Die Justiz und die Medien
Die Nachfrage nach Dramen im Gerichtssaal nimmt zu. Gerichtsfernsehen findet nicht nur am Nachmittag, sondern auch in den Hauptnachrichten statt. Gerichtsverhandlungen bieten den Zuschauern eine Projektionsfläche, die mit Begriffen wie „Gerechtigkeit“, „Schuld“ und „Reue“ emotional aufgeladen ist. Zudem befriedigen Gerichtsfälle die voyeuristischen Gelüste des Publikums. Den Journalisten sind daher vor allem Strafprozesse sehr willkommen. Allerdings leistet sich kaum eine Redaktion spezialisierte Gerichtsreporter. Über diese Events berichten stattdessen juristische Laien, ja sogar Praktikanten – leichte Opfer für PR-Profis.
„Justitia trägt zwar eine Augenbinde, aber mit Ohrstöpseln ward sie bis dato noch nicht gesehen.“
Vor Gericht sollen alle Menschen gleich sein. Doch manche von ihnen stehen im Licht der Öffentlichkeit, sobald sie den Gerichtssaal betreten. Ob Manager wie Josef Ackermann und Klaus Zumwinkel oder ein TV-Moderator wie Andreas Türck: Noch bevor Anklage erhoben wird, haben sich viele Fernsehzuschauer bereits eine Meinung über die Schuld oder Unschuld prominenter Verdächtiger gebildet. Aber noch wichtiger als die Meinung der Öffentlichkeit ist für die Angeklagten die Frage, ob das Gericht unbeeinflusst urteilt. Die Wirkung der Medien auf die Rechtsorgane ist keine Einbahnstraße: Auch Staatsanwaltschaften, Rechtsanwälte und Richter bedienen sich zunehmend der Medien.
Was ist Litigation-PR?
„Litigation“ ist das englische Wort für „Rechtsstreitigkeit“. Litigation-PR bezeichnet die Zusammenarbeit mit den Medien während juristischer Prozesse. Ziel dieser PR-Form ist nicht etwa, dass sich eine Kanzlei in den Medien bekannt macht. Im Mittelpunkt stehen die Bedürfnisse des Klienten. Auch wenn sich Anwälte per se für Kommunikationsprofis halten: Vielen fehlt das tiefere Verständnis für Strategien im Umgang mit den Medien. Anwälte und Litigation-PR-Experten sollten daher auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Dass beide Dienstleister sowohl die Richter als auch die Öffentlichkeit zugunsten ihres Klienten beeinflussen, ist besonders wichtig: Zum einen steigert ein guter Ruf die Chancen vor Gericht. Zum anderen ist es für Unternehmer und Manager von Bedeutung, nicht nur vom Richter, sondern auch von der Öffentlichkeit einen Freispruch zu erhalten. Um die Berichterstattung unter Kontrolle zu bringen, entschied sich beispielsweise die US-Medienunternehmerin Martha Stewart dazu, sich während ihres Prozesses über einen eigens eingerichteten Blog zu äußern. Wenn es gelingt, die Medien für sich einzuspannen, erhöhen sich die Chancen, dass die Interessen des Beschuldigten vor Gericht berücksichtigt werden – durch einen Vergleich, durch entlastende Rechercheergebnisse von Journalisten oder durch höhere Chancen für die Anträge der Anwälte. Es ist durchaus möglich, dass Litigation-PR die Ermittlungsrichtung der Staatsanwaltschaft beeinflusst.
Litigation-PR und Krisen-PR
Litigation-PR bedient sich der Instrumente aus der Politikkommunikation und ähnelt dem so genannten Reputationsmanagement, nicht aber der in Deutschland bekannten Krisen-PR. Eilig einberufene Pressekonferenzen oder breit gestreute Pressemeldungen können bei Rechtsstreitigkeiten Schnellschüsse sein, die nach hinten losgehen. PR im Krisenfall zeichnet sich durch Schnelligkeit aus. Sie begrenzt die Ausbreitung des Imageschadens. Litigation-PR ist dagegen strategisch angelegt und setzt eher auf gezielt gestreute Informationen. Der Erfolg lässt u. U. lange auf sich warten. Rund 20 Jahre klagte der Ölkonzern ExxonMobil gegen eine Strafe, zu der er wegen des Unglücks seines Tankers Exxon Valdez verdonnert worden war. Im Lauf dieser Zeit sank der ursprünglich verhängte Schadensersatz von fünf Milliarden US-Dollar auf rund 500 Millionen – auch dank Litigation-PR.
Professionalisierung der Branche
Der Ursprung der Litigation-PR liegt im Rechtssystem der USA. Dort gilt: Wer die Geschworenen überzeugt, hat gewonnen. Das glauben hierzulande auch manche Angeklagte, bis sie vom Gericht belehrt werden, dass sie sich nicht in einer US-Fernsehserie befinden. Obwohl das deutsche Rechtssystem prinzipiell anders funktioniert, schwappen wegen der Internationalisierung der Rechtssysteme immer mehr Elemente aus der US-Justiz herüber. Manche deutsche Kanzleien fangen sogar schon an, wie die US-Kollegen lukrative Fälle zu recherchieren und erst im Anschluss daran Betroffene als Klienten zu werben.
„Litigation-PR-Experten sind Menschen, die sich im Kosmos der Jurisprudenz und ihrer Vertreter zurechtfinden und dabei trotzdem die Verbindung zu der Welt jenseits der umfangreichen Schriftsatzschlachten und Gerichtssäle halten.“
Die strategische PR bei Rechtsstreitigkeiten steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Deutsche PR-Agenturen interessieren sich erst für Litigation-PR, seit große US-Kanzleien auf den hiesigen Markt gekommen sind und damit auch das Gerichts-PR etabliert haben. Deutsche Anwälte sehen erst langsam ein, dass Litigation-PR ein Job für Spezialisten ist. Die Medienwelt ist zu komplex, um darin nebenbei bestehen zu können. Verteidiger verlassen sich häufig auf die Unternehmenssprecher ihrer Klienten. Die haben von juristischen Dingen aber oft wenig Ahnung. Einen weiteren Unterschied zwischen deutschen und US-Verfahren stellt der bekannte US-Strafverteidiger Alan Dershowitz fest: In den USA sei das Misstrauen gegenüber der Polizei größer, weshalb es sich für Verteidiger eher lohne, eigene Ermittlungen anzustellen und Zweifel an offiziellen Ermittlungsergebnissen zu nähren.
Warum Litigation-PR immer wichtiger wird
Die Zahl der Wirtschaftsstraftaten steigt: Korruptionsgeflechte, Spitzelaffären, Lustreisen, Fehlspekulationen. Managementfehler hat es früher schon gegeben. Heute stoßen sie aber auf wesentlich größeres öffentliches Interesse. Zwar geben sich Unternehmen viel Mühe, ein gutes Image zu erhalten. Doch allen PR-Kampagnen in Sachen „Corporate Responsibility“ und anderen sozialen und umweltbewussten Aktivitäten zum Trotz: Das Image der Konzerne und Manager in Deutschland ist so schlecht wie noch nie. Die Enttäuschung über die Talfahrt der Telekom-Aktie war der Wegbereiter für die skeptische bis ablehnende Haltung, die deutsche Kleinanleger und Zeitungsleser den Managern heute entgegenbringen. Rund 17 000 T-Aktionäre gingen sogar vor Gericht, um gegen die Telekom-Führung zu klagen – ein Novum in Deutschland. Zu den Auswüchsen der New-Economy-Börsenblase gehörte auch ein Übermaß an Wirtschaftsberichterstattung. Sogar Frauenmagazine interessierten sich plötzlich für die Haffa-Brüder und andere Börsenstars. Unternehmen werden von Medien immer personalisierter dargestellt – schnell wird ein Manager zum „Mr. Siemens“. So haben die Manager in den Medien die Höhe erreicht, die die Tiefe ihres derzeitigen Absturzes möglich gemacht hat.
Anwälte und Richter im Rampenlicht
Die größere Aufmerksamkeit des Publikums und der Medien findet in der Justiz Widerhall. Der Wettbewerb unter Rechtsanwälten wird härter, es gibt immer mehr von ihnen. Auch weil inzwischen für manche Fälle Erfolgsgebühren zugelassen sind, fühlen sich viele Anwälte als dynamische Unternehmer. Sie legen deshalb einen größeren Drang nach Aufmerksamkeit an den Tag als früher. Einige von ihnen kann man mittlerweile durchaus als prominent bezeichnen. Es gibt Ranglisten der PR-aktivsten Kanzleien. Da wollen die Gerichte nicht nachstehen: Viele haben sich Pressesprecher zugelegt. Laut Studien verfolgen Richter und Staatsanwälte die Berichterstattung über ihre Fälle sehr aufmerksam und geben zu, dass diese die Strafverfahren verändert – in Bezug auf die Aussage von Zeugen, die Atmosphäre im Saal und den Verfahrensablauf. Manche sehen sogar einen Zusammenhang zwischen dem Strafmaß und der Medienberichterstattung. Von den Staatsanwälten in Deutschland schaffen es nur wenige, einen bleibenden Eindruck in den Medien zu hinterlassen. Aber auch dieser Teil der Zunft füttert die Presse verstärkt mit Informationen. Manche der beamteten Staatsanwälte sichern sich durch das Interesse der Öffentlichkeit gegen Einflussnahmen aus der Politik ab.
Die Macht der Bilder
Die Richterin im Mannesmann-Prozess ging vor dem ersten Prozesstag zum Friseur. Von dem Gerichtsverfahren bleibt das Victory-Zeichen des Deutsche-Bank-Chefs Ackermann in Erinnerung. Ebenfalls eingeprägt hat sich die frühmorgendliche Razzia beim damaligen Post-Vorstandsvorsitzenden Klaus Zumwinkel. Die Beispiele zeigen: In Ermittlungs- und Gerichtsverfahren spielen Bilder eine wichtige Rolle. Fachleute sprechen von der „Mediatisierung des Rechts“: Zu möglichst allen Aspekten eines interessanten Verfahrens werden Bilder produziert und O-Töne eingeholt. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürfen Kameras bei Fällen großen öffentlichen Interesses nicht mehr grundsätzlich ausgesperrt werden. Wichtige Teile des Prozesses – z. B. die Verhandlung und der Urteilsspruch – dürfen aber noch nicht gefilmt werden. Anders als in den USA werden daher hierzulande noch keine Gerichtssäle von Litigation-Spezialisten nachgebaut und Szenarien durchgespielt, um das optimale Verhalten der Beklagten oder Kläger vor Gericht bzw. der Kamera zu üben.
Tipps für den Fall der Fälle
Wenn Sie von Ermittlungen erfahren, die gegen Sie laufen, schalten Sie sofort einen Verteidiger und einen Litigation-PR-Profi ein. So verhindern Sie die Informationshoheit der Staatsanwaltschaft und die Vorverurteilung in den Medien. Denn ein solcher „bürgerlicher Tod“ ist für Sie als Unternehmer in jedem Fall existenzbedrohend, zumal sich Kunden und Banken rasch abwenden. Sorgen Sie für eine klare Arbeitsteilung der angeheuerten Experten, sonst kommt es u. U. zu Rangeleien. Eine mögliche Strategie ist das Hinarbeiten auf einen „Deal“ – die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage. Dazu müssen Ihre PR-Dienstleister Ihren Fall relativieren und größere Fälle ins öffentliche Bewusstsein rücken. Kommt es zur Anklage, hören Sie unbedingt auf den Rat der Profis. Den Internetunternehmer Alexander Falk, der fast zwei Jahre in Untersuchungshaft saß, hat offenbar niemand daran gehindert, das Gericht und die Staatsanwaltschaft kontraproduktiv zu provozieren. In jedem Fall sollte Ihr Unternehmen mit einer Stimme sprechen, wenn es beklagt wird, und nicht mehrere Statements zu einem Sachverhalt verbreiten. Entwickeln Sie rasch Ihre Version des Sachverhalts und vermitteln Sie diese geduldig an Journalisten.
Viele Möglichkeiten im Zivilrecht
Litigation-PR wird auch im Zivilrecht wichtiger. Nach EU-Plänen erhalten beispielsweise von Kartellen geschädigte Bürger ein Klagerecht auf Schadenersatz. Noch kommt Litigation-PR vor allem im Kapitalmarkt- und Kapitalanlagerecht zum zivilrechtlichen Einsatz, doch auch für Fälle im Insolvenz-, Wettbewerbs- und Patentrecht eignen sich ihre Instrumente. Insolvenzverwalter können so mehr für die Beschäftigten herausholen und Ansprüche von Gläubigern dämpfen. Wenn Sie als zivilrechtlicher Kläger zu Mitteln der Litigation-PR greifen, stehen Ihnen eine Fülle von Möglichkeiten zur Verfügung. Sie können z. B. den Zeitpunkt selbst bestimmen, an dem Sie Ihre Forderungen stellen. Mit einem Auftritt auf einer Hauptversammlung erreichen Sie ein großes Publikum. Schon die geschickte Ankündigung von Klagedrohungen über die Medien kann Ihre Gegner zum Einlenken bewegen – vor allem wenn diese von einer günstigen öffentlichen Meinung abhängig sind, wie es etwa bei Krankenhäusern oder dem Lebensmittelhandel der Fall ist. Da zivilrechtliche Verfahren oft lange dauern, müssen Sie die Nachrichten dosieren, um die Aufmerksamkeit zu behalten.
Dienstleister für Journalisten
Angesichts der Komplexität von Wirtschaftsstrafverfahren kapitulieren viele Journalisten und schreiben bei einigen Leitmedien ab. Andere flüchten sich in Klischees und Ressentiments. Diesen Journalisten kann Litigation-PR die Dienstleistung bieten, komplexe Sachverhalte zu erklären. Verdichten Sie den juristischen Inhalt in verständlicher Form und heben Sie die Kernbotschaften hervor. Doch Vorsicht: Diese Übersetzungsarbeit versuchen auch die Staatsanwaltschaften oder die Anwälte der Gegenseite zu leisten.