Grundlagen der Studie
Da der Umweltaspekt für die Wirtschaft inzwischen zu einem bedeutenden Wettbewerbsfaktor geworden ist, wird dies ebenfalls mehr und mehr für die Konkurrenz zwischen Staaten gelten. Die wirtschaftliche Position eines Landes wird in Zukunft zum grossen Teil auch davon abhängen, inwieweit dessen Wohlstand innerhalb seiner ökologischen Kapazität erwirtschaftet wird. Dies ist die Grenze, bis zu der wir Ressourcen verbrauchen können, ohne die Regenerationsfähigkeit der Natur zu beeinträchtigen. Die 44 in dieser Studie analysierten Länder benötigen ca. 40 % mehr natürliche Ressourcen, als sie eigentlich zur Verfügung haben.
Nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit
Wenn künftigen Generationen eine weitgehend intakte, natürliche Umwelt hinterlassen werden soll, müssen Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung so begrenzt werden, dass die Natur weiter die Möglichkeit hat, sich zu regenerieren. Wirtschaft muss also auf Nachhaltigkeit angelegt sein. Auch die Konkurrenz zwischen den Staaten wird nachhaltig sein müssen. Bisher wurden Unternehmen vom Staat darin unterstützt, sich frei zu entfalten, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Der ökologische Aspekt war dabei unerheblich. Infolgedessen wurde die Kapazität der natürlichen Reserven der Erde weit überschritten. Je intensiver sich der uneingeschränkte Verbrauch von Ressourcen aber fortsetzt, desto wichtiger wird der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur künftig für die Wettbewerbsfähigkeit werden.
„Die ökologischen Grenzen sind heute in vielen Bereichen erreicht, in anderen überschritten.“
Die Öko-Effizienzstrategie soll dieses Problem lösen. Sie beinhaltet den Erhalt des Wohlstandes mit möglichst geringem Ressourcenverbrauch. Da im 21. Jahrhundert ein weiterer Verbrauch und damit ein Mangel natürlicher Resourcen zu verzeichnen sein wird, wird die Natur selber zu einem Kostenfaktor. Staaten, die ihre ökologische Kapazität überschreiten und zum Erhalt ihres Wohlstandes zu viel "Naturvorkommen" verbrauchen, werden im Wettbewerb nur schwer bestehen können. Zur Realisierung von Nachhaltigkeit müssen diese Länder zunächst ihren Bestand an natürlichen Stoffen und deren Inanspruchnahme und Verbrauch ermitteln. Dazu dienen folgende Instrumente:
Der ökologische Fussabdruck
Durch die Verwendung natürlicher Ressourcen belasten wir unsere Umwelt täglich mehr. Problematisch wird dieses jedoch erst, wenn der Verbrauch die Möglichkeiten der Natur zur Selbsterneuerung übersteigt. Der ökologische Fussabdruck ist die Masseinheit für den Verbrauch an Natur. Er dokumentiert, wie viel Natur nötig ist, um den Konsum weiterhin auf dem heutigen Stand zu halten. So brauchen Kanadier 7 Hektar Land, um ihren Konsum aufrechtzuerhalten, Schweizer und Deutsche 5 Hektar. Tatsächlich betrug die ökologische Kapazität der gesamten Erde 1998 aber nur 2,2 Hektar pro Bewohner.
Ökologische Schuldner und ökologische Gläubiger
Stellen Sie ökologische Kapazität und ökologischen Fussabdruck in Relation, so erhalten Sie ökologische Gläubiger - also Nationen mit Ressourcen, die innerhalb ihrer Grenzen wirtschaften - und ökologische Schuldner, die mehr verbrauchen, als sie tatsächlich zur Verfügung haben. Während die ökologische Kapazität eines Landes feststeht, wird der ökologische Fussabdruck von Produktion, Konsum und der Bevölkerungszahl eines Landes beeinflusst. Die Welt als Ganzes verbraucht 40 % mehr Ressourcen, als ihr eigentlich zur Verfügung stehen, ist also ökologisch bereits im Soll. Deutschland, Japan, USA, Indien sowie Russland gehören u. a. zu den Schuldnern. Ihr Wohlstand gründet sich auf den ökologischen Reserven der Gläubigerländer und wird für die zukünftigen Generationen zu einer zunehmenden Belastung werden. Zu den Ländern auf der Gläubigerseite zählen neben vielen anderen Brasilien, Chile, Schweden und Australien.
Breitfüssler, Schmalfüssler und Schwergewichte
Massgeblichen Einfluss auf den ökologischen Fussabdruck hat der Verbrauch von Natur in Form von Produkten und Dienstleistungen durch die Bewohner eines Landes. Unterschieden werden Breitfüssler als Nationen mit hohem Pro-Kopf-Verbrauch, d. h. überdurchschnittlich grossem Fussabdruck, und Schmalfüssler mit geringem Verbrauch. Vor allem Bewohner reicher Nationen haben einen grossen Fussabdruck. So ist der eines US-Amerikaners 13-mal grösser als der eines Inders. Die Bevölkerungszahlen zeigen darüber hinaus, welche Staaten die Übernutzung der natürlichen Kapazitäten verursachen: Schwergewichte - wie die USA, China, Russland und Indien - verantworten 50 % der weltweiten Fussabdrücke.
Die Nachhaltigkeit des Bruttoinlandsprodukts
Ein ökonomischer Aspekt der Nachhaltigkeit ist die BIP-Nachhaltigkeitsquote, die angibt, wie viel Prozent Bruttoinlandsprodukt (BIP) noch erwirtschaftet werden kann, damit ein Land seine natürlichen Grenzen nicht überschreitet. Die Quote der Schuldnerländer liegt hier bei über 100 %. Steigen die Kosten für den Zugriff auf ökologische Ressourcen, werden diese Staaten wirtschaftlich benachteiligt, die Gläubigerländer - mit einer BIP-Nachhaltigkeitsquote unter 100 % - profitieren von dieser Entwicklung. Gerade für Länder mit grossem Fussabdruck, niedriger Einkommensquote und geringer Wettbewerbsfähigkeit können die Folgen fatal sein. Hierzu gehören die bevölkerungsstarken Nationen Indien und teilweise auch China.
Nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit von Nationen
Nachteile im Wettbewerb werden die ökologischen Schuldner haben sowie jene Länder, die mit den natürlichen Ressourcen unrationell umgehen. Die Nationen lassen sich je nach Wettbewerbsfähigkeit in vier Kategorien ordnen:
- Die Grünen Bullen sind wettbewerbsfähige ökologische Gläubiger. Dazu zählen aufgrund ihrer niedrigen Einwohnerzahl Kanada, Australien und Schweden. Auch Indonesien und Malaysia gehören infolge ihres geringen Einkommensniveaus zu dieser Gruppe, laufen jedoch Gefahr, mit steigendem Wohlstand und damit zunehmendem Ressourcenverbrauch zu ökologischen Schuldnern zu werden.
- Zu den Grünen Bären zählen Peru, Brasilien, Kolumbien und Argentinien. Sie haben natürliche Ressourcen, sind aber nicht wettbewerbsfähig. Sollten sie jedoch schon heute ihre Ressourcen über die Massen ausbeuten, reduzieren sie ihr zukünftiges Potenzial. Im Wettbewerb werden diese Nationen zukünftig eher zu den Verlierern zählen.
- Schwarze Bullen sind Nationen, die über ihre ökologischen Reserven hinaus wirtschaften, dabei aber wettbewerbsfähig sind. Hierzu zählen die westlichen Industrieländer, z. T. die asiatischen Tigerstaaten und China. Solange diese Länder ihre Ressourcen aus Drittländern zu einem Preis beziehen können, der den tatsächlichen Kosten nicht entspricht, ist dies noch unproblematisch. Jedoch werden diese Länder in immer stärkere Abhängigkeit von Gläubigerländern geraten.
- Am schlechtesten ist die Situation der Schwarzen Bären. Sie sind nicht wettbewerbsfähig, wirtschaften oberhalb ihrer ökologischen Kapazität und haben ein niedriges Wirtschaftsniveau. Hierzu zählen u. a. die Staaten des ehemaligen Ostblocks, Indien und Italien. Es ist davon auszugehen, dass diese Länder erhebliche Schwierigkeiten haben werden, die Anforderungen der Nachhaltigkeit zu erfüllen. Gerade sie benötigen eine Steigerung der Öko-Effizienz.
Öko-Effizienz-Sprinter und Öko-Effizienz-Schleicher
Öko-Effizienz zeigt, wie viel Umwelt eine Nation zur Aufrechterhaltung ihres Wohlstandes benötigt. Von Bedeutung wird dies, wenn die Beanspruchung von Natur künftig finanzielle Aspekte nach sich ziehen wird. Industrieländer haben eine hohe Öko-Effizienz, sind somit Öko-Effizienz-Sprinter, die wenig Natur zur Herstellung einer BIP-Einheit verbrauchen. Ausnahme ist die USA, die mit den drei anderen Schwergewichten sowie den ehemaligen Ostblockstaaten zur Gruppe der Öko-Effizienz-Schleicher gehört, die viel Natur für ihr BIP benötigen. Da jedoch auch die Öko-Effizienz-Sprinter ihre Kapazität überschreiten, wird deutlich, dass kein Land für die Zukunft wirklich gerüstet ist. Im Wettbewerb werden die Sparsamen den Verschwenderischen überlegen sein und, sobald die Natur auch ihren Preis hat, diejenigen mit Ressourcen denen ohne Ressourcen.
„Ziel ist es, den nachfolgenden Generationen einen Naturkapitalstock zu übergeben, welcher ihre Entfaltungsmöglichkeiten, verglichen mit der vorherigen Generation, nicht einschränkt.“
Grüne Effizienz-Sprinter leben effizient unter ihrer Kapazitätsgrenze. Hierzu zählen die skandinavischen Länder, Kanada und Frankreich. Sie erfüllen die Anforderungen, um im zukünftigen Wettbewerb zu bestehen. Sollte sich der Fussabdruck dieser Länder durch Wirtschafts- oder Bevölkerungswachstum jedoch vergrössern, laufen sie Gefahr, zum ökologischen Schuldner zu werden, wenn sie nicht gleichzeitig ihre Öko-Effizienz steigern.
„Für ökologische Schuldner (wie beispielsweise die Schweiz) wird die ökologische Schuld zu einer immer grösseren wirtschaftlichen Gefahr.“
Die schwarzen Effizienz-Sprinter leben effizient über ihre Kapazität. Dies sind die Länder der EU, Japan und Singapur. Sie haben gute Chancen im künftigen Wettbewerb, da sie die Basis für eine hohe Öko-Effizienz bereits geschaffen haben.
Die Ländergruppe der grünen Effizienz-Schleicher lebt ineffizient unter ihrer Kapazität. Für Australien, Neuseeland oder Irland stellt dies zwar kein Problem dar, wohl aber für Länder wie Indonesien, Malaysia oder Peru. Deren Wirtschaftswachstum kann nicht mit höherer Öko-Effizienz erreicht werden, da nicht nur die finanziellen Möglichkeiten und das Know-how fehlen, sondern diese Länder auch gezwungen sind, ihre Ressourcen auszubeuten, um im heutigen Wettbewerb zu bestehen. Die Schwarzen Effizienz-Schleicher leben dagegen ineffizient oberhalb ihrer natürlichen Reserven. Hierzu zählt auch die USA. Länder wie Ägypten, Ungarn oder Russland werden im zukünftigen Wettbewerb nicht bestehen können.
Öko-Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit
Bislang hat es noch keinen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, ob es seine ökologische Kapazität überschreitet, wie gross sein Fussabdruck ist und wie öko-effizient das Land wirtschaftet. In Zukunft wird jedoch eine niedrige Öko-Effizienz negativen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit haben. Öko-Effizienz ist steigende Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitiger Schonung der Umwelt. Sie ist insbesondere in europäischen Ländern, in Japan und Singapur ausgeprägt. Ihnen sollte daran gelegen sein, weltweit kostenwirksame Umweltschutzmassnahmen durchzusetzen, da sie dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit ausbauen könnten. Nationen mit hoher Öko-Effizienz sind zumeist schon heute sehr wettbewerbsfähig. Dieser Gruppe stehen die ineffizient wirtschaftenden Staaten gegenüber. Nur Länder mit grossen Naturreserven oder hohem Wohlstand können sich aber heute noch diese Ineffizienz leisten. Länder Europas, Japan und Kanada werden hingegen als Gewinner aus der zukünftigen Wettbewerbsentwicklung hervorgehen.
Ausblick: Umweltstrategien an der Wende zum nächsten Jahrtausend
Die Position einer Nation in dieser Studie kann als Basis für eine Neuorientierung dienen. Das Mass ist dabei die verfügbare ökologische Kapazität. So können produktive Flächen vergrössert und deren Zerstörung beendet werden, die Bevölkerungszunahme sollte begrenzt, der Konsum reduziert und die ökologische Effizienz gefördert werden. Oft ist hierfür eine globale Kooperation erforderlich. Da abzusehen ist, dass ökologische Reserven künftig zum Kostenfaktor werden, sollten die öko-effizienten Schuldner schon heute den ineffizienten Staaten - und nicht nur jenen mit Ressourcen - zu mehr Effizienz verhelfen. Die Einführung von Rechten zur Beanspruchung der Umwelt ist eine Möglichkeit, Ineffizienz und Überschreitung der Öko-Kapazität zu steuern. Auf diese Weise kann jedes Land so viel Natur beanspruchen, wie es benötigt, muss aber für den Verbrauch, der über seine Rechte hinausgeht, die Gläubigerländer entschädigen.
Dr. Andreas Sturm ist seit 1992 Partner der Ellipson AG. Er hatte verschiedene Lehrtätigkeiten und Lektorate in der Schweiz und in Thailand inne. Dr. Mathis Wackernagel ist seit 1995 Professor an der Universität Anáhuac de Xalapa in Veracruz. Er ist dort Leiter des Zentrums für Nachhaltigkeitsstudien. Kaspar Müller ist seit 1990 Gründungsmitglied und Partner der Ellipson AG. Mitte der achtziger Jahre begann er mit den ersten umweltbezogenen Arbeiten.