arbeit fahren, wirkt sich das sowohl auf Ihren Geldbeutel als auch auf die Umwelt positiv aus.
Orientieren Sie sich an den Ergebnissen
Nicht immer lässt sich die Erfüllung von Aufgaben so leicht messen wie beim Außendienstmitarbeiter anhand seiner Abschlüsse oder beim Programmierer anhand neu entwickelter Codes. Bei der ergebnisorientierten Arbeitsweise bestimmen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam präzise Ziele in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Je nach Einzelfall können diese auf Teilziele oder sogar auf kleinste Arbeitsschritte heruntergebrochen werden. In gewissen Zeitabständen treffen sich die Beteiligten zu Feedbackgesprächen. Dort können auch eventuelle Weiterbildungsmaßnahmen und ggf. die Einleitung von Korrekturen besprochen werden. Chefs sollten allerdings aufpassen, dass sie nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen und zu viel kontrollieren wollen. Stattdessen sollten sie ihren Mitarbeitern vertrauen, denn das Wie der Zielerfüllung ist deren Aufgabe. Am Ende eines Projekts oder eines Jahres werden die Ergebnisse sowohl vom Mitarbeiter als auch vom Vorgesetzten anhand von festgelegten Kriterien bewertet.
Wie sag ich’s meinem Chef?
Machen Sie sich für Ihre Vorstellung eines mobilen Arbeitens stark. Bringen Sie Ihr Vorhaben gegenüber Ihrem Chef zur Sprache. Bereiten Sie sich gut auf das Gespräch vor. Stellen Sie sich schon vorher mental auf Ihr neues Arbeitskonzept ein, d. h. denken Sie nicht mehr zeit-, sondern ergebnisorientiert. Erläutern Sie Ihrem Chef die Vorteile des mobilen Arbeitens. Sollte er skeptisch sein, schlagen Sie ihm vor, das neue Konzept – z. B. drei Tage in der Firma zu arbeiten und zwei von zu Hause aus – auf Probe durchzuführen. Klar ist: Je qualifizierter und unentbehrlicher für Ihre Firma Sie sind, desto bessere Karten haben Sie. Ebenso sollte Ihnen bewusst sein: Kommt der Chef Ihrem Anliegen entgegen, sollten Sie ihm auch erstklassige Ergebnisse liefern. Dann können Sie darüber nachdenken, die Anzahl der unternehmensexternen Tage zu erhöhen. Manche wünschen sich ein permanentes Arbeitsleben jenseits der Unternehmensräume. Ein solches Ziel müssen Sie allerdings kritisch hinterfragen. Ein Minimum an Kontakt zum Unternehmen, zum Chef und zu den Kollegen ist durchaus sinnvoll. Geht in Ihrer Firma überhaupt nichts in Richtung mobiles Arbeiten, so sollten Sie den äußersten Schritt in Erwägung ziehen: Kündigung und Neubeginn bei einer für dieses Arbeitssystem aufgeschlossenen Firma.