Swiss Banking – wie weiter?

Buch Swiss Banking – wie weiter?

Aufstieg und Wandel der Schweizer Finanzbranche

NZZ Libro,


Rezension

Von den Schweizer Tugenden Diskretion, Stabilität und Sicherheit scheint nicht mehr viel übrig geblieben zu sein: Die Finanzkrise 2007/08 hat auch vor der hel­vetis­chen Bankbranche nicht Halt gemacht, und das Vertrauen der Kunden hat angesichts des UBS-De­bakels arg gelitten. Jetzt rächen sich die Amerikanisierung und das ungehemmte Prof­it­streben, das in Boomzeiten einer nach­halti­gen Wer­ten­twick­lung vorgezogen wurde, sagen Claude Baumann und Werner E. Rutsch. Der Fi­nanzjour­nal­ist und der Bankmanager zeichnen nach, wie sich die Schweizer Großbanken von spezial­isierten Qualitätsin­sti­tuten zu in­ter­na­tionalen Uni­ver­sal­banken gewandelt haben. Gut gewählte Anekdoten il­lus­tri­eren den Wertewandel, der die Schweizer Banken­land­schaft bis zum September 2008 verändert hat. Die Autoren sparen nicht mit Kritik, bieten aber auch Lösungsansätze dafür, wie Swiss Banking wieder zu einer vertrauenswürdigen Marke gemacht werden kann. BooksInShort empfiehlt das Buch jedem, der in der Fi­nanzbranche tätig ist – und allen Schweizern, die wissen wollen, wie ein Grundpfeiler ihres Landes so brüchig werden konnte.

Take-aways

  • Die Schweizer Bankbranche hat sich von ihren Tugenden Diskretion, Stabilität und Sicherheit abgewandt.
  • Die Kernkom­pe­tenz Vermögensver­wal­tung wurde vom In­vest­ment­bank­ing abgelöst.
  • Die EU und die USA üben Druck auf das Schweizer Bankge­heim­nis aus.
  • Die Schweizer Banken haben viele falsche Entschei­dun­gen getroffen, nur um mit Branchengrößen wie Goldman Sachs oder Morgan Stanley auf Augenhöhe zu sein.
  • Un­kon­trol­liertes Wachstum machte aus den Schweizer Banken aus­tauschbare in­ter­na­tionale Konzerne.
  • Auch Schweizer Bankiers kauften Fi­nanzpro­dukte, die sie selbst nicht verstanden und deren Risiko sie nicht berechnen konnten.
  • Die Aussicht auf hohe Bonuszahlun­gen verleitete die Banker zu großen Risiken.
  • Allein die UBS kostete die Im­mo­bilienkrise ab 2007 satte 45 Milliarden Franken.
  • Swiss Banking muss wieder zur Marke werden. Eine gute PR-Strate­gie ist gefordert.
  • Außerdem braucht es eine Rückkehr zu alten Tugenden sowie vor­bild­hafte Persönlichkeiten in den Führungse­ta­gen.
 

Zusammenfassung

Abkehr von alten Werten

Seit den 1980er Jahren hat sich das Geschäftsfeld der Schweizer Bankiers gewandelt. Die mit der Marke Swiss Banking verknüpften Tugenden, wie Diskretion und Sicherheit, traten in den Hintergrund, die neuen Maximen hießen Wachstum und Gewinn. Schließlich muss eine Branche mit heute 200 000 Beschäftigten, die rund 12 % des Brut­toin­land­spro­dukts er­wirtschaften, mit den in­ter­na­tionalen Spielern mithalten können. Die Schweiz wurde den Schweizer Großbanken zu klein, sie richteten sich in­ter­na­tional aus. Aus der Kernkom­pe­tenz, dem relativ risikoarmen Anlage- und Kreditgeschäft, wurde in den 80er Jahren das Private Banking, das schließlich vom sexy In­vest­ment­bank­ing abgelöst wurde. Wachstum sollten die Banken nun nicht mehr aus den guten Beziehungen zu vermögenden Pri­vatkun­den generieren, sondern aus Kap­i­tal­mark­t­transak­tio­nen, Fusionen und Börsenhandel.

„Das Bankgeschäft nach Schweizer Art musste nicht erst erfunden werden. Es gründete auf dem Ethos einer jahrhun­derteal­ten Tradition.“

Zu Beginn des Jahres 2008 stammten von 4700 Milliarden Franken Kun­den­geldern auf Schweizer Konten mehr als 50 % aus dem Ausland. Doch rasches Wachstum und die Abkehr von tra­di­tionellen Werten haben ihre Schat­ten­seiten: Vor dem Hintergrund der 2007 aus­ge­broch­enen Finanzkrise konnte die Großbank UBS nicht umhin, 45 Milliarden Franken abschreiben zu müssen. Zudem muss sich die Schweiz fi­nanzpoli­tisch mit der Europäischen Union herum­schla­gen: Immer wieder wird dort der Vorwurf erhoben, das Schweizer Bankge­heim­nis leiste dem Steuer­be­trug und der Fi­nanzkrim­i­nalität Vorschub. Auch die USA haben den Druck auf die Schweiz erhöht, indem sie eine Un­ter­suchung gegen die UBS einleiteten. Der Vorwurf: Die Bank soll Kunden beim Steuer­be­trug geholfen haben. Die Schweizer fürchten um das Bankge­heim­nis und um ihr Geld – endlich, dürfte man in der EU und in den USA denken. In Wahrheit leidet die Schweizer Fi­nanzbranche aber nicht an einer zu laschen Regulierung, sondern an einem Im­ageprob­lem: Swiss Banking muss wieder eine Marke werden, die für Vertrauen steht.

Aus einfachen Ursprüngen zu un­ver­muteter Größe

Ende des 14. Jahrhun­derts erlaubte der Bischof von Genf den Geldverleih gegen Zins. Das war europaweit einzigartig – und der Grundstein für das Schweizer Bankgewerbe. Zwar wurde das Geldgewerbe durch die Bur­gun­derkriege und die Reformation beinahe vernichtet, doch der Reformator Jean Calvin verlieh ihm neuen Auftrieb. Calvin sah nichts Schlechtes im Profit – sofern er Arbeit und Fleiß entspringe. Im 18. Jahrhundert war dann zum ersten Mal vom Bankge­heim­nis die Rede. Die aus Frankreich kommenden Hugenotten verwalteten in Genf die Gelder ihrer Glaubensgenossen. Dabei war höchste Diskretion gefragt – schließlich machte der französische König auf der Suche nach neuen Geldquellen Jagd auf die Vermögen der Hugenotten und ließ deren Besitzer kurzerhand töten.

„Beim Übergang in die 90er Jahre kam es zum entschei­den­den Schritt: Das Schweizer Bankenkartell löste sich auf.“

Rechtlich fest­geschrieben wurde das Schweizer Bankge­heim­nis erst im Bankenge­setz von 1935. Die Schutzvorkehrung geriet immer wieder unter Druck von außen – sei es am Ende des Zweiten Weltkriegs, als die Schweiz beschuldigt wurde, Nazigelder zu verstecken, oder in den 50er Jahren, als die Schweizer Banken von den USA den Vorwurf zu hören bekamen, sie würden kriminelle Geschäfte decken.

„Das Bankge­heim­nis ist keineswegs eine rein schweiz­erische Erfindung. Bereits die Anfang des 18. Jahrhun­derts aus Frankreich zuge­wan­derten Hugenot­ten­fam­i­lien betreuten von Genf aus die Finanzen ihrer in der Heimat verbliebe­nen Glaubensgenossen mit größter Diskretion.“

Die klassischen Pri­vat­banken der Schweiz waren als Part­ner­schaften organisiert, wobei die Partner unbeschränkt mit ihrem Privatvermögen hafteten. Diese private Haftung war einer der Gründe, warum sich die Schweizer Bankiers der Nach­haltigkeit und Kompetenz ver­schrieben. In der Nachkriegszeit wurden im Schweizer Bankensek­tor die ersten bedeutenden Firmenübernahmen verzeichnet. So akquirierte die 1862 gegründete Schweiz­erische Bankge­sellschaft (SBG) zwischen 1945 und 1960 nicht weniger als 20 andere Banken und stieg damit zum mächtigsten Schweizer Institut auf. Die 50er Jahre waren goldene Zeiten: Auf der Bun­desre­pub­lik Deutschland lasteten die Vor- und Nachkriegss­chulden; das gebeutelte Land musste sich Geld durch Anleihen beschaffen. Die Schweiz profitierte vom Geschäft mit den Aus­land­san­lei­hen, dem Goldhandel und der Vermögensver­wal­tung. Die Ar­beit­er­re­volte in Berlin 1953 und der nationale Aufstand in Ungarn 1956 ve­r­an­lassten zudem viele Westeuropäer, ihr Vermögen ins sichere Alpenland zu trans­ferieren.

Vom Erfolg zur Entweihung

In den 60er Jahren wuchs der Fi­nanzsek­tor rasant weiter. Die Großbanken warfen ein Auge auf die Kleinkunden und pros­perierten zudem als enge Vertraute der In­dus­trie­mag­naten. Die Bankiers vergaben nicht nur Kredite an große Unternehmen, sondern übernahmen immer öfter auch Funktionen in deren Aufsichtsräten. Anfang der 80er Jahre erreichten die Großbanken in der Schweiz einen Marktanteil von rund 50 %. Doch dieser Markt wurde bald zu klein, sodass die Institute Stützpunkte in London, New York, Südamerika und Ostasien eröffneten. Man folgte der betuchten Pri­vatk­lien­tel, für die es als schick galt, die exzellenten Schweizer Fi­nanz­di­en­stleis­tun­gen in Anspruch zu nehmen, und die in den 70er Jahren angesichts der Inflation im starken Schweizer Franken einen sicheren Hafen fanden.

„Aus den Fugen geriet die Fi­nanzin­dus­trie schließlich, als die Produktschöpfungen so komplex geworden waren, dass weder Banken noch Behörden die Risiken mehr berechnen konnten.“

Die eitle Wonne wurde erst im Frühjahr 1977 getrübt: von den dunklen Wolken des Chi­asso-Skan­dals. Der im Grenzort Chiasso ansässige Fil­ialleiter der Schweiz­erischen Kred­i­tanstalt (SKA) gewährte Kunden Garantien im Ausmaß von Milliarden, ohne sie in der Bankbilanz zu verbuchen. Zum ersten Mal wurde am Image des Schweizer Fi­nanz­platzes gekratzt.

Wie der Wettbewerb die Schweiz erreichte

Ab den 1980er Jahren veränderte sich die Schweizer Bankenszene stark. Bis dahin hatten sich die Schweizer Institute durch Preis­ab­sprachen vom Wettbewerb abkoppeln können. Doch mit dem zunehmenden Einfluss der angelsächsischen Welt war das Bankenkartell nicht länger tragbar. In der Rezession der 80er Jahre mussten die Banken den In­dus­trie­un­ternehmen zudem mit kost­spieli­gen Sanierungen unter die Arme greifen; sogar die Schweizer Uhrenbrache retteten sie vor dem Niedergang. In den 90er Jahren ging das Geschäft mit den großen Unternehmen zurück. Diese begannen, sich Geld zu beschaffen, indem sie an die Börse gingen, anstatt es sich bei den Banken zu leihen. Kap­i­tal­mark­t­transak­tio­nen und der Handel mit Wert­pa­pieren, die unter dem Begriff In­vest­ment­bank­ing zusam­menge­fasst werden, wurden neben dem Private Banking (der Vermögensver­wal­tung) ein wichtiges Standbein der Schweizer Banken. Die Börsene­uphorie und das Kopieren angelsächsischer Geschäftsmodelle brachten eine Vielzahl von neuen An­lage­in­stru­menten mit sich, die nicht nur hohe Gewinne versprachen, sondern auch furchtbar kompliziert waren. Die Strategie des schnellen Geldes und überbor­den­den Wachstums führte dazu, dass sich die SKA 1978 die New Yorker Bank First Boston, die SBG 1987 die Londoner Phillips & Drew und der Schweiz­erische Bankverein (SBV) 1992 das Chicagoer Institut O’Connors sowie 1995 die Londoner S. G. Warburg ein­ver­leibten. Alles, was zählte, waren Größe und Ex­perten­wis­sen im vielver­sprechen­den In­vest­ment­bank­ing.

Die Schweiz wird amerikanisch

1998 wurde eine neue Ära in der Schweizer Bankbranche eingeleitet: Der SBV und die SBG fu­sion­ierten zum weltweit viertgrößten Fi­nanzin­sti­tut, der UBS. Im Jahr 2000 übernahm die UBS den Broker Paine Webber aus New York mit 8000 Mi­tar­beit­ern, die Credit Suisse die New Yorker In­vest­ment­bank Donaldson, Lufkin & Jenrette mit 11 500 Beschäftigten – für jeweils zweis­tel­lige Mil­liar­den­beträge. Erklärtes Ziel war es, mit Branchengrößen wie Goldman Sachs oder Morgan Stanley mitzuhalten. Während die Großen immer größer wurden, ging die Zahl der kleineren Banken zwischen 1990 und 2000 von 495 auf 375 zurück.

„Wenn die Banken bewährte Tugenden wie Vertrauen, Diskretion und Sicherheit vernachlässigen, verliert das Swiss Banking seinen Qualitätsanspruch.“

Die Amerikanisierung der Schweizer Banken kam in kleinen Schritten. Erst ver­wan­del­ten sich Gen­eraldirek­toren in „CEOs“, dann wurden Prospekte z. T. nur in englischer Sprache verfasst. Bei den Kunden hinterließ das einen schalen Nachgeschmack. Loyalität war bei den Mi­tar­beit­ern bald weniger gefragt als Ehrgeiz und Verkauf­stal­ent. Von der Schweizer Beschei­den­heit wollte man nichts mehr wissen. Die Banken begannen, ihren Mi­tar­beit­ern neben ihrem Fixgehalt auch eine leis­tungsabhängige Lohnkom­po­nente in Form von Aktien oder Optionen zu zahlen. Diese Praxis trug dazu bei, dass die Bankiers – mit­tler­weile Banker genannt – höhere Risiken eingingen und die Langfristigkeit ihrer Entschei­dun­gen aus den Augen verloren. Als 2001 die Tech­nolo­gieblase an den Börsen platzte und die Aktienkurse nach unten rasselten, blieb nur eines hoch: das Gehalt der Manager. So verdiente etwa der UBS-Präsident Marcel Ospel im Jahr 2001 stolze 12,5 Millionen Franken.

Tektonische Ver­schiebun­gen

Um sich dem Druck der EU hin­sichtlich des Bankge­heimnisses zu entziehen, willigte die Schweiz in ein Zins­besteuerungsabkom­men ein. Seit Mitte 2005 werden von den Zinserträgen auf Schweizer Konten, die EU-Bürgern gehören, 15 % abgezogen und automatisch an die EU-Mit­glied­staaten überwiesen. Und obwohl im Jahr 2007 bereits 490 Millionen Franken daraus bezahlt wurden, begann die europäische Politik bald schon wieder über die „Steueroase Schweiz“ zu klagen. Noch schwerere Geschütze fuhren die USA auf: Sie leiteten gegen die UBS Un­ter­suchun­gen wegen Beihilfe zum Steuer­be­trug ein. Dies, obwohl die Schweiz über die härtesten und kon­se­quentesten Gesetze zur Vermeidung von Fi­nanzkrim­i­nalität verfügt. Anonyme Konten sind nicht viel mehr als eine weit verbreitete Mär.

„Die Schweizer Fi­nanzbranche wird auf das Bankge­heim­nis reduziert, weil sie es versäumt hat, ihre Vorzüge her­auszus­tre­ichen.“

Vom Frühjahr 2003 bis 2007 genossen die Schweizer Banken das Börsenhoch. Die UBS etwa steigerte in dieser Zeit ihren Börsenwert um mehr als 100 %. Nachdem man nach der Fusion im Sommer 1998 fest­gestellt hatte, dass die vormalige Bankge­sellschaft mit dem De­rivate­han­del einen Verlust in Höhe von 100 Millionen Franken eingefahren hatte, war man vorsichtig geworden. Das stabile Vermögensver­wal­tungs­geschäft rückte wieder in den Fokus des Managements. Alles schien richtig – bis sich die UBS entschloss, den Hedgefonds Dillon Read Capital Management (DRCM) zu gründen. Mit komplexen Fi­nanzpro­duk­ten und einem „A-Team“ in New York sollte der Gewinn gesteigert werden. Dem „B-Team“, das zu Hause bleiben musste, gefiel dies offenbar gar nicht: Es begann, mit amerikanis­chen Hypotheken zu spekulieren. Noch zu Beginn des Jahres 2007 kauften die Banker hochriskante Hy­potheken­pro­dukte, die sonst niemand mehr haben wollte. Als schließlich im Sommer der Im­mo­bilien­markt kollabierte und DRCM längst geschlossen war, musste die UBS fast 45 Milliarden Franken abschreiben.

Swiss Banking am Wendepunkt

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Schweizer Banken von ihrer Kernkom­pe­tenz, der Vermögensver­wal­tung, abgewendet. Die Marke Swiss Banking wurde verwässert. Die UBS und die Credit Suisse haben sich in aus­tauschbare in­ter­na­tionale Konzerne verwandelt, die wie alle anderen Fi­nanzpro­dukte verkauften, die sie selber nicht mehr verstanden und deren Risiko sie nicht einschätzen konnten. Dies schadete nicht nur dem Ansehen der Institute, sondern auch den Anlegern: Hat ein Investor sein Geld 1998 in die frisch gegründete UBS investiert, so hat er bis heute rund 60 % davon verloren. Wie kann das Swiss Banking wieder aus der Krise finden? Zum einen müssen sich die Banken von der Strategie der kurzfristi­gen Gewin­n­max­imierung lösen. Sie müssen auf frühere Tugenden wie Stabilität und Diskretion setzen. Zudem braucht die Branche Führungspersönlichkeiten, die wieder als Vorbilder agieren – und schließlich eine gute PR-Strate­gie, damit sie nicht nur auf das Bankge­heim­nis reduziert wird.

Über die Autoren

Claude Baumann ist Wirtschaft­sredak­tor bei der Weltwoche. Er gilt als einer der führenden Schweizer Fi­nanzjour­nal­is­ten und hat auch das Buch Aus­ge­waschen verfasst. Werner E. Rutsch ist Managing Director bei Clariden Leu in Zürich. Zuvor hat er bei der Credit Suisse, der UBS und der Bank Hofmann gearbeitet.