Lebenszykluskosten optimieren

Buch Lebenszykluskosten optimieren

Paradigmenwechsel für Anbieter und Nutzer von Investitionsgütern

Gabler,


Rezension

Es klingt so selbstverständlich: Zieht ein Produkt einen Rat­ten­schwanz verborgener Kosten hinter sich her, kommt es den Käufer rasch teurer zu stehen als das Produkt der ver­meintlich hoch­preisi­gen Konkurrenz. Doch so pragmatisch tickt die In­dus­trie-Elite offenbar nicht. Wie ist es sonst zu erklären, dass anscheinend gerade beim Kauf von Millionen Euro teuren Maschinen allzu oft die Schnäppchenjäger-Men­talität regiert und der niedrigste Preis sticht? Und das, obwohl Hersteller wie Nutzer hochw­er­tiger, marktführender In­vesti­tionsgüter auf Gedeih und Verderb auf Qualität angewiesen sind? Etwas Besseres haben sie nicht, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Als Ausweg preist dieses Buch – sehr überzeugend – das Modell der Leben­szyk­luskosten an, das die wahren Kosten einer Investition für alle Beteiligten transparent machen soll. BooksInShort ist der Meinung: Ein hilfreiches, nützliches, längst fälliges Buch für beide Seiten.

Take-aways

  • Bei In­vesti­tionsgütern zählen neben den An­schaf­fungs- auch die Folgekosten.
  • Die Kosten des gesamten Leben­szyk­lus zu berechnen, ist bei Maschinen und Anlagen hoch kompliziert, bringt aber großen Nutzen.
  • Die Berechnung der Leben­szyk­luskosten ist die Basis für eine fundierte Planung von Controllern und Einkäufern.
  • Verkäufer von Industriegütern können damit überzeu­gen­der ar­gu­men­tieren.
  • Die erhobenen Daten erlauben gezielte Verbesserun­gen: beim Hersteller am Produkt und beim Nutzer an den Abläufen.
  • Das Modell der Leben­szyk­luskosten sollte alle wesentlichen Kos­ten­treiber abbilden.
  • Das Modell sollte kon­tinuier­lich genutzt werden. Dazu muss es überschaubar und mittels IT handhabbar sein.
  • Der Vertrag zwischen Hersteller und Nutzer muss sinnvolle Anreize setzten, z. B. mit einem Bonus-Malus-Sys­tem.
  • Zusätzliche Kosten sollen von beiden Seiten an­teil­sweise beglichen werden.
  • Im Störfall sollten nicht Schuldzuweisun­gen gemacht werden, sondern der Fehler muss analysiert und behoben werden und in die Berech­nun­gen einfließen.
 

Zusammenfassung

Einkäufer im Blindflug

Im Privatleben halten Sie es längst so: Beim Kauf eines Autos, eines Kühlschranks oder einer Waschmas­chine schauen Sie nicht bloß auf den Kaufpreis. Vielmehr werden Sie auch kalkulieren, wie lange die Freude am Produkt dauern und wie viel es Sie später noch kosten wird: an Sprit-, Strom- oder Reparaturkosten etwa. Dass billig nicht unbedingt gleich preiswert ist, haben die meisten längst verin­ner­licht. Doch im Handel zwischen Unternehmen ist dieses prag­ma­tis­che Denken anscheinend nicht so selbstverständlich. Gerade bei den teuersten In­vesti­tionsgütern entscheiden Einkäufer vor allem mit Blick auf den An­schaf­fung­spreis. Und lassen sich damit auf einen kalku­la­torischen Blindflug ein, der gut gehen, aber auch in einer Bruch­landung enden kann.

„Nicht mehr die billigste Maschine sollte bei einem Ange­botsver­gle­ich den Zuschlag erhalten, sondern diejenige, die auch langfristig die beste Qualität und die niedrigsten In­stand­hal­tungskosten garantiert.“

Klar, bei der Kalkulation reicht es nicht, wie bei Kühlschrank oder Auto Diesel- mit Ben­z­in­preisen oder ver­schiedene Kilo­wattzahlen pro Jahr zu vergleichen und anhand des Un­ter­schieds auszurech­nen, wann sich das teurere Produkt amortisiert. Die Kalkulation aller Kosten ist bei einer In­dus­triemas­chine oder -anlage ungleich kom­plizierter. Doch die Mühe lohnt sich: Gerade qualitätsori­en­tierten Maschi­nen­bauern und ihren Kunden bringt es viel, sämtliche Kosten eines solchen Investments im Rahmen einer Leben­szyk­luskos­te­n­analyse zu erheben.

TCO = LCC

Bei der Beschaffung von Traktoren hat der Controller des General Accounting Office der USA (ver­gle­ich­bar mit dem deutschen Bun­desrech­nung­shof) in den 1930er Jahren erstmals auch die Betriebs- und Wartungskosten ins Kalkül gezogen. Seither haben ver­schiedene Branchen das Konzept aufge­grif­fen. Mitte der 80er Jahre entwickelte die Un­ternehmens­ber­atung Gartner eine unter dem Namen Total Cost of Ownership (TCO) bekannte Berech­nungsmeth­ode, um die direkten und indirekten Kosten von IT-Systemen transparent zu machen. In der Industrie setzte sich eher der Begriff der Leben­szyk­luskosten durch (Life Cycle Cost, LCC). TCO und LCC sind heute weitgehend synonym. Die damit gemeinten Berech­nungsmod­elle umfassen alle wesentlichen Kosten, die während eines Pro­duk­tleben­szyk­lus anfallen.

An­forderun­gen an ein Leben­szyk­luskosten­mod­ell

Ein Leben­szyk­luskosten­mod­ell darf nicht zu komplex sein. Es muss die wesentlichen Kos­ten­treiber erfassen, um aussagekräftig zu sein. Diese Kos­ten­treiber müssen messbar – in Zeit, Menge oder Geld – und in ein Modell eingebettet sein, aus dem die Kosten­struk­tur und die Berech­nungsweisen hervorgehen. Ein gutes Modell können Sie den ver­schieden­sten Bedürfnissen anpassen. Ideal ist, wenn das Modell nicht nur die Kosten und den Nutzen aufzeigt, sondern auch das Op­ti­mierungspoten­zial. Damit es sich wirklich als prax­is­tauglich erweist, müssen Sie das Modell außerdem leicht in eine IT-Lösung übersetzen können. Nur so lässt sich die gewünschte Transparenz zeitnah herstellen und halten.

Die Mühe ist groß – der Nutzen aber auch

Sie können es sich denken: Ein solches Modell zur Berechnung der sichtbaren und un­sicht­baren Kosten ist eine aufwändige An­gele­gen­heit. Sie müssen nicht nur die Zeit für die Berechnung aufbringen. Selbst wenn Sie auf ein weitgehend fertiges Modell zurückgreifen, müssen Sie es mit relevanten Daten füttern, und dafür müssen Sie zuvor die wichtigen Kos­ten­treiber iden­ti­fiziert haben. Außerdem müssen Sie die Daten erheben und dürfen dann natürlich auch nicht mehr aufhören, Kosten zu messen und zu prog­nos­tizieren, Gründe für Ab­we­ichun­gen zu analysieren und immer weiter zu optimieren.

„Die Grundidee von Leben­szyk­luskosten ist, nicht nur die un­mit­tel­baren Kosten, die mit dem Erwerb eines In­vesti­tion­sgutes zusammenhängen, sondern auch die Kosten für den Betrieb, die Wartung und die In­stand­hal­tung zu berücksichtigen.“

Dafür wissen Sie dann aber genau, an welcher Stelle Sie die Kosten­schraube nach unten drehen können und wie Sie die Qualität – des Produkts ebenso wie der Prozesse – effektiv verbessern und so weiter Kosten senken können. Der Nutzen, den Sie aus dem Modell für die Berechnung der Leben­szyk­luskosten ziehen können, ist also ebenfalls immens.

Beide Seiten profitieren

Dem qualitätsbewussten Anwender von In­dus­triemaschi­nen und -anlagen bietet die Nutzung eines Leben­szyk­luskosten­mod­ells Pla­nungssicher­heit. Teure Fehlentschei­dun­gen werden vermieden, die Qualität der Prozesse verbessert und die Aus­fal­lzeiten der Anlagen gesenkt. Das spart Geld, erhöht die Qualität der Produkte und deren Zuverlässigkeit. Durch eine Kooperation zwischen Anwender und Hersteller kann ein Teil des Risikos auf Letzteren verlagert werden.

„Oft zeigt sich, dass die Kosten in der Nutzungsphase diejenigen der An­fangsin­vesti­tion in einer Mehr­jahres­be­tra­ch­tung durchaus bereits nach wenigen Jahren übersteigen können.“

Auch dem Hersteller bringt ein Leben­szyk­luskosten­mod­ell Vorteile. Beim Verkauf kann er die Qualität seiner Produkte fundierter hervorheben. Die enge Kooperation mit dem Kunden steigert dessen Bindung an sein Unternehmen. Dank der Daten der Leben­szyk­luskos­te­n­analyse kann das Produkt gezielt verbessert werden. Di­en­stleis­tun­gen lassen sich maßschneidern. Haben die Kunden beispiel­sweise Schwierigkeiten beim Wiederverkauf oder bei der Entsorgung, könnte eine Rück­nah­megarantie die Kaufhürde senken. Binden die Maschinen viel Liquidität, freuen sich Kunden über Angebote in den Bereichen Leasing, Fi­nanzierung oder Ver­sicherung. Bei technisch komplexen Produkten ist eine 24-Stun­den-Hot­line empfehlenswert. Mit solchen Strategien können Sie als Hersteller den Abstand zu Niedrig­preisan­bi­etern vergrößern.

Welche Kosten sind relevant?

Ein Berech­nungsmod­ell, das alle Folgekosten einbezieht, ist bei einer In­dus­triean­lage viel komplexer als etwa bei einem Auto oder einem Kühlschrank. Es reicht nicht, ein oder zwei Faktoren isoliert zu betrachten. Neben den En­ergiekosten – für die ver­schiede­nen Komponenten, bei Bedarf bis zum letzten Bauteil aufgedröselt – können zusätzlich Kosten für Reparatur, Still­stand­szeiten, Qualitätsverlust, Personal- oder Raumkosten und vieles mehr von Bedeutung sein. Welche Faktoren die Kosten am stärksten treiben, variiert von Maschine zu Maschine.

„Eine herkömmliche In­vesti­tion­s­pla­nung und -entschei­dung betrachtet oft nur die Spitze des Kosteneis­bergs. Eine Reihe der relevanten Kosten­po­si­tio­nen wird bei dieser Betrachtung selektiv aus­ge­blendet, was zu signifikant falschen Entschei­dun­gen führen kann.“

So ist es beispiel­sweise bei weitgehend wartungs­freien Pumpen­sys­te­men nicht sinnvoll, die Wartungskosten einzubeziehen. Hier schlagen neben den An­schaf­fungskosten vielmehr die En­ergiekosten zu Buche. Bei Werkzeug­maschi­nen lohnt dagegen ein genauer Blick auf die Kosten für Wartung und In­stand­hal­tung. Bei Kun­st­stoff­spritz­maschi­nen wiederum sind die Ma­te­ri­alkosten besonders wichtig.

Jenseits der Kosten

Ein prax­is­taugliches Leben­szyk­luskosten­mod­ell unterteilt die Lebensdauer einer Maschine in drei Phasen:

  1. An­schaf­fungsphase,
  2. Nutzungsphase,
  3. Nach­nutzungsphase.
„Die Leben­szyk­luskosten einer Werkzeug­mas­chine spielen bei In­vesti­tion­sentschei­dun­gen derzeit eher eine un­ter­ge­ord­nete Rolle, obwohl die Kosten der Betriebs- und Entsorgungsphase die Beschaf­fungskosten um ein Vielfaches übersteigen können.“

Für diese drei Phasen erheben Sie die kos­ten­treiben­den Faktoren. Neben den An­schaf­fungs- und Einführungskosten sind das die Kosten für den Betrieb, die Qualitätssicherung, für Wartung und In­stand­hal­tung, Ersatzteile, Schulung und zu guter Letzt für die Entsorgung. Vorteilhaft ist es, wenn Ihr Leben­szyk­luskosten­mod­ell nicht nur Kosten aufzeigt, sondern auch, was sich verbessern lässt. Außerdem kann es sich lohnen, den Nutzen gleich mitzukalkulieren. Um das Modell nicht zu komplex werden zu lassen, sollten Sie aber im Zweifel nur die am stärksten kos­ten­treiben­den Faktoren berechnen. Diese zu reduzieren ist oft lohnend genug.

„Um die Ergebnisse von Leben­szyk­luskosten­berech­nun­gen vergleichen zu können, müssen sie auf den gleichen Annahmen beruhen, aber auch nach dem gleichen Verfahren ermittelt worden sein.“

Wenn Sie die Folgekosten kon­trol­lieren wollen, brauchen Sie das Rad nicht neu zu erfinden. Orientieren Sie sich an technischen Vorgaben wie etwa der DIN-Norm 60300-3-3 oder an den Modellen ver­schiedener Verbände. Für In­dus­triemaschi­nen und Anlagen haben Sie ein gutes halbes Dutzend tauglicher Modelle zur Auswahl.

Part­ner­schaftlich kooperieren

Für den Erfolg der Leben­szyk­luskosten­be­tra­ch­tung kommt es wesentlich darauf an, welche Leistungen Hersteller und Nutzer einer Anlage erbringen wollen und welche Daten sie rauszugeben bereit sind. Welche Lösung auch immer zwischen ihnen vereinbart wird – eine sinnvolle Steuerung der Leben­szyk­luskosten funk­tion­iert nur, wenn Hersteller und Anwender einer Maschine wirklich part­ner­schaftlich kooperieren. Keiner darf be­nachteiligt sein, etwa durch Haf­tungsklauseln im Vertrag.

„Vor dem Abschluss von TCO-Verträgen sollten Maschi­nen­her­steller beachten, dass das Haf­tungsrisiko möglichst umfassend auf die Lieferanten übertragen wird.“

Die Anreize sind das wichtigste. Sie müssen im Vertrag sinnvoll gesetzt werden. Grundsätzlich sind die An­forderun­gen ja einfach: Der Nutzer einer Maschine muss sich auf die vom Hersteller zu­gesicherten Eigen­schaften verlassen können, und der wiederum muss sicher sein, dass sein Kunde die Maschine bes­tim­mungs­gemäß einsetzt und wartet. Wer was macht, muss aus­ge­han­delt werden. Aber es muss sich für beide lohnen. Damit das der Fall ist, müssen die Anreize den Hersteller zu wahrheits­gemäßen Angaben und den Nutzer zu pflichtgemäßem Betrieb animieren. Zusätzliche Kosten sollen von beiden Seiten anteilweise beglichen werden müssen. Um die Balance zu finden, braucht es Fin­ger­spitzengefühl. Gelingt dies, bemüht sich der Hersteller um tr­e­ff­sichere Prognosen und der Nutzer der Anlage wird nicht dazu verführt, zu schludern, um finanzielle Vorteile aus Störfällen zu ziehen.

„Die Schwierigkeit besteht darin, ein Modell zu entwickeln, mit dem objektiv entschieden werden kann, ob durch Änderungen am Bear­beitung­sprozess die Beanspruchung der Maschine und ihrer LCC-Kom­po­nen­ten entschei­dend erhöht wurde.“

Es ist z. B. sinnvoll, dem Hersteller einen Teil der vom Leben­szyk­luskosten­mod­ell nicht erfassten Mehrkosten aufzubürden. Der Autobauer Daimler etwa nutzt hierfür ein Bonus-Malus-Sys­tem. Je nach Art und Häufigkeit der Störung muss der Hersteller einen Anteil der zusätzlichen Kosten tragen. Eine zu diesem Zweck entwickelte Ampel zeigt an, ob die Werte für die ver­schiede­nen Kostenblöcke im grünen Bereich liegen oder aber der Vertrag verletzt wurde. Der Au­tozulief­erer ZF Friedrichshafen hat mit seinen Zulieferern ebenfalls gute Erfahrungen mit einem entsprechen­den An­reizsys­tem gemacht.

Abschied vom Verur­sacher­prinzip

Ein für den Hersteller nachteiliges An­reizsys­tem wird ihn dazu bringen, einen Sicher­heit­sauf­schlag für evtl. fällig werdende Malus-Forderun­gen in einem höheren Kaufpreis zu verstecken. Versteckte Kosten wollen Sie aber ja gerade sichtbar machen. Nur ein wirklich ein­vernehm­lich und fair aus­ge­han­del­ter Vertrag wird darum zu den erhofften Zielen führen. Auch wenn die Ver­hand­lungs­macht auf einer Seite liegt – es ist nicht im Interesse der Ver­tragspart­ner, einander über den Tisch zu ziehen oder haftbar zu machen.

„Während in die Entwicklung neuer Maschinen regelmäßig nen­nenswerte Beträge investiert werden, erfolgt die Entwicklung von Di­en­stleis­tungspaketen eher reaktiv, zu­falls­getrieben und tendenziell zu spät.“

Der Vertrag sollte den Beteiligten den Kopf so weit freihalten, dass es im Störfall nicht um Schuldzuweisung geht, sondern in erster Linie darum, den Fehler zu beheben, zu analysieren und ihn in die Berech­nun­gen einfließen zu lassen. Kom­pen­sa­tion darf mit Blick auf den langfristi­gen Erfolg nicht das Hauptziel sein. Das sollte vielmehr eine verbesserte Qualität und als deren Folge eine geringere Zahl von Störungen sein. Also: weiter sinkende Kosten. Sich bei der Haftung vom Verur­sacher­prinzip zu lösen, ist der – übrigens stetig sinkende – Preis dafür.

Über den Autor

Prof. Dr.-Ing. Stefan Schweiger ist Herausgeber dieses Buches, das Fachbeiträge ver­schiedener Autoren publiziert. Er ist seit 2003 Professor für in­dus­trielle Pro­jek­t­pla­nung und Pro­jek­t­man­age­ment an der Hochschule Konstanz. Daneben ist er als Un­ternehmens­ber­ater, Coach und Referent tätig.