Corporate Compliance: eine unnötige Bürde?
Corporate Compliance heißt im Grunde nichts anderes, als dass sich ein Unternehmen vorschriftsmäßig verhalten soll. Das ist aber nichts Neues, denken Sie vielleicht. Schließlich stehen die Pflichten von Managern und Aufsichtsorganen schon im Aktien- oder im GmbH-Gesetz. Spektakuläre Unternehmenszusammenbrüche wie jene von Enron und Worldcom haben aber gezeigt, dass die Einhaltung von Gesetzen und ethischen Mindeststandards anscheinend doch nicht so selbstverständlich ist. Die Gesetzgeber reagieren auf Unternehmensskandale und die Wirtschaftskrise mit einer noch stärkeren Regulierung. So kommt zur allgemeinen Sorgfaltspflicht der Unternehmensleitungen eine Fülle von gesetzlichen Neuregelungen hinzu. Die Folge sind Haftungsverschärfungen für das Management und die Mitglieder des Aufsichtsrats. Die Bürokratie wächst und wird teurer. Ist es in dieser Situation wirklich nötig, dass auch noch Unternehmensberater auf den Plan treten, die gutes Verhalten als das neue Produkt „Corporate Compliance“ verkaufen möchten? Ist das nicht nur eine Masche, um aus den Ängsten der Führungskräfte Kapital zu schlagen? Die Befürchtung liegt nahe, aber Corporate Compliance hat dennoch ihre Berechtigung: Es handelt sich dabei um ein System, das nicht nur dazu dient, Risiken zu minimieren und Haftungen zu vermeiden; richtig implementiert und ständig weiterentwickelt, hilft es auch, die Wettbewerbsfähigkeit und den Ruf eines Unternehmens zu stärken, das Rating zu verbessern und damit den Firmenwert zu steigern.
Warum es keine Alternative gibt
Für Kapitalgesellschaften nach deutschem Recht gilt: Wer Geschäftsführer oder Vorstand ist, muss alles tun, um Risiken entgegenzuwirken und die Gesellschaft vor Schaden zu bewahren. Das versteht man unter der „allgemeinen Sorgfaltspflicht“. Dazu kommen weitere Regeln, z. B. wenn das Unternehmen einen Kredit aufnehmen will. In diesem Fall müssen Sie sich wahrscheinlich mit Basel II auseinandersetzen. Manche Banken sehen sich vor dem Kreditentscheid mittlerweile auch die Compliance-Organisation des Unternehmens an. Sie brauchen kein Fremdkapital, sondern setzen auf Eigenkapital? Auch dann kommen Sie nicht darum herum, Ihre Firma gegen rechtliche Risiken abzusichern.
„Compliance bedeutet das Einhalten von Vorschriften in Form von externen und internen Regeln und damit im Grunde nichts Neues.“
Bei alledem müssen Sie sich auch noch um das Tagesgeschäft kümmern. Allein dort sehen Sie sich einer Flut von Regeln und Normen gegenüber. Einerseits hemmt diese Regulierungswut der Gesetzgeber das Wachstum und den Fortschritt des Unternehmens. Andererseits kann das aktive Management von Recht auch zum Unternehmenserfolg beitragen: dann nämlich, wenn das Topmanagement damit betraut ist und es als strategische Aufgabe ansieht. Als Manager müssen Sie eine Compliance-Organisation entwerfen, die zwingendes Recht zeitgemäß mit einbezieht und die es schafft, rechtliche Spielräume zu nutzen. Erst eine funktionierende Compliance-Organisation macht möglich, dass das Management von Recht nicht Überhand nimmt und Sie sich auf das Kerngeschäft konzentrieren können. Das funktioniert bei General Electric bestens: Dort beschäftigt man sich seit 1954 mit Compliance, und die Manager glauben, dass 20–40 % der Aktienkursentwicklung darauf zurückzuführen sind.
Drei Ansätze für den Einstieg
Für den Aufbau einer Compliance-Organisation stehen Ihnen drei Ansätze zur Verfügung:
- Der normative Ansatz geht davon aus, dass alle potenziellen Normen zu berücksichtigen sind, vom Vertrags- über das Kartell- bis zum Strafrecht, um nur einige zu nennen. Diese Rechtsgebiete werden jeweils einer betrieblichen Funktion (z. B. Einkauf, Vertrieb, Investor-Relations, Strategie usw.) zugeordnet. Schließen Sie jeweils einen Teilbereich ab, bevor Sie den nächsten bearbeiten. Ziel ist es, die Aufgaben und das Haftungsrisiko für jeden Teilbereich zu identifizieren.
- Der funktionsbezogene Ansatz geht von den betriebswirtschaftlichen Funktionen aus: Finanzierung, Unternehmensführung, Organisation und Kommunikation. Versuchen Sie herauszufinden, inwieweit sich die Haftungsrisiken auf die Funktionen auswirken.
- Der situationsbezogene Ansatz stellt die Entwicklungsphase des Unternehmens in den Vordergrund. Ist das Unternehmen im Aufbau, im Wachstum oder steckt es in der Krise? Je nach Entwicklungsstadium werden bestimmte Normen wichtiger sein als andere.
„Der Unternehmer sollte Corporate Compliance als offensives Mittel betrachten, die Positionierung des Unternehmens bei Banken, Kunden und Lieferanten zu verbessern und nachhaltig zur Steigerung des Unternehmenswertes beizutragen.“
Am besten orientieren Sie sich bei der Einführung der Compliance-Organisation an den Bedürfnissen des Unternehmens. Dabei können Sie durchaus die drei Ansätze vermischen. Wichtig ist nur, dass die Organisation am Ende modular aufgebaut ist, sodass bei neuen Anforderungen neue Elemente integriert werden können.
Quick Check und Managementletter
Beginnen Sie den Aufbau Ihrer Compliance-Organisation mit einem Compliance-Quick-Check, bei dem Sie die Bereiche Recht, Organisation und Personal durchleuchten. Rechtliche Risiken decken Sie im Rahmen der rechtlichen Unternehmensanalyse auf. Bei der organisatorischen Unternehmensanalyse überprüfen Sie, ob die Organisation und ihre Prozesse überhaupt dazu geeignet sind, Haftungsrisiken aufzudecken, zu kommunizieren und zu vermeiden. Zum Abschluss des Quick Checks sollten Sie alle rechtlichen Vorgaben sowie die daraus abgeleiteten allgemeinen, branchenspezifischen und funktionsbezogenen (z. B. den Einkauf oder das Rechnungswesen betreffenden) Haftungsrisiken identifiziert haben. Stellen Sie etwa folgende Fragen:
- Gibt es ein professionelles Vertrags- und Dokumentationsmanagement sowie standardisierte Verträge, die von der Rechtsabteilung freigegeben wurden?
- Werden diese Verträge von den Mitarbeitern auch verwendet?
- Bestehen die Mitarbeiter bei mündlich geschlossenen Verträgen immer auch auf einer schriftlichen Bestätigung?
„Für die geschäftsführenden Organe deutscher Kapitalgesellschaften lässt sich aus deren allgemeiner Sorgfaltspflicht ableiten, dass diese alles zu unternehmen haben, um rechtliche und faktische Risiken vom Unternehmen abzuwenden.“
Besondere Aufmerksamkeit sollten Sie dem Einkauf widmen. Diese Abteilung ist besonders anfällig auf Korruption und sollte von der internen Revision regelmäßig geprüft werden. Als Vorbeugungsmaßnahme gegen Korruption könnten Sie vorschreiben, dass Mitarbeiter im Einkauf alle zwei bis drei Jahre rotieren müssen und keine zu enge Bindung mit einem Lieferanten eingehen. Testen Sie die Mitarbeiter im Einkauf auf ihre Korruptionsanfälligkeit mithilfe von Lockvögeln. Achten Sie zudem darauf, dass in den Arbeitsverträgen Korruptionsklauseln nicht fehlen. Jeder neue Mitarbeiter muss bei der Einstellung unterschreiben, dass er über die internen Beschaffungsrichtlinien in Kenntnis gesetzt wurde. Außerdem sollte die Einkaufsabteilung nur mit überprüften Lieferanten Geschäfte machen. Nach Abschluss des Quick Checks verfassen Sie einen Managementletter und sprechen ihn in der Unternehmensleitung und im Aufsichtsrat durch. Dieses Dokument hält die Ergebnisse des Quick Checks und die vorgeschlagenen Maßnahmen fest.
Der Compliance-Officer
Sie haben Verbesserungspotenzial entdeckt und die entsprechenden Maßnahmen vorgeschlagen. Wo anfangen? Am besten beginnen Sie mit kleinen Schritten und arbeiten sich vor, was bei dem modularen Aufbau der Compliance-Organisation kein Problem ist. Decken Sie aber auf jeden Fall diejenigen Bereiche mit besonderen Haftungsrisiken ab, bei denen hohe Strafen drohen. Sie sollten für Schulungen sorgen, Arbeitshandbücher und Organisationsanweisungen verfassen und – besonders wichtig – als Manager das richtige Verhalten vorleben.
„Die Gesetzgeber haben weltweit mit einem Aktionismus reagiert, der inzwischen in vielen Bereichen zu für die Unternehmen spürbarer Überregulierung und Bürokratisierung geführt hat.“
Eine wichtige Stütze der Compliance-Organisation ist der Corporate-Compliance-Officer (CCO), der zumindest eine Zeit lang nicht absetzbar sein sollte, damit seine Unabhängigkeit gewährleistet ist. Der Compliance-Officer sollte nicht nur im rechtlichen, sondern auch im betriebswirtschaftlichen Bereich firm sein. Idealerweise war er bereits erfolgreich in einer Stabsfunktion tätig und ist es gewohnt, mit externen Beratern zusammenzuarbeiten. Die Compliance-Aufgaben einfach von der Rechtsabteilung mitmachen zu lassen, ist passé. Der CCO sollte direkt dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat Bericht erstatten, und er muss ein umfassendes Einsichts- und Auskunftsrecht haben. Und auch wenn ein CCO berufen wird: Die Verantwortung für Compliance bleibt letztlich bei der Unternehmensleitung.
„Als bewusst wahrgenommene Aufgabe der Compliance-Organisation unterstützt Whistleblowing zugleich den Aufbau und Bestand einer effektiven Corporate Governance.“
Der Compliance-Officer steht übrigens auch denjenigen als Ansprechpartner zur Verfügung, die andere verpfeifen wollen – auch Whistleblowing genannt. Erfährt ein Mitarbeiter von einem Verstoß im Unternehmen, gibt er diesen im schlechtesten Fall an die Öffentlichkeit weiter. Besser ist es, vorbeugend einen Lösungsweg innerhalb des Unternehmens anzubieten.
Die Compliance-Organisation
Ob Ihre Compliance-Organisation ihren Zweck erfüllt, wissen Sie, wenn Sie die folgende Frage mit Ja beantworten können: Gelangen wichtige Informationen, die ich als Grundlage für wichtige Entscheidungen benötige, zu mir? Denn: Manager, die ihre Entscheidungen auf vollständiger Informationsgrundlage zum Wohl der Gesellschaft treffen, sind davor gefeit, den Tatbestand einer Pflichtverletzung zu erfüllen. Eine effiziente Compliance-Organisation braucht ein Managementinformationssystem, das den Informationsfluss über alle Ebenen gewährleistet.
„Unbestritten ist die Notwendigkeit eines effizienten Managementinformationssystems mit einem alle Ebenen des Unternehmens bzw. Konzerns umfassenden Informationsfluss.“
Damit die Mitarbeiter die Corporate Compliance auch umsetzen können, brauchen sie Dienstanweisungen: interne Regeln, die sich aus den externen Normen und Gesetzen ableiten. Legen Sie Zuständigkeiten fest und bilden Sie die Betriebsprozesse und Hierarchien in einem Organigramm ab. Kommunizieren Sie die Regeln nicht an alle im Unternehmen, sondern nur an jene, die von ihnen wirklich betroffen sind. Das ist wichtig, da die Umsetzung der Compliance-Organisation ohnehin bereits als bürokratisch empfunden wird und personelle Kapazitäten im Unternehmen bindet. Zu guter Letzt: Halten Sie sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen auf dem Laufenden.
Compliance ist nicht genug
Leider reicht es nicht, sich nur an das Gesetz zu halten. Eine effiziente Compliance-Organisation wird zwar helfen, die rechtlichen Risiken für das Management abzuwehren. Sie schützt aber nicht automatisch gegen Wirtschaftskriminalität im Unternehmen. Haben Sie einen hohen Anteil an männlichen, gebildeten Mitarbeitern um die 40, die bereits seit mehreren Jahren für Sie tätig sind? Dann ist Ihr Unternehmen besonders gefährdet. Sie müssen die Werte – d. h. die Einstellungen und Überzeugungen – Ihrer Mitarbeiter steuern, damit diese moralisch und rechtlich einwandfrei handeln.
„Die sich aus den externen Regeln abzuleitenden Verhaltensanforderungen werden in interne Regeln ,übersetzt‘, die sich für den einzelnen Mitarbeiter in übergeordneten Organisationsverfügungen widerspiegeln können.“
Bestimmen Sie die Werte, die in Ihrem Unternehmen wichtig sind. Dies können Leistungswerte wie Kompetenz, Flexibilität oder Qualität sein. Oder Kommunikationswerte wie Zugehörigkeit, Transparenz und Risikobereitschaft. Kooperationswerte sind z. B. Loyalität, Teamgeist und Konfliktfähigkeit, und zu den moralischen Werten gehören Fairness, Ehrlichkeit und Vertragstreue. Basierend auf diesen vier Werteklassen erarbeiten Sie Verhaltensstandards, kommunizieren diese, integrieren sie in die Prozesse – und leben sie vor! Denn Scheinheiligkeit ist wesentlich schlimmer, als überhaupt kein Wertemanagement, keine Hochglanzbroschüren und keinen Ethikkodex zu haben.
Prof. Dr. Axel Jäger lehrt Deutsches, Europäisches und Internationales Unternehmens- und Kapitalmarktrecht an der Fachhochschule Frankfurt am Main und ist Vorstand des Instituts für Management und Recht sowie Direktor des Instituts für Entrepreneurship. Dr. Christian Rödl ist Rechtsanwalt und Steuerberater und lehrt an der Universität Erlangen-Nürnberg sowie an der Universität Hamburg. José A. Campos Nave arbeitet als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht.