„Als Begleiter dienen“
Japans Samurai wurden als starke und furchtlose Krieger geachtet, deren Auffassung von Ehre und Loyalität in letzter Konsequenz sogar in der rituellen Selbsttötung, Seppuku genannt, gipfelte. Wörtlich bedeutet der Begriff Samurai „als Begleiter dienen“ und umfasst wesentlich mehr als blosse Beherrschung von Kampftechniken: Denken und Handeln eines Samurai ruhen auf einem festen Fundament von ethischen Grundwerten, die in allen Lebensbereichen gültig sind.
„Der höchste Sieg des Samurai liegt nicht in der Überwindung des anderen, sondern im Sieg über sich selbst, in der immer währenden Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit.“
Die sieben Wege der Samurai werden Bushido genannt, das Gesetzbuch der ethischen Werte. „Do“ bedeutet „Weg“ und der Weg ist das Ziel, ein Endziel gibt es nicht. Zweck des Bushido ist allein die ständige Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit durch konsequentes Befolgen der sieben Wege der Samurai. Auch wenn es heute keine Samurai im ursprünglichen Sinn mehr gibt, sind sie in Japan nach wie vor moralische Vorbilder. Unternehmer, Politiker und Manager sind die Samurai von heute. Befolgen Sie die sieben Wege der Samurai, dann lernen Sie, sich selbst – Ihre eigenen Ängste und Schwächen – zu besiegen und immer Ihr Bestes zu geben.
Der erste Weg – Furchtlosigkeit
Wie der Samurai den Tod nicht fürchtete, weil er ihn als natürlichen Teil des Lebens betrachtete, darf der Verkäufer Misserfolg oder Ablehnung nicht fürchten, sondern muss beide als natürliche Bestandteile seiner Arbeit akzeptieren. Denn Verkäufer kalkulieren auf der Basis von Statistiken: Um einen Auftrag zu erhalten, müssen Sie beispielsweise fünf Kunden kontaktieren. Es ist demnach von vorneherein klar, dass vier Kunden keine Termine oder Aufträge erteilen werden. Diese vier Kontaktaufnahmen sind folglich keine Misserfolge, sondern notwendiger Teil des einen Auftrags, den Sie statistisch nach fünf Anrufen abschliessen werden. Tatsächlich sind Fehlschläge sogar bereichernde Erfahrungen, die zur persönlichen Weiterentwicklung beitragen, denn aus ihnen lernen wir gewöhnlich mehr als aus Erfolgen.
„Viele Samurai waren in der japanischen Teezeremonie, in der Kalligraphie oder im Blumenstecken genauso geschickt wie im Umgang mit dem Schwert.“
Stärker als die Angst vor Misserfolg ist die Angst vor Ablehnung, denn hier urteilen Menschen über uns. Ablehnung trifft unser Ego, wir sind persönlich betroffen. Ist unser Selbstwertgefühl grösser als unsere emotionale Betroffenheit, können wir Ablehnung einfach lächelnd abtun. Im umgekehrten Fall dagegen sind wir ärgerlich oder entmutigt. Um selbstsicher auftreten und handeln zu können, müssen persönliche Betroffenheit und Selbstwertgefühl ausgewogen sein, sonst wirken Sie entweder unsicher oder arrogant. Ablehnung ist negatives Feedback und damit nützliche Information.
„Die wichtigste Eigenschaft des Samurai-Verkäufers ist die Freiheit von Furcht.“
Analysieren Sie Ihre erfolglosen Verkaufsgespräche und lernen Sie daraus. Lassen Sie sich nicht entmutigen, bleiben Sie am Ball, mit jedem Fehlversuch steigen Ihre Erfolgschancen und Ihre persönliche Stärke. Vergleichen Sie sich nicht mit anderen, es liegt in der Natur der Sache, dass andere anders sind. Jeder hat seine Stärken und Schwächen, einzig Ihr persönlicher Fortschritt ist das Mass der Dinge. Die Frage ist nicht, wie gut Ihr Kollege ist, sondern ob Sie in diesem Monat besser als im letzten sind und was Sie tun können, um noch besser zu werden. Furchtlosigkeit muss trainiert werden, positive Autosuggestion, bei der Sie sich vorstellen, wie Sie eine beängstigende Situation furchtlos meistern, hilft Ihnen dabei.
Der zweite Weg – Konsequenz
Ein Samurai-Verkäufer verfolgt sein Ziel mit absoluter Konsequenz und eiserner Beharrlichkeit. Haben Sie Ihr Ziel bestimmt, gehen Sie unbeirrt darauf zu, ohne je zurückzuweichen. Bringen Sie immer zu Ende, was Sie begonnen haben, aber überlegen Sie sorgfältig, was Sie beginnen. Machen Sie Ihr Wort zum Gesetz, indem Sie immer halten, was Sie versprechen, und nichts versprechen, das Sie nicht halten können – auch sich selbst gegenüber. Wenn Sie vor dem Gespräch Ihre Strategie geplant und alle potenziellen Konsequenzen kalkuliert haben, brauchen Sie nichts zu fürchten und können zielstrebig und souverän verhandeln.
„Mit der gleichen Konsequenz, mit der ein Samurai seinen Gegner überwältigt, verfolgt der Samurai-Verkäufer seine Ziele, wenn es darum geht, den Auftrag gegen den Wettbewerb zu erringen.“
Als erfolgreicher Samurai-Verkäufer behalten Sie durch gezielte Fragen und aufmerksames Zuhören die Kontrolle über die Gesprächsführung und arbeiten so beharrlich auf Ihr Ziel hin. Überfrachten Sie den Kunden nicht mit Informationen, nach denen er nicht gefragt hat, finden Sie stattdessen heraus, welche konkreten Bedürfnisse er hat und woran seine Kaufentscheidung hängt. Streben Sie bei Verhandlungen einen Interessenausgleich an, bei dem die eine Seite etwas gibt, das sie wenig kostet, der anderen aber wichtig ist. Je mehr Optionen Sie anbieten oder akzeptieren können, desto grösser ist die Chance auf einen für beide Seiten erfolgreichen Vertragsabschluss. Bieten Sie Ideen und Problemlösungen an, bis der Kunde Ihnen signalisiert, dass er selbst jetzt einen Vertragsabschluss wünscht.
Der dritte Weg – Gelassenheit
Mit der Technik des leeren Geistes befreien Sie Ihren Geist von allem Ballast und gelangen zu innerer Gelassenheit. Der leere Geist ist wie ein Spiegel, der alles reflektiert und an nichts haften bleibt. Gelassenheit bedeutet, Emotionen bewusst zu steuern, sich von ihnen weder mitreissen zu lassen, noch sie zu unterdrücken, und nicht alles sofort zu werten. Seien Sie bei Verhandlungen stets ausgeglichen und positiv, aber nicht überschwänglich. Lassen Sie sich weder von Lob noch von Kritik aus der Fassung bringen, begegnen Sie Einwänden freundlich und sachlich. Werten Sie die Dinge nicht, während Sie verhandeln, akzeptieren Sie sie und reagieren Sie instinktiv und spontan auf die Situation und Ihr Gegenüber. Grundvoraussetzungen dafür, intuitiv die richtigen Argumente für genau diesen Kunden zu finden, sind neben einem leeren Geist die Beherrschung der Verkaufstechniken, eine gewissenhafte Vorbereitung auf das bevorstehende Gespräch und v. a. unermüdliches Training.
„Menschen suchen Berechenbarkeit und Sicherheit, mit anderen Worten: Konsequenz. Wer ihnen diese geben kann, geniesst ein hohes Ansehen.“
Wenn Sie Ihre Techniken „wie im Schlaf“ beherrschen und nicht alles sofort mit gut oder schlecht bewerten, finden Sie zur anfänglichen Unschuld und Freiheit eines Kindes zurück und können Ihre Kreativität und Spontaneität einsetzen, um Probleme des Kunden zu lösen. Und genau das erwartet der Kunde von Ihnen.
Der vierte Weg – Geordnete Flexibilität
Siegen, ohne zu kämpfen, bedeutet im Verkaufsgespräch, mögliche Konflikte vorauszusehen und zu umgehen. Dazu müssen Sie dem Kunden nicht nur Verständnis und Interesse entgegenbringen, an erster Stelle müssen Sie ein echtes Bedürfnis des Kunden befriedigen. Durch geschickte Fragen und aufmerksames Zuhören erhalten Sie mehr Information als durch Drängen und Beschwatzen. Das Ziel beim Verkaufen ist Kooperation, nicht Konfrontation. Verkaufen Sie nicht gegen den Kunden, sondern mit ihm – geben Sie Ihm, was er wirklich will. Wie der Samurai-Kämpfer die Kraft des Gegners für den eigenen Schlag nutzt, denkt sich der Samurai-Verkäufer in den Kunden hinein, um dann die richtigen Fragen zu stellen, damit dieser sich letztlich durch seine eigenen Antworten selbst überzeugt.
„Jeder Augenblick, den Sie nicht bewusst wahrnehmen, ist so gut wie nicht gelebt.“
Dies geschieht durch OPAL-Fragen: Orientierungsfragen liefern Informationen über die allgemeine Situation des Kunden. Problemfragen beziehen sich auf konkrete und mögliche Probleme, denen Ihr Produkt abhelfen könnte. Auswirkungsfragen veranschaulichen die möglichen Auswirkungen eines möglichen Problems und sind für den Kunden am interessantesten. Lösungsfragen schliesslich bringen den Kunden dazu, letzte Einwände anzubringen, bevor er sein ausdrückliches Bedürfnis nach Lösungen durch Ihr Produkt bekundet. Erst bei den Lösungsfragen ist der Kunde an detaillierten Informationen über Ihr Produkt wirklich interessiert, vorher wird ihn eine wortreiche oder womöglich automatisch abgespulte Produktvorstellung langweilen oder sogar verärgern. Wenn Ihre Worte und Taten miteinander in Einklang stehen, werden Sie dem Kunden Ihr Produkt auch glaubwürdig und überzeugend verkaufen können.
Der fünfte Weg – Achtsamkeit
Allein das Denken und Handeln im Jetzt bestimmt unser Leben. Lernen Sie aus der Vergangenheit, stellen Sie die Weichen für die Zukunft, aber leben Sie in der Gegenwart. Das erfordert Achtsamkeit, die Kombination aus voller Konzentration und bewusster Wahrnehmung. Im Schwertkampf entscheidet Achtsamkeit über Leben und Tod, im Berufsleben über Erfolg und Misserfolg. Achtsamkeit lernen Sie nur aus eigenen Erfahrungen und Niederlagen, durch ständiges Üben wird Ihre innere Stimme mit der Zeit immer klarer, lauter und verlässlicher. Konzentrieren Sie sich bei Verhandlungen aufmerksam auf Worte, Gestik und Äusseres Ihres Gegenübers, kurzum auf alle seine bewussten und unbewussten Signale, dann können Sie dem Kunden seine Wünsche sozusagen von den Augen ablesen.
„Um erfolgreich zu sein, müssen Sie erst Ihren wichtigsten Kunden von Ihrem Unternehmen überzeugen: sich selbst.“
Achten Sie immer darauf, dass Ihre Worte und Taten niemanden verletzen, weder absichtlich noch unabsichtlich, und vermeiden Sie die zehn Übel – Unverschämtheit, übertriebene Selbstsicherheit, Gier, Ärger, Furcht, Zweifel, Misstrauen, Zögerlichkeit, Verachtung und Einbildung. Das ist gar nicht so schwierig, vorausgesetzt, Sie nehmen sich und Ihr Ego nicht immer ganz so wichtig, sondern betrachten die Dinge auch einmal aus dem Blickwinkel der anderen. Seien Sie stets aufmerksam und geben Sie in jedem einzelnen Augenblick Ihr persönliches Bestes, dann wird auch die Gesamtheit dieser Augenblicke – Ihr Leben – ein Erfolg sein.
Der sechste Weg – Loyalität
Unser Erfolg hängt immer von anderen Menschen ab. Verlässlichkeit und Beziehungspflege sind darum wesentliche Faktoren für langfristige Erfolge. Im Berufsleben gibt es vier Ebenen der Loyalität: gegenüber dem Unternehmen, gegenüber dem Produkt, gegenüber dem Kunden und gegenüber Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten. Ein loyaler Verkäufer redet niemals schlecht über sein Unternehmen oder sein Produkt, sondern steht voll hinter beiden. Im Umgang mit Kunden zeigt sich Loyalität darin, dass das Wohl des Kunden über allem steht. In Japan ist der Kunde nicht nur König, hier ist er Gott und dem Verkäufer hierarchisch übergeordnet. So fühlt er sich überlegen und ist offen für die Informationen des Verkäufers, weil er nicht befürchtet, übervorteilt zu werden.
„Loyalität ist die Seele des Wirtschaftslebens, denn Geschäfte werden nicht zwischen Unternehmen, sondern zwischen Menschen gemacht.“
Niemals wird ein Kunde in Japan unfreundlich befragt, wenn er Reklamationen hat, stattdessen kann er mit schneller Abhilfe und einer ernst gemeinten Entschuldigung rechnen. Diese Kundenorientiertheit oder Loyalität hat nichts mit Unterwürfigkeit zu tun, sondern mit Respekt und dem Wissen, dass Mundpropaganda die effektivste und billigste Werbung ist. Im Umgang mit Mitmenschen gilt schlicht die goldene Regel: Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.
Der siebte Weg – Innere Kraft
Unsere innere Kraft ist mit der Lebensenergie Ki verbunden, die alles im Universum durchfliesst. Unablässig atmen wir das Ki des Universums ein und geben es beim Denken und Tun wieder ab. Wenn Geist, Körper und Technik eine Einheit bilden, verstärkt sich das Ki, wir strahlen Kraft und Wohlbefinden aus, sind gelassener, ausgeglichener und leistungsfähiger. Zen-Meditation im Sitzen oder im Gehen als Street-Zen trainiert und reinigt den Geist, der wie die Muskeln eines Body-Builders regelmässige Übungen in endlosen Wiederholungen braucht, um sein Potenzial zu entwickeln. Je öfter Sie Meditationstechniken anwenden, desto erfolgreicher und wirkungsvoller werden Ihre Ergebnisse sein.
„Das Wichtigste in jedem Augenblick ist der Geist; er entscheidet über den Erfolg in der Praxis.“
Jeder kann die sieben Wege der Samurai befolgen, es ist lediglich eine Frage der persönlichen Einstellungen und ethischen Werte. Eine positive Grundhaltung gehört ebenso dazu wie die Überwindung der zehn Übel. Der Samurai-Verkäufer konzentriert sich nicht auf den Wettbewerb mit anderen, er vervollkommnet sich selbst, indem er sein geistiges, seelisches, körperliches und technisches Potenzial stetig weiterentwickelt.
Nach fast zwanzigjähriger Tätigkeit im Vertrieb technischer Produkte im In- und Ausland gründete Hans-Peter Rentzsch 1990 eine eigene Unternehmensberatung, die Rentzsch Training GmbH, Zentrum für Managemententwicklung, in Nidderau. Der bekannte Verkaufs- und Managementtrainer ist erfolgreicher Buchautor und befasst sich mit der Umsetzung asiatischer Philosophien in Management und Verkauf.