Verhaltenswissenschaft am Arbeitsplatz
Jeder Unternehmensführer, jede Unternehmensleiterin benötigt Visionen und Strategien, um erfolgreich zu sein. Dies allein kann jedoch die erfolgreiche Implementierung neuer Initiativen nicht garantieren. Dazu bedarf es noch des zusätzlichen Elements des Verhaltens. Beim Verhalten handelt es sich um den einzigen Einflussfaktor auf ein Unternehmen, der sowohl unternehmensintern ist als auch im Rahmen der Kontrollmöglichkeit einer Firma liegt.
„Am schwierigsten sind die Probleme der Menschenführung...“
Jede Unternehmensinitiative ist durch drei grosse Aktivitätskategorien gekennzeichnet: Strategie, Prozess und Verhalten. Die meisten Organisationen sind erfolgreich in der Entwicklung von Strategien und von Prozessen zu deren Umsetzung. Den Verhaltensweisen, auf deren Grundlage Strategien und Prozesse erst funktionieren, wird allerdings weniger Augenmerk geschenkt. Vernachlässigt wird in der Regel auch der Einsatz der richtigen Folgeinstrumente zur Unterstützung von Verhaltensweisen, die zu gewünschten Ergebnissen führten. Die Verhaltensweisen sind deswegen von entscheidender Bedeutung, weil sie erst die Basis liefern zur Ausführung guter Strategien, zur Implementierung effizienter Prozesse und zur Integration von Organisationskulturen. Berücksichtigen Sie folgende vier Grundsätze, wenn Sie sich überlegen, welchen Einfluss das Verhalten einer Führungspersönlichkeit in einer Organisation hat:
- Ihr Verhalten als Führungskraft hat direkte Auswirkungen auf jeden und jede in Ihrer Organisation.
- Das Verhalten jedes Menschen ist immer eine Reaktion auf das Umfeld, in dem es stattfindet.
- Ihr Verhalten hat unmittelbare Auswirkungen auf die Rentabilität.
- Ihnen stehen wirksame Instrumente zur Optimierung Ihres Führungsverhaltens und der Leistungen der Menschen in Ihrem Umfeld zur Verfügung.
„Das Verhalten ist der Schlüssel für gute Arbeitsleistung und nachhaltige Ergebnisse.“
Diese Themenbereiche lassen sich auf ein einziges Führungsprinzip reduzieren: "Als Führungskraft können Sie das Umfeld schaffen, das erwünschtes Verhalten motiviert und unerwünschtes Verhalten demotiviert". Von der Verhaltenswissenschaft können Sie als Führungskraft lernen, wie dieses Prinzip zur Steigerung der Ertragskraft Ihres Unternehmens angewendet wird.
Das CYBER-Modell und das Prinzip der eindeutigen Definition
Wenn Unternehmensinitiativen fehlschlagen, dann meistens wegen "schlechter Anpassung invididueller Verhaltensweisen an wichtige Unternehmensziele". Solche Fehlversuche ereignen sich beispielsweise, wenn ein Unternehmen versucht, ein Schlüsselverhalten seiner erfolgreichen Verkäufer der gesamten Verkaufsorganisation ‚aufzudrücken’. Vielfach wird versucht, die speziellen Merkmale der Erfolgreichsten in einer Organisation herauszufiltern, und diese "bewährten Praktiken" (best practices) werden dann dem gesamten Verkaufspersonal im Rahmen von Trainings vermittelt. Doch wenn es darum geht, das antrainierte Wissen in der Praxis anzuwenden, bleibt der Erfolg oftmals aus. In vielen Fällen sinken sogar die Verkaufszahlen. Diese "bewährten Praktiken" scheitern deshalb so oft, weil sie nicht notwendigerweise die richtigen Verhaltensweisen für systemischen Wandel definieren. Zur Identifizierung des richtigen Verhaltens für positiven Wandel bedarf es der Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Techniken. Das CYBER-Modell ist eine solche Technik.
„Wie kommt es, dass wir zwar versuchen, Menschen zu führen und anzuleiten, dabei aber jedes Verständnis der Wissenschaft vermissen lassen, die erforscht, warum wir das tun, was wir tun?“
"CYBER" steht für "Changing Yesterday’s Behavior for Enhanced Results" (ändern Sie Ihr Verhalten von gestern, damit Sie morgen bessere Ergebnisse erzielen). Das CYBER-Modell besteht aus sechs Teilen:
- Identifizierung einer geschäftlichen Chance.
- Anpeilen der gewünschten Ergebnisse und Erfolgsmassstäbe.
- Eindeutige Definition und Anpassung der Verhaltensweisen, die zu diesen Ergebnissen führen.
- Verstehen der Einflüsse auf das Verhalten.
- Entwicklung, Implementierung und Justierung des Plans zur Verhaltensänderung.
- Feiern, wenn die Verbesserung der Ergebnisse gelungen ist.
„Ihr Verhalten als Führungskraft hat unmittelbare Auswirkungen auf alle anderen in Ihrer Organisation.“
Am wichtigsten ist der dritte Punkt: Eindeutige Definition des Verhaltens, die "entscheidende Verknüpfung zwischen Verhaltenswissenschaft und Unternehmensergebnissen." Dazu wählen Sie zuerst ein kritisches Verhalten aus und beschreiben dieses. Ein kritisches Verhalten auswählen bedeutet, eine Auswahl treffen aus "den vielen möglichen Verhaltensformen, die ein Unternehmensergebnis beeinflussen könnten". Ein kritisches Verhalten beschreiben bedeutet, das Verhalten "in spezifischen, klar umrissenen Begriffen definieren, damit es kommuniziert, beobachtet, gemessen und rückverfolgt werden kann". Dazu erstellen Sie eine Liste möglicher Verhaltensmuster zur Auswahl und weisen Führungskräfte an, diejenigen mit dem grössten Einfluss auf die Geschäftsergebnisse auszuwählen. Im Sinne einer sorgfältigen Vorgehensweise sollten Sie sich nicht zu viele Verhaltensweisen auf einmal vornehmen. Eine kleinere Zahl ins Auge zu fassen ist in der Regel wirksamer.
Die ABC-Analyse
Der vierte Schritt im CYBER-Modell, das Verstehen der Einflüsse auf das Verhalten, erfordert ein Verständnis der ABC-Anlayse: Antecedents, Behavior und Consequences (vorangegangenes Ereignis oder ’Vorläufer’, Verhalten, Konsequenzen). "Vorläufer" (antecedents) sind Ereignisse, die einem Verhalten vorausgehen oder ein solches auslösen. Sie sind von kurzer Dauer und haben weniger Einfluss auf das Verhalten als die Konsequenzen. Unter Behavior, d. h. "Verhalten" verstehen wir das, was eine Person tut oder sagt. Eindeutig definiertes Verhalten korreliert mit Unternehmensergebnissen. Konsequenzen sind Ereignisse, die auf Verhalten folgen. Konsequenzen verstärken, erhalten oder schwächen Verhalten ab. Sie haben grossen Einfluss darauf, ob ein bestimmtes Verhalten wiederholt wird.
„Die Kästchen oder Titel in einem Organigramm zu ändern, kann noch nicht als Teamwork bezeichnet werden.“
Die ABC-Analyse ist deshalb wichtig, weil die meisten Implementierungsversuche zwar "Prozesse und neue Schnittstellen projektieren, dabei aber die Tatsache vernachlässigen, dass sich die Menschen anders verhalten müssen." Das Prinzip hinter der ABC-Analyse ist, "dass sie neues Verhalten oder anderes Verhalten dazu verwendet, änderungen herbeizuführen." Demonstrieren lässt sich die ABC-Analyse am Beispiel der Auswirkungen neuer Verfahrensweisen auf die Verkaufsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen in einem Unternehmen, das mit einem Aufwand von sechs Millionen Dollar seine Verkaufsabläufe automatisiert hat. Vor der Implementierung der neuen Software setzten sich das Verkaufspersonal jeweils mit den Kundendienstvertretern in Verbindung, um Informationen über Preise und Auftragseingänge sowie Kundendaten zu erhalten. Per Verkaufshandbuch und Personalschulung wurden diese Abläufe noch verstärkt. Nachdem das neue System implementiert war, waren die Verkäufer und Verkäuferinnen vom Kundendienst abgeschnitten. Wenn sie jetzt Informationen benötigten, mussten sie sich ins Internet einloggen und diese dort abrufen.
„Erfolg im Internet ist vom Verständnis menschlichen Verhaltens abhängig.“
Dies verlangte unterschiedliche Verhaltensänderungen von ihnen. Sie mussten jetzt Laptop-Computer dabei haben. Wenn sie Daten benötigten, mussten sie eine Telefonbuchse suchen und ins Netz einsteigen. Die dafür benötigte Zeit fehlte ihnen beim Aushandeln von Geschäftsabschlüssen und Verdienen von Provisionen. Kein Wunder, dass die Verkaufsmannschaft aufbegehrte und sich weigerte, das System zu benützen. Sie holten sich ihre Informationen vielmehr weiterhin direkt bei den Kundendienstvertretern. Das neue System verlangte nicht nur eine änderung im Verhalten des Verkaufspersonals - das veränderte Verhalten zeitigte darüber hinaus auch beständig negative Konsequenzen.
„Wenn es darauf ankommt, das Leistungsniveau zu halten oder zu verbessern, Menschen zu aussergewöhnlichen Leistungen anzuspornen oder wenn Sie loyalere Teams von Mitarbeitenden wollen, die freimütig ihre Meinung äussern, kann die Antwort nur lauten: Feedback für Leistung.“
Im Sinne der ABC-Analyse können die Schulung und das Verkaufshandbuch als Vorläufer-Ereignisse des gegebenen Verkäufer-Verhaltens bezeichnet werden. Das Verhalten war auf ihre Rückfragen bei den Kundendienstvertretern konzentriert. Die Konsequenz des alten Verhaltens waren Sofortinformationen und effektive Verkäufe. Von einer verhaltenswissenschaftlichen Perspektive aus betrachtet, waren die alten ABCs stark und funktionierten gut. Vergleichen Sie das mit dem neuen System, das an die selben Vorläufer anschliesst, das Verhalten jedoch weg vom persönlichen Kontakt und hin zum Kontakt mit dem Computer lenkt. Die Konsequenzen: es erforderte mehr Zeit, Informationen zu erhalten, und Verkäufe gingen verloren, eindeutig zu starke negative Folgen für das Verkaufspersonal, um das neue System anzunehmen. Dies bestätigt eine wichtige Regel in der Verhaltensanalyse: "Konsequenzen haben ...stärkeren Einfluss auf das Verhalten als Vorläufer - und sie sind viermal so wirksam!"
Konsequenzen
Merken Sie sich eine einfache Regel in bezug auf Konsequenzen: "Wenn ein Verhalten einmal begonnen wurde, bestimmen seine Konsequenzen, ob es wiederholt wird oder nicht". Eine Konsequenz wirkt sich auf das Verhalten auf vierfache Weise aus:
- Positive Verstärkung fördert die Wiederholung einer Verhaltensweise. Beispiele sind Lob, Geld, Feedback von Vorgesetzten oder ein geschenkter Urlaubstag.
- Negative Verstärkung fördert ebenfalls die Wiederholung des Verhaltens, allerdings abzüglich einer unerwünschten Handlungskomponente. Beispiele sind unternehmensinterne Vorschriften zur Vorlage von Spesenabrechnungen und Zeitplänen.
- Bestrafung fördert das Abnehmen der Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Verhalten wiederholen wird. Beispiele sind Massregelungen und peinliche Kommentare.
- Auslöschung findet statt, wenn die positive Verstärkung, die ein Verhalten unterstützt, nicht mehr präsent ist. Beispiel: Ein Vorgesetzter, der Telefonanrufe oder E-Mails nicht beantwortet.
„Bei der Verhaltensformung geht es um die eindeutige Definition erwünschten (also gute Ergebnisse produzierenden) Verhaltens und den Einsatz von Vorläufer-Ereignissen sowie Konsequenzen zum Aufbau dieser erwünschten Verhaltensformen.“
Auch die Zuordnung von Konsequenzen zu einem Verhalten erfolgt auf vier Arten:
- Feedback ist tendenziell positiv oder konstruktiv. Positives Feedback äussert sich in Form von Lob, das sich in einer Wiederholung des Verhaltens in der Zukunft auswirkt.
- Greifbare Werte sind Geld, Geschenke oder Freizeit. Greifbare Werte sind wirksam, wenn die Adressaten sie als positiv betrachten. Es kommt vor, dass Empfänger eine solche Zuwendung weniger schätzen als der Geber. Diesem Problem können Sie dadurch begegnen, dass Sie die Adressaten in die Auswahl der Belohnung einbinden.
- Aktivitäten sind bevorzugte oder weniger bevorzugte Aufgaben. Durch die Kombination einer bevorzugten Aufgabe mit einer weniger bevorzugten können Sie die Erfüllung beider Aufgaben anregen.
- Arbeits-"Prozess" bezieht sich auf die Konzipierung von Aufgaben. Um eine eingebaute positive Verstärkung zu schaffen, stellen Sie eine Abfolge von schweren zu leichten Aufgaben zusammen.
Feedback und Coaching
Wenn Sie Verhalten wirksam ändern und Ihre Unternehmensgewinne massgeblich steigern wollen, sind Feedback und Coaching Ihre stärksten Geheimwaffen. Feedback ist "das wirkungsvollste Instrument, das Ihnen als Führungskraft mit dem Willen zur Leistungsgestaltung zur Verfügung steht. Wie in wissenschaftlichen Untersuchungen immer wieder nachgewiesen wird, ist Geld zwar notwendig, aber zur Leistungsmotivierung allein nicht ausreichend. Feedback, insbesondere Ihr Feedback als Vorgesetzter oder Vorgesetzte, ist die stärkste Antriebskraft für Leistung". Wirksame Führungs-Feedbacks sind Worte, Gesten, Symbole, Besorgnis, Anteilnahme und Handlungen. Vergessen Sie dabei nicht, dass effektives Feedback das Wissen über vergangene Handlungen von Mitarbeitenden, vorausschauende Vorbereitung einer glaubwürdigen Rückmeldung und schliesslich ausreichend Zeit, um Feedback zu geben verlangt. Effektives Coaching macht Feedback produktiv. Die drei Grundlagen für erfolgreiches Coaching sind: Mitarbeitende durch objektives Feedback coachen, über die Wirkungen ihrer Handlungen auch andere in der Organisation informieren und Ihren Willen demonstrieren, dass Sie wirklich Unterstützung bieten möchten.
Dr. Leslie Wilk Braksick ist Mitgründerin und Präsidentin der Continuous Learning Group, Inc., einer grossen, verhaltenswissenschaftlich ausgerichteten Beratungsorganisation u.a. für Fortune-500-Unternehmen. Die Firma bietet über 150 Blue-Chip-Unternehmen weltweit Beratung und Hilfe bei der Unternehmensoptimierung, Gewinnsteigerung und Bewältigung des Wandels an.