Soll die Unternehmensaufsicht führen?
Was Ihnen zunächst als rein rhetorische Frage erscheinen mag, stellt bei genauer Betrachtung durchaus eine ernst zu nehmende Angelegenheit dar. Denn allzu häufig zieht sich die Unternehmensaufsicht heute auf ihre kontrollierende Position zurück und überlässt die eigentliche Führung den Managern und Vorständen. Lediglich die Unternehmensergebnisse werden in regelmäßigen Abständen geprüft. Doch während das Management für die Führung der Mitarbeiter und das Erwirtschaften von Ergebnissen durchaus auch weiterhin zuständig bleiben sollte, könnten die Aufsichtsräte und -organe die Gelegenheit nutzen, ihren per Gesetz festgelegten Kompetenzrahmen restlos auszuschöpfen und sich aktiv an der Unternehmensführung zu beteiligen. Als Mitglied des Aufsichtsrats könnten Sie beispielsweise die generelle Marschrichtung des Unternehmens festlegen oder die einzuhaltenden Rahmenbedingungen der Unternehmenstätigkeiten konkret festlegen.
„Wuchernde Bürokratie und aufgeblähte Stabsorganisationen können nur von der Spitze des Unternehmens aus verhindert oder bekämpft werden. Wird es dort nicht gemacht, kann es nirgends sonst gemacht werden.“
Egal ob im Großkonzern oder im mittelständischen Unternehmen: eine starke und aktive Unternehmensaufsicht kann für alle Beteiligten nur von Vorteil sein – solange Sie sicherstellen, dass niemand den Begriff „Führung“ ausschließlich mit Machtgewinn verbindet, sondern vielmehr mit den zu erfüllenden Aufgaben und der hohen Verantwortung.
Funktionsmängel der heutigen Systeme
Die Vorstellung einer solchen Unternehmensführung ist leider heute fast flächendeckend eine Fiktion, denn in der Realität arbeiten exekutive Organe und Aufsichtsräte nur selten produktiv zusammen. Die Aufsichtsorgane nehmen dabei meist nur allzu bereitwillig lediglich das Minimum der gesetzlich für sie vorgesehenen Aufgaben wahr. Die exekutiven Organe versuchen ebenfalls nur extrem selten, die Aufsichtsräte in die Unternehmensführung aktiv einzubinden.
„Die Größe eines Unternehmens hat fraglos Einfluss auf das ‚Wie‘ der Führung, aber nicht auf das ‚Was‘.“
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie in Ihrem Unternehmen der Aufsichts- oder Verwaltungsrat funktioniert? Keine Antwort? Da geht es Ihnen nicht anders als zwei Dritteln Ihrer Kollegen aus Aufsichtsräten und Exekutivorganen. Das war früher anders: In ihrer ursprünglichen Konzeption setzten sich die Aufsichtsräte aus Eigentümern zusammen, die dem Unternehmen also per se die höchstmögliche Aufmerksamkeit schenkten. Heute dagegen werden die Aufsichtsräte von Branchen- und Wirtschaftsexperten bestückt, die zwar über enormes Fachwissen verfügen, aber nur unzureichende Detailkenntnisse über das beaufsichtigte Unternehmen haben und dementsprechend dessen Interessen und Potenzial nur mangelhaft bewerten und vertreten können.
„Die Unternehmensaufsicht muss gleichzeitig Lehrer, Mentor und Richter sein.“
Ein weiterer Mangel der heutigen Systeme besteht in der ablehnenden Haltung vieler Manager gegenüber einem kompetenten Aufsichtsrat. Schließlich könnte dieser ja mit den erbrachten Leistungen nicht zufrieden sein oder kritische Nachfragen stellen. Dementsprechend werden etliche Aufsichtsorgane mit ungenügenden Informationen abgespeist, die die Ausübung einer effektiven Kontrollfunktion verhindern. Allerdings verschulden die Aufsichtsräte die mangelhaften Informationen auch selbst, indem sie nicht nachhaltig genug darauf bestehen. Auch mangelhafte Kenntnisse über modernes Management, fehlende Informationsgrundlagen über die optimale Führung eines Unternehmens und ein wenig geeigneter Aufsichtsratvorsitzender bilden weitere Miseren in einem Großteil der gegenwärtig existierenden Gremien.
Corporate Governance
Während dabei die ausführenden Organe – das Topmanagement – dafür sorgen sollten, dass die erforderlichen Leistungen erbracht werden, sollten die Aufsichtsorgane sicherstellen, dass diese auch in der richtigen Form erbracht werden. Sie können die Unternehmensaufsicht quasi als Spiegelbild des Marktes werten, das notwendige Änderungen an der Marschrichtung eines Unternehmens proaktiv einleitet. Verlieren Sie dabei nicht aus den Augen, dass es keinesfalls allein um die Maximierung der Gewinne gehen kann. Ermitteln Sie lieber, mit welchem Minimalgewinn Ihr Unternehmen am Markt überleben könnte. Und mit welchen Mitteln Sie die Ertragspotenziale Ihres Unternehmens optimieren können.
„Der Wert eines ökonomischen Gutes ist das, was der nächste Käufer zu zahlen bereit ist.“
Derzeit existieren drei unterschiedliche Führungsmodelle: der Eigentümer-Kapitalismus, in dem eine einzelne Person oder eine kleine Gruppe von Eigentümern die Kontrollfunktion im Unternehmen darstellt; der Unternehmens-Kapitalismus, bei dem Banken, Regierungen oder Organisationen die Rolle der eigentlichen Eigentümer übernommen haben; und der Aktionärs-Kapitalismus, in dem an erster Stelle die Interessen der Aktionäre für strategische Entscheidungen verantwortlich gemacht werden. Der Glaube an die Optimierung des „Shareholder-Value“ zieht sich heute wie ein roter Faden durch die Unternehmenspolitik. Kein Wunder, ist doch der Run an die Börsen durch die Hausse der Aktienmärkte enorm verstärkt worden. Doch Vorsicht: Mit Sicherheit werden auch Ihre Aktienkurse nicht ewig auf Wachstumskurs bleiben. Richten Sie deshalb Ihre Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf die Börse, sondern konzentrieren Sie sich lieber auf die Marktentwicklung. Nicht das erzielte Wachstum, sondern die optimale Marktstellung sollten Sie in Ihrem Unternehmen als Messlatte wählen.
„Der Corporate Capitalism hat durchaus die richtige Frage formuliert, nur hat er die falsche Antwort gegeben.“
Wenn für Sie die Gesundheit und nicht das Wachstum Ihres Unternehmens höchste Priorität hat, müssen Sie Messfelder zur Beurteilung eben dieser Gesundheit definieren. Die sechs Schlüsselfaktoren „Marktstellung“, „Innovationsleistung“, „Produktivität“, „Attraktivität“, „Liquidität und Cashflow“ sowie „Profitabilität“ bieten im Verbund ein optimales Diagnosewerkzeug. Betrachten Sie die Faktoren jedoch nicht als absolute Werte, sondern setzen Sie sie immer in einen strukturellen und zeitlichen Vergleich.
Aufgaben und Struktur des Aufsichtsorgans
Wenn beide Topmanagement-Organe – also Geschäftsführung und Aufsichtsrat – miteinander statt nebeneinander arbeiten, könnten sie die Unternehmensführung wesentlich effektiver gestalten. Hierbei gilt es jedoch genau zu definieren, welche Aufgaben das Aufsichtsorgan wahrnehmen soll. Achten Sie außerdem darauf, dass eine bestimmte Größe des Aufsichtsorgans weder über- noch unterschritten wird. Maximal acht bis zehn Mitglieder eines Aufsichtsrats arbeiten am produktivsten. Aufgrund der Tatsache, dass der Vorsitzende eines Aufsichtsorgans meist zwei Stimmen hat, werden Sie auch bei Abstimmungen in der Regel schnell eine Entscheidung herbeiführen können.
„Aufgabe der Exekutivorgane ist es, sicherzustellen, dass die Arbeit getan wird; dafür zu sorgen, dass sie richtig getan wird, ist Aufgabe der Aufsicht.“
Vermeiden Sie die Berufung von aktiven oder ehemaligen Mitgliedern der Geschäftsführung in den Aufsichtsrat. Denn der Mensch ist von Natur aus subjektiv und kann sich selbst nur unzureichend kontrollieren. Dieser Befangenheitsverdacht gilt auch für Kunden, Lieferanten, Berater, Hausbanken und Wirtschaftsprüfer. Sie alle hätten in irgendeiner Form ein persönliches Interesse an dem beaufsichtigten Unternehmen, das jedoch nicht immer mit der optimalen Strategie deckungsgleich sein muss. Personen, die bereits in etlichen Gremien vertreten sind oder aus anderen Gründen wenig Zeit für die Tätigkeit in Ihrem Aufsichtsrat haben, sollten Sie ebenfalls nicht als Mitglieder des Aufsichtsorganes in Betracht ziehen. Denn schließlich erwarten Sie die volle Leistung – die kann Ihnen eine Teilzeitkraft mit Sicherheit jedoch nicht bieten. Auch die Kompetenz des Vorsitzenden sowie die Bereitstellung einer ausreichenden zeitlichen, räumlichen und fachlichen Basis bilden die optimale Voraussetzung eines starken und führenden Aufsichtsorganes.
Aufgaben und Struktur des Exekutivorgans
Ebenso wie das Aufsichtsorgan eines Unternehmens muss auch die Funktionalität der Exekutivorgane sichergestellt werden. Dazu gehört die Entwicklung einer Strategie ebenso wie die Definition von Standards und Maßstäben sowie der Gesamtstruktur des Unternehmenes, die Pflege der Schlüsselkunden und -partner und die Wahrnehmung repräsentativer Aufgaben. Die wichtigste Aufgabe der Exekutivorgane besteht allerdings im Aufbau und Erhalt des Mitarbeiterapparates.
„Gleichgültig, was der Ursprung einer Reform- und Revitalisierungsbewegung gewesen sein mochte, der Schlüssel war jeweils eine neue Form der Führung.“
Um derartig komplexe Aufgaben wirksam bewältigen zu können, müssen Sie vor allen Dingen zwei Punkte beachten. Erstens: Verzetteln Sie sich nicht, sondern bündeln Sie Ihre Aufmerksamkeit auf sorgfältig ausgewählte Schwerpunkte. Zweitens: Bleiben Sie auch in Ihrer Führungsposition weiterhin operativ tätig. So verlieren Sie den Bezug zu den Realitäten des Unternehmensalltags nicht und bilden für Ihre Mitarbeiter dauerhaft einen kompetenten Gesprächspartner. Niemand wird vermuten, dass man Ihnen etwas vormachen könnte, wenn Sie stets den „operativen Daumen“ am Puls des Marktes halten.
„Nachfrage, das Einzige, was die Wirtschaft decken kann, setzt nicht in erster Linie Bedürfnisse voraus, sondern Kaufkraft.“
Ein Missstand, der heute in etlichen Unternehmen herrscht, ist die Tatsache, dass die Vorstände und Topmanager meist für eine bestimmte Dauer in Ihre Führungsposition berufen werden. Während zu kurz bemessene Amtsperioden häufig durch mangelhafte Weitsicht und kurzfristig orientiertes Handeln geprägt sind, zeichnen sich lange Vertragslaufzeiten von fünf und mehr Jahren nicht selten durch eine Art gemütlicher Lethargie in der Chefetage aus. Es ist dementsprechend schwer, eine optimale Vertragslaufzeit für Führungskräfte in Exekutivorganen zu ermitteln.
„Wachstum darf nicht Selbstzweck sein, es muss immer ein Mittel zu einem anderen Zweck sein, und zwar zu einem Zweck, der außerhalb und jenseits der persönlichen Ambitionen von Personen liegt.“
Letztlich gilt jedoch für das Topmanagement ebenso wie für jedes andere Team: Nur durch äußerste Disziplin, Objektivität und Emotionslosigkeit können Strategien entwickelt und Entscheidungen getroffen werden, die für die Gesundheit des Unternehmens sorgen. Verlieren Sie aufgrund persönlicher Sympathien oder Antipathien niemals die Interessen des Betriebes aus den Augen, halten Sie Ihre Teamkollegen immer auf dem aktuellen Informationsstand und definieren Sie klare Verantwortungsgebiete und Kompetenzrahmen für die einzelnen Mitglieder der Exekutivorgane. Unter anderem ermöglicht die Einhaltung dieser Regeln Ihnen die wirksame Führung des Unternehmens und die konstruktive Zusammenarbeit mit den Aufsichtsgremien.
Management und Leadership
Doch gute Regeln allein reichen nicht aus, um gute Teams zu formieren. Achten Sie deshalb bei der Besetzung der Exekutivorgane darauf, dass Sie für Ihre Führungsmannschaft auch wirklich echte Führungspersönlichkeiten an Bord holen. Nicht das Charisma von möglichen Kandidaten sollte dabei entscheidend sein. Vielmehr zeichnen sich echte Führer durch unterschiedliche Eigenschaften aus, die sie befähigen, ein Unternehmen erfolgreich zu leiten. Wie z. B. die Konzentration auf die Aufgabe und nicht auf die Position. Echte Führer fragen nicht nach dem persönlichen Nutzen, sondern nach dem Gewinn für das Unternehmen. Sie sind in der Lage, Erfolg zu teilen und zu realisieren, dass sie ohne die Unterstützung ihrer Mitarbeiter bestimmte Ziele nicht erreichen.
„Die spät in Gang gesetzte Anpassung in der Wirtschaft erfolgte nicht aufgrund von vorausschauender Führung, sondern dem Markt und Konkurrenzdruck nachlaufend.“
Natürlich können Sie diese Fähigkeiten kaum von Beginn an erkennen. Klopfen Sie bei der Besetzung einer neuen Position im Topmanagement die möglichen Kandidaten trotzdem auf derartige Eigenschaften ab. Vielleicht finden Sie ja sogar in den eigenen Reihen geeignete Mitarbeiter für die Führungsspitze Ihres Unternehmens. Denn nicht immer ist der frische Wind die beste Lösung, auch die tief gehende Unternehmenskenntnis und Erfahrung langjähriger Mitarbeiter können für die Exekutivorgane enorme Vorteile bieten. Wie überall gilt auch hier: Mit einer gesunden Mischung aus neuen und bewährten Mitarbeitern wird die Führungsspitze Ihres Unternehmens am besten funktionieren.