Der Sanierer
Steve Jobs hat eine unbequeme Persönlichkeit: Er gilt als besessen, unberechenbar und kontrollsüchtig – oder etwas positiver ausgedrückt: als perfektionistisch und detailverliebt. Wahrscheinlich wurde gerade deshalb fast alles, was Jobs in den vergangenen zehn Jahren anfasste, zu Gold. So erreichte der iPod 2007 in den USA einen Marktanteil von nahezu 90 %. Jobs hatte Apple Ende der 1970er mit einem Freund in seinem Schlafzimmer gegründet, musste das Unternehmen aber 1985 nach einem verlorenen Machtkampf verlassen. Als er im Sommer 1997 zu Apple zurückkehrte, war das einstige Vorzeigeunternehmen fast bankrott. Der Marktanteil war von 10 auf 3 % gesunken, die Aktie befand sich im freien Fall.
„Jobs hat seine Interessen und Charaktereigenschaften – Besessenheit, Narzissmus, Perfektionismus – zum Markenzeichen seiner Karriere gemacht.“
Das Ergebnis von Jobs’ Problemanalyse am ersten Tag als alter und neuer Chef lautete schlicht: „Die Produkte sind Mist! An ihnen ist nichts mehr sexy.“ Es gab 40 verschiedene Geräte mit kryptischen Namen, und kaum jemand gelang es, zwischen den unzähligen Modellen zu unterscheiden. Außerdem war die Organisation ein Chaos. Tausende von Ingenieuren hatten zwar brillante Ideen, taten aber nichts, um sie in funktionierende Produkte zu verwandeln.
„Ganz klar: Irgendetwas macht er richtig.“
Jobs räumte in Windeseile auf: Er hörte sich an, was jede Produktgruppe zu sagen hatte, und setzte dann den Rotstift an. Alles, was nicht profitabel war, flog raus. Er konzentrierte sich auf das absolut Wesentliche und strich das Produktportfolio auf vier Geräte zusammen: je einen Desktop und Laptop für private und professionelle Benutzer. Zudem nahm er Verhandlungen mit Bill Gates auf. Er ließ die langjährigen Plagiatsvorwürfe wegen des Windows-Betriebssystems fallen, und Gates versicherte im Gegenzug, die lebensnotwendige Office-Suite weiter für den Mac zu entwickeln.
„Er ist ein Snob, der die meisten Leute für Idioten hält, aber er baut Apparate, die so leicht zu bedienen sind, dass ein Idiot sie bedienen kann.“
Schließlich erhöhte Jobs das Werbebudget von 15 auf 100 Millionen Dollar und entließ Tausende Mitarbeiter. Einer unbestätigten Legende zufolge unterzog er viele von ihnen einem Kreuzverhör im Fahrstuhl. Wenn ihm die Antworten der Mitarbeiter nicht passten, wurden sie „gesteved“ (gefeuert). Der Begriff avancierte später zum Jargon-Ausdruck für gestorbene Tech-Projekte.
Der Neinsager
Die Strategie ging auf. Alle vier Computer verkauften sich gut. Ein echter Hit wurde der bonbonfarbene iMac. Bei dessen Entwicklung vermied Jobs bewusst den „Feature Creep“, d. h. die ständig wachsende Komplexität neuer Geräte, die Kunden unnötig verwirrt. Stattdessen sagten er und seine Produktdesigner immer wieder Nein: Der iMac kam 1998 ohne Diskettenlaufwerk, dafür aber mit USB-Schnittstelle auf die Welt und somit quasi in der Zukunft an.
„Beim Entwicklungsprozess achtet Apple vor allem darauf, Dinge zu vereinfachen.“
Apples wichtigstes Erfolgsgeheimnis ist die Verbindung aus Design und Einfachheit. Die Produkte werden aus Sicht der Kunden entworfen, und die sind vor allem bequem. Was bei einer Neuentwicklung weggelassen wird, ist wichtiger, als was reinkommt. Jobs traf damit den Nerv der meisten Nutzer. Einer Studie zufolge probiert der durchschnittliche Amerikaner ein neues Gerät maximal 20 Minuten aus, bevor er es entnervt zurückgibt. Jobs hält nichts von Benutzergesprächsrunden und Marktbefragungen. Er testet lieber selbst, ob er mit einem Gerät klarkommt. Wenn nicht, so sein Urteil, wird es auch für den Kunden zu kompliziert sein.
Der Designer
Für die einen ist Steve Jobs nur pedantisch und perfektionistisch, andere sehen in diesen Eigenschaften die unablässige Suche nach Ästhetik und Exzellenz. Jobs’ Prinzipien:
- Design hat Priorität: Es ist die „Seele“ der Firma und wird nicht ausgelagert.
- Jobs gibt sich nie mit dem Erstbesten zufrieden. Apples Verkaufsschlager sind die Ergebnisse endloser Entwurfs- und Prototypstadien.
- Die Produkte werden nicht von einer Abteilung an die andere weitergereicht, sondern von Designern, Ingenieuren, Programmierern und Marketingleuten gleichzeitig entwickelt.
- Design ist nie bloßes Dekor. Es bestimmt, wie ein Produkt funktioniert.
- Design spricht Gefühle an: Jobs forderte bei der Entwicklung des ursprünglichen Mac, diesem ein „freundliches“ und „intelligentes“ Aussehen zu geben.
- Das Material ist die Ausgangsbasis; seine Qualitäten entscheiden, wie ein späteres Produkt aussehen wird.
- Je einfacher etwas aussieht, desto aufwändiger ist das Design. Ziel ist es, komplizierte Probleme so zu lösen, dass man sie dem Endprodukt nicht ansieht.
- Schon beim Auspacken soll der Benutzer begreifen, wie ein Gerät funktioniert. Diese „Auspackroutine“ ist heute in der gesamten Hightechbranche Standard.
Der Missionar
Jobs hat den Ruf, ein despotischer Chef zu sein. Dennoch ist es ihm gelungen, ein kleines, aber loyales Team der besten Designer, Ingenieure und Programmierer weltweit um sich zu versammeln. Er kultiviert das Elitedenken geradezu. Die Welt teilt sich für ihn in Genies und Idioten. Das wird am Beispiel der Firma Pixar deutlich, die Jobs 1986 für zehn Millionen Dollar gekauft und 2006 für 7,4 Milliarden Dollar an Disney verkauft hat. Im Gegensatz zu Hollywood, wo Filme mit freiberuflichen Autoren und Regisseuren projektweise gedreht werden, arbeitet hier ein Team von Festangestellten. Das Firmengelände sieht aus wie ein Freizeitpark für Kreative, komplett mit Swimmingpool und individuell gestalteten Strandhütten als Arbeitsplätzen. In der Pixar University können die Mitarbeiter sich in Kunst, Animation und Filmemachen weiterbilden, egal ob sie Hausmeister oder Abteilungsleiter sind. Kurz: Die Arbeit bei Pixar macht Spaß und bietet Entwicklungsmöglichkeiten. Nur so konnte Jobs an der Konkurrenz vorbeiziehen.
„Jobs lebte während der frühen 80er Jahre bekanntermaßen fast ohne Möbel in einer Villa, weil er minderwertige Einrichtungsgegenstände nicht ertragen konnte.“
Die Kehrseite dieser Personalpolitik: Wer Jobs’ Ansprüchen nicht genügt, wird aussortiert. Er will nur die Besten, und von ihnen so wenige wie irgend möglich. Jobs treibt Mitarbeiter an wie ein Guru seine Jünger, indem er sich auf Höheres (die Arbeit an „revolutionären Produkten“) beruft. Wer sich seinen Respekt verschaffen will, schiebt ohne Murren Überstunden und überlebt auch die berüchtigte „Held-Arschloch-Achterbahn“ bei Apple: An einem Tag ist man oben, am nächsten wieder unten. Die Moral davon für Führungskräfte:
- Stecken Sie Mitarbeiter mit Ihrer Leidenschaft und Ihren visionären Ideen an.
- Bezahlen Sie sie so weit wie möglich mit Aktienoptionen. Das steigert die Motivation, wie besessen für das Unternehmen zu arbeiten.
- Treten Sie als autoritäre Vaterfigur auf – geliebt und gefürchtet zugleich. Im sozialwissenschaftlichen Jargon heißen diese Managertypen „Einschüchterer“.
- Schwingen Sie öffentlich die Peitsche, sparen Sie aber auch nicht am Zuckerbrot, wenn Ihre Mitarbeiter es verdient haben.
Der Gerüchtekoch
Apples Werbung spricht das Herz der Kunden an und gibt ihnen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Sie spielt geschickt mit der Markenpersönlichkeit des Unternehmens, dem Mythos des coolen, revolutionären Underdogs. Und sie wird oft als kulturelles Phänomen auf den Feuilletonseiten diskutiert oder landet auf Hochglanzplakaten in Wohnzimmern. Obwohl das Ganze spielerisch daherkommt, folgt Apples Marketing einer präzisen Choreografie: Vor der Veröffentlichung eines neuen Produkts wird unter strengster Geheimhaltung die Gerüchteküche angeheizt. Apple erhält durch die intensive Medienberichterstattung kostenlose Werbung in Millionenhöhe – vor der Macworld 2007, auf der Jobs das iPhone vorstellte, waren es geschätzte 400 Millionen Dollar. Jobs lässt sich von den Journalisten aus der Hand fressen: Nur die drei größten US-Rezensenten erhalten unter der Bedingung strenger Sperrfristen ein Probeprodukt. Rivalen spielt er gegeneinander aus. Die Folge ist maximale Berichterstattung bei einer Preisgabe minimaler Information. Diese Strategie funktioniert, weil Jobs sein Unternehmen wie einen Geheimdienst führt. Mit der Ehefrau über die Arbeit bei Apple zu reden, ist z. B. ein Kündigungsgrund. Die Schlüsselabteilungen werden mit Hochsicherheitsschlössern und Wachleuten vor den gefürchteten Industriespionen und Bloggern geschützt.
Der Innovator
Jobs hat nie selbst ein Produkt erfunden oder entwickelt. Dennoch tragen alle Verkaufsschlager aus dem Haus Apple seinen Stempel. Er ist der legendärste „product picker“ im Silicon Valley und hat den richtigen Riecher dafür, welches Produkt wann auf den Markt geworfen werden soll. Innovationsworkshops, in denen die Teilnehmer mithilfe von Legosteinen freie Assoziation trainieren, findet Jobs lächerlich. Innovation bedeutet für ihn Querdenken, Mut zum Risiko, Flexibilität sowie die Bereitschaft, Technologien den Kundenbedürfnissen anzupassen und eine klare Strategie zu formulieren. Auf der Macworld 2001 verkündete Jobs die Strategie, den Computer als digitale Schnittstelle für die rasch wachsende Zahl an digitalen Endgeräten einzusetzen. Sicher, die ersten MP3-Player oder Smartphones haben andere gebaut. Aber Jobs hat ihr Potenzial früh erkannt, sie benutzerfreundlich entwickelt, ihnen ein elegantes Design verpasst und sie erfolgreich vermarktet. Er selbst zitiert Picasso: „Gute Künstler kopieren, großartige Künstler stehlen.“
Der Einzelhändler
2001 wurde das erste Apple-Geschäft in Kalifornien eröffnet. Es avancierte zur größten Erfolgsgeschichte des Einzelhandels. Ein Laden erzielt heute annähernd so viel Ertrag wie ein großer Elektronik-Discounter – auf 10 % der Einkaufsfläche. Beim Start des Abenteuers schüttelten Branchenkenner die Köpfe und sagten Apple einen schnellen Tod voraus. Der Zeitpunkt für das Experiment – kurz nach dem Platzen der Internetblase – schien denkbar schlecht gewählt. Doch sechs Monate später kam der erste iPod heraus. Die Kunden strömten in die Läden, um ihn zu kaufen, und freundeten sich bei der Gelegenheit gleich mit dem Mac an. Apple wählt die besten Lagen für seine Geschäfte, um Laufkundschaft anzuziehen. Gut geschulte Mitarbeiter verkaufen dort nicht etwa elektronische Produkte, sondern Lifestyle.
„Das Mac-Entwicklungsteam arbeitete so hart, dass es ein Ehrenabzeichen bekam. Jeder erhielt einen Pullover mit der Aufschrift: ,90 hours a week and loving it‘.“
Die Strategie der digitalen Schnittstelle wird eins zu eins umgesetzt: Im Laden können Besucher Apple-Geräte und Software ausprobieren. Es gibt unbegrenzten Internetzugang, Kurse zur digitalen Bildbearbeitung, Vorträge von Kreativprofis oder Bandauftritte. An der überaus erfolgreichen „Genius Bar“ können Kunden mit dem Personal Probleme besprechen und ihre Geräte zur schnellen Reparatur abgeben. Die Verkäufer arbeiten nicht auf Provisionsbasis. Sie sollen sympathische Verbündete der Kunden sein und nicht auf deren Brieftasche schielen.
Der Kontrollfreak
Jobs wollte schon immer alles kontrollieren. Deshalb machte Apple den Benutzern das Herumbasteln und Erweitern stets schwer. Das war im Computergeschäft mit seinen vielen Freaks lange ein Nachteil, seit Anbruch des Zeitalters digitaler Unterhaltung ist es aber ein Plus: Die meisten Verbraucher wünschen sich idiotensichere Geräte zum Abspielen und gelegentlichen Bearbeiten von Musik und Video. Jobs’ Kontrollmanie macht sich nun bezahlt.
„Jobs’ Motto ist: Ein Arschloch zu sein ist okay, solange man ein leidenschaftliches Arschloch ist.“
Zwar schäumten viele Fans und Kritiker, als er den iPod und iTunes sowie das iPhone anfangs als geschlossene Systeme präsentierte. Doch Jobs versprach, Geräte für den Massenmarkt anzubieten, die stabil und zuverlässig funktionieren – und dieses Versprechen hält er ein. Die Alternativen zu iPod und iTunes waren lange Zeit notorisch unsicher und fummelig in der Handhabung, weil Geräte und Software in unterschiedlichen Häusern entstanden, die schlecht zusammenarbeiteten. Apple hingegen kontrolliert und verzahnt das gesamte System miteinander. Jobs war in jüngster Zeit so erfolgreich damit, dass nun auch andere Firmen wie beispielsweise Nokia oder Sony zu Apples Modell der vertikalen Integration zurückkehren.