Die Spekulationsblase
Die Reporter sind wie immer zur Stelle, als Warren Buffett im Juli 1999 seinen privaten Gulfstream-IV-Jet verlässt. Er besucht eine Konferenz in Sun Valley, die sich mit den Geschäfts- und Investitionsmöglichkeiten des Internets beschäftigt. Die Presseleute mögen Buffett. Er wirkt einfach, solide, normal. Er ist immer freundlich, höflich und schenkt ihnen das Lächeln eines Großvaters. Dabei ist dieser Mann eine Investmentlegende, bekannt als das „Orakel von Omaha“, und einer der reichsten Männer der Welt. Er besitzt fünf Häuser, Anteile an einer ganzen Flotte von Privatjets und hat es sogar irgendwie geschafft, zwei Frauen parallel zu haben.
„Über die ersten Buffetts in den USA weiß man nicht viel mehr, als dass sie Farmer waren.“
Auf dem Kongress in Sun Valley spielt Buffett das Menetekel an der Wand: Er warnt die hochkarätigen Investoren und Multimillionäre davor, den Aktienboom der vergangenen Jahre in die Zukunft fortzuschreiben. Man spottet über ihn, weil er von Internetunternehmen die Finger lässt, obwohl die ganze Welt heiß darauf ist. Doch Buffett soll recht behalten: Für ihn ist das Platzen der Spekulationsblase schon früh greifbar. Dafür hat er seine „innere Anzeigetafel“, wie er es nennt.
Kinderjahre eines Spekulanten
Auch wenn seine Vorfahren in den USA vermutlich einfache Farmer waren, wurde Warren Buffett die Leidenschaft für Geldgeschäfte bereits in die Wiege gelegt. Sein Vater Howard Buffett war Aktienhändler bei der Union State Bank in Omaha, Nebraska. 1927 stieg er in das Geschäft mit Wertpapieren ein, und zwar zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Der Schwarze Donnerstag, der 24. Oktober 1929, vernichtete an einem Tag satte 14 Milliarden Dollar. Howard wusste nicht, wie er seine Familie, darunter den am 30. August 1930 geborenen Warren, ernähren sollte.
„Warren war bereits als Kind vorsichtig.“
In seiner Verzweiflung gründete er selbst eine Investmentfirma – und hatte damit Erfolg. Während überall das Vertrauen in Banken und Wertpapiere schwand, gelang es Howard Buffett, die Gelder von Freunden und Bekannten in sichere Investments zu stecken. Der Gründungsmythos und die Familienlegende der Buffetts waren geboren.
„Die ersten paar Cents, die Warren Buffett je verdiente, kamen aus dem Verkauf von Kaugummipäckchen.“
Der kleine Warren ist ein introvertiertes Kind, das sich stundenlang mit einer Zahnbürste beschäftigen kann. Als er laufen lernt, ist er sehr vorsichtig, und diese Umsichtigkeit behält er auch in seiner Jugend bei. Er hat eine Schwäche für Zahlen und Wahrscheinlichkeiten. Zum Beispiel stoppt er die Zeit, die eine Murmel braucht, um in den Ausfluss der gefüllten Badewanne zu rollen. In der Kirche berechnet er aus den Geburts- und Sterbedaten der Kirchenmusiker im Gesangbuch, ob sie länger als der Durchschnitt der Bevölkerung gelebt haben. Die Schule ist für Warren zunächst eine willkommene Abwechslung, später langweilt sie ihn. Sportlichen Wettkämpfen weicht er aus. Obwohl er immer darum bemüht ist, von allen gemocht zu werden, scheint der kleine Warren oft ein einsames, verlorenes Kind zu sein.
Das erste Mal an der Börse
Warren entwickelt eine Sammelleidenschaft für Briefmarken und Flaschenverschlüsse. Am liebsten jedoch sammelt er Geld. Damit fängt er im Alter von sechs Jahren an. Er kauft im Laden seines Großvaters Kaugummipäckchen und verkauft sie mit Gewinn in der Nachbarschaft. Im Sommer besorgt er sich Pakete mit Cola und verkauft die Einzelflaschen an den Türen der Nachbarn oder am Strand, wenn er mit seinen Eltern zum Lake Okabiji nach Iowa fährt. Sechs Flaschen werfen fünf Cents Gewinn ab. Als Teenager zieht er sogar ein Geschäft mit Flipperautomaten auf, die er gebraucht kauft und in den Friseursalons der Stadt aufstellt.
„Warren dachte immer und überall an Zahlen, sogar in der Kirche.“
Als Warren zehn Jahre alt ist, nimmt ihn sein Vater mit an die Ostküste. In New York will Warren unbedingt die Börse besuchen. Zuvor lernt er den Investmentbanker Sidney Weinberg von Goldman Sachs kennen. Dieser weckt im kleinen Mann die Lust auf Aktienspekulationen. Für Warren Buffett sind dies einschneidende Erlebnisse: Die Börse, so meint er, muss wahre Ströme von Geld über diejenigen ausschütten, die wissen, wie das Spiel funktioniert. Er will einer davon werden.
Eine Welt voller Schnee
Mit 35 die erste Million: Diesen Vorsatz fasst Warren Buffett im Alter von zehn Jahren, ermuntert durch ein Buch, das 1000 Möglichkeiten verspricht, 1000 $ zu verdienen. Es macht ihn vor allem auf den Zinseszinseffekt aufmerksam: Mit 1000 $, die eine Rendite von 10 % bringen, könnte man in fünf Jahren 1600, in zehn Jahren knapp 2600 und in 25 Jahren mehr als 10 800 $ verdienen. Warren sieht vor seinem geistigen Auge Geld auftauchen, das sich wie ein Schneeball vermehrt, der einen Hang hinunterrollt. Die Welt ist voller Schnee. Und sein Schneeball würde der größte werden!
„Als er bei seinem Freund Stu Erickson auf der Veranda saß, verkündete Warren, er werde mit 35 Jahren Millionär sein.“
1947 schließt Warren die Highschool ab. Unter seinem Abschlussfoto steht „zukünftiger Aktienhändler“. Seine Eltern reservieren für ihn eine Studentenbude an der Wharton Business School, wo er seinem Zimmernachbarn mit seiner unbeholfenen Schlampigkeit auf den Wecker geht.
Im Anschluss an seine Zeit an der Wharton School geht Buffett an die Columbia Universität in New York. Hier macht er 1951 seinen Abschluss. Danach kehrt er nach Nebraska zurück, um in der Firma seines Vaters zu arbeiten. In Omaha erprobt er seine – dem Erfolgstrainer Dale Carnegie abgeschauten – Fähigkeiten der Kommunikation, indem er einen Abendkurs an der Universität von Omaha anbietet. Das Thema: Profitables Investieren.
„Mit Mädchen hatte Warren immer große Probleme gehabt.“
Buffett will nicht nur Investor, sondern auch Lehrer sein, wie sein großes Vorbild Benjamin Graham, bei dem er an der Universität Vorlesungen gehört hat. Privat ändert sich viel für den schüchternen jungen Mann: 1952 heiratet er seine große Liebe Susan Thompson. Mit ihr hat er in kurzer Folge drei Kinder.
Das Buffett-Imperium
Im August 1954 wird für Warren ein Traum wahr: Er übersiedelt mit seiner kleinen Familie nach New York und nimmt bei seinem ehemaligen Lehrer Graham einen Job als Analyst an. Innerhalb der folgenden Monate steigt Warren zu einem potenziellen Partner von Graham und dessen Kompagnon Jerry Newman auf.
„Dale Carnegie hatte gesagt, man müsse den Menschen einen guten Ruf geben, dem sie dann gerecht werden könnten, und Buffett hatte aus diesem Ratschlag seine Lehren gezogen. Er war ein Meister des Carnegisierens.“
Mit Hingabe hängt er sich in schwierige Arbitrage-Geschäfte und kaum jemand kann sich mit seinem Instinkt und seinem Zahlenverständnis messen. Kein Wunder, dass Graham dem 26-Jährigen einen Einstieg ins Unternehmen anbietet. Allerdings will der Firmengründer selbst aussteigen, den Job an den Nagel hängen und sein Leben genießen. Obwohl ihm das Angebot schmeichelt, lehnt Warren ab. Mit einem Vermögen von 174 000 $ kehrt er nach Omaha zurück und will sich „zur Ruhe setzen“.
„Er war nicht dafür geschaffen, mit einem Partner zusammenzuarbeiten – am allerwenigsten als der Juniorpartner von irgendjemandem.“
Anders ausgedrückt: Er macht eine eigene Investmentgesellschaft auf, die nach der bei Graham praktizierten Fundamentalanalyse Aktien bewertet und handelt. Das Prinzip: Unterbewertete Firmen finden, investieren und schließlich absahnen.
Buffett Associates gelingt es, in den kommenden Jahren eine Rendite von durchschnittlich 30 % zu erzielen. Warren wirbt Investoren im Bekanntenkreis an, darunter seine Schwester und seinen Schwiegervater. Er steckt die Hälfte der Gewinne jenseits von 4 % als Managementgebühr in die eigene Tasche, übernimmt aber auch ein großes Risiko für Verluste. Zu der ersten Firma kommen weitere Partnergesellschaften hinzu, die aufgrund Buffetts guter Entscheidungen hochprofitabel arbeiten.
„Der Zinseszins, dieser massive Motor, arbeitete für ihn mit exponentiellem Tempo und unter dem strengen, doch zunehmend wohlwollenden Blick der Öffentlichkeit.“
Warren rechnet immer mit der Zukunft. Wenn er eine bestimmte Summe betrachtet, kann er es nicht lassen, sich zu überlegen, was diese Summe in 15, 20 oder 25 Jahren Wert sein wird. Das führt zu endlosen Diskussionen mit seiner Frau, die drei Kinder zu betreuen und ihr erstes eigenes Haus einzurichten hat. Warrens Aussage „Will ich wirklich 30 000 $ für eine neue Frisur zahlen?“ bringt sein fortwährendes Denken an den Zinseszins auf den Punkt.
„Buffett schwang mit rücksichtsloser Akribie den Säbel; Wirtschaftsprüfer gingen in Deckung; Vergütungsausschüsse murmelten, der Kerl solle doch einfach den Mund halten, statt die überzogenen Boni öffentlich zu machen.“
Das Leben ist immer noch ein Schneeball für ihn. In Haushaltsdingen und im Umgang mit den eigenen Kindern bleibt Warren ein blutiger Anfänger: Nie spielt er freiwillig mit den Kleinen, und als sich seine Frau einmal schlecht fühlt und sich übergeben muss, bringt er ihr ein Sieb statt einer Schüssel.
Investieren mit eisernen Regeln
Zu Beginn des Jahres 1962 vereinigt Buffett alle einzelnen Personengesellschaften zu seinem neuen Unternehmen Buffett Partnership Ltd. Er hat sein Ziel erreicht, ist Millionär, managt rund 7,2 Millionen Dollar und ist sogar erfolgreicher als sein Lehrer Graham. Nun geht er auch daran, ganze Unternehmen zu kaufen, darunter den Textilhersteller Berkshire Hathaway. Das Unternehmen macht ihm Schwierigkeiten. 1966 will er es verkaufen, findet aber keinen Abnehmer im Kreis seiner Vertrauten. Um das Unternehmen nicht länger künstlich am Leben erhalten zu müssen, schließt er die Fabriken, entlässt alle Mitarbeiter und wandelt es 1969 zur Holding seiner neuen Investmentgesellschaft um.
„Buffett schien zu gedeihen wie eine Weinrebe, während er allmählich in überlebensgroße Dimensionen hineinwuchs.“
Buffett fügt zwei Regeln zum Kanon seiner persönlichen Investitionsgesetze hinzu: Er will die Finger von Unternehmen lassen, deren Geschäft er nicht versteht – und dazu gehört fast der gesamte Technologiesektor. Er will außerdem in kein Unternehmen mehr investieren, bei dem „schwerwiegende menschliche Probleme“ aufkommen können. Damit meint er Streiks, Fabrikschließungen, Massenentlassungen.
„Balzac sagte einmal, dass hinter jedem großen Vermögen ein Verbrechen steckt. Auf Berkshire trifft das nicht zu.“ (Waren Buffet)
Menschliche Probleme gibt es auch in Warrens Privatleben: Nachdem sein Vermögen auf zehn Millionen Dollar angewachsen ist, misstraut seine Frau seiner früheren Aussage, dass er ab dieser Marke kürzer treten will. 1977, als Buffett so erfolgreich ist, dass er ein Vermögen von über 70 Millionen angehäuft hat, und ungeachtet seiner schwachen Konstitution immer noch nicht zurückstecken will, trifft Susan eine Entscheidung. Sie trennt sich räumlich von ihrem Mann, zieht nach San Francisco, startet eine Karriere als Sängerin und hat auch nichts dagegen, dass sich fortan die 32-jährige Astrid Menks um ihren Mann kümmert und bei ihm einzieht.
Der reichste Mann der Welt
Zu diesem Zeitpunkt ist Buffett längst kein unbekannter Investmentmanager aus Nebraska mehr. Anfang der 70er Jahre veröffentlicht der Finanzbuchautor George Goodman ein Buch mit dem Namen Supermoney und widmet Buffett darin ein eigenes Kapitel, in dem dieser außerordentlich positiv dargestellt wird. Plötzlich ist er innerhalb der Szene eine Berühmtheit. Seinen 50. Geburtstag feiert er im Metropolitan Club in New York. Der Wert von Berkshire Hathaway ist seit der Ausgabe der Aktien zu 43 $ auf 375 $ pro Aktie gewachsen. Doch es soll noch weiter aufwärts gehen. Bis 1991 wächst Buffetts Vermögen auf 3,8 Milliarden Dollar.
Noch stolzer als auf seinen Reichtum ist Buffett auf seine gute Reputation. Dass er als bodenständig und vertrauenswürdig gilt, kommt ihm zugute, als er Anfang der 90er Jahre die Investmentbank Salomon Brothers als Interimsmanager aus einer ernsten Krise führt. Zu diesem Zeitpunkt ist Berkshire Hathaway mit immerhin 700 Millionen Dollar an der Bank beteiligt.
Im Jahr 2004 stirbt Buffetts Frau an einer Hirnblutung. Zwei Jahre später heiratet er Astrid Menks. Im Sommer 2006 gibt er bekannt, dass er in den kommenden Jahren 85 % seiner Berkshire-Anteile an Stiftungen spenden will. Anlässlich der Finanzkrise von 2008 sagte er eine tiefe und lange Rezession voraus. Ebenfalls 2008 erstürmt Buffett die Spitzenposition der Rangliste der reichsten Männer der Welt. Der Traum des kleinen Jungen ist wahr geworden. Sein Schneeball hat gigantische Ausmaße angenommen.