Wer rastet, rostet
So unvollkommen wie der Mensch ist auch sein Arbeitsplatz. Das bedeutet, dass wir uns ständig verbessern können – theoretisch. Allerdings gibt es eine Vielzahl von Gründen, die uns davon abhalten, aus eigenem Antrieb nach Vollkommenheit zu streben. Manche kommen schlicht nicht dazu, weil ihnen die Alltagsarbeit die Zeit wegfrisst. Andere sind unmotiviert – wenn die anderen nichts tun, warum sollte man dann selbst? Einige arbeiten in zu hierarchischen Systemen, als dass sie sich trauen würden, und wieder andere bräuchten Unterstützung, fürchten aber dumme Antworten, wenn sie darum bitten. Der Ausweg liegt auf der Hand: Es ist Aufgabe des oberen Managements, einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) im Unternehmen anzustoßen.
„Sobald man sich mit dem Erreichten zufriedengibt, rudert man nicht mehr nach vorn, sondern treibt zurück.“
Das japanische Pendant zu KVP heißt Kaizen und bedeutet „Veränderung zum Besseren“. KVP ist also international bekannt. Kein Wunder: Schließlich wollen alle Firmen zufriedene Kunden. Doch die hat nur, wer gute Arbeit zu fairen Preisen leistet und dabei auch noch besser als die Konkurrenz ist. Der Weg dazu führt über die Arbeitsprozesse selbst. Die Mitarbeiter spielen dabei eine herausragende Rolle, denn niemand kennt die Prozesse so gut wie sie und keiner weiß besser, wo Fehler lauern. Darum funktioniert KVP im Grunde so, dass die Mitarbeiter die Probleme benennen, die ihnen im Arbeitsalltag begegnen, und dass dann nach einer Lösung gesucht wird. Im Idealfall haben die Angestellten gleich selbst einen Verbesserungsvorschlag parat.
KVP-Spielarten
In der Praxis werden verschiedene KVP-Arten unterschieden:
- Mitarbeiter-Basis-KVP: Es wird auch Blitz-KVP oder Gemba-Kaizen genannt. Gemba ist wieder japanisch und steht für den Ort des Geschehens, in diesem Fall also für den Arbeitsplatz. Bei dieser KVP-Form macht der Mitarbeiter, wenn er eine Verbesserungsmöglichkeit sieht, sofort per Formular einen Verbesserungsvorschlag. Die Umsetzung kann direkt vor Ort erfolgen.
- Experten-KVP: Dabei setzen sich die Meister und Leiter eines Betriebs regelmäßig zusammen und entwickeln Projekte mit festgesetzter Laufzeit, um die Situation zu verbessern. Die betroffenen Mitarbeiter werden hinzugezogen.
- Methoden-KVP: Hierbei wird mit einer festgelegten Methode (z. B. Rüstzeitoptimierung oder autonome Instandhaltung) gezielt nach einer Verbesserungsmöglichkeit gesucht.
So funktioniert KVP
KVP ist wie das betriebliche Vorschlagswesen oder Kaizen ein Beispiel für Ideenmanagement. Bestehende Strukturen sollen von allen Mitarbeitern verbessert werden. Im Fokus sind verschwenderische Prozesse in der Produktion oder in der Administration. Es kann z. B. darum gehen, dass hohe Bestände Kosten und Aufwand mit sich bringen oder dass die Qualität darunter leidet, wenn Maschinen nicht regelmäßig gewartet werden. Wer sie instand hält und pflegt, kann problemloser arbeiten. Auch Ordnung und Sauberkeit spielen eine Rolle, denn sie machen den Arbeitsplatz übersichtlicher und sparen Zeit. Aufgabe der Mitarbeiter ist es, im so genannten „Muda-Check“ ihren Arbeitsablauf auf Verschwendung zu überprüfen.
„Ein Fehler wird erst dann negativ beurteilt, wenn man sich nicht um ihn kümmert und er somit wieder auftreten kann.“
Wichtig zu wissen: KVP will nicht rationalisieren, denn kein Mitarbeiter würde Verbesserungsvorschläge machen, wenn er damit seinen eigenen Arbeitsplatz oder den eines Kollegen in Gefahr brächte . Obwohl die Mitarbeiter die Protagonisten sind, spielt auch das Management bei KVP eine Rolle: Alle Verbesserungsmöglichkeiten, die durch KVP angegangen werden, müssen das Gesamtziel der Geschäftsführung unterstützen. Grundsätzlich und abstrakt gesprochen, geht es um die Erhöhung der Wertschöpfung. Die Faktoren, die dazu beitragen, können ganz unterschiedlich sein, von der Eliminierung von Störfaktoren bis hin zur gesünderen Mitarbeitern.
Führung im KVP
Bevor Sie und Ihre Mitarbeiter nun loslegen, muss allen eines klar sein: Lösungsvorschläge aus der Ferne helfen selten weiter. Darum sollten alle gut zuhören, wenn jemand sein Problem schildert und sich ggf. vor Ort ein Bild machen. Sinnvoll ist, wenn alle Kollegen beteiligt sind – wer nicht täglich mit dem Problem konfrontiert ist, sieht vielleicht leichter einen Ausweg, als wer seinem Arbeitsablauf schon seit Jahren auf die gleiche Art und Weise nachgeht. Als Führungskraft sind Sie besonders aufgerufen, sich einzubringen, denn Sie haben Vorbildfunktion und werden ständig von Ihrem Team beobachtet. Überdenken Sie außerdem Ihren Führungsstil. Es geht nicht darum, dass Sie Ihre Mitarbeiter im KVP kontrollieren; vielmehr sollen Sie sie führen. Durch Kontrolle verhindern Sie die Eigeninitiative, die Sie benötigen, um zu positiven KVP-Ergebnissen zu gelangen. Loben Sie, wenn sich jemand einbringt; das erhöht die Motivation.
„Grundsätzlich stellt eine KVP-Prämie keinen Ersatz für den inneren Antrieb eines Mitarbeiters dar und sollte auch nicht als finanzieller Leistungsanreiz verstanden werden.“
Sie sollten jederzeit im Kopf behalten, dass Fehler passieren können – insbesondere, wenn man Neues ausprobiert. Versuchen Sie, in diesem Punkt „weniger deutsch“ zu sein. Während bei uns Fehler etwas Negatives sind und man auf keinen Fall der Schuldige dafür sein möchte, wird beispielsweise in Japan der Fehler als Chance zur Verbesserung gesehen. Wer einen Fehler macht, sollte also nicht getadelt oder gar aus der Gruppe ausgeschlossen werden. Rechnen Sie außerdem damit, dass Veränderungen keine Jubelschreie auslösen werden. Im Gegenteil: Es braucht immer Zeit, bis sich Mitarbeiter an Neuerungen gewöhnt haben und sie akzeptieren.
Die KVP-Zielsetzung
Wie immer gilt auch bei KVP: Um ein Ziel zu erreichen, muss es zunächst definiert werden, und zwar möglichst präzise. Formulieren Sie konkret, z. B.: „Wir wollen mithilfe von KVP unsere Umlaufbestände innerhalb des nächsten Jahres um 15 % reduzieren.“ Die Aussage „Wir wollen unsere Umlaufbestände mit KVP verbessern“ wäre dagegen zu vage. Eine positive Wortwahl wirkt motivierend. Sie wollen beispielsweise eine „Quote steigern“, einen „Prozess beschleunigen“, die „Qualität verbessern“. Aber bleiben Sie auf dem Teppich: Ihr Ziel muss erreichbar sein, und zwar innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens . Betrachten Sie Ihr Ziel immer von allen Seiten, damit Sie im Nachhinein keine negativen Überraschungen erleben.
Die Akteure im KVP
Je größer das Unternehmen und je unübersichtlicher die Strukturen, desto wichtiger ist es, dass jemand für den KVP verantwortlich ist. Sonst gerät der Verbesserungsprozess ins Stocken oder es gibt Missstimmungen zwischen Beteiligten. Ein KVP-Koordinator sorgt zunächst dafür, dass der KVP im Unternehmen implementiert wird, und baut diesen dann weiter aus. Der Mitarbeiter, der diese Stelle erfolgreich ausfüllen kann, muss selbstständig arbeiten können und sich mit Projektmanagement auskennen. Er braucht jedoch auch pädagogische Kompetenz, denn er soll schließlich Menschen anleiten.
„Nur wenn die Führungskräfte als ‚Promoter‘ überzeugt und eigenverantwortlich den KVP-Prozess vorantreiben, wird er im Unternehmen erfolgreich sein.“
Zusätzlich benötigen Sie einen KVP-Moderator, der sich darum kümmert, dass Workshops und Sitzungen vorbereitet werden. Auch hat er dafür zu sorgen, dass die eingehenden Vorschläge methodisch bearbeitet werden. Der KVP-Moderator ist eine Art Kommunikationsstelle zwischen dem Koordinator und den Mitarbeitern. Wichtig ist, dass der Betriebsrat von Anfang an in den KVP eingebunden wird und eine entsprechende Betriebsvereinbarung aufsetzt. Außerdem sollte festgehalten werden, dass KVP nicht mit Rationalisierung und Kündigungen einhergeht.
„Das Recht auf Zugehörigkeit besteht auch bei Misserfolgen oder beim Scheitern einzelner Personen oder ganzer Prozesse fort.“
Natürlich können Sie den KVP auch mit einem externen Berater durchführen. Der wählt dann den Moderator und den Koordinator aus, bringt seine Erfahrungen und Ideen ein, schult und coacht die Mitarbeiter, die im KVP eine Rolle spielen sollen, und spricht Probleme an. Der externe Berater hat Vor- und Nachteile:
- Vorteile: Wenn ein Fremder im Haus ist, wird alles verbindlicher. Das Unternehmen zeigt sich dem Besucher von seiner Schokoladenseite, notwendige Informationen werden so schnell wie möglich zusammengetragen. Zeit für den Besuch wird im Voraus geblockt und es gibt eine klare Aufgabenteilung.
- Nachteile: Das Team ist passiver und wartet auf den Berater und seinen Input. Beratung kostet viel Geld, die Konzepte sind selten individualisiert, und eine Firma begibt sich mit einem externen Berater in eine gewisse Abhängigkeit.
Für KVP motivieren
Die durch den KVP erzielten Ergebnisse sollten mindestens monatlich kommuniziert werden. Das kann z. B. in Form eines Newsletters geschehen, als Artikel in der Mitarbeiterzeitschrift, über Intranetmeldungen oder an einem KVP-Stammtisch. Damit motivieren Sie Ihre Mitarbeiter, dabeizubleiben. Als Ergebnis zählt übrigens, was messbar ist: etwa die Zahl der eingesandten Vorschläge oder die Höhe der Mitarbeiterbeteiligung.
„Wenn man das Tempo der Schritte selber bestimmen kann, gibt es keinen Grund, sich vor Veränderungen zu fürchten.“
Sie können durch Prämien dafür sorgen, dass sich die Mitarbeiter engagieren. Allerdings müssen Sie dann immer höhere Prämien versprechen, um die Motivation auf gleich hohem Niveau zu halten. Statt Geldprämien können Sie Essens- oder Tankgutscheine herausgeben oder das Team zum Frühstück oder zum Kegeln einladen. Wichtiger als Prämien sind jedoch einige Grundsatzfragen, die geklärt werden müssen: Zum Beispiel muss der KVP einfach, transparent und fair durchgeführt werden, damit sich auch diejenigen Mitarbeiter beteiligen, die sich nicht so gut ausdrücken können oder die Probleme beim Schreiben haben. Erläutern Sie Fremdwörter und Abkürzungen, bevor Sie sie benutzen. Außerdem ist es wichtig, dass jeder Arbeitnehmer, der einen Vorschlag einreicht, schnellstmöglich eine Antwort bekommt. So erhalten Sie die Motivation aufrecht.
KVP im Unternehmen einführen
Bevor es losgeht mit dem KVP in Ihrem Unternehmen, sollten Sie eine Kick-off-Veranstaltung durchführen. Dazu laden Sie die Mitarbeiter ein und erklären, was es mit KVP auf sich hat. Am besten halten Sie diese Veranstaltung in einem eigens geschaffenen KVP-Raum ab. Dort sollten Stühle und Tische stehen, ein Computer mit Drucker, Moderationsutensilien wie Flipchart, Stifte, Karten, Papier und eine Pinnwand. Auch eine Videokamera mit Projektor kann sinnvoll sein. In diesem Raum finden regelmäßig Treffen statt, beispielsweise zweimal im Monat. Diese Treffen werden vom KVP-Moderator geleitet. Im Regelfall versammeln sich hier fünf bis zwölf Teilnehmer und bearbeiten Probleme, die sich nicht sofort lösen lassen. Die Problemlösung folgt immer dem Schema: Planen – Durchführen – Checken – Anpassen, PDCA-Zyklus genannt.
„Das Bedrohliche ist nicht die Veränderung, sondern der Stillstand.“
Bei KVP-Treffen gibt es Regeln, die eingehalten werden müssen: Die Teilnehmer sind immer pünktlich, oder sie sagen ab. Das Handy wird ausgeschaltet. Man lässt sich gegenseitig ausreden und bringt sich ein. Vorschläge werden ausprobiert und nicht von Anfang an schlecht geredet. Im Vordergrund der Überlegungen stehen immer die Faktoren Nutzen, Aufwand und Zeit.