Megatrend Umweltinnovation

Buch Megatrend Umweltinnovation

Zur ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Staat

Oekom,


Rezension

Umwelt­forscher Martin Jänicke führt ein lei­den­schaftliches Plädoyer für einen umfassenden Umweltin­no­va­tion­sprozess: Zögerliches Vorgehen bringt nichts, sagt er, gefordert sind radikale Brüche mit überkommenen Tech­nolo­gien. Seine Analyse ist fundiert und detailliert, in all den Zahlen droht man jedoch schon mal den Überblick zu verlieren. Mehr Grafiken und Tabellen wären hier hilfreich gewesen, ebenso ein Glossar. Jänickes Ansatz ist ein wis­senschaftlicher, entsprechend sperrig liest sich das Buch. Schade, dass es – zusam­menge­setzt aus mehreren andernorts er­schiene­nen Beiträgen – nicht erst noch um die zahlreichen Dopplungen bereinigt wurde. Keine leichte Lektüre also, aber ein lohnenswerter Überblick über die Gegenwart und die mögliche Zukunft globaler Umwelt­poli­tik, meint BooksInShort.

Take-aways

  • Umweltschutz und saubere En­ergi­etech­nolo­gie sind die weltweit am stärksten wachsenden Märkte.
  • Wir brauchen eine Dynamik, die nicht auf einmalige Verbesserun­gen hier und dort abzielt, sondern einen dauerhaften ökolo­giebasierten In­no­va­tion­sprozess in Gang setzt.
  • Deutschland gilt seit ungefähr einem Jahrzehnt als Feldversuch in puncto Umwelt­poli­tik.
  • Ein in­ter­na­tionaler Dereg­ulierungswet­t­lauf ist allen Unkenrufen zum Trotz aus­ge­blieben.
  • Umwelt­poli­tisch aktive Staaten gehören gle­ichzeitig zu den wet­tbe­werbsfähigsten.
  • Eingriffe in fest­ge­fahrene Pro­duk­tions-, Konsum- oder Trans­portvorgänge werden Schmerzen verursachen und Mod­ernisierungsver­lierer her­vor­brin­gen.
  • Der Staat hat die Aufgabe, einen interessenübergreifenden Dialog herzustellen.
  • Ökologisch sinnvolle Konzepte haben eine globale Dimension – und damit globales Mark­t­poten­zial.
  • 20 Jahre nach dem Umwelt­gipfel von Rio fällt die in­ter­na­tionale Be­stand­sauf­nahme verhalten positiv aus.
  • Ein besonders vielver­sprechen­des Beispiel staatlicher Regulierung ist der japanische Top-Run­ner-Ansatz: Das umwel­t­ef­fizien­teste Produkt wird zum Min­dest­stan­dard.
 

Zusammenfassung

Politik versus Wirtschaft

In­no­va­tions­beschle­u­ni­gung im Klimaschutz, Rio+20, Agenda 21 – die Politik gibt der Umwelt­prob­lematik endlich mehr Gewicht. Saubere En­ergi­etech­nolo­gien sind schon heute die Märkte, die weltweit am stärksten wachsen. Mittendrin ist Deutschland als eines der technisch führenden und ex­port­in­ten­sivsten Industrieländer. In­dus­triewach­s­tum, Ressourcenver­brauch und Umwelt­be­las­tung müssen dringend voneinander entkoppelt werden, wenn ein ökologischer Mod­ernisierung­sprozess erfolgreich sein soll. Das ist leichter gesagt als getan: Die Politik geht nicht immer intelligent vor. Auch der Umwelt­primus Deutschland ist sowohl in der Au­to­mo­bilin­dus­trie als auch in der Stromwirtschaft oder der Agrochemie dem Einfluss zahlreicher Lobbyisten ausgesetzt, die ökologischen Her­aus­forderun­gen nicht ganz so aufgeschlossen gegenüberstehen, wie es interessenübergreifend notwendig wäre. Dabei ist Umweltin­no­va­tion ein in­ter­na­tionaler Megatrend – schon heute und erst recht in Zukunft. Gut möglich, dass auf­strebende Länder wie Brasilien oder Indien die en­twick­el­ten In­dus­trien­atio­nen auf ihrem Weg in Richtung grüne Elektrizität überholen. Die Umweltin­dus­trie wird weiterhin unterschätzt.

Mehr Dynamik!

Die Argumente für einen Umweltin­no­va­tion­sprozess ergeben sich praktisch von selbst: Externe Schäden des in­dus­triellen Wachstums sollen in gesellschaftlich to­lerier­baren Grenzen gehalten werden. Dazu braucht es eine Steigerung der Ökoeffizienz. Das Zeitalter billiger Rohstoffe geht zu Ende, und daraus speist sich eine Dynamik, die nicht auf einmalige Verbesserun­gen hier und dort abzielt, sondern einen dauerhaften ökolo­giebasierten In­no­va­tion­sprozess in Gang setzt und am Laufen hält. So weit die Theorie. In der Praxis werden allerdings viel zu häufig kleinere Umweltverbesserun­gen durch Mehrver­brauch­sef­fekte aus­geglichen. „Green Growth“ ist gar nicht so einfach zu erreichen. Es gilt, die folgenden Ver­mei­dungsregeln und Gestal­tungsleitlin­ien gleichermaßen zu berücksichtigen:

  • Die Ressourcenpro­duk­tivität (und damit die Wet­tbe­werbsfähigkeit) muss gesteigert werden.
  • Staatlich beauftragte In­vesti­tio­nen müssen sich re­fi­nanzieren.
  • Umwelt­be­zo­gene Zukunftsmärkte müssen iden­ti­fiziert werden, die auf die Bedürfnisse der global wachsenden Mit­telk­lasse eingehen.
  • Es gilt, Beschäfti­gungsef­fekte im Auge zu behalten.
  • Ökologische Risiken müssen verringert werden.

Deutschland auf dem Weg zum Umweltstaat

Das Besondere an Deutschland ist, dass es seit ungefähr einem Jahrzehnt zu einer Art Feldversuch in puncto Umwelt­poli­tik avanciert ist. Bei einem jährlichen Durch­schnittswach­s­tum des Brut­toin­land­spro­dukts von 1 % gelang von 1994 bis 2011 parallel der Ausbau der erneuer­baren Energien auf 20 % Stromanteil, die Reduktion der Treib­haus­gabe um 27 % und jene des Rohstof­fver­brauchs um 17 %. Außerdem wurde beschlossen, alle Kernkraftwerke stil­lzule­gen. Die Beschäfti­gungszu­nahme liegt deutlich über jener in anderen OECD-Ländern. Das alles entgegen der vorherrschen­den Meinung der führenden Wirtschaftsin­sti­tute und ohne Anleitung durch die „alte Wirtschaftsin­dus­trie“. Deutschland hat sich so zu einer Art Vor­re­it­er­land aufgeschwun­gen und straft die oft wiederholte Behauptung Lügen, dass Umwelt­sen­si­bilität wach­s­tumshem­mend sei. In­ter­es­san­ter­weise sind es gerade die umwelt­poli­tisch aktiven Staaten, die sich in­ter­na­tional als besonders wet­tbe­werbsfähig erweisen. Ein großes Problem ist vielerorts die Ko­r­rumpier­barkeit demokratis­cher In­sti­tu­tio­nen, die von Lobbyisten al­therge­brachter Industrien untergraben werden.

Jeder will plötzlich Vorreiter sein

Erfreulich: Eine Art Dereg­ulierungswet­t­lauf auf Kosten der Umwelt ist allen Unkenrufen zum Trotz aus­ge­blieben. Länder, die ihre Industrien grüner machen, manövrieren sich nicht ins wet­tbe­werbliche Abseits, im Gegenteil:

  • Die EU-Kom­mis­sion formulierte schon 2006 das Ziel, Weltmarktführer bei erneuer­baren Energien werden zu wollen.
  • Praktisch das Gleiche gaben auch die zuständigen Ministerien (Wirtschaft/Umwelt) für Deutschland aus.
  • Barack Obama verkündete 2009 das Ziel, die USA zur Heimat erneuer­barer Ressourcen und entsprechen­der Industrien zu machen.
  • Auch China will dem nicht nachstehen: Führende Politiker sehen das Reich der Mitte künftig als den weltweit größten Markt für en­ergies­parende und umwelt­fre­undliche Produkte.
  • Ähnliche Ziele for­mulierten Japan und Südkorea im Jahr 2010.

Bisherige Erfahrungen

Die ersten Erfahrungen mit den hehren Zielen zeigen:

  • Starke Umweltin­no­va­tio­nen bewirken mehr als eine Vielzahl kleiner Verbesserun­gen.
  • Anspruchsvolle Zielset­zun­gen haben auch ein­schnei­dende Maßnahmen zur Folge, die der Staat aktiv propagieren muss. Der gesamte In­no­va­tion­sprozess von der Markteinführung bis zur globalen Verbreitung sollte gefördert werden.
  • Kosten-Nutzen-Abwägungen müssen re­al­is­tis­cher betrachtet werden als bisher. Die Vorteile höherer Ressourcenpro­duk­tivität werden regelmäßig ignoriert.
  • Im Zuge einer schöpferischen Zerstörung wird es auch Mod­ernisierungsver­lierer geben, die der Staat in einen aktiven Dialog einbinden sollte.

Regulierung und Re-Reg­ulierung

Eingriffe in etablierte Pro­duk­tions-, Konsum- oder Trans­portvorgänge werden Schmerzen verursachen, besonders wenn die Beteiligten keine Win-win-Lösungen erkennen können. Ökologische Mod­ernisierung braucht deshalb politische Unterstützung: Ohne diese endet das Vorhaben im bekannten Mark­tver­sagen. Die Aufnahme- und Ressourcenka­pazität der Erde ist begrenzt. Deshalb hat die Suche nach ökologisch sinnvollen Konzepten eine globale Dimension – und damit globales Mark­t­poten­zial. Die Steuerungs­form der Politik heißt Regulierung: Ob tatsächlich oder nur angedroht, kann sie im Gegensatz zu frei­willi­gen Ansätzen Prozesse beschle­u­ni­gen helfen, Un­sicher­heiten bei Mark­trisiken reduzieren oder gar ganz neue heimische Industrien schaffen. Ein ein­drucksvolles Beispiel ist der japanische Top-Run­ner-Ansatz, der aktuell am weitesten entwickelt und als besonders anspruchsvoll gilt: Das umwel­t­ef­fizien­teste Produkt wird nach einer Übergangszeit zum Min­dest­stan­dard für alle anderen Hersteller. Weitere Beispiele sind Ein­speise­tar­ife für Strom oder der europäische Emis­sion­shan­del.

Er­fol­gs­beispiele gibt es

Neben Deutschland gelten Dänemark und Großbritannien als die ökologischen Vorreiterländer innerhalb Europas; sie haben die am­bi­tion­iertesten Klimaziele. In Deutschland wurde das Kyoto-Ziel – die Reduzierung der Treib­haus­gase bis 2012 um 21 % – schon fünf Jahre im Voraus erreicht. Der Wach­s­tum­sef­fekt in Folge der deutschen Klimapoli­tik ermöglichte es 2009, das Ziel für erneuerbare Energien – 20 % Anteil bis 2020 – auf mindestens 30 % zu erhöhen. Inzwischen liegt die Hürde bei knapp 39 %, während die Branche selbst gar von 47 % ausgeht. Die Dynamik des In­no­va­tion­sprozesses wurde grob unterschätzt.

„Wir werden nicht dadurch unseren Wohlstand erhöhen, dass wir erst Vermögen, nämlich Naturvermögen, vernichten, um es dann wenigstens teilweise wieder aufzubauen.“

Ähnliches gilt im Reich der Mitte: China hat seine Ausbauziele für So­laren­ergie für das Jahr 2020 bereits fünfmal angehoben. Noch schneller wächst die Windenergie: Während China 2004 noch 20 Gigawatt plante, wurden schon sechs Jahre später 150 Gigawatt angepeilt. Die weitest­ge­hen­den Vorgaben macht übrigens Irland: Das Land will in seiner 25-Jahre-Vi­sion nicht nur vollständig grün in Bezug auf seine Stromver­sorgung sein, sondern gar einen Stromexport etabliert haben.

„Die Tendenz zu einer umwelt­be­zo­ge­nen Mod­ernisierung von Staat und Wirtschaft ist bisher zwar ebenso un­be­friedi­gend wie die ökologische Leis­tungs­bi­lanz. Aber der eingeschla­gene Pfad ist unter den sys­temkon­for­men Pfaden in der kap­i­tal­is­tis­chen Mark­twirtschaft der einzig richtige.“

Gegen­beispiele gibt es allerdings auch: Gemäß dem niederländischen Umweltplan wollte das Land schon 2000 eine Reduktion der Treib­haus­gase um 20–25 % erreichen. Doch das Ziel erwies sich als zu ambitiös und musste aufgegeben werden. Sowohl zu schwache als auch zu ehrgeizige Umweltziele bieten keinen In­no­va­tion­san­reiz, sondern sind zum Scheitern verurteilt. Zu bemängeln bleibt, dass sich die Green-Growth-Ziele der OECD und der Weltbank vorrangig auf die Krisen­ver­mei­dung fokussieren: Rohstof­fengpässe umgehen, Bodenerträge erhalten oder ausbauen, hohe En­ergiekosten reduzieren oder dem Wasser­man­gel vorbeugen. Nach­haltiges Wirtschaften sieht anders aus.

Grüne und schmutzige Industrien

Das grüne Wirtschaftswach­s­tum darf nicht nur darin bestehen, dass das bisherige Wirtschaftswach­s­tum mit ökologischen Mitteln fortgesetzt wird. Dem Wach­s­tumspoten­zial einer umwelt­be­zo­ge­nen In­vesti­tion­spoli­tik steht ein natürlicher Schrump­fung­sprozess bisheriger schmutziger Industrien gegenüber. McKinsey spricht gar von der Notwendigkeit einer „Resource Revolution“: Während bei der En­ergieef­fizienz das Potenzial allmählich erkannt worden sei, könne davon beim Rohstof­fver­brauch noch keine Rede sein.

„Nullwach­s­tum bedeutet ökologisch nur die Umwandlung von Rohstoffen in Produkte, Abfälle und Schadstoffe auf dem – zu hohen – Niveau des Vorjahres. Nullwach­s­tum ist insoweit eine zu harmlose Forderung.“

Eine oft gestellte Frage ist, wie sich grüne Wach­s­tum­sin­vesti­tio­nen re­fi­nanzieren lassen. Die Antwort: über Ef­fizien­zgewinne. Dazu gehören auch vermiedene Schaden­skosten – diese sind zwar schwer zu erfassen, aber oft be­merkenswert. Dazu kommt, dass Maßnahmen staatlicher Umwelt­poli­tik innovative Reaktionen bewirken. Die Kosten dieser Maßnahmen fallen dadurch regelmäßig niedriger aus als in Mod­ell­rech­nun­gen angenommen. Grundsätzlich gilt: Die Dynamik einer gezielten, nach­halti­gen In­vesti­tion­sstrate­gie wird stets unterschätzt, die Kosten dagegen werden überschätzt. Schließlich werden auch die Beschäfti­gungsef­fekte häufig falsch dargestellt. In Wahrheit haben gerade die „umwelt­in­ten­siven“ Industrien eine im Vergleich geringe Beschäfti­gungswirkung, grüne Industrien dagegen eine tendenziell hohe – besonders dann, wenn nicht eine Steigerung der Ar­beit­spro­duk­tivität, sondern der Ressourcenef­fizienz Vorrang hat.

Wet­tbe­werb­svorteil Umweltschutz

2012, im Jahr von Rio+20 (der Umwelt­gipfel fand 1992 in Rio de Janeiro statt), wird es Zeit für eine erste Be­stand­sauf­nahme mit den Erfahrungen und Beschlüssen des UN-Gipfels. Formuliert wurde seinerzeit eine Strategie nach­halti­gen Wirtschaftens mit langfristi­gen Zielen, konkreten Vorgaben und Ergeb­niskon­trollen. Für das Jahr 1992 war das eine beachtliche Leistung – sie gilt heute als um­fassend­stes Experiment neuer umwelt­poli­tis­cher Steuerungskonzepte. Viele EU-Länder haben seither ihre Vorgaben nicht nur umgesetzt, sondern sogar weit­er­en­twick­elt. Während diese Leucht­turmwirkung größtenteils positiv ausfällt, wurden gle­ichzeitig Mängel offenkundig, wenn es um konkrete Durch­set­zungsmöglichkeiten gegen wider­strebende Teil­in­ter­essen geht.

„Es ist leichter, die 20 wichtigsten Regierungen der Welt unter Druck zu setzen, als 7 Milliarden Menschen von den unbe­stre­it­baren Vorzügen eines ökologisch sinnvollen Lebens zu überzeugen.“

Das Potenzial des Rio-Ansatzes wurde im Großen und Ganzen nur un­zure­ichend ausgeschöpft. Das weiß man jedoch erst in der Rückschau. Die Probleme reichen von fehlender Meinungsführerschaft bis zu unzulänglicher in­sti­tu­tioneller Abstützung, namentlich in der EU. Einschränkungen nationaler Handlungsfähigkeit durch globalen Wettbewerb nehmen viele ansonsten am­bi­tion­iert auftretende Länder nur ungern in Kauf. Gle­ichzeitig wird verkannt, dass kollektives Handeln von Staaten die Fähigkeit, Umwelt­prob­leme zu lösen, erhöhen kann. Denn offenbar gehen anspruchsvolle Umwelt­poli­tik und globale Wet­tbe­werbsfähigkeit Hand in Hand. Um Zweiflern zu­vorzukom­men, könnte man auch sagen: Eine negative Korrelation zwischen anspruchsvoller Umwelt­poli­tik und Wet­tbe­werbsfähigkeit existiert definitiv nicht.

Über den Autor

Martin Jänicke leitete bis 2007 die Forschungsstelle für Umwelt­poli­tik der FU Berlin und war Mitglied im Sachverständigenrat für Umwelt­fra­gen. Jänicke ist Mitglied der En­quetekom­mis­sion des Bundestags zu „Wachstum, Wohlstand, Leben­squalität“ und Autor zahlreicher Bücher zur Umwelt­poli­tik.