Etwas mehr geht immer
Verkäufer haben es nicht leicht: Die Märkte sind gesättigt, die Konsumenten skeptisch, und neue Kunden zu gewinnen, kostet sehr viel Geld. Immer mehr Unternehmen gehen deshalb dazu über, bestehenden Kunden zusätzliche Produkte oder Leistungen zu verkaufen. Damit bieten sich auch für Inbound-Callcenter, also solche, die sich auf die Beantwortung eingehender Telefonate spezialisiert haben, neue Umsatzchancen. Up- und Cross-Selling nennt man diese Zusatzverkäufe. Beim Up-Selling verkaufen Sie dem Kunden ein höherwertiges Produkt als das, was er bei Ihnen bereits erworben hat. Beim Cross-Selling bieten Sie dem Kunden ein Produkt aus einer anderen Produktkategorie an.
„Viele Unternehmen haben erkannt, dass das Wachstumspotenzial nicht nur in der Neukundenakquise, sondern vor allem bei den bestehenden Kunden liegt.“
Dass sich die Gewinnchancen durch Zusatzverkäufe erhöhen lassen, zeigen aktuelle Studien. So kaufen laut einer Erhebung des Magazins „Sales Profi“, die bei Abnehmern von Industriegütern durchgeführt wurde, nur 30 % der Kunden mehr als eine Produktkategorie bei ihrem Lieferanten, dies, obwohl mehr als 60 % grundsätzlich dazu bereit wären. Ein aktuelles Forschungsprojekt für Dienstleistungen- und Technologiemarketing der TU München prognostiziert für Telekommunikationsunternehmen mögliche Zuwachsraten von 60 % durch Up- und Cross-Selling. Mit den alten Methoden können die allerdings nicht realisiert werden. Seriöse Beratung und fairer Verkauf sind unabdingbar. Nicht mehr zeitgemäß, sogar verpönt ist das Verkaufsgespräch auf der „Ja-Schiene“. Dabei werden Kunden mit Suggestiv-Fragen zu Ja-Antworten gezwungen, in der Hoffnung, dass sie dann bei der entscheidenden Frage ebenfalls positiv reagieren. Fair ist anders: Es bedeutet, den Blickwinkel des Kunden einzunehmen, ihm das Produkt engagiert zu präsentieren und ihn dann entscheiden zu lassen.
Von optimaler Abstimmung profitieren
Je nach ihrer Organisation sind Callcenter besser oder schlechter für Zusatzverkäufe geeignet. Outbound-Callcenter werden in der Regel von einem Dienstleister mit mehreren Auftraggebern betrieben. Die Mitarbeiter sind auf den Verkauf spezialisiert und stehen oft unter sehr hohem Druck, den sie in Gesprächen auch an die Kunden weitergeben. Anders die Mitarbeiter von Inbound-Callcentern. Sie bieten meist Service, Support und Beratung an, sind mehr auf Unterstützung als auf Verkauf ausgerichtet. Ideal ist eine Mischform, ein Out- und Inbound-Callcenter, bei dem die beiden Bereiche jedoch getrennt bleiben und die Mitarbeiter jeweils nur im einen oder anderen tätig sind. Fast die Hälfte aller Callcenter sind Inhouse-Callcenter, die in den unterschiedlichsten Varianten existieren. Mal erledigen sie In- und Outbound-Aufgaben und beauftragen zusätzlich einen externen Dienstleister. Oder sie übernehmen Support und Beratung, während ein externes Callcenter den Outbound-Bereich übernimmt.
Ein Sechs-Phasen-Plan
Die erfolgreiche Einführung von Up- und Cross-Selling in Ihrem Callcenter erfolgt in sechs Phasen:
- Pilotphase: In dieser Phase klären Sie, welche Produkte via Telefon verkauft werden können und wie die Kunden dafür angesprochen werden müssen. Planen Sie eine ein- bis dreimonatige Pilotphase, in der zunächst nur ein paar Agenten Zusatzverkäufe tätigen. Dabei werden sie von einem Pilotteam begleitet, bestehend aus Callcenter-Leitung, Teamleitung, Agenten, Trainer, IT und Vertriebsfachleuten. Für ein realistisches Ergebnis sollten Sie verkaufsstarke mit -schwächeren Mitarbeitern mischen.
- Prioritäten: Im Inbound-Bereich hat das Entgegennehmen der eingehenden Anrufe üblicherweise höchste Priorität. Das muss nicht so sein. Wenn Sie das Up- und Cross-Selling in den Vordergrund stellen wollen, dann kommunizieren Sie diese Prämisse deutlich! Stellen Sie klar, ob während beratungsintensiven Zeiten verkauft werden soll oder nicht.
- Qualifikation: Qualifizieren sollten Sie Ihre Mitarbeiter und Führungskräfte schon vor Beginn der Verkaufsaktivitäten. Gerade Inbound-Agenten müssen mit dem Handwerkszeug für Verkauf ausgerüstet werden. Führungskräfte, als Vorbilder, müssen selbstverständlich auch fit gemacht werden. Am besten ist es, wenn die Trainingsmaßnahmen gleich bei ihnen beginnen.
- Stabstelle: Up- und Cross-Selling berührt verschiedene Unternehmensbereiche. Zur Koordinierung ist eine Stabsstelle nötig.
- Controlling: Formulieren Sie klare Ziele und legen Sie Parameter zur Erfolgsmessung fest. Anfangs sollten die Ergebnisse wöchentlich mit den Beteiligten ausgewertet werden. Zu den wichtigsten Parametern zählen der Servicelevel, die Abbruchquote und die Produktivität je Vorgang.
- Pflicht oder Option: Legen Sie fest, ob Ihre Agenten zum Zusatzverkauf verpflichtet werden oder ob sie optional entscheiden können, ob sich ein Angebot lohnt oder nicht. Bei leicht erklärbaren Produkten sollten Zusatzverkäufe Pflicht sein. Je mehr Verantwortung ein Mitarbeiter hat, desto besser eignet sich die Optionsvariante.
Sensibilität statt Angst
Das Gute am Inbound-Callcenter ist die Tatsache, dass die Kunden selber anrufen, dafür also keine Marketingmaßnahmen notwendig sind. Viele Agenten scheuen sich anfangs allerdings davor, über den Service hinaus zu verkaufen, aus Angst, gute Kunden zu vergraulen. Um diese Angst abzubauen und die Sensibilisierung gegenüber dem Kunden zu stärken, sind Qualifizierungsmaßnahmen nötig, die erfahrungsgemäß einen halben bis zwei Tage dauern können. Dabei wird die emotionale Sperre vor dem Verkauf durchbrochen. Die Mitarbeiter lernen, durch aktives Zuhören oder den geschickten Umgang mit Einwänden sich auf die Kunden einzustellen. Beim aktiven Zuhören wiederholt der Mitarbeiter die Aussage des Anrufers mit eigenen Worten, um sicher zu gehen, dass er alles verstanden hat. Dabei nutzt er Formulierungen, wie „Ihnen ist also wichtig, dass ...“ oder „Sie haben das Gefühl, dass ...“ Ein guter Agent muss natürlich Kaufsignale erkennen können. Die werden gesendet, wenn der Kunde nach Kaufbedingungen und Preisen, nach Einzelheiten oder nach Lieferbedingungen fragt. Auch Zustimmung kann auf Kaufbereitschaft hindeuten.
Die Drei-Schritte-Technik
Kunden kaufen vor allem dann, wenn sie vom Nutzen des angebotenen Produkts überzeugt sind. Wichtig sind kurze und eindeutige Formulierungen, da am Telefon weder viel Zeit ist noch die Möglichkeit besteht, etwas zu anzuschauen oder anzufassen. Der Verkäufer muss nicht nur die Produkte aus dem Effeff kennen, sondern auch den Kunden mit seinen Wünschen und Motiven. Wenn sich eine Frau beispielsweise beim technischen Support darüber beschwert, dass ihre Internetverbindung zu langsam ist, weiß ein guter Verkäufer, was sie will und bietet ein DSL-Upgrade-Produkt an.
„Neue Kunden zu gewinnen, ist oftmals erheblich kostenintensiver, als das Potenzial bei bereits bestehenden Kundenbeziehungen auszuschöpfen.“
Das Verkaufsangebot präsentieren die Mitarbeiter mit der Drei-Schritte-Technik: Beim ersten Schritt nennt der Agent das Produkt und dessen Vorteile: „Wir bieten Ihnen ...“ Im zweiten Schritt formuliert er den Nutzen: „Das bedeutet für Sie ...“ oder „Dadurch haben Sie die Möglichkeit, ...“ Beim dritten Schritt geht es um die Meinung des Kunden: „Wie gefällt Ihnen das?“ oder „Ist das interessant für Sie?“ Dabei lernen die Agenten auch, mit Einwänden richtig umzugehen. Schließlich verrät ein Kunde mit seinem Einwand, was er sich eigentlich wünscht, und dass er sich mit dem Produkt bereits beschäftigt hat, also durchaus interessiert ist. Darum ist das Verkaufsgespräch beim Einwand noch lange nicht am Ende. Es gilt, die Motive für die Zweifel zu finden. Vielleicht ist der Kunde einfach nur schlecht gelaunt oder unkonzentriert.
Stolpersteine
Wenn Inbound-Agenten für den Verkauf fit gemacht werden sollen, müssen sie in Gesprächstechnik trainiert werden. Entscheidend ist die Einstellung. Wer dem Thema „Verkauf“ nicht positiv gegenübersteht, kann keine Ware erfolgreich an den Mann oder besser an den Kunden bringen. Die Probleme sind vielfältig: Manchmal mangelt es dem Agenten einfach an Motivation. Ein intensiverer Kundenkontakt, der den Job aufwertet, kann hier helfen. Es kommt auch vor, dass Agenten die Reaktion der Kunden fürchten. Mit mehr Selbstbewusstsein, einer positiven Denkweise über die Kunden und aktivem Zuhören ist hier schon viel getan. Allerdings: Niemand kann seine Einstellung auf Befehl und von heute auf morgen ändern. Binden Sie Ihre Mitarbeiter von Anfang an in die Umsetzung des Wandels vom Service- zum Sales-Center ein. Es muss ein gemeinsames Projekt werden.
Lückenlos informierte Mitarbeiter
Geben Sie Ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Ängste zu benennen. Nehmen Sie diese ernst und gehen Sie darauf ein. Wenn die Einstellung zum Verkauf so negativ ist, dass weder Gespräche noch Schulung helfen, dann bringen Sie positive Beispiele: So lässt sich am ehesten zeigen, dass Verkaufen nicht mühsam oder peinlich sein muss. Damit wirklich alle mitziehen, braucht es ein klares Ziel und einen klaren Weg, den alle beschreiten können und wollen.
„Der Verkauf wird nur funktionieren, wenn der Mitarbeiter ihm positiv gegenübersteht.“
Stolpersteine im Gesprächsverlauf treten oft auf, weil der Agent nicht weiß, wie er das Gespräch beginnen soll. Hilfreich ist es, sich schon vorab Einstiegssätze zu überlegen und sich auf ein bestimmtes Thema festzulegen. Wer sich im Vorfeld mit Daten aus dem CRM-System (Customer Relationship Management) über den Gesprächspartner informiert, geht ebenfalls sicherer in das Gespräch. Ähnliches gilt für Sachkenntnisse: Wissenslücken müssen rechtzeitig gefüllt werden, mit Broschüren, Inter- und Intranet, Gesprächen mit Kollegen und Führungskräften.
Qualitätsbewertung
Up- und Cross-Selling im Unternehmen einzuführen, reicht noch nicht. Der Unternehmenserfolg lässt sich nur durch regelmäßige Qualitätsbewertung langfristig sichern. Beurteilen Sie Komponenten wie Ansprache des Kunden, Beratung, Erkennen des Bedarfs und Verkaufsabschluss. Legen Sie fest, was Sie messen wollen. Geht es um hohe Erfolgsquoten, um niedrige Stornoquoten oder um zufriedene Kunden? Erst mit diesem Wissen können Sie sich überlegen, wie Sie die Qualität sichern können. Erprobt ist die Kombination aus Mystery-Calls (Testanrufen) und „Coaching on the job“. Weitere Mittel sind Trainings, Kundenbefragungen, Gesprächsaufzeichnungen oder tägliche Auswertungen.
„Der wichtigste Motivationsfaktor ist immer noch die positive Ansprache der Mitarbeiter/innen – Lob und Wertschätzung!“
In der Praxis hat es sich bewährt, die Agenten gerade in der Implementierungsphase ca. alle zwei Wochen zu coachen, damit sie nicht in alte Gewohnheiten zurückfallen. Halten Sie die Motivation aufrecht! Die stellt sich nicht allein durch Geld ein. Viele andere Faktoren können motivieren. An zwei Faktoren kommen Sie nicht vorbei: Lob und Wertschätzung. Beides bekommt der Mitarbeiter in der Regel, wenn er erfolgreich ist. Weil sich Erfolg an der Erreichung von Zielen messen lässt, helfen klar formulierte und visualisierte Ziele bei der Mitarbeitermotivation.