Der Geschäftskulturschock
Westliche Firmen spielen auf dem japanischen Markt nach wie vor keine wesentliche Rolle - aller Globalisierungsrhetorik zum Trotz. Es ist nur teilweise zutreffend, dass die schwache Präsenz auf politisch-ökonomische Faktoren zurückzuführen ist. Beispielsweise auf den japanischen Protektionismus. Westliche Beobachter verkennen, dass in der japanischen Geschäftswelt ökonomische und historisch-kulturelle Faktoren intensiv verklammert sind. Denn in Japan hat die für uns selbstverständliche Differenzierung zwischen Ökonomie, Politik und Kultur, einschliesslich der ritualisierten Formen der Alltagskultur, nicht in dem gleichen Masse stattgefunden wie in der westlichen Kultur.
„Aller Globalisierung und vor allem ihrer vollmundigen Propagierung zum Trotz spielen bis heute westliche Firmen auf dem japanischen Markt keine bedeutende Rolle.“
Die Informationssucht. Was sofort auffällt, wenn man mit Japanern geschäftliche Beziehungen unterhält, ist der überdimensional hohe Informationsaustausch, der von japanischer Seite über den Gegenstand des Geschäfts verlangt wird. Für die meisten der westlichen Partner wird dies als starke Belastung empfunden. Dabei ist es illusionär anzunehmen, dass die japanische Initiative allein der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen gilt. Vielmehr dient sie oft nur der Erweiterung des eigenen Informationsstands oder der Fortentwicklung der firmenbezogenen Technologie. Was aus japanischer Sicht selbstverständlich ist und auf eine Jahrtausende alte Tradition zurückgeht, ist für die westliche Seite jedoch weniger schmeichelhaft: "Hier wird Japan als Land betrachtet, das nach der Art eines profitgierigen Schrotthändlers Gebrauchtwagen über- und auseinandernimmt, um noch verwertbare Einzelteile zu einem nach seinen Vorstellungen funktionierenden Modell umzuarbeiten."
„Geschäftskontakte mit Japanern beginnen meist mit einem überdimensionalen Informationsaustausch über den zu verhandelnden Geschäftsgegenstand.“
Der Umgang mit Originalideen. Eine ähnliche Irritation ist das ständige Nachfragen gleicher Sachverhalte von japanischer Seite. Diese Haltung ist für uns nur schwer nachvollziehbar. In Japan aber gelten Orginalideen nicht als unantastbar. Man kann dies wiederum historisch begründen; die japanische Gesellschaft war in ihrer Geschichte um des persönlichen Überlebens willen darauf angewiesen, neue Ideen sofort aufzugreifen und dann für die eigene wirtschaftliche Existenz auszunutzen. Deshalb konnte in Japan die "Nachahmung" zu einer regelrechten Tugend werden. Dass das westliche Konzept der "Originalität" in Japan keine grosse Bedeutung hat, wird auch durch den hohen Stellenwert deutlich, den das "Nachahmen" in den schulischen und beruflichen Institutionen einnimmt. So ist das Üben von Grundhaltungen, das Wiederholen von kleinen Schritten in dieser Kultur etwas Selbstverständliches; hier gelten Abzeichnen und Kopieren im Gegensatz zu den westlichen Vorstellungen nicht als unkünstlerisch.
„Originalideen gelten nicht als unantastbar!“
Die Doppelgesichtigkeit Japans: "honne to tatemae". Zwar hat auch in Japan seit der Meiji-Ära die westliche Modernisierung Fuss gefasst, aber dieser Prozess vollzog sich gleichsam nur auf der Oberfläche. In der Tiefe ist diese Kultur immer noch von verschiedenen, genuin japanischen Traditionssträngen geprägt. Im Umgang mit Japanern, beispielsweise in Geschäftsbesprechungen, taucht deshalb oftmals eine Schwierigkeit auf, die man in die Frage fassen kann: Meinen die japanischen Partner es eigentlich ernst? Die Ambivalenz der Haltungen verunsichert den westlichen Beobachter. Der Dualismus "eigentliches/wahres Wesen" und "äusserliche Form" (auf japanisch "honne to tatemae") ist ein Funktionsprinzip, welches in alle Bereiche (beruflich, privat, offiziell, inoffiziell) ausstrahlt. Für den westlichen Partner ist es besonders schwierig, dies zu akzeptieren und damit umzugehen.
Die typische japanische Karriere: "Be ichi-ryuu!"
Aufgrund des vertikalen Gesellschaftssystems ist es für den Japaner wichtig, möglichst früh in eine anerkannte Firma einzutreten und so Erfolg für sich und seine Familie zu ermöglichen. Eine solche Firma ist eine "ichi-ryuu"-(erstrangige) Gruppe. Dieser "ichi-ryuu"-Status ist ein Status von regelrechtem Ewigkeitswert und ihn geniessen in Japan nur wenige Firmen; in erster Linie die der ersten Stunde der Industrialisierung. Mitsui, Sumitomo, Mitsubishi, Yasuda werden hierzu gezählt. Inzwischen auch Firmen wie Sony und Honda. Sie alle sind vornehmlich aus alten Samurai- und Kaufmannsfamilien hervorgegangen. Man kann sagen, dass ihr Einfluss so stark ist, dass sie noch heute die Standards der japanischen Unternehmen bestimmen. Sie sollten beachten, dass die "ichi-ryuu"-Philosophie natürlich auch gegenüber ausländischen Partnern umgesetzt wird. Das heisst, "je früher das Gründungsdatum und je höher das gesellschaftliche Ansehen der Firma oder Organisation im Heimatland, desto mehr Achtung geniesst der westliche Geschäftspartner bei Verhandlungen." Sie sollten diesen Aspekt japanischer Kultur unbedingt im Hinterkopf behalten und in allen Phasen der Geschäftsbeziehungen bedenken.
„Man kommt nicht umhin ... die Vertrauensfrage zu stellen: Inwieweit meinen es die japanischen Geschäftspartner eigentlich ernst?“
Um in Japan Karriere zu machen, muss man bestimmte, natürlich erstrangige Institutionen durchlaufen haben. So gelten z. B. als Pendant zur Wirtschaft die vier grossen Eliteuniversitäten: Tokio-Universität (staatlich), Keio-Universität (privat), Waseda-Universität (privat) und Hitotsubashi- bzw. Kyoto-Universität (staatlich). Diese Institutionen bilden ein internes lineares Aufstiegssystem, dessen Zugang ganz unten, beim "richtigen" Kindergarten, anfängt. Im Unterschied zu westlichen Konzepten wird dabei mehr Wert auf die Einübung von sozialen Kompetenzen gelegt als auf die Vermittlung einer bestimmten Moralvorstellung durch rationale Einsicht. Der entscheidende Schritt in einer japanischen Karriere ist der Arbeitsbeginn in der Firma, ein Zeitraum von durchschnittlich zwei Jahren. Der Zeitraum wird im wesentlichen durch "training on the job" sowie die Teilnahme an verschiedenen Seminaren ausgefüllt, in denen die frisch eingestellten Universitätsabsolventen nicht so sehr spezifische Kenntnisse ihres künftigen Arbeitsumfeldes vermittelt bekommen als vielmehr das spezifische Firmenbewusstsein. Die Seminare orientieren sich dabei ganz an dem Vorbild der alten Samurai-Kriegerkaste, was bedeutet, dass sie auf Werte wie Disziplin, Entbehrung, Selbstaufgabe und Konzentration eingeschworen werden. Deshalb umfasst das Programm auch für einen westlichen Beobachter so ungewöhnliche Punkte wie das gemeinsame Fegen des Hofes, gemeinsames Bad in eiskaltem Wasser, Tag- und Nachtmärsche. Höhepunkt eines solchen Seminars ist regelmässig das Ablegen des Firmengelöbnisses in einer mehrstündigen Veranstaltung.
„‚Honne to tatemae’ ist ein immer zu berücksichtigender Schlüsselfaktor im Verhaltens- bzw. Kommunikationsrepertoire japanischer Geschäftspartner.“
Sobald die Karriereleiter innerhalb derselben Firma oder derselben informellen Gruppe erklommen wird, sammelt man "soziales Kapital" an. Es ist ein Vertrauenspotenzial, welches durch die Loyalität zur Gruppe wächst. Dieses "Kapital" kann aber nicht nur firmenintern innerhalb der Mitarbeiterverhältnisse wachsen, es kann auch firmenextern in Bezug auf Geschäftsbeziehungen zur Geltung kommen. Nutzen Sie die Möglichkeit der Gestaltung über den Faktor des "sozialen Kapitals"! Eine Vernachlässigung in dieser Hinsicht kann die Geschäftsbeziehungen enorm belasten, wie Erfahrungen mit gescheiterten Joint-Ventures gezeigt haben.
"Uchi" und "Soto", Insider und Outsider
Für den durchschnittlichen Japaner bündeln sich seine unterschiedlichen Bezugspersonen oder Bezugsgruppen - Familie, Freunde, Arbeitskollegen etc.- zu einem konzentrischen Kreis, genannt "uchi". Diesem steht ein anderer Kreis, genannt "soto", gegenüber, der alle Gesellschaftsmitglieder, Organisationen und Institutionen umfasst, die sich ausserhalb des "uchi"-Kreises befinden.
„Die offiziellen, tief gestaffelten Hierarchiesysteme der japanischen Institutionen und Firmen spiegeln nicht unbedingt die inoffiziell gültigen wider ...“
Früher gehörten Japaner einer überschaubaren Gruppe an, einem Clan oder Haushalt. Heute ist die Situation komplizierter, insofern man sein Kommunikationsverhalten mit mehreren Bezugsgruppen abstimmen muss. Es ist keine Seltenheit, dass ein angesehener japanischer Geschäftsmann Mitglied in ungefähr zehn Gruppen ist. Auf Seiten des Japaners setzt dies natürlich ein enormes Managementgeschick voraus. Bei der Entwicklung eines gültigen Verhaltensrepertoirs fehlt ihm in der Tat so etwas wie eine allgemein verbindliche Handlungsmoral, wie sie in der christlich-abendländischen Kultur vorherrscht. Stattdessen trifft man auf eine relative Moral, die lediglich temporär, in Bezug auf die jeweilige Gruppe Gültigkeit besitzt. Dies ist auch der Grund, warum westliche Beobachter die für Japaner typische "lokale und flexible Ethik der Effektivität" oft als opportunistischen Pragmatismus auslegen.
„Je früher das Gründungsdatum und je höher das gesellschaftliche Ansehen der Firma oder Organisation im Heimatland, desto mehr Achtung geniesst der westliche Geschäftspartner bei Verhandlungen.“
Wenn es im "uchi"-Kreis, wie gesagt, eine grosse Variationsmöglichkeit gibt, wie man sich richtig zu verhalten hat, so existiert im "soto"-Kreis im Grunde gar keine, auch keine temporär variierende Verhaltensvorschrift. Man sollte sich klar vor Augen führen, dass dies dazu führen kann, dass Mitglieder aus diesem Kreis nicht zählen, vielleicht sogar ganz ignoriert werden. "In solchen Situationen bauen die Japaner ihre viel gerühmten, visuell nicht sichtbaren Wände zwischen sich und ihrem Gegenüber auf. In den drei Affen von Nikko findet diese typische japanische Haltung einen besonders anschaulichen Ausdruck: Man sieht, hört und spricht nichts." In diesem Zusammenhang wird von westlichen Beobachtern immer wieder die auffallende Skrupellosigkeit wahrgenommen, mit der Japaner sich in der Öffentlichkeit bewegen.
Die Basis für Geschäftsbeziehungen: "ningen-kankei"
Um in eine erfolgreiche Geschäftsbeziehung mit Japanern einzutreten, ist die Beziehungslinie "ningen-kankei" (menschliche Beziehung) zu pflegen. Das heisst, dass nur über den Austausch biographischer oder beruflicher Daten eine Aufnahme in japanische Netzwerke erreicht werden kann. Für japanische Geschäftsleute ist es normal, sich gegenseitig zu "briefen", um herauszufinden, welche Art von "ningen-kankei" man zu Kollegen, Vorgesetzten und Untergebenen unterhält.
„Das ‚soziale Kapital’ kann auch heute noch nicht ohne weiteres in eine andere Gruppe oder Firma mitgenommen werden ...“
Für unser Verständnis ist die grosse Bedeutung von "ningen-kankei" oft nur schwer nachzuvollziehen. So ist im japanischen Geschäftsleben bereits der frühere Kommilitonenstatus ausreichend, um in einer Geschäftsbeziehung einen starken "ningen-kankei"-Status zu etablieren. In der westlichen Geschäftswelt ist eine gemeinsame Universitätsvergangenheit zwar auch nicht abträglich, sie ist jedoch keine Voraussetzung oder gar Garantie, wie dies in Japan der Fall ist. Für einen Japaner ist es eine Frage der Ehre, sich unter diesen Umständen gegenseitig zu helfen. Andere Faktoren, die die gleiche Funktion erfüllen würden, sind z. B. der gemeinsame Geburtsort oder die gemeinsame Nachbarschaft.
„Bei firmeninternen Seminaren werden neben der Einschwörung auf das Firmengelöbnis bzw. auf die Firmenhymne auch zen-buddhistische Trainings durchgeführt, wo Kampfsportarten wie Aikido, Kendo (Schwertkampf), Kyudo, Bogenschiessen u. ä. eine massgebliche Rolle spielen.“
Vergegenwärtigen Sie sich die Bedeutung von "ningen-kankei" auch an einem Fallbeispiel aus dem deutsch-japanischen Geschäftsalltag: Ein grosses deutsches Pharmaunternehmen hatte ein neues Produkt entwickelt und wollte es gemeinsam mit einer japanischen Firma, zu der schon lange Geschäftsbeziehungen bestanden, auf dem japanischen Markt etablieren. Man zeigte sich auf deutscher Seite erstaunt, als die Kooperation hinsichtlich des entwickelten Medikamentes nicht zustande kam - obwohl das Produkt offensichtlich für den japanischen Markt interessant war. Der Grund war offenbar der, dass die Beziehungen zur Forschungsabteilung des Partners nicht ausreichend gepflegt wurden; man hatte stattdessen zu viel Zeit mit der Marketing-Abteilung verbracht. Ausserdem, das wurde im Nachhinein von den deutschen Managern erkannt, hatte man mehrmals eine Einladung des Leiters der Forschungsabteilung zum Golfspielen ausgeschlagen. Trotzdem wurde auf die japanische Kooperationsverweigerung auf deutscher Seite mit Unverständnis reagiert. Für sie war es ein nicht nachzuvollziehender Fehler, das offensichtlich Erfolg versprechende Geschäft ausgeschlagen zu haben. Man hat es hier mit einer typischen Situation kulturbedingten Unverständnisses zu tun.