Understatement

Buch Understatement

Der Stil des Erfolgs

Frankfurter Allgemeine Buch,


Rezension

Ein Buch wie eine Plaud­er­stunde im Kaffeehaus: anregend, un­ter­halt­sam, voller Anekdoten über Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Sport – so präsentiert der TV-geschulte Stilberater Rainer Wälde seine Gedanken zum Thema Un­der­state­ment. Obwohl sich dieser Begriff kaum ins Deutsche übersetzen lässt, gelingt es Wälde, ihn greifbar zu machen und aufzuzeigen, wie man zu einer entsprechen­den Haltung gelangen kann. Warum das zwingend nötig sein soll, um in Beruf und Leben vo­ranzukom­men, bleibt allerdings etwas unklar. Sicher: Bescheidene Zeitgenossen sind sympathisch, und wenn sie ihre zurückhaltende Art mit of­fen­sichtlichen Qualitäten kombinieren können, steht ihnen die Karrieretür vielleicht tatsächlich weiter offen als manchem El­len­bo­gen-Ehrgei­zling. Ob die freiwillige Zurückhaltung aber automatisch zum Erfolg führt, wie Wälde suggeriert? Immerhin weiß der Autor of­fen­sichtlich auch, wie man sich geschickt in Szene setzt: Sein Buch wird vom „Deutschen Knigge-Rat“ empfohlen – dessen Vor­sitzen­der zufällig Rainer Wälde heißt. Das hat ein gewisses Geschmäckle, aber trotzdem: BooksInShort empfiehlt den vergnüglichen Ratgeber allen, die gewinnen wollen, ohne penetrant zu sein.

Take-aways

  • Karriere macht man heute eher mit Un­der­state­ment als mit El­len­bo­genchecks.
  • Un­der­state­ment heißt, mit Zurückhaltung, Demut und Vernunft aufzutreten.
  • Um auf Sta­tussym­bole verzichten zu können und stattdessen seine Persönlichkeit sprechen zu lassen, muss man sich selbst erst genau kennen lernen.
  • Machen Sie sich Ihre Werte und Überzeu­gun­gen, aber auch Ihre Schwächen bewusst.
  • Setzen Sie sich Ihre eigenen Ziele, statt den Ansprüchen anderer genügen zu wollen.
  • Qualität macht einen nach­haltigeren Eindruck als Protzerei.
  • Geben Sie mit Ihrem Wissen nicht an. Setzen Sie es ein, um anderen zu helfen oder Neues zu erschaffen.
  • Drücken Sie sich nicht abgehoben aus, sondern klar und der Zielgruppe angemessen.
  • Äußern Sie sich dann, wenn Sie wirklich etwas zu sagen haben. Das gilt im persönlichen Umgang ebenso wie bei Pressemit­teilun­gen.
  • Wer eine persönliche Leben­sauf­gabe hat, dem fällt Un­der­state­ment leicht: Er handelt um der Sache willen.
 

Zusammenfassung

Sein statt Schein

El­len­bo­genchecks, verbissener Kar­ri­erekampf und Zurschaustel­lung des eigenen Besitzes sind out. Eine neue, zurückhaltende Art der Repräsentation setzt sich durch: Un­der­state­ment. Was man im en­glis­chsprachi­gen Raum darunter versteht, lässt sich nicht einfach mit „Beschei­den­heit“ übersetzen. Un­der­state­ment bedeutet, mit Zurückhaltung, Demut, Vernunft und im Wissen um seine Wurzeln aufzutreten. Es zeigt sich in der Wertschätzung von Menschen und Dingen. Wer „understated“ handelt, hat es nicht nötig zu protzen, denn er weiß, was er selbst wert ist. Echtes Un­der­state­ment setzt voraus, dass Sie sich mit Ihren Werten und Überzeu­gun­gen, aber auch mit Ihren Wünschen und Ängsten ehrlich au­seinan­derge­setzt haben. Dann erst sind Sie frei davon, Pseudozie­len und ver­meintlichen gesellschaftlichen Ansprüchen hin­ter­herzuren­nen. Sie sind sich Ihrer Identität bewusst und können jene Ziele ins Auge fassen, die Ihnen tatsächlich wichtig sind – unabhängig von den Ansprüchen anderer. Das ist die beste Vo­raus­set­zung für au­then­tis­ches Sprechen und Handeln.

Geschenke des Lebens

Susanne Klatten, geborene Quandt, ist ein Pa­rade­beispiel für gelebtes Un­der­state­ment. Als Tochter und Erbin des BMW-Mehrheit­sak­tionärs entschied sie sich, den ganz „normalen“ Weg einer Ausbildung zu gehen und begann ihn mit einem Praktikum im fam­i­lieneige­nen Unternehmen. Allerdings wusste damals keiner von ihrem familiären Hintergrund. Sie lehnte jede bevorzugte Behandlung aufgrund ihrer Herkunft ab. Nach Ausbildung, BWL-Studium, MBA und Beruf­ser­fahrung ist sie heute eine der größten deutschen Un­ternehmerin­nen – und sieht noch immer davon ab, dies mit Sta­tussym­bolen zu un­ter­stre­ichen.

„Un­der­state­ment ist Stil. Der Stil des Erfolges.“

Auch die Un­ternehmerin Nicola Leibinger-Kammüller, Vorsitzende der Geschäftsführung bei Trumpf, dem schwäbischen Werkzeug­maschi­nen­her­steller, ist frei von jeglichen Jet­set-Am­bi­tio­nen. Sie führt das Fam­i­lienun­ternehmen mit Beschei­den­heit, Zurückhaltung und Integrität. Eigen­schaften, die auf ihre familiäre Erziehung zurückgehen – geprägt von christlichen Werten, Freiheit, Disziplin und Ve­r­ant­wor­tung.

„Un­der­state­ment bedeutet Sein statt Schein und damit Freiheit.“

Beide Frauen sind Beispiele dafür, dass es möglich ist, ein großes Erbe ohne Dünkel anzutreten und es ve­r­ant­wor­tungs­be­wusst sowie äußerst erfolgreich für die Zukunft zu bewahren – ohne Allüren, ohne Protz und Prunk. Beide haben ihr Lebens­geschenk ve­r­ant­wor­tungsvoll angenommen, ohne sich etwas darauf einzubilden. Sie setzen es sinnvoll ein und lassen andere daran teilhaben. So brüskieren sie niemanden mit ihrem Reichtum.

Gold glänzt, aber strahlen kann man auch ohne

Eine tief beein­druck­ende Persönlichkeit ist Marie-Luise Fürstin zu Castell-Castell, das Oberhaupt der bekannten Adels­fam­i­lie. Worin liegt ihre Faszination? Sie begegnet einem unprätentiös, ohne Schmuck, aber sehr geschmack­voll gekleidet, pragmatisch und authentisch. Der Wohnsitz der fürstlichen Familie strahlt Beständigkeit und Qualität aus, gepaart mit einem Sinn für das Nützliche. Ver­schwen­dung, Überflüssiges oder falschen Glanz sucht man vergeblich. Wer von innen strahlt, braucht kein Goldgehänge, um zu glänzen.

„Menschen, die auf Un­der­state­ment setzen, besitzen und benutzen nicht ir­gendwelche Dinge, bloß um anderen damit zu imponieren.“

Aufge­set­zter Glanz erlischt im Vergleich zu echter Qualität. Wer seinen Blick dafür schärft, erkennt gute, d. h. hochwertige Produkte und Marken mit der Zeit sofort. Der Ver­sand­han­del Manufactum bietet Ge­brauch­sob­jekte an, die aus hochw­er­ti­gen und langlebigen Materialien gefertigt sind, jahrzehn­te­lang erfolgreich verwendet wurden und ihren Preis wert sind. Die Ledermarke Bree stellt er­stk­las­sige, dauerhaft haltbare Taschen und Led­er­ac­ces­soires her, die frei von jedem Trend oder Chichi sind. Über ihren Besitzer sagen solche Objekte aus, dass er Wert auf Qualität und Nutzen legt, zwar durchaus Sinn für Design hat, aber bester Ve­r­ar­beitung und langlebigen Materialien den Vorzug vor hippen Designs und kurzatmigen Trends gibt. Auch Apple – obwohl selbst zur Trendmarke geworden – vereint brillantes Design weiterhin mit sinnvollen Funktionen, die sich von der Konkurrenz durch ihre Einfachheit abheben.

Image-Ethik versus Werte-Ethik

Wer nur auf sein Image achtet und sich permanent darum sorgt, was andere über ihn denken, hat ein Problem mit seiner Identität. Um das Mangelgefühl des fehlenden Selb­stver­trauens zu kom­pen­sieren, verfolgt er eine Image-Ethik. Welch seltsame Blüten diese treiben kann, zeigt die Anekdote einer Familie aus dem Schwäbischen: Sie hatte ein zusätzliches Set Bettdecken angeschafft, einzig in der Absicht, sie samstags früh demon­stra­tiv und für alle sichtbar auf den Balkon zum Lüften zu hängen. Allein: Die Familie schlief noch, nur eines der Kinder wurde jeden Samstag reihum mit dem Raushängen der Bettdecken beauftragt, um den Nachbarn zu zeigen, dass man bereits am Arbeiten sei. Im Gegensatz zu einer solchen Image-Ethik stellt eine Werte-Ethik Werte und Überzeu­gun­gen in den Mittelpunkt des Handelns und der Selb­st­de­f­i­n­i­tion. Doch wie wird man sich über seine eigenen Werte klar? Fragen Sie sich, was in Ihrer Familie, bei Ihrer Erziehung wichtig war. Bei Produkten und Di­en­stleis­tun­gen hilft die Frage nach dem Nutzen und der Freude, die sie Ihnen verschaffen.

Heutige Sta­tussym­bole

Wie lange können Sie es sich leisten, auf eine E-Mail nicht zu antworten? Je größer der Zeitraum, bevor Sie Ärger bekommen, desto höher stehen Sie wohl in der Hierarchie. Wer in unserer Zeit der permanenten Er­re­ich­barkeit einfach nicht verfügbar ist, bedient sich eines im­ma­teriellen Sta­tussym­bols. Als jemand, der Un­der­state­ment pflegt, haben Sie dies aber gar nicht nötig. Wenn es sich um wichtige E-Mails handelt, bricht Ihnen kein Zacken aus der Krone, wenn Sie diese selbst und schnellstmöglich beantworten.

„Wer es nötig hat, mit Gold zu glänzen, dem fehlt für mich einfach das innere Strahlen.“

Gleiches gilt fürs Delegieren, das viele miss­brauchen, um ihren Status zu demon­stri­eren. Wenn Sie Ihre Zugverbindun­gen im Internet selbst recher­chieren, dann aber von einem Prak­tikan­ten buchen lassen, sagt das mehr über Sie aus, als Ihnen lieb ist – und es ist sicherlich nichts Positives dabei. Jemand, der Un­der­state­ment lebt, tut so etwas auch mal selbst, statt seine Position zu demon­stri­eren. Nieder­sach­sens Ministerpräsident Christian Wulff z. B. ruft einen persönlich an, obwohl er sich jederzeit von seiner Sekretärin durch­stellen lassen könnte. Er ist sich nicht zu schade, zehn Tasten zu tippen, und kommt dank solchen Kleinigkeiten als besonders men­schlicher Politiker rüber – als einer, der es nicht nötig hat, seine Macht und seinen Status zur Schau zu stellen.

Wissen kann jeder

Früher war Bildung Herrschaftswis­sen und ein gesellschaftliches Un­ter­schei­dungsmerk­mal. Heute ist sie uns allen zugänglich. Worauf es nun ankommt, ist die in­tel­li­gente Verknüpfung vorhandener In­for­ma­tio­nen. Mit zur Schau gestelltem Wissen lässt sich keiner mehr beein­drucken oder „in Schach halten“. Menschen, die ihre As­sozi­a­tio­nen einfach so hin­aus­posaunen, ohne in­tel­li­gente Verbindun­gen oder In­ter­pre­ta­tio­nen, wollen sich lediglich brüsten: „Ich weiß etwas, was du nicht weißt.“ Wissen aber ist nicht nur kein Machtfaktor mehr und für alle verfügbar, sondern es lässt sich durch Teilen sogar vermehren. Die On­line-En­zyk­lopädie Wikipedia, an der jeder un­ent­geltlich mitarbeiten kann, zeugt von dieser Entwicklung. Weisheit und Intelligenz werden in Zukunft wichtiger als pures Fak­ten­wis­sen. Der Benedik­tin­er­pa­ter Anselm Grün ist ein Beispiel für jemand, der sein immenses Wissen mit Verstand und Herz einsetzt, um Menschen zu helfen und ihnen zu nutzen – statt sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken.

Die Sprache des Un­der­state­ments

Wer auf Un­der­state­ment setzt, kann auf Fachchi­ne­sisch, Fremdwörtereinsatz und Busi­nesss­lang getrost verzichten. Nicht damit macht er sich bei seiner Zielgruppe wichtig, sondern indem er von ihr verstanden wird – dank einer klaren, angemesse­nen Sprache. Er ist sich außerdem der Macht bewusst, die Worte haben können und setzt sie besonnen ein; er zerschlägt kein Porzellan und stellt andere nicht bloß.

„Charisma statt Status – auch das ist eine Formel des Un­der­state­ments.“

Unternehmen wären gut beraten, wenn sie in Sachen Sprachver­wen­dung ein wenig Un­der­state­ment walten ließen. Das bedeutet: nur Pressemit­teilun­gen versenden, die inhaltlich auch etwas aussagen. Oder: mit den Mi­tar­beit­ern ebenso offen und ehrlich kom­mu­nizieren wie nach außen, in der Öffentlichkeit. Ein Unternehmen wie Wal-Mart, das knapp und ehrlich sein Scheitern auf dem deutschen Markt zugeben konnte, verdient Respekt. Man hatte es nicht nötig, sich hinter Pseudogründen und Worthülsen zu verstecken, sondern stand im Sommer 2006 zu seinem Scheitern, als 85 Filialen geschlossen und an den Wet­tbe­wer­ber Metro verkauft werden mussten.

Andere nicht dumm aussehen lassen

Es ist kein Zeugnis von Stil und Klasse, wenn man andere dumm aussehen lässt. Egal, ob man jemanden wegen eines falsch aus­ge­sproch­enen Namens scharf zurechtweist oder unnötig lange im Vorzimmer warten lässt – wer solche Erniedri­gun­gen an den Tag legt, erweckt den Eindruck, sich selbst erhöhen zu müssen. Wer hingegen anderen zum Erfolg verhilft oder sie vor peinlichen Situationen bewahrt, der hat Anstand und Men­schlichkeit begriffen.

„Wer nur ein Mandat für sich selbst wahrnimmt, der hat kein echtes.“

Unvergessen ist eine Episode der Tour de France 2003: Jan Ullrich, der auf Titelkurs war, hätte ein Miss­geschick seines Kon­tra­hen­ten Lance Armstrong (dieser verfing sich in einer Plastiktüte und stürzte) kalt ausnützen können. Er tat es nicht, hatte die Größe, auf Armstrong zu warten – und vergab damit den sicheren Sieg. Im selben Jahr wurde Ullrich mit der Fair-Play-Plakette der Deutschen Olympischen Gesellschaft aus­geze­ich­net und zum „Sportler des Jahres“ gewählt.

Qualität und Un­der­state­ment

Ein Vorzeige­un­ternehmer alter Qualität und Klasse ist Claus Hipp, der durch Hipp-Baby­nahrung und seine Werbespots, in denen er selbst als Unternehmer und Qualitätsgarant auftritt, bekannt ist. Claus Hipp ist pro­movierter Jurist und führt seit 1967 das Unternehmen, das bereits 1997 komplett auf erneuerbare Energien umstellte. Hipp wirkt echt und ungekünstelt. Er benutzt das Fahrrad, wann immer es geht, und fährt ein Auto mit Pflanzenöl. Dass er überdies auf in­ter­na­tionalem Niveau reitet, als renom­mierter Musiker Oboe spielt und unter seinem Künstlernamen Nikolaus Hipp weltweit seine Bilder verkauft, macht ihn noch kompletter und be­wun­dern­swerter. Er hat es nicht nötig, seine vielfältigen Talente und Fähigkeiten bei jeder Gelegenheit zu betonen. Er konzen­tri­ert sich auf die nachhaltige Entwicklung und Führung seines Un­ternehmens und macht kein Aufsehen um diese große Aufgabe. Er hat sie angenommen und füllt sie aus. Er geht behutsam mit den verfügbaren Ressourcen um und ist bestrebt, in allem das richtige Maß zu finden. Auch das ist Un­der­state­ment. Er hat verstanden, dass es nicht primär um ihn als Person geht, sondern darum, wie er mit seinem „Mandat“ umgeht und was er für die Menschen in seinem Umfeld tun kann.

„Wo sind die Claus Hipps von morgen? Wer wird sich nicht scheuen, ein Vorbild zu sein? Wer wird bei Wind und Wetter auf der Brücke stehen und das Schiff auf Kurs halten? Wer wird das sein?“

Mit „Mandat“ ist eine Leben­sauf­gabe gemeint, die man erhält, ohne dass man sie sucht. Ob Ehrenamt, Erbe, Lebensprüfung – immer geht es um eine Her­aus­forderung und darum, wie man sie bewältigt. Wer sich seiner Aufgabe stellt, wird dabei seine Identität finden – und jenen Erfolg, der es ihm ermöglicht, seiner Umwelt mit Un­der­state­ment zu begegnen.

Über den Autor

Rainer Wälde ist Leiter der TYP Akademie Limburg, die sich der Image- und Stil­ber­atung ver­schrieben hat. Darüber hinaus ist er als Berater, Trainer, Autor, TV-Mod­er­a­tor und Vor­sitzen­der des Deutschen Knigge-Rates tätig.