Harte Zeiten

Buch Harte Zeiten

Unternehmenserfolg trotz globaler Märkte, Terrorgefahr und Klimawandel

Redline,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Bevölkerung­sex­plo­sion, Klimawandel, Ter­rorge­fahr – Stuart L. Harts Analyse der globalen Her­aus­forderun­gen klingt so vertraut, dass man das Buch womöglich schnell wieder bei­seit­elegen möchte. Alles schon mal gehört. Wirklich? Bei näherem Hinsehen hat die von Hart vorgeschla­gene Lösung durchaus Sel­tenheitswert: Multi­na­tionale Konzerne sollen den Kap­i­tal­is­mus vor sich selbst retten – und die Welt gleich mit. Nachhaltige, disruptive Tech­nolo­gien, so die Idee, machen umweltschädliche Produkte und Systeme überflüssig. Da diese In­no­va­tio­nen in den Slums und Dörfern der En­twick­lungsländer im wahrsten Sinn konkur­ren­z­los sind, können sie dort ihre Testphase durchlaufen und den Menschen helfen, sich aus extremer Armut zu befreien. So weit, so nobel. Hart führt unzählige Un­ternehmensgeschichten als Beleg für die Machbarkeit seiner Theorie an. BooksInShort empfiehlt die Lektüre allen, die bei der Lösung globaler Probleme nach neuen Impulsen suchen, ins­beson­dere Un­ternehmern, denn diese spielen in Harts Ansatz die Hauptrolle.

Take-aways

  • Die Menschheit steht am Scheideweg zwischen globaler Nach­haltigkeit und totaler Umweltzerstörung.
  • Nur die Pri­vatwirtschaft hat die nötigen Ressourcen für radikale Maßnahmen.
  • Umwelt­fre­undliche Produktion und Recycling sind wichtig, aber nicht ausreichend.
  • Die Zukunft liegt in Tech­nolo­gien, die herkömmliche Produkte und Methoden obsolet machen.
  • Solche Tech­nolo­gien setzen sich dort durch, wo sie nicht mit dem tech­nol­o­gis­chen Status quo konkur­ri­eren: bei den Ärmsten der Armen.
  • Die vier Milliarden Menschen am Fuß der Einkom­men­spyra­mide sind ein dankbarer und potenziell riesiger Markt.
  • Wir dürfen sie aber nicht nur als Verbraucher sehen, sondern müssen sie zu Produzenten machen.
  • Einige Ihrer Mitarbeiter sollten eine Zeit lang in Dörfern und Slums leben, um die Bedürfnisse der Bewohner zu erforschen.
  • Erstellen Sie gemeinsam mit lokalen Partnern ein Geschäftsmodell, das für alle einen Mehrwert schafft.
  • Nur ein radikaler Umbau des Kap­i­tal­is­mus wird den Kli­makol­laps verhindern und den in­ter­na­tionalen Terrorismus besiegen.
 

Zusammenfassung

Den Kap­i­tal­is­mus neu erfinden

Die Menschheit steht an einem Scheideweg. Die Weltbevölkerung explodiert und die Weltwirtschaft wächst viel zu langsam, um unzähligen jungen Menschen in den En­twick­lungsländern Arbeit bieten zu können. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer mehr auseinander. Und wenn wir die Treib­haus­gase­mis­sio­nen nicht bald um 70–80 % senken, wird die Kli­makatas­tro­phe mit Sicherheit kommen. Nur eine radikale Umkehr kann unseren Planeten retten, und keine Einrichtung ist dafür so gut geeignet wie die Pri­vatwirtschaft. Lange Zeit sah es zwar nicht danach aus: Mit Gesetzen zwangen Regierungen wider­strebende Unternehmen zu mehr Umwelt- und Sozialverträglichkeit; diese sahen dadurch ihre Wet­tbe­werbsfähigkeit beeinträchtigt. Dann begannen die Ve­r­ant­wortlichen zu erkennen, dass Prävention billiger ist als das große Aufräumen im Nachhinein. Unter dem Schlagwort „product stewardship“ (Pro­duk­t­be­treu­ung) übernehmen mit­tler­weile viele Unternehmen die Ve­r­ant­wor­tung für ihre Produkte über deren gesamten Leben­szyk­lus hinweg, von der Rohstof­fgewin­nung bis zum Recycling. Doch gesteigertes Umwelt­be­wusst­sein allein genügt nicht. Wir müssen den Kap­i­tal­is­mus im ökologischen und sozialen Sinn ganz neu zu erfinden.

„Dieses Buch vertritt den un­ortho­doxen Standpunkt, dass pri­vatwirtschaftliche Unternehmen, zum jetzigen Zeitpunkt in der Geschichte, auf einzi­gar­tige Weise dafür gerüstet sind, uns in eine nachhaltige Zukunft zu führen.“

Globale Nach­haltigkeit ist nur mithilfe von Produkten, Di­en­stleis­tun­gen und Tech­nolo­gien möglich, die heute noch weitgehend Zukun­ftsmusik sind. In den en­twick­el­ten Märkten kommt es vor allem darauf an, den ökologischen Fußabdruck zu verringern. In auf­streben­den Märkten können Unternehmen mit neuen Tech­nolo­gien Fehler vermeiden, die in den en­twick­el­ten Märkten gemacht wurden. Tra­di­tionelle Märkte, zu denen derzeit vier Milliarden Menschen am Fuß der Wohl­stand­spyra­mide (Bottom of the Pyramid, BoP) gehören, verlangen dagegen einen radikal neuen Ansatz. Denn die Probleme sind gewaltig: Eine Milliarde Menschen hat z. B. keinen gesicherten Zugang zu Trinkwasser, und 2,4 Milliarden leben ohne sanitäre Ein­rich­tun­gen.

Nach­halti­gen Mehrwert schaffen

Unternehmen von heute sollten folgende Nach­haltigkeitsstrate­gien verfolgen:

  1. Umweltver­schmutzung verhindern: Indem Unternehmen Ressourcen effizienter nutzen, sparen sie Kosten für Material und Ab­fal­l­entsorgung.
  2. Ve­r­ant­wortliche Pro­duk­t­be­treu­ung: Ein Beispiel ist die Kampagne von Nike, bei der alte Sportschuhe einge­sam­melt und für die Herstellung von Sportbelägen wiederver­wen­det werden. Durch die Ein­beziehung aller wichtigen Stakeholder wird so auch das Image des Un­ternehmens deutlich verbessert.
  3. Entwicklung disruptiver Tech­nolo­gien: Damit sind radikale Erneuerun­gen gemeint, die Probleme von Grund auf lösen, statt nur negative Auswirkun­gen der Un­ternehmenstätigkeit zu minimieren.
  4. BoP-Märkte bedienen: Die Grameen Bank in Bangladesch vergab erstmals Mikrokred­ite an die Ärmsten der Armen. Die Rückzahlrate liegt bei phänomenalen 98 %.
„Wo immer Menschen waren, gab es Märkte. Tatsächlich sind Märkte universell – sie sind nicht auf die Welt der Wohlhaben­den beschränkt.“

In der Wirtschafts­geschichte haben schon immer innovative Unternehmen solche verdrängt, die sich auf ihren Lorbeeren ausruhten. Der Ökonom Joseph Schumpeter prägte hierfür den Begriff „schöpferische Zerstörung“. Auch der Trend zur globalen Nach­haltigkeit wird viele gängige Produkte und Systeme obsolet machen. Vermutlich kennen wir heute drei Viertel der Unternehmen noch gar nicht, die 2020 den S&P-500-Index ausmachen werden. Nach­haltigkeit bedeutet, dass auch künftige Gen­er­a­tio­nen ihre Bedürfnisse so befriedigen können, wie wir das heute tun. Schrit­tweise Verbesserun­gen reichen dafür nicht aus. Es nutzt beispiel­sweise wenig, nach der Fer­tig­stel­lung eines Hausrohbaus in allerlei en­ergies­parende Geräte, Heiz- und Kühlsysteme zu investieren. Disruptive Innovation bedeutet, von Anfang an ein ganz anderes Haus zu bauen, das passiv geheizt und gekühlt, gut isoliert und mit So­laren­ergie betrieben wird.

Der große Sprung nach unten

Das technische Potenzial ist vorhanden: Biowis­senschaften, Nan­otech­nolo­gie, So­lartech­nik, Brennstof­fzellen und neue Materialien sind nur einige Beispiele. Dennoch ist die Einführung disruptiver Tech­nolo­gien in den Industrieländern wiederholt gescheitert. Der Grund: zu teuer, zu unbequem oder kein dringender Bedarf. Multi­na­tionale Konzerne richten ihre Aufmerk­samkeit tra­di­tioneller­weise auf die Spitze der Wohl­stand­spyra­mide (ca. 800 Millionen Menschen) oder auf die auf­strebende Mit­telschicht (ca. 1,5 Milliarden) – und wundern sich, dass ihre Wach­s­tum­schan­cen gering bleiben. Dabei übersehen sie vier Milliarden Arme, die bisher von der Glob­al­isierung übergangen oder sogar geschädigt wurden.

„Wenn die gesamte Welt so ma­te­ri­al­in­ten­siv vorgehen würde wie Nordamerika, bräuchte man die Erde in dreifacher Ausführung, um den Ma­te­ri­albe­darf der derzeitigen Weltbevölkerung zu befriedigen.“

Die Her­aus­forderung der dezentralen En­ergiev­er­sorgung ist ein gutes Beispiel. In den Industrieländern hat jedermann Zugang zu relativ günstigem Strom aus dem Netz. Nur wenige sind bereit, für dezentral gewonnene Solar- oder Windenergie tiefer in die Tasche zu greifen. In den ländlichen Gegenden der En­twick­lungsländer gibt es hingegen kein Stromnetz, und die Menschen müssen einen großen Teil ihres Einkommens für teure, in­ef­fiziente und umweltschädliche Energieträger aufwenden. Die Non-Profit-Or­gan­i­sa­tion Light up the World hat nun erfolgreich ein mit So­laren­ergie und LED-Lampen betriebenes ländliches Beleuch­tungssys­tem für 50 $ entwickelt und dieses mit der Möglichkeit der Mikro­fi­nanzierung verbunden – ein Geschäftsmodell mit immensem Wach­s­tumspoten­zial. Sobald sich ein solches Produkt auf den BoP-Märkten etabliert hat, die Kosten gesunken sind und die Technologie ausgereift ist, kann sein Siegeszug in wohlhaben­deren Bevölkerungss­chichten beginnen.

Ein neues Geschäftsmodell

Um an den BoP-Märkten Erfolg zu haben, müssen multi­na­tionale Konzerne ihr Geschäftsmodell radikal umstellen:

  • Versetzen Sie sich in die Lage Ihrer poten­ziellen Kundschaft: Welche Hindernisse gilt es zu beseitigen, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können? Beispiele hierfür sind Wucherzin­sen und -preise, min­der­w­er­tige Produkte und die Ausbeutung durch lokale Machthaber.
  • Erhöhen Sie die Er­tragskraft: Viele Arme zahlen viel zu viel für die Erfüllung grundle­gen­der Bedürfnisse. Helfen Sie ihnen, Geld zu sparen und welches zu verdienen. So wurde es etwa beim Village Phone Program in Bangladesch gehandhabt, das ein dörfliches Mo­bil­funknetz aufbaute und den Tele­fon­ver­mit­t­lerin­nen, die Handys vermieteten, ein regelmäßiges Einkommen einbrachte.
  • Schaffen Sie neues Potenzial: Ein Beispiel ist die Bere­it­stel­lung von In­ter­netkiosken im ländlichen Indien. Diese bilden die Grundlage für unzählige weitere Geschäftsmodelle, darunter die Gründung eines Netzwerks lokaler Rohstoffbörsen für land­wirtschaftliche Produkte, die den Bauern bessere Preise einbringen.
„Fakt ist, dass es im wahrsten Sinne des Wortes schon ein ,ganzes Dorf‘ braucht, um den or­gan­isierten Terrorismus tatkräftig zu unterstützen.“

Die Geld­wirtschaft ist nur die Spitze der globalen Wirtschaft­spyra­mide. In vielen Ländern werden in den Familien und im informellen Sektor Vermögen geschaffen, die in keiner Bilanz auftauchen. Multi­na­tionale Konzerne verfügen über die nötigen Ressourcen, um diese Vermögen zu nutzen, und sie können ihre gewonnenen Erfahrungen auf BoP-Märkte in un­ter­schiedlichen Ländern ausweiten.

Werden Sie einheimisch

Das En­twick­lungsmod­ell, das der Westen den armen Ländern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgezwun­gen hat, ist in weiten Teilen gescheitert. Tra­di­tionelle Gesellschaften wurden zerstört, Landflucht, Masse­nar­beit­slosigkeit und extreme Armut nahmen überhand. Um an BoP-Märkten Erfolg zu haben, sollten Sie neue Wege beschreiten: Iden­ti­fizieren Sie Stakeholder, die bisher nur als Randgruppen wahrgenom­men wurden, z. B. radikale Umweltschützer, Obdachlose, Slum­be­wohner oder die arme Landbevölkerung. Finden Sie Lebens­bere­iche, in denen ein neues, nach­haltiges Geschäftsmodell einen wirklichen Gewinn für die betroffenen Menschen darstellt. Schicken Sie in­terkul­turell geschulte Manager für längere Zeit dorthin, wo diese Menschen leben, damit sie sich ein Bild von deren Bedürfnissen machen und die Geschäftsidee auf ihre Machbarkeit überprüfen. Nach einer ersten Ori­en­tierung struk­turi­eren Sie den En­twick­lung­sprozess: Or­gan­isieren Sie Dialoge mit den Stake­hold­ern, bilden Sie Ar­beits­grup­pen aus Geschäftsführern, F&E-In­ge­nieuren und Per­son­alleit­ern und gründen Sie Or­gan­i­sa­tion­skomi­tees, an denen sämtliche Un­ternehmens­bere­iche beteiligt sind.

Vom Verbraucher zum Produzenten

Ob Por­tionsver­pack­un­gen, Mikrokred­ite oder NGO-Part­ner­schaften – schon eine ganze Reihe von Unternehmen hat die BoP-Märkte entdeckt und verkauft dort erfolgreich Produkte. Doch damit ist es nicht getan. Wir dürfen die Armen nicht nur als Kunden sehen, sondern müssen sie zu Partnern und Produzenten machen. Das gelingt nur, wenn wir ihre Lebensverhältnisse und ihre Kultur von Grund auf verstehen: Oft sind in indigenen Traditionen Pro­duk­tideen zu finden, die den lokalen Ökosystemen perfekt angepasst sind. Zusammen mit den Menschen, Händlern und NGOs vor Ort müssen in­di­vidu­elle Lösungen erarbeitet werden, anstatt zu versuchen, bestehende einfach anzupassen. Es gilt, im Kleinen mit preiswerten Produkten für den End­ver­braucher zu ex­per­i­men­tieren, anstatt sich mit großen Plänen korrupten In­sti­tu­tio­nen und Politikern auszuliefern. Setzen Sie auf soziales Kapital und Vertrauen, nicht auf rechtliche Verträge und Marken­schutz: Letztere sind in BoP-Märkten nichts wert, während Erstere im Übermaß vorhanden sind.

„Die Nach­haltigkeit ist die Kirche des 21. Jahrhun­derts, die wir gemeinsam errichten müssen. Es gibt kein wichtigeres Ziel, keine noblere Gesinnung und keine bessere Geschäftschance.“

Multi­na­tionale Konzerne sollten ihre Kräfte nicht mit dem Kampf gegen Pro­duk­t­pi­ra­terie ver­schwen­den, sondern Produkte anbieten, die die Menschen sich leisten können. Schlechte In­fra­struk­tur und mangelhafte zentrale In­sti­tu­tio­nen oder Rechts­grundsätze sind nur bei einer kon­ven­tionellen Geschäft­sex­pan­sion von Nachteil. Wenn Sie aber Vertrauen zu lokalen Gemeinden aufbauen, können Sie diese Rah­menbe­din­gun­gen zu einem Wet­tbe­werb­svorteil ausbauen, der sich nicht so leicht kopieren lässt.

So erschließen Sie die BoP-Märkte

In der Eröff­nungsphase eines Projekts lebt ein Team aus fünf bis sieben Mi­tar­beit­ern und En­twick­lung­sex­perten vor Ort und iden­ti­fiziert die Bedürfnisse der dortigen Bevölkerung. Anschließend wird in Verbindung mit lokalen Partnern das Geschäftskonzept entwickelt. Erste Pilottests mit einem Schwerpunkt auf der gegen­seit­i­gen Wertschöpfung werden durchgeführt und langsam erweitert. Das Ergebnis ist ein Netzwerk aus lokal in­te­gri­erten Unternehmen, das auch auf BoP-Märkte in anderen Ländern ausgeweitet werden kann.

„Sollte die Wirtschaft wirklich versagen und ihr Ziel nicht erreichen, dann stehen uns ein ökologischer Zusam­men­bruch, globaler Terrorismus und ein geopoli­tis­cher Super-GAU bevor.“

Gründen Sie einen separaten In­vest­ment­fonds für BoP-Märkte, der sich unabhängig von den Kosten- und Gewin­nvor­gaben Ihres Un­ternehmens entwickeln darf. Überdenken Sie die Kosten­struk­tur: Damit arme Menschen sich Ihre Produkte leisten können, müssen Sie Ihre Kosten um ca. 10 % senken. Das gelingt, indem Sie in per­son­al­in­ten­sive statt in kap­i­tal­in­ten­sive Un­ternehmungen investieren. Formulieren Sie neue und außergewöhnliche Ziele, legen Sie die Strategie fest, entwerfen Sie die notwendigen Strukturen und Prozesse und integrieren Sie ganzheitliches, nach­haltiges Denken auf sämtlichen Un­ternehmensebe­nen. An Nach­haltigkeit orientierte Mitarbeiter sollten alle Freiheiten und Ressourcen erhalten, die nötig sind, um diese wichtigste Aufgabe der Menschheit zu erfüllen.

Über den Autor

Stewart L. Hart ist Professor für Management an der Cornell University und Experte für nachhaltige Strategien in Unternehmen. Er berät multi­na­tionale Konzerne wie DuPont, Hewlett-Packard, Procter & Gamble und Shell bei der Umsetzung dieser Strategien.