Das grüne Paradoxon

Buch Das grüne Paradoxon

Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik

Econ,


Rezension

Windräder in der Landschaft, Solarzellen auf dem Dach und ein Sprit sparendes Auto in der Garage: Der Deutsche ist gewillt, einiges zu tun, um die Welt zu retten. Das ehrt ihn, findet auch Hans-Werner Sinn. Trotzdem reißt er ihn aus seinen Träumen: Der Gedanke, es müsse einfach mal einer mit gutem Beispiel vorangehen, dann werde der Rest der Welt schon nachfolgen und den Klimawandel stoppen – das ist für den streitbaren Ökonomen pure Romantik. Wer sich dagegen die Mühe mache, Ursachen und Folgen des Kli­mawan­dels sowie die Auswirkun­gen der Politik zu ergründen, gelange zu einem anderen Urteil: Alleingänge seien nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich, wenn es darum gehe, die Kli­makatas­tro­phe zu verhindern. Würde es bei dieser Kritik bleiben, könnte man Sinn als Miesmacher abtun. Aber er zeigt durchaus ernsthaftes Bemühen, Gegen­vorschläge zu machen, und spart auch nicht mit Lob, wo er es für angebracht hält. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Entschei­dungsträgern in Wirtschaft und Politik, die mithelfen wollen, den Klimawandel aufzuhalten. Auch wenn das bedeutet, von vertrauten Denksch­ablo­nen Abschied zu nehmen.

Take-aways

  • Fast alle Versuche, einer Kli­makatas­tro­phe zu­vorzukom­men, treiben den Klimawandel para­dox­er­weise noch an.
  • Die deutschen Anstren­gun­gen zum En­ergies­paren und Umsteigen auf re­gen­er­a­tive Energie sind komplett vergebens.
  • Jede Tonne Kohlen­dioxid, die in Deutschland eingespart wird, darf ein anderes Land umso billiger in die Luft blasen – dank dem Ky­oto-Pro­tokoll.
  • Die staatlichen Sub­ven­tio­nen verteuern die Energie für die Deutschen und verbilligen sie für andere Länder.
  • Die deutsche Politik beeinflusst die Nachfrage, entschei­dend ist aber das Angebot.
  • Windräder und Fotovoltaik sind zwar gefragt, werden Deutschland aber nicht ansatzweise mit genügend Strom versorgen können.
  • Atom­kraftwerke sind sicherer geworden. Doch ide­ol­o­gis­che Scheuk­lap­pen verhindern die Diskussion über diese En­ergiequelle.
  • Biosprit ist keine Alternative: Wenn Menschen hungern müssen, damit Autos fahren können, sind Konflikte vor­pro­gram­miert.
  • Das EU-weit geltende System von Emis­sion­sz­er­ti­fikaten ist ein sinnvoller Ansatz.
  • Es müssen wieder mehr Wälder gepflanzt werden, damit Kohlenstoff absorbiert wird.
 

Zusammenfassung

Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Die Deutschen meinen es gut: Viele kleine Schritte ergeben einen großen, und wer mutig vorangeht, dem werden die anderen schon folgen. Deshalb setzen sie auf Windkraft und Son­nenkollek­toren, füllen Biosprit in ihre Benzin sparenden Autos und helfen so, die Welt vor dem Kli­makol­laps zu retten. Denken sie zumindest.

„Der Klimawandel ist keine einge­bildete, sondern echte Bedrohung der Menschheit.“

Die Wirk­lichkeit sieht anders aus. Biostrom wird durch Sub­ven­tio­nen unterstützt, die den Lebens­stan­dard und die Wet­tbe­werbsfähigkeit der Deutschen gefährden. In­ter­na­tionale Verträge (Ky­oto-Pro­tokoll) schreiben vor, was mit EU-weit gehandelten Zer­ti­fikaten umgesetzt wird: dass jede in Deutschland eingesparte Tonne Kohlen­dioxid irgendwo anders in die Luft geblasen werden darf. Und je billiger das Öl wird, desto ungenierter nutzen Amerikaner und Chinesen die Vorräte; entsprechend schneller gehen diese zur Neige. Paradox? Durchaus. Das Bessere wollen und das Schlechtere bewirken – das ist im Moment die Klimapoli­tik der Deutschen. Wer wirklich etwas erreichen will, muss diese Paradoxa durch­schauen.

„Das Klimaprob­lem ist zu ernst für einen ide­ol­o­gis­chen Streit.“

Kohlen­dioxid ist zu mehr als 60 % für den Treib­haus­ef­fekt ve­r­ant­wortlich. Diesen Faktor kann der Mensch bee­in­flussen. Kohlen­dioxid zersetzt sich nicht: Was jetzt in die Luft geblasen wird, bleibt auch dort – mindestens für die nächsten 30 000 Jahre. Der jährliche Ausstoß hat sich seit den 1930er Jahren mehr als ver­sieben­facht. Das führt dazu, dass die durch­schnit­tliche Temperatur der Erde in den kommenden Jahrzehnten um mehrere Grad Celsius ansteigen wird. Die Folgen:

  • Savannen und Wüsten werden sich ausbreiten, u. a. im Mit­telmeer­raum, in Australien, Mexiko und Kalifornien. Die Zahl der Waldbrände wird zunehmen.
  • Die Menschen werden aus den un­wirtlichen Regionen aufbrechen und sich in Ländern mit gemäßigterem Klima nieder­lassen.
  • Der Meer­esspiegel wird um etwa einen Meter gegenüber der vorindus­triellen Zeit ansteigen. Bangladesch wird ein Fünftel seiner Landfläche verlieren, viele Inseln werden im Meer versinken.
  • Die Zahl der Stürme wird zunehmen, weil sich die Tem­per­atu­run­ter­schiede zwischen den Regionen – auch zwischen Meer und Land – vergrößern.

Ein sinnvoller Ansatz: Zertifikate

Die erste ernst zu nehmende globale politische Reaktion auf diese Entwicklung ist das Ky­oto-Pro­tokoll von 1997, in dem sich die meisten der 181 Un­terze­ich­n­er­staaten verpflichtet haben, ihren Ausstoß an Treib­haus­gasen zu reduzieren. Zu den Ausnahmen zählen die beiden größten Ver­schmutzer, die USA und China. Deutschland hat sich vorgenommen, den Ausstoß an Kohlen­dioxid von 1990 bis 2020 um 40 % zu reduzieren – rund 16 % sind zurzeit schon geschafft. Die meisten anderen westeuropäischen Länder haben trotz ähnlicher Ziele ihren Ausstoß im Ver­gle­ich­szeitraum erhöht, Irland beispiel­sweise um 45 %, Portugal um 48 % und Spanien sogar um 57 %.

„Die grüne Politik ist voller Paradoxa.“

Eigentlich könnte das diese Staaten teuer zu stehen kommen, schließlich werden EU-weit so genannte Emis­sion­sz­er­ti­fikate ausgegeben. Diese legen fest, wer wie viel Treib­haus­gase absetzen darf. Wer mehr verschmutzt als vereinbart, muss zusätzliche Zertifikate kaufen – von Unternehmen, die ihre eigenen nicht alle brauchen und also finanziell davon profitieren, dass sie die Luft weniger stark mit schädlichen Gasen anreichern.

„Das Leben auf der Erde wird wegen des Treib­haus­ef­fekts nicht erlöschen.“

Die Idee funk­tion­ierte in der ersten Phase gut – zu gut. Es wurden so viele Zertifikate verteilt, dass Umweltsünder sie schließlich zum Schnäppchenpreis erwerben konnten. Ein Grund dafür ist, dass viele Anlagen mod­ernisiert und in der Folge viele Zertifikate nicht mehr gebraucht wurden. In der 2008 an­ge­laufe­nen zweiten Phase wird eine geringere Zahl an Zer­ti­fikaten wieder zu vertret­baren Preisen ver- und gekauft. Das beweist: Es ist grundsätzlich sinnvoller, das Problem über Angebot und Nachfrage in den Griff zu bekommen als etwa über technische Auflagen. Das sieht die UNO genauso und ist dabei, ähnliche Zertifikate weltweit einzuführen. Ein sinnvoller Anfang ist gemacht.

Die Deutschen vorneweg

Das hochgesteckte deutsche Ziel, den Ausstoß an schädlichen Gasen zu reduzieren, beweist viel guten Willen. Ebenso der Plan, den Anteil der erneuer­baren Energie am Gesamtver­brauch auf 18 % zu steigern. Aber trotz aller Windflügel und Solarzellen beträgt der Anteil der re­gen­er­a­tiven Energie zurzeit nur rund 7,5 %, und davon stammen mehr als zwei Drittel aus dem Bereich Biomasse – darunter fällt auch das Verbrennen von Holz.

„Riesige Mi­gra­tionsströme vom Süden in den Norden sind zu erwarten.“

Um den Einsatz re­gen­er­a­tiver Energien zu fördern, ist die Ökosteuer eingeführt worden. Mit ihr wird der Verbrauch fossiler Energien wie Kohle, Erdöl und Erdgas zusätzlich belastet. Allerdings ist die un­ter­schiedliche Höhe der Steuer je nach Ver­wen­dungszweck logisch kaum nachvol­lziehbar. Die Ökosteuer trifft nicht alle gleich, sondern macht Un­ter­schiede. Das meiste zahlen Autofahrer an den Tankstellen, als Aufschlag auf Benzin und Diesel. Auch dahinter steckt guter Wille, aber die Ergebnisse sind kon­trapro­duk­tiv. Die Kosten, um Kohlen­dioxid einzusparen, sind – staatlich forciert – so un­ter­schiedlich, dass in einigen Bereichen nicht das Einsparen, sondern faktisch das Ver­schwen­den belohnt wird. Dagegen gäbe es ein ebenso einfaches wie Erfolg ver­sprechen­des Mittel: ein ein­heitlicher Preis pro Tonne Kohlen­dioxid-Ausstoß. Den Rest übernimmt dann der Markt. Würde Deutschland komplett auf Ökosteuern verzichten, würde EU-weit der Kohlen­dioxid-Ausstoß nicht steigen, denn der ist durch die Zahl der aus­gegebe­nen Zertifikate beschränkt.

„Deutschland hat sich den erneuer­baren Energien wie kein anderes Land dieser Erde ver­schrieben.“

Die Ökosteuer wird ergänzt um das Erneuer­bare-En­ergien-Gesetz (EEG), durch das der Einsatz von Wasser- und Windkraft, Deponie-, Klär- und Grubengas, Biomasse, Erdwärme und Sonnenlicht sub­ven­tion­iert wird. Derzeit kostet das EEG jährlich mehrere Milliarden Euro an Sub­ven­tio­nen. Das erklärt vielleicht, warum überall Windparks errichtet werden: Es lohnt sich finanziell.

„Der Nettoeffekt der deutschen Ver­brauchssenkung für Europa und die Welt ist null Komma null.“

Gegen alle Einwände bringen die Politiker gern das Argument vor, der Trend zu al­ter­na­tiven Energien schaffe Arbeitsplätze. Tatsächlich arbeitet in der Branche mit­tler­weile eine sechsstel­lige Zahl von Menschen. Allerdings muss gegen­gerech­net werden, wie viele Arbeitsplätze durch Subvention von Forschungen an al­ter­na­tiven Energieträgern verloren gehen. Es ist jedenfalls kein Netto-Plus an Arbeitsplätzen, das hier entsteht. Von all den Argumenten, die aufgefahren werden, sind nur zwei halbwegs akzeptabel: Zum einen ist es sinnvoll, den Weg zu einer tech­nol­o­gis­chen Führerschaft zu unterstützen, zum anderen ist eine geringere Abhängigkeit von Öl und Gas aus anderen Ländern hilfreich.

Was aus all dem Raps wird

Zwei Drittel des Rapses, der im Frühling auf deutschen Feldern blüht, wandern später als Biodiesel in Autotanks. Biodiesel ist eine deutsche Spezialität: Mehr als 40 % der weltweiten Produktion kommen aus Deutschland. In Amerika wird dagegen auf Bioethanol gesetzt, das vor allem aus Mais und Weizen hergestellt wird. In Deutschland werden beide Biokraft­stoffe, gesetzlich vorgeschrieben, dem normalen Diesel und Benzin beigemischt.

„Wie man es auch dreht und wendet, die Förderung des grünen Stroms dient dem Klima nicht wirklich.“

Um die EU-Vorgabe von 10 % Anteil an Biokraft­stof­fen zu erreichen, müsste mehr als ein Viertel aller Ackerflächen für Raps & Co. bere­it­gestellt werden. Als Folge könnten weniger Nahrungsmit­tel produziert werden, und ihr Preis würde steigen. Genau das passiert seit 2006 bei Mais, Reis und Weizen. Wer sich die teuren Nahrungsmit­tel nicht mehr leisten kann, muss hungern. Zu Hungersnöten kam es bereits, beispiel­sweise auf Haiti, in Ägypten und im Senegal. Den Betroffenen ist durchaus bewusst, was da passiert. Protest ist unauswe­ich­lich. Wir wissen nur noch nicht, welche Formen und Dimensionen er annehmen wird.

„Nie werden die Armen der Welt akzeptieren, dass die Reichen in den Tank stecken, was sie gerne auf dem Teller hätten.“

Eine mögliche Alternative ist in Deutschland so gut wie tabu: Atomstrom. Während überall auf dem Globus neue Atommeiler gebaut werden, beharrt Deutschland als einzige Nation der Welt auf dem Atom­ausstieg und verzichtet damit auf einen prak­tik­ablen Weg, das Klima zu schützen. Gerade in Deutschland tragen viele Menschen ide­ol­o­gis­che Scheuk­lap­pen, die ihnen die Erkenntnis verunmöglichen, wie viel sicherer Atom­kraftwerke geworden sind.

Angebot und Nachfrage

Vor lauter Anstren­gun­gen der deutschen Politik und der umwelt­be­wussten Bürger auf der Nach­frage­seite wird die Ange­bots­seite vernachlässigt. Der größte Effekt der deutschen Umwelt­poli­tik besteht darin, dass sie senkend auf die Welt­mark­t­preise wirkt. Das macht Öl, Gas und Kohle für andere Länder er­schwinglich. Es wird also genauso viel Kohlen­dioxid in die Atmosphäre geblasen wie vorher – nur eben in anderen Ländern.

„Zukünftige Gen­er­a­tio­nen werden sich zu Recht darüber aufregen, wie heute das Erdöl ver­schleud­ert wird.“

Vom Öl steckt noch jede Menge in der Erde – erst ein Sechstel der Ressourcen ist bislang verbraucht worden. Bei Erdgas und Kohle ist der Anteil noch geringer. Soll heißen: Die Hoffnung, dass ein Ende der Ressourcen auch ein Ende des Kli­mawan­dels bedeutet, ist trügerisch.

Bekanntlich sind diese Ressourcen ungleich verteilt. Ihre Besitzer stehen vor der Wahl, wie sie damit umgehen: Entweder sie gehen schnell auf den Markt damit, auch auf die Gefahr hin, dass der Preis sinkt – dann machen sie mehr Profit auf den Kapitalmärkten als mit dem Öl. Oder aber sie strecken die Förderung und setzen auf steigende Preise bei abnehmenden Vorräten. Diese Entschei­dung fällt nicht unter einem ethisch-moralis­chen Aspekt, sondern unter einem streng ökonomischen: Was rentiert sich besser? Eine privat-, keine volk­swirtschaftliche Abwägung. Weil die sozialen Kosten nicht ein­gerech­net werden, können die Märkte das Klimaprob­lem nicht in den Griff bekommen und schon gar nicht lösen.

Was lässt sich tun?

Die Energievorräte langsamer abzubauen als bisher und so das Aufheizen der Atmosphäre zumindest zu drosseln, ist wohl der einzig sinnvolle Ansatz. Wer allerdings bei der Nach­frage­seite ansetzt – wie die deutsche Politik –, wird scheitern. Der richtige Ansatzpunkt kann nur die Ange­bots­seite sein. Ziel muss sein, dass es wenig reizvoll ist, die Vorräte so schnell wie möglich aus dem Boden zu holen und zu versilbern. Die Botschaft sollte lauten: So richtig viel Profit lässt sich erst später machen.

„Die Politik muss die Nachfrage und damit die Preise in der Gegenwart in einem gewissen Sinne stärker drücken als in der Zukunft. Nur dann verlangsamt sich der Klimawandel.“

Eine Politik, die auf re­gen­er­a­tive Energien setzt, vermittelt aber den Eindruck, die Zeit der fossilen Brennstoffe liefe ab – was zur Folge hat, dass die Reserven zu Geld gemacht werden, solange es sich noch lohnt. Also heute. Darin besteht das grüne Paradoxon.

Es gibt drei Chancen: eine Quel­len­s­teuer auf Zinsen, die dort erhoben wird, wo die Kapitalerträge anfallen. Ein wel­tum­fassendes Zuteilungssys­tem, das von der UNO kon­trol­liert wird. Und, eigentlich ganz simpel, das Anpflanzen von Wäldern, damit das Kohlen­dioxid von den Bäumen aufgenommen und in Sauerstoff umgewandelt wird. Die Wahrschein­lichkeit, eine der beiden ersten Chancen zu realisieren, ist gering. Und Möglichkeit drei? Derzeit wird eher abgeholzt als aufge­forstet. Wenig Hoffnung also. Und die Zeit drängt.

Über den Autor

Hans-Werner Sinn ist Präsident des Wirtschafts­forschungsin­sti­tuts ifo in München. Er lehrt Nationalökonomie und Fi­nanzwis­senschaft an der Lud­wig-Max­i­m­il­ians-Uni­ver­sität. Sinn ist bekannt geworden durch seine heftig disku­tierten Bücher, darunter Ist Deutschland noch zu retten?