Das Geheimnis des Ameisenhügels

Buch Das Geheimnis des Ameisenhügels

Kooperative Intelligenz im Unternehmen entwickeln

Wiley-VCH,


Rezension

Naturkunde wird in diesem Buch nicht betrieben, auch wenn sich der Titel so anhört. Der Ameisenhügel dient als Symbol für komplexe Or­gan­i­sa­tio­nen, wie sie auch Wirtschaft­sun­ternehmen darstellen. Autor Stephen James Joyce, ein Un­ternehmens­ber­ater, sieht in der ko­op­er­a­tiven Intelligenz (col­lab­o­ra­tive in­tel­li­gence, CQ) von Teams eine wichtige Ergänzung zur in­tellek­tuellen Intelligenz (IQ) und zur emotionalen Intelligenz (EQ) des Einzelnen. Eine Analogie zur CQ ist für ihn die Schwarmintel­li­genz, wie sie im Tierreich bei Ameisen oder Bienen zu beobachten ist. Dort ist das einzelne Tier wenig intelligent, aber die Gemein­schaft umso mehr. Sozusagen über den Ameisenhügel steigt Joyce ins Thema ein, behandelt aber ansonsten nur die menschliche kooperative Intelligenz, die Unternehmen weit­er­brin­gen kann – wenn sie verstanden und sys­tem­a­tisch gefördert wird. Das Buch steckt voller an­schaulicher Beispiele und praktischer Übungen und enthält sogar einen guten Schuss Weisheit. BooksInShort empfiehlt es allen Teamleitern und Per­sonal­man­agern, denen an einer in­tel­li­gen­ten For­ten­twick­lung ihrer Or­gan­i­sa­tion gelegen ist.

Take-aways

  • Ein Ameisenhügel ist das perfekte Beispiel für kooperative Intelligenz.
  • Dieses Modell lässt sich auf Or­gan­i­sa­tio­nen und Unternehmen übertragen.
  • Das Ziel: Innovation und Anpassung an die ständigen Veränderungen des Mark­tum­felds.
  • Kooperative Intelligenz zeigt sich am deut­lich­sten in Notfällen, wenn alle Mitglieder eines Ret­tung­steams reibungslos zusam­me­nar­beiten.
  • Grund­vo­raus­set­zung für kooperative Intelligenz ist die Bere­itschaft zur Veränderung, das Hin­ter­fra­gen von Grun­dan­nah­men, Wahrnehmungen und Routinen.
  • Veränderung beginnt mit kritischer Selb­st­wahrnehmung. Arbeiten Sie an Ihrem Er­schei­n­ungs­bild, Ihrer Körpersprache und Ihrer Stimmlage.
  • Seien Sie ein Vorbild und ermuntern Sie andere, es auch zu sein. In er­fol­gre­ichen Teams könnte jeder die Führung übernehmen.
  • Offene Kom­mu­nika­tion und freier In­for­ma­tions­fluss sorgen für eine angstfreie, kreative Di­alog­bere­itschaft, die kooperative Intelligenz her­vor­bringt.
  • In Teams mit ko­op­er­a­tiver Intelligenz wird die Haup­taufmerk­samkeit auf das Stärken der Stärken gelenkt.
  • Er­fol­gre­iche Unternehmen geben Ihren Mi­tar­beit­ern ein sinnvolles, überge­ord­netes Ziel vor. „Geld verdienen“ ist nicht Motivation genug.
 

Zusammenfassung

Kooperative Intelligenz ist Aktion

Von ko­op­er­a­tiver Intelligenz (col­lab­o­ra­tive in­tel­li­gence, CQ) kann man sprechen, wenn ein System von der Vernetzung der Intelligenz einzelner Individuen profitiert. Das Phänomen der ko­op­er­a­tiven Intelligenz zeigt sich am deut­lich­sten in Krisen und Notfällen, wenn beispiel­sweise Feuer­wehrleute oder Ret­tungssanitäter reibungslos zusam­me­nar­beiten, ohne sich besonders darüber zu verständigen. Diese Art von hochef­fizien­ter Teamarbeit lässt sich in auch in Unternehmen und anderen Or­gan­i­sa­tio­nen ver­wirk­lichen. Vor allem moderne Betriebe, die sehr stark von Innovation abhängen und flache Hierarchien aufweisen, können davon profitieren. Kooperative Intelligenz ist hier die Vo­raus­set­zung, um sich an ständig veränderte Marktverhältnisse anzupassen.

„Die Ameisen wechseln von einer Aufgabe zur anderen und tun, was getan werden muss.“

Die einzelnen Faktoren, die das Vorhan­den­sein oder die Entstehung ko­op­er­a­tiver Intelligenz fördern, lassen sich getrennt betrachten, aber sie bee­in­flussen sich gegenseitig und greifen ineinander über. Um kooperative Intelligenz in Ihrem Unternehmen oder in Ihrem Team zu ver­wirk­lichen, müssen Sie sich über diese Faktoren Klarheit verschaffen und sie Schritt für Schritt bei sich und Ihren Mi­tar­beit­ern umsetzen.

Grun­dan­nah­men und Wahrnehmungen

Innovation im Unternehmen setzt ein hohes Maß an Veränderungs­bere­itschaft bei jedem einzelnen Mitarbeiter voraus. Die organische Natur mit ihrer ständigen Anpassungsfähigkeit ist dafür das beste Vorbild. Gewohn­heiten und Routinen helfen uns zwar, den Alltag zu bewältigen und die unzähligen In­for­ma­tio­nen zu filtern und zu verarbeiten. An­der­er­seits können uns fest­ge­fahrene Überzeu­gun­gen und Haltungen aber auch blockieren.

„Kooperative Intelligenz ist definiert als die Fähigkeit, sich Intelligenz in sozialen Beziehungsnet­zw­erken zunutze zu machen.“

Wenn Sie einem Fisch erklären würden (angenommen, das wäre möglich), dass er sich in einem ganz bestimmten Medium – dem Wasser – bewegt, würde er das nur schwer verstehen, da er nichts anderes kennt. So ist es auch mit uns Menschen und unseren Grund­wahrnehmungen. Erst wenn wir sie überwinden, machen wir wirklich den Weg frei zur ko­op­er­a­tiven Intelligenz.

„Wir können ein neues Paradigma erst vollständig akzeptieren, wenn wir bereit sind, das alte aufzugeben.“

Es ist notwendig, dass Sie Ihre Grun­dan­nah­men hin­ter­fra­gen, so wie Sie irgendwann einmal Ihren Glauben an den Wei­h­nachts­mann hinterfragt haben. Bis dahin hielten Sie den Wei­h­nachts­mann für real, weil Sie daran glaubten. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene bilden sich ihre Realität aus solchen Glaubensvorstel­lun­gen und entsprechen­den Wahrnehmungen. Besonders prob­lema­tisch sind Glaubenssätze wie sich selbst erfüllende Prophezeiun­gen („Klappt ja doch nicht“) oder das Gefühl von Hoff­nungslosigkeit und Wert­losigkeit („Ich schaffe das nicht“).

„Wir Menschen drücken unsere kooperative Intelligenz in bestimmten Situationen aus, beispiel­sweise in extremen Notfällen.“

Solche Grun­dan­nah­men oder Überzeu­gun­gen beruhen auf Wahrnehmung. Wahrnehmung wiederum funk­tion­iert wie das Periskop eines U-Boots, das immer nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Wirk­lichkeit zeigt. Welchen – das hängt davon ab, wie die Aufmerk­samkeit gelenkt wird. Zwischen Grun­dan­nah­men und Wahrnehmungen besteht eine Wech­sel­wirkung. Negative Grun­dan­nah­men lenken die Aufmerk­samkeit auf entsprechende Wahrnehmungen. Daher: Verändern Sie die Perspektive Ihrer Wahrnehmung. Zuerst bei sich selbst, dann bei anderen.

Selb­st­wahrnehmung und Selb­stkon­trolle

Wie Sie sich selbst wahrnehmen, hat Einfluss darauf, wie Sie auf andere wirken. Der erste Eindruck, den Sie vermitteln oder empfangen, ist bekanntlich entschei­dend. Eine kritische Selb­st­wahrnehmung ist eine Vo­raus­set­zung, um ein Vorbild für Ihre Mitarbeiter sein zu können.

„Die Annahmen, die wir über die Wirk­lichkeit hegen, erschaffen diese Wirk­lichkeit zum großen Teil mit.“

Beurteilen Sie Ihre Selb­st­wahrnehmung und Ihre Wahrnehmung durch andere: Haben Sie eher ein schwaches Selb­stver­trauen und eine pes­simistis­che Einstellung oder strahlen Sie ein starkes, op­ti­mistis­ches Bild aus? Kern der Selb­stkon­trolle ist es, sich selbst eine positive Ori­en­tierung zu geben. Diese Freiheit hat jeder Mensch. Mit der so gewonnenen Selb­st­sicher­heit können Sie sich in einem Team sehr offen verhalten: Sie können Widerspruch und Rückmeldungen zulassen, aktiv nach Verbesserun­gen Ausschau halten und Verbindun­gen knüpfen. Das sind bereits einige wichtige Elemente der ko­op­er­a­tiven Intelligenz.

Selb­stkon­trolle und Kom­mu­nika­tion

In heutigen dezen­tral­isierten Or­gan­i­sa­tio­nen ser­vice­ori­en­tierter Unternehmen werden Probleme von Mi­tar­beit­ern vor Ort in eigener Ve­r­ant­wor­tung gelöst. Sätze wie „Dafür bin ich nicht zuständig“ oder „Da muss ich erst den Chef fragen“ sind undenkbar. Mitarbeiter, die wissen, welchen Zielen und Werten ihr Unternehmen verpflichtet ist, und was man gemeinsam erreichen will, können selbstständig zum Wohl des Ganzen handeln. Das Bild der Selb­stkon­trolle, das Sie als Chef vermitteln, überträgt sich auf Ihre Mitarbeiter. In Sachen Kom­mu­nika­tion müssen Sie daher Folgendes beachten:

  • Machen Sie sich bewusst, wie außeror­dentlich stark die nonverbale Kom­mu­nika­tion wirkt. Das betrifft Ihr Er­schei­n­ungs­bild, Ihre Stimmlage und Ihre Körpersprache, aber auch die der anderen.
  • Die beste Kom­mu­nika­tion besteht im Zuhören, weil Sie nur so die gewünschten Antworten erhalten.
  • Betrachten Sie Misserfolge als wertvolles Feedback und suchen Sie nach weiteren In­for­ma­tio­nen.
  • Geben Sie allen Mi­tar­beit­ern umfassende In­for­ma­tio­nen. Das ist neben dem Zuhören die beste Art, deren Einsatz und Motivation zu sichern.
  • Zeigen Sie Respekt. Ist dieser gewährleistet – auch zwischen den Mi­tar­beit­ern –, beteiligen sich alle an Problemlösungen.
  • In hochef­fizien­ten Teams sollte jeder ein Vorbild für alle anderen sein und sogar ggf. in der Lage, die Führung zu übernehmen.
  • Durch offenen Dialog entstehen die so dringend benötigten „guten Fragen“. Nur sie helfen auf dem Weg zu Problemlösung und Innovation weiter.
„Die uralte östliche Weisheit, dass die Energie dorthin fließt, wohin die Aufmerk­samkeit sie lenkt, bedeutet, dass die Energie der Aufmerk­samkeit folgt.“

Das harmonische Funk­tion­ieren eines Teams ist wie das Spiel eines Orchesters, bei dem ver­schiedene Instrumente zum Gesamtklang beitragen. Lassen Sie diese Vielfalt zu und verwechseln Sie nicht Harmonie mit gle­ichgeschal­tetem Denken.

Kom­mu­nika­tion und Verbindun­gen

Gute Kom­mu­nika­tion innerhalb einer Gruppe schafft Verbindun­gen der Mitglieder un­tere­inan­der, damit diese ihr Potenzial angstfrei ausschöpfen und aktiv kooperieren. Denn erst aus der Aktion entsteht ein Ergebnis. Erst wenn die Instrumente eines Orchesters gespielt werden, erklingt Musik. Das gemeinsame Handeln setzt eine Grup­pen­dy­namik in Gang, die wiederum das kooperative Grup­pen­ver­hal­ten beflügelt. Diese positive Spirale der Selb­stor­gan­i­sa­tion ist der Ide­alzu­s­tand von Teams mit ko­op­er­a­tiver Intelligenz. Mit­tler­weile wird sogar schon die Ausbildung militärischer Eli­teein­heiten in diese Richtung betrieben, indem der Kommandeur auf die Intelligenz seiner Truppen vor Ort baut.

„Veränderungen beginnen immer bei der eigenen Person, und das gilt auch und vor allem für die Selb­st­wahrnehmung.“

Je mehr Veränderungsmöglichkeiten es gibt, desto stärker wächst der An­pas­sungs­druck. Er ist nur mit ko­op­er­a­tiver Intelligenz zu bewältigen. Anpassung erfordert Kreativität und Flexibilität. Suchen Sie in Ihrem Unternehmen nach allen positiven Elementen und fördern Sie diese aktiv. Dadurch stärken Sie Ihre Stärken und arbeiten lösung­sori­en­tiert. Fragen Sie sich: Was funk­tion­iert bereits gut? Was könnte in der Zukunft gut funk­tion­ieren (neue Produkte, Ideen, Abläufe)? Planen Sie solche Neuerungen und räumen Sie ihnen Priorität ein. Setzen Sie die Pläne in neue Produkte, Di­en­stleis­tun­gen oder bessere Abläufe um.

„Manchmal hat die nonverbale Botschaft sogar eine so starke Wirkung, dass die verbale Botschaft daneben ignoriert wird.“

Das Internet und andere neue Tech­nolo­gien unterstützen das Schaffen von Verbindun­gen und das Her­vor­brin­gen von Neuerungen. Sie fördern die kooperative Intelligenz, indem sie die Prozesse erheblich beschle­u­ni­gen.

Kreativität und Flexibilität

Am Anfang allen Lebens, vor zwei Milliarden Jahren, stellten blaugrüne Bakterien ihren Stof­fwech­sel auf Sauer­stof­fat­mung um. Der bis dahin giftige Stoff wurde durch diesen kreativen Akt in einen Vorteil verwandelt. Wenn man so will, haben die Bakterien eine Grun­dan­nahme hinterfragt – die Vo­raus­set­zung zu diesem kreativen Schub. Diese Entwicklung muss mit einzelnen Bakterien begonnen haben, die sich von anderen un­ter­schieden. Ihre Un­ter­schiedlichkeit war sozusagen die Initialzündung für die spätere Gemein­schaft­sleis­tung der Kolonie.

„Harmonie im Team entsteht, wenn alle dieselbe Melodie spielen.“

Auch bei der ko­op­er­a­tiven Intelligenz in men­schlichen Teams ist Un­ter­schiedlichkeit ein Vorteil, und Hin­ter­fra­gen löst kreative Prozesse aus. Die überall latent vorhandene Kreativität wird nicht durch das Wiederkäuen vorge­fer­tigter Antworten wie in der tra­di­tionellen Paukschule gefördert, sondern durch gute Fragen und in­tel­li­gente Kritik, die die Neugier des Teams wecken. Ein beinahe un­verzicht­barer Auslöser dafür ist Humor. Humor verändert den Bezugsrah­men; jede Pointe eines Witzes läuft auf eine unerwartete, überraschende Wendung hinaus. Humor eröffnet neue Per­spek­tiven, befreit und verschafft ein Wohlgefühl. Nur wenn Denkweisen, Methoden und Systeme auf diese Weise flexibel gemacht werden, können sie die notwendigen Anpassungen leisten. Ist die Kreativität geweckt, kann sie in praktische Lösungen umgesetzt werden. Das sind die In­no­va­tio­nen.

Seinen Beitrag leisten

Kreative Prozesse und kooperative Intelligenz benötigen sinnvolle Ziele, an denen sie sich orientieren. Andernfalls verpufft die Energie wirkungslos. Zu hoch gesteckte Erwartungen können lähmend wirken. Mitarbeiter in Gruppen mit ko­op­er­a­tiver Intelligenz sind motiviert und wollen sich mit vollem Herzen einbringen. Wer mutig handelt, tut, was getan werden muss, ohne kleinliche Kalkulation der Kosten und Risiken.

„Her­vor­ra­gende Kom­mu­nika­tionsfähigkeiten eröffnen uns die Möglichkeit, er­stk­las­sige Verbindun­gen zu anderen Personen, Teams oder Abteilungen herzustellen.“

Gruppen mit ko­op­er­a­tiver Intelligenz engagieren sich für einen sinnvollen Zweck. Für das Mitglied eines Ret­tung­steams lautet das Ziel seiner Tätigkeit nicht „meinen Leben­sun­ter­halt verdienen“ oder „meine Fähigkeiten einsetzen“, sondern „Men­schen­leben retten“. Derartige Ziele gibt es auch in Unternehmen (Beispiel Apple: „Wir tragen Bildung in die Welt“). Sie verbinden die Mitarbeiter miteinander und beflügeln sie im Sinne der ko­op­er­a­tiven Intelligenz.

„Auch kooperative Intelligenz ist nichts, was man einfach nur hat. Ein Team muss aktiv kooperieren, damit sie in Aktion tritt.“

Natürlich sind Ameisen keine in­tel­li­gen­ten Tiere. Aber man kann sich nur schwer vorstellen, wie der Bau und der Unterhalt eines Ameisenhügels ohne Zielvorstel­lung möglich sein können.

Über den Autor

Stephen James Joyce hat Psychologie studiert und arbeitet als Un­ternehmens­ber­ater. Zu seinen Klienten zählen Non-Profit-Or­gan­i­sa­tio­nen wie Gesund­heits­behörden, Beruf­s­ge­mein­schaften und Bil­dung­sein­rich­tun­gen. Joyces Schwerpunkt liegt auf der Erforschung und Förderung grup­pen­dy­namis­cher Prozesse.