Kooperative Intelligenz ist Aktion
Von kooperativer Intelligenz (collaborative intelligence, CQ) kann man sprechen, wenn ein System von der Vernetzung der Intelligenz einzelner Individuen profitiert. Das Phänomen der kooperativen Intelligenz zeigt sich am deutlichsten in Krisen und Notfällen, wenn beispielsweise Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter reibungslos zusammenarbeiten, ohne sich besonders darüber zu verständigen. Diese Art von hocheffizienter Teamarbeit lässt sich in auch in Unternehmen und anderen Organisationen verwirklichen. Vor allem moderne Betriebe, die sehr stark von Innovation abhängen und flache Hierarchien aufweisen, können davon profitieren. Kooperative Intelligenz ist hier die Voraussetzung, um sich an ständig veränderte Marktverhältnisse anzupassen.
„Die Ameisen wechseln von einer Aufgabe zur anderen und tun, was getan werden muss.“
Die einzelnen Faktoren, die das Vorhandensein oder die Entstehung kooperativer Intelligenz fördern, lassen sich getrennt betrachten, aber sie beeinflussen sich gegenseitig und greifen ineinander über. Um kooperative Intelligenz in Ihrem Unternehmen oder in Ihrem Team zu verwirklichen, müssen Sie sich über diese Faktoren Klarheit verschaffen und sie Schritt für Schritt bei sich und Ihren Mitarbeitern umsetzen.
Grundannahmen und Wahrnehmungen
Innovation im Unternehmen setzt ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft bei jedem einzelnen Mitarbeiter voraus. Die organische Natur mit ihrer ständigen Anpassungsfähigkeit ist dafür das beste Vorbild. Gewohnheiten und Routinen helfen uns zwar, den Alltag zu bewältigen und die unzähligen Informationen zu filtern und zu verarbeiten. Andererseits können uns festgefahrene Überzeugungen und Haltungen aber auch blockieren.
„Kooperative Intelligenz ist definiert als die Fähigkeit, sich Intelligenz in sozialen Beziehungsnetzwerken zunutze zu machen.“
Wenn Sie einem Fisch erklären würden (angenommen, das wäre möglich), dass er sich in einem ganz bestimmten Medium – dem Wasser – bewegt, würde er das nur schwer verstehen, da er nichts anderes kennt. So ist es auch mit uns Menschen und unseren Grundwahrnehmungen. Erst wenn wir sie überwinden, machen wir wirklich den Weg frei zur kooperativen Intelligenz.
„Wir können ein neues Paradigma erst vollständig akzeptieren, wenn wir bereit sind, das alte aufzugeben.“
Es ist notwendig, dass Sie Ihre Grundannahmen hinterfragen, so wie Sie irgendwann einmal Ihren Glauben an den Weihnachtsmann hinterfragt haben. Bis dahin hielten Sie den Weihnachtsmann für real, weil Sie daran glaubten. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene bilden sich ihre Realität aus solchen Glaubensvorstellungen und entsprechenden Wahrnehmungen. Besonders problematisch sind Glaubenssätze wie sich selbst erfüllende Prophezeiungen („Klappt ja doch nicht“) oder das Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Wertlosigkeit („Ich schaffe das nicht“).
„Wir Menschen drücken unsere kooperative Intelligenz in bestimmten Situationen aus, beispielsweise in extremen Notfällen.“
Solche Grundannahmen oder Überzeugungen beruhen auf Wahrnehmung. Wahrnehmung wiederum funktioniert wie das Periskop eines U-Boots, das immer nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit zeigt. Welchen – das hängt davon ab, wie die Aufmerksamkeit gelenkt wird. Zwischen Grundannahmen und Wahrnehmungen besteht eine Wechselwirkung. Negative Grundannahmen lenken die Aufmerksamkeit auf entsprechende Wahrnehmungen. Daher: Verändern Sie die Perspektive Ihrer Wahrnehmung. Zuerst bei sich selbst, dann bei anderen.
Selbstwahrnehmung und Selbstkontrolle
Wie Sie sich selbst wahrnehmen, hat Einfluss darauf, wie Sie auf andere wirken. Der erste Eindruck, den Sie vermitteln oder empfangen, ist bekanntlich entscheidend. Eine kritische Selbstwahrnehmung ist eine Voraussetzung, um ein Vorbild für Ihre Mitarbeiter sein zu können.
„Die Annahmen, die wir über die Wirklichkeit hegen, erschaffen diese Wirklichkeit zum großen Teil mit.“
Beurteilen Sie Ihre Selbstwahrnehmung und Ihre Wahrnehmung durch andere: Haben Sie eher ein schwaches Selbstvertrauen und eine pessimistische Einstellung oder strahlen Sie ein starkes, optimistisches Bild aus? Kern der Selbstkontrolle ist es, sich selbst eine positive Orientierung zu geben. Diese Freiheit hat jeder Mensch. Mit der so gewonnenen Selbstsicherheit können Sie sich in einem Team sehr offen verhalten: Sie können Widerspruch und Rückmeldungen zulassen, aktiv nach Verbesserungen Ausschau halten und Verbindungen knüpfen. Das sind bereits einige wichtige Elemente der kooperativen Intelligenz.
Selbstkontrolle und Kommunikation
In heutigen dezentralisierten Organisationen serviceorientierter Unternehmen werden Probleme von Mitarbeitern vor Ort in eigener Verantwortung gelöst. Sätze wie „Dafür bin ich nicht zuständig“ oder „Da muss ich erst den Chef fragen“ sind undenkbar. Mitarbeiter, die wissen, welchen Zielen und Werten ihr Unternehmen verpflichtet ist, und was man gemeinsam erreichen will, können selbstständig zum Wohl des Ganzen handeln. Das Bild der Selbstkontrolle, das Sie als Chef vermitteln, überträgt sich auf Ihre Mitarbeiter. In Sachen Kommunikation müssen Sie daher Folgendes beachten:
- Machen Sie sich bewusst, wie außerordentlich stark die nonverbale Kommunikation wirkt. Das betrifft Ihr Erscheinungsbild, Ihre Stimmlage und Ihre Körpersprache, aber auch die der anderen.
- Die beste Kommunikation besteht im Zuhören, weil Sie nur so die gewünschten Antworten erhalten.
- Betrachten Sie Misserfolge als wertvolles Feedback und suchen Sie nach weiteren Informationen.
- Geben Sie allen Mitarbeitern umfassende Informationen. Das ist neben dem Zuhören die beste Art, deren Einsatz und Motivation zu sichern.
- Zeigen Sie Respekt. Ist dieser gewährleistet – auch zwischen den Mitarbeitern –, beteiligen sich alle an Problemlösungen.
- In hocheffizienten Teams sollte jeder ein Vorbild für alle anderen sein und sogar ggf. in der Lage, die Führung zu übernehmen.
- Durch offenen Dialog entstehen die so dringend benötigten „guten Fragen“. Nur sie helfen auf dem Weg zu Problemlösung und Innovation weiter.
„Die uralte östliche Weisheit, dass die Energie dorthin fließt, wohin die Aufmerksamkeit sie lenkt, bedeutet, dass die Energie der Aufmerksamkeit folgt.“
Das harmonische Funktionieren eines Teams ist wie das Spiel eines Orchesters, bei dem verschiedene Instrumente zum Gesamtklang beitragen. Lassen Sie diese Vielfalt zu und verwechseln Sie nicht Harmonie mit gleichgeschaltetem Denken.
Kommunikation und Verbindungen
Gute Kommunikation innerhalb einer Gruppe schafft Verbindungen der Mitglieder untereinander, damit diese ihr Potenzial angstfrei ausschöpfen und aktiv kooperieren. Denn erst aus der Aktion entsteht ein Ergebnis. Erst wenn die Instrumente eines Orchesters gespielt werden, erklingt Musik. Das gemeinsame Handeln setzt eine Gruppendynamik in Gang, die wiederum das kooperative Gruppenverhalten beflügelt. Diese positive Spirale der Selbstorganisation ist der Idealzustand von Teams mit kooperativer Intelligenz. Mittlerweile wird sogar schon die Ausbildung militärischer Eliteeinheiten in diese Richtung betrieben, indem der Kommandeur auf die Intelligenz seiner Truppen vor Ort baut.
„Veränderungen beginnen immer bei der eigenen Person, und das gilt auch und vor allem für die Selbstwahrnehmung.“
Je mehr Veränderungsmöglichkeiten es gibt, desto stärker wächst der Anpassungsdruck. Er ist nur mit kooperativer Intelligenz zu bewältigen. Anpassung erfordert Kreativität und Flexibilität. Suchen Sie in Ihrem Unternehmen nach allen positiven Elementen und fördern Sie diese aktiv. Dadurch stärken Sie Ihre Stärken und arbeiten lösungsorientiert. Fragen Sie sich: Was funktioniert bereits gut? Was könnte in der Zukunft gut funktionieren (neue Produkte, Ideen, Abläufe)? Planen Sie solche Neuerungen und räumen Sie ihnen Priorität ein. Setzen Sie die Pläne in neue Produkte, Dienstleistungen oder bessere Abläufe um.
„Manchmal hat die nonverbale Botschaft sogar eine so starke Wirkung, dass die verbale Botschaft daneben ignoriert wird.“
Das Internet und andere neue Technologien unterstützen das Schaffen von Verbindungen und das Hervorbringen von Neuerungen. Sie fördern die kooperative Intelligenz, indem sie die Prozesse erheblich beschleunigen.
Kreativität und Flexibilität
Am Anfang allen Lebens, vor zwei Milliarden Jahren, stellten blaugrüne Bakterien ihren Stoffwechsel auf Sauerstoffatmung um. Der bis dahin giftige Stoff wurde durch diesen kreativen Akt in einen Vorteil verwandelt. Wenn man so will, haben die Bakterien eine Grundannahme hinterfragt – die Voraussetzung zu diesem kreativen Schub. Diese Entwicklung muss mit einzelnen Bakterien begonnen haben, die sich von anderen unterschieden. Ihre Unterschiedlichkeit war sozusagen die Initialzündung für die spätere Gemeinschaftsleistung der Kolonie.
„Harmonie im Team entsteht, wenn alle dieselbe Melodie spielen.“
Auch bei der kooperativen Intelligenz in menschlichen Teams ist Unterschiedlichkeit ein Vorteil, und Hinterfragen löst kreative Prozesse aus. Die überall latent vorhandene Kreativität wird nicht durch das Wiederkäuen vorgefertigter Antworten wie in der traditionellen Paukschule gefördert, sondern durch gute Fragen und intelligente Kritik, die die Neugier des Teams wecken. Ein beinahe unverzichtbarer Auslöser dafür ist Humor. Humor verändert den Bezugsrahmen; jede Pointe eines Witzes läuft auf eine unerwartete, überraschende Wendung hinaus. Humor eröffnet neue Perspektiven, befreit und verschafft ein Wohlgefühl. Nur wenn Denkweisen, Methoden und Systeme auf diese Weise flexibel gemacht werden, können sie die notwendigen Anpassungen leisten. Ist die Kreativität geweckt, kann sie in praktische Lösungen umgesetzt werden. Das sind die Innovationen.
Seinen Beitrag leisten
Kreative Prozesse und kooperative Intelligenz benötigen sinnvolle Ziele, an denen sie sich orientieren. Andernfalls verpufft die Energie wirkungslos. Zu hoch gesteckte Erwartungen können lähmend wirken. Mitarbeiter in Gruppen mit kooperativer Intelligenz sind motiviert und wollen sich mit vollem Herzen einbringen. Wer mutig handelt, tut, was getan werden muss, ohne kleinliche Kalkulation der Kosten und Risiken.
„Hervorragende Kommunikationsfähigkeiten eröffnen uns die Möglichkeit, erstklassige Verbindungen zu anderen Personen, Teams oder Abteilungen herzustellen.“
Gruppen mit kooperativer Intelligenz engagieren sich für einen sinnvollen Zweck. Für das Mitglied eines Rettungsteams lautet das Ziel seiner Tätigkeit nicht „meinen Lebensunterhalt verdienen“ oder „meine Fähigkeiten einsetzen“, sondern „Menschenleben retten“. Derartige Ziele gibt es auch in Unternehmen (Beispiel Apple: „Wir tragen Bildung in die Welt“). Sie verbinden die Mitarbeiter miteinander und beflügeln sie im Sinne der kooperativen Intelligenz.
„Auch kooperative Intelligenz ist nichts, was man einfach nur hat. Ein Team muss aktiv kooperieren, damit sie in Aktion tritt.“
Natürlich sind Ameisen keine intelligenten Tiere. Aber man kann sich nur schwer vorstellen, wie der Bau und der Unterhalt eines Ameisenhügels ohne Zielvorstellung möglich sein können.