Steve Jobs' kleines Weißbuch

Buch Steve Jobs' kleines Weißbuch

Die bahnbrechenden Managementprinzipien eines Revolutionärs

FinanzBuch,


Rezension

Umberto Eco hat es treffend ausgedrückt: „Der Macintosh ist katholisch: Das Wesen der Offenbarung wird in einfachen Formeln und prachtvollen Ikonen abgehandelt. Jeder hat das Recht auf Erlösung.“ Und Steve Jobs, Chef der berühmtesten Obstfirma der Welt und Ho­he­p­riester der Konsumsekte unserer Tage, weiß, was seine Schäfchen wollen: mit dem iPod an der Hüfte ganz lässig eine Spur im Universum hin­ter­lassen. Buchautor Leander Kahney versucht erst gar nicht, seine Verehrung für den Guru zu verbergen. Zwar zitiert er brav die Kritiker und Mahner, relativiert aber stets deren Bedenken hin­sichtlich Jobs’ Führungsstil oder Pro­duk­t­philoso­phie. Kahney erzählt auf un­ter­halt­same Weise von Apples wirtschaftlicher Achterbahn und spart nicht mit erbaulichen Anekdoten, etwa jener, dass die Familie Jobs einmal zwei Wochen über den Kauf der perfekten Waschmas­chine debattierte und sich am Ende für ein deutsches Fabrikat entschied. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die sich für Steve Jobs’ schillernde Persönlichkeit, für Com­put­ergeschichte und für Pro­duk­t­de­sign in­ter­essieren.

Take-aways

  • iMac, iPod, iPhone – Steve Jobs hat Apple einen Verkaufshit nach dem anderen beschert.
  • Als er 1997 nach zwölfjähriger Abwesenheit zu dem Unternehmen zurückkehrte, stand es vor dem Bankrott.
  • Er besann sich auf das Wesentliche und strich das Pro­duk­t­port­fo­lio von 40 auf vier Geräte zusammen.
  • Mittelmäßige und illoyale Mitarbeiter wurden „gesteved“. Die besten hält er bis heute.
  • Die Kunst des Ap­ple-De­signs besteht im Weglassen.
  • Die eigen­willige, oft provozierende Werbung feiert das Marken­er­leb­nis und gibt Nutzern das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.
  • Steve Jobs ködert die Medien mit Geheimnistuerei und indem er die Gerüchteküche anheizt.
  • Die ständige Medienpräsenz ist Gratis-PR im Wert von Hunderten Millionen Dollar.
  • Jobs’ Vision wird zur Wach­s­tumsstrate­gie: der Computer als digitale Schnittstelle im Un­ter­hal­tungszeital­ter.
  • Die Kunden sollen alles von Apple kaufen. Die vertikale Integration der Produkte entspricht Jobs’ Kon­troll­manie.
 

Zusammenfassung

Der Sanierer

Steve Jobs hat eine unbequeme Persönlichkeit: Er gilt als besessen, un­berechen­bar und kontrollsüchtig – oder etwas positiver ausgedrückt: als per­fek­tion­is­tisch und de­tail­ver­liebt. Wahrschein­lich wurde gerade deshalb fast alles, was Jobs in den vergangenen zehn Jahren anfasste, zu Gold. So erreichte der iPod 2007 in den USA einen Marktanteil von nahezu 90 %. Jobs hatte Apple Ende der 1970er mit einem Freund in seinem Schlafz­im­mer gegründet, musste das Unternehmen aber 1985 nach einem verlorenen Machtkampf verlassen. Als er im Sommer 1997 zu Apple zurückkehrte, war das einstige Vorzeige­un­ternehmen fast bankrott. Der Marktanteil war von 10 auf 3 % gesunken, die Aktie befand sich im freien Fall.

„Jobs hat seine Interessen und Charak­tereigen­schaften – Be­sessen­heit, Narzissmus, Per­fek­tion­is­mus – zum Marken­ze­ichen seiner Karriere gemacht.“

Das Ergebnis von Jobs’ Prob­le­m­analyse am ersten Tag als alter und neuer Chef lautete schlicht: „Die Produkte sind Mist! An ihnen ist nichts mehr sexy.“ Es gab 40 ver­schiedene Geräte mit kryptischen Namen, und kaum jemand gelang es, zwischen den unzähligen Modellen zu un­ter­schei­den. Außerdem war die Or­gan­i­sa­tion ein Chaos. Tausende von Ingenieuren hatten zwar brillante Ideen, taten aber nichts, um sie in funk­tion­ierende Produkte zu verwandeln.

„Ganz klar: Irgendetwas macht er richtig.“

Jobs räumte in Windeseile auf: Er hörte sich an, was jede Pro­duk­t­gruppe zu sagen hatte, und setzte dann den Rotstift an. Alles, was nicht profitabel war, flog raus. Er konzen­tri­erte sich auf das absolut Wesentliche und strich das Pro­duk­t­port­fo­lio auf vier Geräte zusammen: je einen Desktop und Laptop für private und pro­fes­sionelle Benutzer. Zudem nahm er Ver­hand­lun­gen mit Bill Gates auf. Er ließ die langjährigen Pla­giatsvorwürfe wegen des Win­dows-Be­trieb­ssys­tems fallen, und Gates versicherte im Gegenzug, die leben­snotwendige Of­fice-Suite weiter für den Mac zu entwickeln.

„Er ist ein Snob, der die meisten Leute für Idioten hält, aber er baut Apparate, die so leicht zu bedienen sind, dass ein Idiot sie bedienen kann.“

Schließlich erhöhte Jobs das Werbebudget von 15 auf 100 Millionen Dollar und entließ Tausende Mitarbeiter. Einer unbestätigten Legende zufolge unterzog er viele von ihnen einem Kreuzverhör im Fahrstuhl. Wenn ihm die Antworten der Mitarbeiter nicht passten, wurden sie „gesteved“ (gefeuert). Der Begriff avancierte später zum Jar­gon-Aus­druck für gestorbene Tech-Pro­jekte.

Der Neinsager

Die Strategie ging auf. Alle vier Computer verkauften sich gut. Ein echter Hit wurde der bon­bon­far­bene iMac. Bei dessen Entwicklung vermied Jobs bewusst den „Feature Creep“, d. h. die ständig wachsende Komplexität neuer Geräte, die Kunden unnötig verwirrt. Stattdessen sagten er und seine Pro­duk­t­de­signer immer wieder Nein: Der iMac kam 1998 ohne Disket­ten­laufw­erk, dafür aber mit USB-Schnittstelle auf die Welt und somit quasi in der Zukunft an.

„Beim En­twick­lung­sprozess achtet Apple vor allem darauf, Dinge zu vere­in­fachen.“

Apples wichtigstes Er­fol­gs­ge­heim­nis ist die Verbindung aus Design und Einfachheit. Die Produkte werden aus Sicht der Kunden entworfen, und die sind vor allem bequem. Was bei einer Neuen­twick­lung weggelassen wird, ist wichtiger, als was reinkommt. Jobs traf damit den Nerv der meisten Nutzer. Einer Studie zufolge probiert der durch­schnit­tliche Amerikaner ein neues Gerät maximal 20 Minuten aus, bevor er es entnervt zurückgibt. Jobs hält nichts von Be­nutzerge­sprächsrunden und Mark­t­be­fra­gun­gen. Er testet lieber selbst, ob er mit einem Gerät klarkommt. Wenn nicht, so sein Urteil, wird es auch für den Kunden zu kompliziert sein.

Der Designer

Für die einen ist Steve Jobs nur pedantisch und per­fek­tion­is­tisch, andere sehen in diesen Eigen­schaften die unablässige Suche nach Ästhetik und Exzellenz. Jobs’ Prinzipien:

  • Design hat Priorität: Es ist die „Seele“ der Firma und wird nicht ausgelagert.
  • Jobs gibt sich nie mit dem Erstbesten zufrieden. Apples Verkauf­ss­chlager sind die Ergebnisse endloser Entwurfs- und Pro­to­typ­sta­dien.
  • Die Produkte werden nicht von einer Abteilung an die andere weit­erg­ere­icht, sondern von Designern, Ingenieuren, Pro­gram­mier­ern und Mar­ket­ingleuten gle­ichzeitig entwickelt.
  • Design ist nie bloßes Dekor. Es bestimmt, wie ein Produkt funk­tion­iert.
  • Design spricht Gefühle an: Jobs forderte bei der Entwicklung des ursprünglichen Mac, diesem ein „fre­undliches“ und „in­tel­li­gentes“ Aussehen zu geben.
  • Das Material ist die Aus­gangs­ba­sis; seine Qualitäten entscheiden, wie ein späteres Produkt aussehen wird.
  • Je einfacher etwas aussieht, desto aufwändiger ist das Design. Ziel ist es, kom­plizierte Probleme so zu lösen, dass man sie dem Endprodukt nicht ansieht.
  • Schon beim Auspacken soll der Benutzer begreifen, wie ein Gerät funk­tion­iert. Diese „Aus­pack­rou­tine“ ist heute in der gesamten High­tech­branche Standard.

Der Missionar

Jobs hat den Ruf, ein despo­tis­cher Chef zu sein. Dennoch ist es ihm gelungen, ein kleines, aber loyales Team der besten Designer, Ingenieure und Pro­gram­mierer weltweit um sich zu versammeln. Er kultiviert das Elitedenken geradezu. Die Welt teilt sich für ihn in Genies und Idioten. Das wird am Beispiel der Firma Pixar deutlich, die Jobs 1986 für zehn Millionen Dollar gekauft und 2006 für 7,4 Milliarden Dollar an Disney verkauft hat. Im Gegensatz zu Hollywood, wo Filme mit freiberu­flichen Autoren und Regisseuren pro­jek­tweise gedreht werden, arbeitet hier ein Team von Fes­tangestell­ten. Das Firmengelände sieht aus wie ein Freizeit­park für Kreative, komplett mit Swim­ming­pool und individuell gestalteten Strandhütten als Arbeitsplätzen. In der Pixar University können die Mitarbeiter sich in Kunst, Animation und Filmemachen weit­er­bilden, egal ob sie Hausmeister oder Abteilungsleiter sind. Kurz: Die Arbeit bei Pixar macht Spaß und bietet En­twick­lungsmöglichkeiten. Nur so konnte Jobs an der Konkurrenz vor­beiziehen.

„Jobs lebte während der frühen 80er Jahre bekanntermaßen fast ohne Möbel in einer Villa, weil er min­der­w­er­tige Ein­rich­tungs­ge­genstände nicht ertragen konnte.“

Die Kehrseite dieser Per­son­alpoli­tik: Wer Jobs’ Ansprüchen nicht genügt, wird aussortiert. Er will nur die Besten, und von ihnen so wenige wie irgend möglich. Jobs treibt Mitarbeiter an wie ein Guru seine Jünger, indem er sich auf Höheres (die Arbeit an „revolutionären Produkten“) beruft. Wer sich seinen Respekt verschaffen will, schiebt ohne Murren Überstunden und überlebt auch die berüchtigte „Held-Ar­schloch-Achter­bahn“ bei Apple: An einem Tag ist man oben, am nächsten wieder unten. Die Moral davon für Führungskräfte:

  • Stecken Sie Mitarbeiter mit Ihrer Lei­den­schaft und Ihren visionären Ideen an.
  • Bezahlen Sie sie so weit wie möglich mit Ak­tienop­tio­nen. Das steigert die Motivation, wie besessen für das Unternehmen zu arbeiten.
  • Treten Sie als autoritäre Vaterfigur auf – geliebt und gefürchtet zugleich. Im sozial­wis­senschaftlichen Jargon heißen diese Man­ager­typen „Einschüchterer“.
  • Schwingen Sie öffentlich die Peitsche, sparen Sie aber auch nicht am Zuckerbrot, wenn Ihre Mitarbeiter es verdient haben.

Der Gerüchtekoch

Apples Werbung spricht das Herz der Kunden an und gibt ihnen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Sie spielt geschickt mit der Markenpersönlichkeit des Un­ternehmens, dem Mythos des coolen, revolutionären Underdogs. Und sie wird oft als kulturelles Phänomen auf den Feuil­leton­seiten diskutiert oder landet auf Hochglanz­plakaten in Wohnzimmern. Obwohl das Ganze spielerisch daherkommt, folgt Apples Marketing einer präzisen Chore­ografie: Vor der Veröffentlichung eines neuen Produkts wird unter strengster Geheimhal­tung die Gerüchteküche angeheizt. Apple erhält durch die intensive Me­di­en­berichter­stat­tung kostenlose Werbung in Millionenhöhe – vor der Macworld 2007, auf der Jobs das iPhone vorstellte, waren es geschätzte 400 Millionen Dollar. Jobs lässt sich von den Jour­nal­is­ten aus der Hand fressen: Nur die drei größten US-Rezensen­ten erhalten unter der Bedingung strenger Sper­rfris­ten ein Probe­pro­dukt. Rivalen spielt er gegeneinan­der aus. Die Folge ist maximale Berichter­stat­tung bei einer Preisgabe minimaler Information. Diese Strategie funk­tion­iert, weil Jobs sein Unternehmen wie einen Geheim­di­enst führt. Mit der Ehefrau über die Arbeit bei Apple zu reden, ist z. B. ein Kündi­gungs­grund. Die Schlüsse­labteilun­gen werden mit Hochsicher­heitss­chlössern und Wachleuten vor den gefürchteten In­dus­tries­pi­o­nen und Bloggern geschützt.

Der Innovator

Jobs hat nie selbst ein Produkt erfunden oder entwickelt. Dennoch tragen alle Verkauf­ss­chlager aus dem Haus Apple seinen Stempel. Er ist der legendärste „product picker“ im Silicon Valley und hat den richtigen Riecher dafür, welches Produkt wann auf den Markt geworfen werden soll. In­no­va­tionswork­shops, in denen die Teilnehmer mithilfe von Legosteinen freie Assoziation trainieren, findet Jobs lächerlich. Innovation bedeutet für ihn Querdenken, Mut zum Risiko, Flexibilität sowie die Bere­itschaft, Tech­nolo­gien den Kundenbedürfnissen anzupassen und eine klare Strategie zu formulieren. Auf der Macworld 2001 verkündete Jobs die Strategie, den Computer als digitale Schnittstelle für die rasch wachsende Zahl an digitalen Endgeräten einzusetzen. Sicher, die ersten MP3-Player oder Smartphones haben andere gebaut. Aber Jobs hat ihr Potenzial früh erkannt, sie be­nutzer­fre­undlich entwickelt, ihnen ein elegantes Design verpasst und sie erfolgreich vermarktet. Er selbst zitiert Picasso: „Gute Künstler kopieren, großartige Künstler stehlen.“

Der Einzelhändler

2001 wurde das erste Apple-Geschäft in Kalifornien eröffnet. Es avancierte zur größten Er­fol­gs­geschichte des Einzel­han­dels. Ein Laden erzielt heute annähernd so viel Ertrag wie ein großer Elek­tronik-Dis­counter – auf 10 % der Einkaufsfläche. Beim Start des Abenteuers schüttelten Branchenken­ner die Köpfe und sagten Apple einen schnellen Tod voraus. Der Zeitpunkt für das Experiment – kurz nach dem Platzen der In­ter­net­blase – schien denkbar schlecht gewählt. Doch sechs Monate später kam der erste iPod heraus. Die Kunden strömten in die Läden, um ihn zu kaufen, und freundeten sich bei der Gelegenheit gleich mit dem Mac an. Apple wählt die besten Lagen für seine Geschäfte, um Laufkund­schaft anzuziehen. Gut geschulte Mitarbeiter verkaufen dort nicht etwa elek­tro­n­is­che Produkte, sondern Lifestyle.

„Das Mac-En­twick­lung­steam arbeitete so hart, dass es ein Ehren­abze­ichen bekam. Jeder erhielt einen Pullover mit der Aufschrift: ,90 hours a week and loving it‘.“

Die Strategie der digitalen Schnittstelle wird eins zu eins umgesetzt: Im Laden können Besucher Apple-Geräte und Software aus­pro­bieren. Es gibt un­be­gren­zten In­ter­net­zu­gang, Kurse zur digitalen Bild­bear­beitung, Vorträge von Kreativprofis oder Ban­dauftritte. An der überaus er­fol­gre­ichen „Genius Bar“ können Kunden mit dem Personal Probleme besprechen und ihre Geräte zur schnellen Reparatur abgeben. Die Verkäufer arbeiten nicht auf Pro­vi­sions­ba­sis. Sie sollen sym­pa­this­che Verbündete der Kunden sein und nicht auf deren Brieftasche schielen.

Der Kon­troll­f­reak

Jobs wollte schon immer alles kon­trol­lieren. Deshalb machte Apple den Benutzern das Herum­basteln und Erweitern stets schwer. Das war im Com­put­ergeschäft mit seinen vielen Freaks lange ein Nachteil, seit Anbruch des Zeitalters digitaler Un­ter­hal­tung ist es aber ein Plus: Die meisten Verbraucher wünschen sich id­ioten­sichere Geräte zum Abspielen und gele­gentlichen Bearbeiten von Musik und Video. Jobs’ Kon­troll­manie macht sich nun bezahlt.

„Jobs’ Motto ist: Ein Arschloch zu sein ist okay, solange man ein lei­den­schaftliches Arschloch ist.“

Zwar schäumten viele Fans und Kritiker, als er den iPod und iTunes sowie das iPhone anfangs als geschlossene Systeme präsentierte. Doch Jobs versprach, Geräte für den Massenmarkt anzubieten, die stabil und zuverlässig funk­tion­ieren – und dieses Versprechen hält er ein. Die Al­ter­na­tiven zu iPod und iTunes waren lange Zeit notorisch unsicher und fummelig in der Handhabung, weil Geräte und Software in un­ter­schiedlichen Häusern entstanden, die schlecht zusam­me­nar­beit­eten. Apple hingegen kon­trol­liert und verzahnt das gesamte System miteinander. Jobs war in jüngster Zeit so erfolgreich damit, dass nun auch andere Firmen wie beispiel­sweise Nokia oder Sony zu Apples Modell der vertikalen Integration zurückkehren.

Über den Autor

Leander Kahney ist Redakteur bei dem US-On­linepor­tal wired.com. Außerdem betreibt er den „Cult of Mac blog“.