Die Heuschrecken kommen
Der klassische Aktionär hat sich kaum in die Geschäfte seiner Unternehmen eingemischt. Seine Handlungsoptionen beschränkten sich normalerweise auf zwei Alternativen: Loyalty oder Exit. Also: Loyalität zum Unternehmen, Halten – sowohl der Papiere als auch des Mundes. Oder: Verkaufen, wenn man mit den Managemententscheidungen nicht einverstanden war.
„Schon auf Basis relativ geringer Minderheitsbeteiligungen beeinflussen Aktionäre heute die Agenda von Aktiengesellschaften.“
Doch angesichts der enormen Summen, die in den letzten Jahrzehnten in den Aktienmarkt geflossen sind, ist der Verkauf für viele institutionelle Anleger zunehmend zu einer eher theoretischen Option geworden – irgendwo muss das Geld ja schließlich hin. Dadurch können Manager, die eher die eigenen Interessen als die der Aktionäre im Blick haben, praktisch nicht mehr mit einem Verkauf „bestraft“ werden. Heute versuchen deshalb immer mehr Anleger, die Unternehmenspolitik aktiv zu beeinflussen. Aus dem passiven ist ein aktiver Aktionär geworden.
„Manches von dem, was die Finanzmärkte ausgelöst haben, hat die Weltwirtschaft durchaus vorangebracht.“
Manchen aktiven Investoren geht es gar nicht um den schnöden Mammon: Sie wollen vielmehr gesellschaftliche Ziele erreichen und beispielsweise Kinderarbeit oder Umweltverschmutzung verhindern. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem Value-based Approach. Doch das ist die Ausnahme, in den meisten Fällen ist das Ziel schlicht und ergreifend Geld (Value-seeking Approach). Einige Firmen setzen diesen Ansatz in ein Geschäftsmodell um: Die so genannten Corporate Raiders suchen gezielt Unternehmen mit versteckten Reserven, kaufen sich ein und erzwingen eine Ausschüttung der schlummernden Werte an die Aktionäre. Auch Hedgefonds treten normalerweise als so genannte Activist Investors auf, um eine Überrendite zu erzielen.
Das Vorgehen der Activists
Solche Activist Investors gehen individuell unterschiedlich vor, trotzdem gibt es einige typische Grundzüge: Die angepeilten Unternehmen werden vorab genau unter die Lupe genommen und auf Erfolg versprechende Merkmale abgeklopft, beispielsweise geringe Ausschüttungsquoten oder Managementmängel. Ist das Zielobjekt ausgewählt, kauft sich der Investor mit kleinen Anteilen oder über Derivate ein. Irgendwann erhöht er gezielt seine Anteile, bis die gesetzliche Meldeschwelle erreicht ist. Das ist der erste Warnschuss an die Firma, die bis dahin oft noch gar nicht bemerkt hat, mit wem sie es zu tun hat.
„Die Bankenverträge sind beinhart und werden konsequent gehandhabt.“
Nun folgen direkte Kontaktaufnahmen in der Absicht, das Management zu einem Kurswechsel zu zwingen. Man beginnt freundlich, dann wird der Ton rauer, um Druck aufzubauen. Zunächst läuft alles per Brief und persönlich. Reicht das nicht aus, schaltet der Investor die Medien ein – dabei gelangen u. U. auch vertrauliche Unterlagen ans Licht der Öffentlichkeit. Außerdem verbündet er sich mit Altaktionären, um den Druck zu erhöhen. Der Showdown findet an der Hauptversammlung statt: Dort hat es der Aktivist aufgrund seiner Vorarbeiten und der traditionell geringen Präsenz der Aktionäre oft leicht, auch mit relativ kleinen Anteilen einen Mehrheitsbeschluss in seinem Sinn herbeizuführen.
Private Equity
Nicht nur börsennotierte Aktiengesellschaften sind von solchen Aktivitäten betroffen. Private-Equity-Gesellschaften kaufen sich seit einigen Jahren in vielversprechende Unternehmen ein. Das Ziel ist immer eine Wertsteigerung des Unternehmens, um es nach einer Haltedauer von einigen Jahren gewinnbringend weiterverkaufen zu können. Verlockend für die bisherigen Eigentümer ist dabei vor allem der überdurchschnittliche Kaufpreis. Doch dieses Geld gibt es nicht umsonst: Ein möglichst hoher Anteil des Kaufpreises wird fremdfinanziert – für die Banken aufgrund hoher Gebühren ein gutes Geschäft. Die Bedienung dieser Kredite wird dem gekauften Unternehmen auferlegt.
„Die Hauptversammlung ist häufig das finale Element einer Activist-Kampagne.“
In der Folge wird mit fester Hand an der Effizienzschraube gedreht, Renditeerwartungen von 20–30 % sind in der Branche nicht unüblich. Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass solche Renditen auf Dauer nicht mehr realisierbar sein werden. Nach dem Kauf übernimmt die Beteiligungsgesellschaft die Führung. Das Management wird ggf. ganz oder teilweise ausgetauscht, die strikte Erfüllung des Geschäftsplanes konsequent eingefordert. Um das Engagement zu steigern, werden die Führungskräfte und auch der Beirat zu bevorzugten Konditionen am Unternehmen beteiligt.
Umstrittene Aktionen
Bei guten Marktbedingungen kann das strikte Vorgehen aktiver Investoren durchaus positive Folgen haben: Das Unternehmen hat Kapital für Investitionen, das es in dieser Höhe von den Banken vielleicht nicht direkt erhalten hätte, und kann folglich schneller wachsen. Es wird effizienter geführt als vorher, weil Alleingänge des Managements gegen die Interessen der Eigentümer kaum noch möglich sind. Und natürlich ist nicht jede Kritik per se Unsinn, nur weil sie von einem Investor stammt. Im besten Fall kann das Unternehmen also durchaus profitieren. Anders sieht die Sache aus, wenn sich das Umfeld verändert, die Renditeziele aber gleichbleibend hochgehalten werden. In diesem Fall ist Kostensenkung das einzige Mittel, die Forderungen der Banken zu bedienen; für unternehmerisch sinnvolle Entscheidungen und Investitionen bleibt kein Geld. Das Resultat: kurzfristiges Denken, Kostensenkungen und Personalabbau, exzessive Verschuldung, im schlimmsten Fall die Zerschlagung des Unternehmens oder (Teil-)Insolvenz.
„Ein guter Rat wird nicht bereits dadurch zu einem schlechten, dass er von einem Activist Investor stammt.“
Genau mit solchen Beispielen sind aktive Investoren immer wieder in die Medien gekommen – das geflügelte Wort der „Heuschrecken“ prägt die öffentliche und politische Diskussion. In den Medien werden die Beteiligungen oft negativ dargestellt. Das, so sieht es die Branche, liegt vor allem an der ungenügenden Kommunikation der Unternehmen. Man ignorierte den kulturellen Hintergrund in Deutschland, das mit dem angelsächsischen Phänomen der Beteiligungsgesellschaften nicht vertraut war. Außerdem agierte man gern hinter verschlossenen Türen und gab sich bei Nachfragen zuknöpft – ein idealer Nährboden für Spekulationen und Ängste. Kein Wunder, dass die Medien sich andere Gesprächspartner suchten. Klar auch, dass diese nicht immer die Interessen der Branche vertraten. Inzwischen hat man dazugelernt.
Vorbeugen ist besser als heilen
Die Kommunikationsfehler eines Unternehmens bieten aktiven Investoren einen zentralen Ansatzpunkt. Deren Erfolg wird in vielen Fällen überhaupt erst möglich, weil die Selbstwahrnehmung des Unternehmens von der öffentlichen Wahrnehmung abweicht. Um seine Ziele durchzusetzen, ist der aktive Investor ja auf Unterstützung von außen angewiesen. Er muss beispielsweise Altaktionäre davon überzeugen, dass seine Kritik und seine Forderungen berechtigt sind. Außerdem gehört es schon fast zum Standardrepertoire vieler Activists, das Management unter Beschuss zu nehmen. Das kann jedoch nur gelingen, wenn man Informationen bietet, die bislang noch weitgehend unbekannt sind.
„Für die ganz überwiegende Mehrzahl der börsennotierten deutschen Unternehmen zeichnet sich eine recht transparente Eigenkapitalgeberstruktur ab.“
Unternehmen sollten also sowohl in ihrer Öffentlichkeitsarbeit als auch in ihren Investor-Relations auf eine offene, transparente und nachhaltige Kommunikation setzen. Wichtig ist es, die Stakeholder aktiv darüber zu informieren, warum welche Managementstrategie verfolgt wird. Dies und ein offener Umgang mit eventuellen Problemen sind der beste Schutz vor überraschenden Attacken. Mit allgemein bekannten Sachverhalten kann man nun mal keinen Skandal mehr auslösen.
„Es wird wohl in den seltensten Fällen gelingen, aktionistischen Aktionären einen konkreten Rechtsmissbrauch vorzuwerfen.“
Trotz aller Kritik, trotz geplanter Regulierung und sinkender Renditen: Aktive Investoren haben sich etabliert und werden uns wohl auch weiterhin erhalten bleiben. Deshalb gilt für jedes Unternehmen: Vorbeugen ist besser als heilen. Feindliche Übernahmen, also Verkäufe hinter dem Rücken des Vorstands, sind aufgrund der hohen Imageschäden für die Beteiligungsgesellschaften relativ selten; üblicher ist die freundliche Übernahme. Viele Unternehmen haben inzwischen trotzdem ein so genanntes Defence-Handbook, eine Art Notfallplan, um im Falle eines Falles vorbereitet zu sein und zeitnah reagieren zu können.
„Der Dialog zwischen Beteiligungsmanagern und Politikern ist weitaus intensiver, als so manche öffentliche Rhetorik suggerieren mag.“
Wichtig ist auch, die eigene Inhaberstruktur genau zu analysieren. Oft genug kennen Unternehmen ihre Besitzer nicht genau und werden von den Aktionen der Activist Investors überrumpelt. Zwar wissen die großen Unternehmen in der Regel über ihre wichtigsten Investoren Bescheid und stehen auch in engem Kontakt mit ihnen. Dies gilt aber nicht unbedingt für die Fremdkapitalgeber. Aufgrund der Handelbarkeit von Krediten sind viele Firmen also nicht genau darüber im Bild, wer die eigentlichen Eigentümer sind. Aktive Investoren treten bereits lange Zeit vor ihrem eigentlichen Einstieg in Erscheinung, etwa bei Roadshows oder anderen Events. Eine gezielte Aufbereitung entsprechender Daten ist deshalb sinnvoll. Sie kann an spezialisierte Dienstleister ausgelagert werden. Die so gewonnene „Market-Intelligence“ soll garantieren, dass Tendenzen im Aktionariat frühzeitig erkannt werden. Dazu zählen beispielsweise eine Konzentration von Streubesitzaktien bei wenigen Investoren oder Verschiebungen in der Aktionärsstruktur. So kann man bereits bei ersten Anzeichen reagieren und viele Probleme oder kritische Situationen rechtzeitig entschärfen.
Umstrittene Bewertung
Die gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Beurteilung der aktiven Investoren ist umstritten. Als Pluspunkte werden erhöhte Liquidität, mehr Wachstumskapital und geringere Informationsasymmetrien zwischen Management und Anteilseignern genannt. Private-Equity-Firmen haben grundsätzlich ein Interesse daran, das Unternehmen nachhaltig zu führen: Nur so können sie den Wert der Firma steigern und bei einem Weiterverkauf entsprechende Gewinne erzielen. Die aktive Beteiligung der Investoren kann also zu effizienterem Management und steigendem Unternehmenswert führen. Das Resultat sind im Idealfall erfolgreiche Unternehmen und sichere Arbeitsplätze. Außerdem profitieren nicht nur die Gesellschaften von hohen Renditen, sondern auch die Allgemeinheit – letztlich ist es ja das Geld aus Lebensversicherungen, Fondssparplänen u. Ä., mit dem die Investoren ihre Geschäfte finanzieren.
„Alle Appelle zu mehr Moral in der Wirtschaft wirken wie Realsatire.“
Allerdings werden die hohen Verkaufsgewinne allein vom Investor kassiert. Der Fiskus geht oft leer aus, weil Beteiligungsgesellschaften in so genannten Steueroasen sitzen. Auch ist nicht erwiesen, dass das Engagement eines Activist Investors eine Wertsteigerung wirklich effizienter erreicht als das Management des betroffenen Unternehmens selbst. In der Praxis stehen nicht selten die Finanzinteressen der Kapitalgeber und entsprechend riskante Transaktionen im Vordergrund. Die Unternehmen stehen unter extremen Renditedruck, vielfach dominiert blanke Gier die Entscheidungen. Die Konsequenzen der rücksichtslosen Bereicherung einiger weniger sind hinlänglich bekannt. Juristisch kann gegen diese Aktivitäten jedoch kaum vorgegangen werden. Der Ruf nach mehr Moral in der Wirtschaft und nach Selbstbeschränkung der Akteure war schon immer weltfremd und ist es angesichts immer engerer globaler Verflechtungen noch mehr. Hier ist letztlich die Politik gefordert. Derzeit dominieren markige Sprüche die politische Arena. In der Praxis ist die Politik aber nicht ganz so negativ eingestellt, schließlich hat die öffentliche Hand bei ihren Privatisierungsbemühungen erheblich von Beteiligungskapital profitiert. Grundsätzlich will etwa die deutsche Bundesregierung Finanzinvestitionen fördern, nicht verhindern. Allerdings wird angesichts der jüngsten Entwicklungen und der Folgen der Finanzkrise vermehrt eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte gefordert.