Betriebliche Weiterbildung: Viel Lärm um nichts
Weiterbildung und Personalentwicklung werden heutzutage großgeschrieben. Firmen und Institutionen geben eine Menge Geld dafür aus, viele haben eine eigene Abteilung für Personalentwicklung, und Trainer mit guten Referenzen können sich dabei dumm und dämlich verdienen. Die Erfolge dieser Aktivitäten lassen sich jedoch nicht so einfach messen.
„Firmen erwarten menschliche Chamäleons, die sich zurechtbiegen lassen wie Lakritzstangen. (...) Da wird entwickelt, bis der Therapeut kommt.“
Deshalb stehen viele Personalentwickler vor dem Problem, ihre eigene Existenz rechtfertigen zu müssen. Sie versuchen, auf sich aufmerksam zu machen, indem sie möglichst ungewöhnliche Seminare anbieten. Davon profitieren zwar sie selbst – aber in der Regel nicht die Mitarbeiter, für die das Ganze eigentlich gedacht ist. Diese Art von Weiterbildung verschlingt nicht nur eine Menge Geld, sondern ist auch weitgehend nutzlos.
Warum Seminare nichts bringen
Die meisten Seminare und Trainings zielen auf Verhaltensänderungen ab. Ein Mensch verändert sich aber nicht einfach mal schnell in einem Wochenendseminar. Viele Verhaltensweisen liegen tief in der Persönlichkeit begründet, und die bildet sich in den ersten fünf Lebensjahren aus. Das Kind lernt Strategien, wie es in seiner Umwelt am besten überleben kann, und behält diese auch als Erwachsener unbewusst bei – selbst dann, wenn sie schon lange nicht mehr nützlich sind. Früh eingeprägte Verhaltensmuster lassen sich, wenn überhaupt, nur langfristig in einer Therapie beeinflussen.
„Die Bereitschaft des Menschen, Mängel zu ertragen, ist größer als seine Bereitschaft, Mängel abzustellen.“
Wenn Sie eine stille, fleißige Mitarbeiterin in eine Führungsposition befördern, wird sie auch dort still und fleißig sein und kaum Führungsqualitäten zeigen. Unwahrscheinlich, dass ein Seminar für Führungskräfte daran etwas ändert. Oder der cholerische Chef: Er ist sich nach vielen Coachings durchaus bewusst, was er falsch macht und warum – und tief frustriert, weil er trotz aller Bemühungen immer noch nach demselben Muster reagiert. Seminare, die auf die Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen angelegt sind, sind schlichtweg sinnlos.
„Selbst gewiefte Therapeuten beißen sich an ihren Patienten die Zähne aus, wenn es darum geht, eingefahrene Muster zu verändern. Doch als Trainer versucht man immer wieder gern, das Unmögliche möglich zu machen.“
Andere Seminare sollen Mitarbeiter für eine neue Tätigkeit fit machen, etwa nach Umstrukturierungen. Auch das ist oft ein aussichtsloses Unterfangen. Jeder Mensch ist für bestimmte Tätigkeiten begabt und für andere nicht. Wenn die Begabung fehlt, hilft auch das teuerste Seminar nicht weiter. Manchmal wäre es vernünftiger, einem Mitarbeiter zu kündigen, statt ihn auf Biegen und Brechen irgendwo anders weiterzubeschäftigen. Doch das deutsche Kündigungsschutzgesetz lässt hier wenig Handlungsspielraum. Anders in Dänemark, wo der Kündigungsschutz fast abgeschafft ist. Dort sind Kündigungen und häufige Stellenwechsel nichts Ungewöhnliches, aber sie bieten dem Mitarbeiter auch die Chance, woanders glücklicher zu sein. Zugleich ist die Arbeitslosigkeit deutlich niedriger, weil der geringe Kündigungsschutz für Unternehmer ein Anreiz ist, neue Stellen zu schaffen.
Scheitern am inneren Schweinehund
Der berüchtigte innere Schweinehund sorgt ebenfalls dafür, dass der Lernerfolg von Seminaren gegen Null tendiert – die Erfahrung, dass sich selbst einfache Gewohnheiten nicht von heute auf morgen abstellen lassen. Menschen erledigen vieles automatisiert. Das dient eigentlich der Effizienz, erschwert aber eine Veränderung. Wenn ein Seminar einen Nutzen haben soll, müssen Mitarbeiter und Vorgesetzte neue Verhaltensweisen über einen langen Zeitraum einüben und automatisieren. In der Regel machen sich Unternehmen diese Mühe nicht. Die Teilnehmer werden nach einem mehrtägigen Seminar wieder in den Alltag entlassen und haben dort meist gar nicht die Zeit, Neues auszuprobieren. So fallen sie prompt in ihre alten Routinen zurück.
„Deutsche Unternehmen versuchen, mit Weiterbildung die natürlichen Grenzen der Mitarbeiter zu überwinden, weil ihnen das Kündigungsschutzgesetz keine andere Wahl lässt.“
Nur wenige Unternehmen bieten langfristige Seminare bzw. eine Begleitung bei der Umsetzung an – und wenn es dem Unternehmen schlecht geht, dann gehören solche Maßnahmen zu den ersten, die gestrichen werden. Offensichtlich zweifeln selbst die Chefs an deren Erfolg. Es gibt Versuche, den Nutzen von Weiterbildungen zu erhöhen, z. B. indem man im so genannten „proaktiven Bildungscontrolling“ vorab nur die Mitarbeiter auswählt, die geeignet scheinen, weil sie z. B. besonders motiviert sind. Doch wer gibt in einer Befragung schon gerne offen zu, dass es mit seiner Motivation nicht zum Besten steht? Und was tun, wenn sich herausstellt, dass eigentlich keiner der Mitarbeiter die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Weiterbildung mitbringt?
Der trainierte Mitarbeiter und die Gruppe
Selbst wenn ein Mitarbeiter gewillt ist, die Seminarinhalte umzusetzen und an sich zu arbeiten, muss noch eine weitere Hürde überwunden werden: die Kollegen. Gruppendynamische Prozesse können alles zunichte machen. Wenn man Wüstenrennmäusen eine unbekannte Maus ins Gehege setzt, attackieren sie den Neuling. Mitarbeitern, die gerade frisch von einem Seminar kommen, ergeht es oft nicht anders – sie haben plötzlich einen anderen Stallgeruch, und das stört die Gruppe.
„Weiterbildungsveranstaltungen scheitern, weil die Teilnehmer nicht über den Punkt der Bewusstmachung von Änderungsmöglichkeiten hinausgehen und bei ihren ersten Umsetzungsversuchen auf der Strecke bleiben.“
Stellen Sie sich eine Speditionsfirma vor, in der am Telefon üblicherweise ein rauer Ton herrscht. Seit ein Angestellter in einem Seminar etwas über kundenorientiertes Verhalten gelernt hat, gibt dieser sich am Telefon plötzlich ungewohnt höflich. Die Kollegen finden das albern und machen sich über ihn lustig. Er wird so lange unter Druck gesetzt und ausgegrenzt, bis er sich wieder genau so verhält wie alle anderen. Wenn einer sich verändert, ist das für die Gruppe neu und bedrohlich, deshalb bestraft sie Abweichler. Um dem entgegenzuwirken, schickt man gerne das ganze Team zur Weiterbildung. Doch damit lässt sich die Gruppendynamik nicht aushebeln. Es gibt immer Mitglieder, die sich aus Prinzip gegen Neuerungen sperren und so lange das Klima vergiften, bis alles wieder in gewohnten Bahnen läuft.
Weiterbildung als Ausweichmanöver
Es liegt auch am Vorgesetzten, wie viel eine Weiterbildung bringt. Optimal wäre, wenn Sie im Gespräch mit dem Mitarbeiter den Bedarf klären und ein geeignetes Seminar auswählen, anschließend geplante Veränderungen besprechen, den Mitarbeiter dann über einen längeren Zeitraum beobachten und ihn darauf hinweisen, wenn er in alte Verhaltensweisen zurückfällt. In der Praxis aber haben Führungskräfte dafür keine Zeit. Also werden Mitarbeiter in irgendwelche Seminare geschickt – auch zwangsweise, was die Motivation nicht gerade fördert. Hinterher interessiert sich der Chef nicht für die Ergebnisse und lässt die Mitarbeiter bei der Umsetzung allein. Auf diese Weise ist der Misserfolg vorprogrammiert.
„Harmoniesüchtige Chefs sind der Grund, weshalb Schulungs- und Entwicklungsmaßnahmen nicht ihr Geld wert sind. Sie missbrauchen Weiterbildungen, weil ihnen die Argumente fehlen.“
Für konfliktscheue Chefs sind Seminare ein wunderbares Mittel, Auseinandersetzungen zu vermeiden. Sie schicken Mitarbeiter, die schlechte Leistungen bringen oder mit anderen nicht zurechtkommen, einfach auf ein Motivationsseminar, statt das Problem offen anzusprechen. Dieses Vorgehen hat seine Tücken. Wenn der Mitarbeiter gar nicht weiß, was er auf einem Seminar soll, kann er auch nicht gezielt an sich arbeiten. Entdeckt er jedoch den wahren Grund, kann das zu einem schweren Vertrauensverlust führen.
„Wie Blähungen muten auch die Personalentwicklungsprogramme in Unternehmen an. (...) Nach einer Zeit kurzfristiger Awareness verzieht sich das Interesse wie besagte Bauchwinde.“
Oft ist eine Weiterbildung ein gutes Mittel, um Mitarbeiter ruhigzustellen, die unbedingt weiterkommen möchten. Viele Chefs haben weder die Zeit noch die Nerven, um über Sinn oder Unsinn einer Veränderung zu diskutieren. Da ist es einfacher, den Mitarbeiter auf ein Seminar zu schicken. Oft werden solche Maßnahmen genutzt, um gute Mitarbeiter bei der Stange zu halten. Man lässt sie in Führungstechnik schulen, obwohl auf absehbare Zeit keine Führungsposition frei wird. Doch der Mitarbeiter ist erst einmal zufrieden und hofft auf eine Karriere. Umso größer ist der Frust, wenn er merkt, dass alles umsonst war.
„Ein großes Unternehmen auf einen anderen Kurs zu bringen ist genauso aufwändig, wie einen trägen Öltanker um 180 Grad zu wenden. Das Ziel ist übrigens auch erreicht, wenn der Kiel oben schwimmt.“
Personalentwicklung ist ein Spielball des Managements. Wenn ein neuer Manager kommt, setzt er sich für neue Programme ein. Doch Führungskräfte wechseln heutzutage rasch, und bis die Maßnahmen greifen, ist der Chef schon wieder ein anderer – mit anderen Ideen. So werden viele Projekte hochgejubelt, bevor sie im Sand verlaufen. Überhaupt ist die Wirtschaft so schnelllebig geworden, dass Weiterbildungsmaßnahmen in der Regel nicht Schritt halten. Besonders gern werden solche Maßnahmen gegen Jahresende geordert, nämlich dann, wenn Vorgesetzte merken, dass noch Geld übrig bleibt.
„Für den Trainer zählt im Grunde nur eines: Die Teilnehmer müssen das Seminar zufrieden verlassen.“
Niemand gibt gerne zu, dass er sein Budget nicht ausgeschöpft hat – zu groß ist das Risiko, dass man in Zukunft weniger gut dotiert wird. Also setzt man eine teure Weiterbildungsmaßnahme an und verbraucht das restliche Geld. Eine beliebte Form der Geldvernichtung sind Trainings, die von vornherein nichts bringen sollen. Etwa, wenn ein Seminar nur den Beweis liefern soll, dass eine bestimmte Abteilung nicht leistungsfähig ist und geschlossen werden muss.
Das perfekte Seminar: Wunschdenken
Viele Personalentwickler kennen die Schwächen der betrieblichen Weiterbildung und fordern deshalb eine systematische Qualifizierung der Mitarbeiter, die sich an den Unternehmenszielen orientiert. Diesen Vorgaben entsprechend bewertet der Vorgesetzte die Leistung seiner Mitarbeiter und ermittelt ihren individuellen Schulungsbedarf. Doch dieses Verfahren ist sehr aufwändig und kostet Zeit. Außerdem sind Mitarbeiterbewertungen eine heikle Sache; schlechte Bewertungen müssen begründet werden und können auf heftige Gegenreaktionen stoßen. Da ist es einfacher, einem Mitarbeiter ausreichende Leistung zu attestieren. Außerdem sagt selbst eine Bewertung wenig über den tatsächlichen Schulungsbedarf aus. Wenn Sie bei zwei Mitarbeitern geringe Kundenorientierung bemängeln, kann das jeweils ganz unterschiedliche Ursachen und Auswirkungen haben. Für eine individuelle Schulung müssten Sie theoretisch die Schwächen jedes einzelnen Mitarbeiters genau ermitteln und passgenaue Unterstützung anbieten. Im Unternehmensalltag ist das in dieser Form schlichtweg nicht zu leisten.
Den Nutzen eines Seminars berechnen
Weiterbildung kostet eine Menge Geld. Honorar und Tagungspauschale für den Trainer, Reisekosten und Taggelder für die Teilnehmer, Kosten durch Arbeitsausfälle, Mehraufwand für die Personalabteilung – da kommen große Beträge zusammen. Die Frage ist, ob sich dieser Aufwand rechnet. In Zeiten knapper Kassen wollen Chefs gerne Zahlen sehen, ehe sie eine teure Weiterbildungsmaßnahme genehmigen. Nun gibt es zwar beeindruckende Formeln, mit denen man den Nutzen betrieblicher Weiterbildung zu berechnen versucht, aber leider ist es nicht ganz einfach, Leistungsänderungen in Zahlen auszudrücken. Was genau bringt es dem Unternehmen, wenn ein Mitarbeiter z. B. ein Seminar über Konfliktmanagement besucht hat und sich gegenüber anderen Kollegen besser durchsetzen kann?
„Besonders zum Einstieg einer Pflichtveranstaltung weht dem Trainer zuweilen das Klima eines offenen Eisfachs entgegen.“
Üblicherweise beschränken sich Unternehmen darauf, nach dem Seminar die Teilnehmerzufriedenheit per Evaluationsbogen zu ermitteln. Doch erfahrene Trainer wissen, wie sie das Seminar gestalten müssen, damit sie anschließend gut bewertet werden. Aussagekräftiger wäre eine Untersuchung, ob das Gelernte langfristig im Alltag angewendet wird und wie sich das auf den Unternehmenserfolg auswirkt. Das allerdings würde wiederum viel Aufwand bedeuten. Außerdem: Was tun, wenn die Auswertung zeigt, dass das Seminar erfolglos war und Zehntausende Euro in den Sand gesetzt wurden? Diese Schmach möchte kein Personalentwickler erleben, deshalb hält er sich mit solchen Untersuchungen lieber zurück.
Sinnvolle Weiterbildung
Gibt es überhaupt sinnvolle Weiterbildung? Ja, wenn sie sich an den Strukturen der Ausbildung orientiert. Auszubildende werden in der Praxis von Mentoren geschult. Dieses Vorgehen hat sich seit Langem bewährt, und daran sollte sich auch eine Weiterbildung halten: Der Mitarbeiter wird am Arbeitsplatz von einem Trainer oder einem geeigneten Kollegen betreut und erhält sofort Rückmeldung über sein Verhalten.
„Die Prognosewahrscheinlichkeit über den Nutzen einer Weiterbildung dürfte einem Blitzschlag ins Handy entsprechen.“
Oder Mitarbeiter coachen sich gegenseitig und geben einander Feedback. Damit nur geeignete Mitarbeiter in den Genuss einer Weiterbildung kommen, empfehlen sich vorher Auswahlgespräche.