Unüberschaubar
In naher Zukunft wird jeder Haushalt der westlichen Gesellschaften einen Internetanschluss haben. Das bedeutet für jeden den individuellen Zugang zur gesamten globalen Infrastruktur. Es gibt also nur noch einen Markt statt unendlich vieler, und jeder kann dabei sein. Märkte sind archaische Kommunikations-Stätten. Sie sind ein Ereignis, bei dem der Konsum nur Mittel zum Zweck ist: zum Austausch der neuesten Gerüchte, zum Musizieren, zum Amüsieren. Wer in dem bunten Durcheinander eines mittelalterlichen Marktes die Aufmerksamkeit der Leute erregen konnte, hat vermutlich gut verkauft.
„Wie kann ich angesichts eines globalen Angebots die Aufmerksamkeit der Kunden auf mich ziehen und längerfristig binden? Wie zeige ich meine Kompetenz, wenn der Mitbewerber nur einen Klick weit entfernt ist?“
Das Internet ist wie ein mittelalterlicher Markt mit Sprechverbot - hier nehmen Events die Rolle der Gaukler und Spieler, der Bänkelsänger und Hanswurste ein. Das Angebot im virtuellen Netz, bereits unüberschaubar, wächst mit ungebremster Dynamik. Den Kunden frustriert die Vielfalt, denn sie macht ihm die Kaufentscheidung nicht leichter, im Gegenteil. Hier haben gute Konzepte die Chance, eine Kundenbindung zu erzielen, indem sie dem Konsumenten durch Schaffung eines Mehrwerts die Entscheidung für den jeweiligen Anbieter leicht machen. Dialog, Service und Themenführung sind die unabdingbaren Werte, für die im Unternehmen neue Kompetenz aufgebaut werden muss. Vor jeder Wahrnehmung von Produktqualität steht zunehmend die Attraktion durch mediengerechte Inhalte, denen im Wettbewerb um Aufmerksamkeit der Rang von Ereignissen zukommen muss.
Dialog
Unternehmen müssen neues Selbstverständnis herausbilden. Anbieter müssen sich mit ihrer neuen Rolle auseinander setzen, im Web in einem gleichberechtigten Dialog mit ihren Kunden anpassungsfähig, reaktionsschnell und sensibel zu sein. Unternehmen müssen auch damit leben, in Zukunft auf dem Präsentierteller zu stehen: Durch ihren Auftritt im Internet geben sie jede Deckung auf und machen sich universell angreifbar. Insofern bietet das Web nicht nur neue Vertriebs- und PR-Möglichkeiten, sondern auch die Optimierung nahezu jedes Firmenzweiges. In der Hauptsache kommt es aber darauf an, die Kundenorientierung und den Dialog mit seinen Kunden-Partnern zu perfektionieren. Kunden können die besten Mitarbeiter eines Unternehmens sein - wenn sie entsprechend behandelt werden. Durch die digitalen Technologien, Echtzeitverarbeitung usw. wird der Austausch mit den Kunden dialogorientierter und intensiver. Die Unternehmenskommunikation gewinnt so zentrale Bedeutung - sie muss die Kommunikationsanlässe, die Events, erst schaffen.
Aufmerksamkeit - "War of Eyeballs"
In unserer heutigen Umwelt voller Reize muss die Steigerung des Werbedrucks nahezu wirkungslos verhallen. Insbesondere Werbemedien, die auf ungewollten Konsum setzen, stehen damit zur Debatte. Werbeunterbrechungen im Fernsehen werden weggezappt, Werbebanner im Internet ignoriert - in Deutschland wurden durchschnittliche Klickraten von 0,8 % registriert. Chancen dagegen bietet zielgruppenrelevante Werbung, die der Nutzer aktiv zusammenstellen kann. Neuere Wirtschaftstheorien weisen der Aufmerksamkeit einen zentralen Wert zu. Unser Gehirn verarbeitet nur einen Teil der Informationen, die wir sinnlich aufnehmen können. Das Ziel jeder Unternehmenskommunikation muss es folglich sein, die Aufmerksamkeit möglichst vieler Augenpaare zu binden - der Kampf um Marktanteile wird zum "War of Eyeballs".
„Im Netz sind Produzenten und Händler nicht länger Sender, die versuchen, ein anonymes Massenpublikum möglichst vollständig zu erreichen, sondern sie werden in mindestens gleichem Masse zu Empfängern.“
Am wirkungsvollsten wird Aufmerksamkeit durch Beteiligung gebunden. Traditionelle Märkte sind ohne Interaktion nicht denkbar. Ein Viehmarkt z. B. ist im Internet nicht möglich, weil die Ware nicht gleichförmig ist und dementsprechend gemustert werden muss. Industriell gefertigte Ware dagegen bietet keine Überraschungen - Einkauf wird zwar bequem, macht aber keinen Spass mehr. Da ohne Spass aber unwillig konsumiert wird, gilt es den Ereigniswert zu fördern.
Event-Typologie
Reale, etablierte Ereignisse können im Netz begleitet werden: So kann ein Sponsor zur Fussball-WM zusätzlich zu den Produktinformationen Sportberichte auf die Homepage stellen. Denkbar wäre dies auch bei Grossereignissen wie einer Sonnenfinsternis, einer grossen Messe oder einer Gemäldeausstellung.
Fallbeispiel ATP Tennis Tour
Mit mehr als 2,8 Millionen Page-Impressions pro Woche hat sich www.atptour.com als führende Tennis-Plattform im Cyberspace etabliert. Das initiierende Unternehmen Kabel New Media hat sich auf Konzeption und Produktion interaktiver Business- und Kommunikationslösungen spezialisiert. Potenzielle Sponsoren haben erkannt, dass eine Website, die sich ausschliesslich mit einer Sportart befasst, eine hervorragende Ausgangsbasis für einen digitalen Werbeauftritt ist. Im November 1997 unterzeichneten Kabel New Media GmbH und die Association of Tennis Professionals (ATP) einen Vertrag, der die Firma als verantwortlichen Partner für Design, Unterhalt und Vermarktung der offiziellen Website vorsah. Am 1. März 1998 startete sie mit einem komplett neuen Angebot, darunter vielen Live-Berichten und -Fotos. Als Sponsor konnte Mercedes gewonnen werden - Sponsorship bietet im Web die Möglichkeit, das Angebot auf den Mäzen abzustimmen, also eine Beziehung zwischen Sponsor und Site aufzubauen. Bei www.atptour.com wurde beispielsweise das gesamte Layout der Seiten auf das Design von Mercedes und des gemeinsamen Logos abgestimmt.
„Zukunftsträchtig sind von den Unternehmen selbst generierte oder hinzu gekaufte Inhalte, die der Kunde abrufen möchte. Hier werden längere Verweildauern, häufige Wiederkehr und positive Bewertungen registriert. Eine der aussichtsreichsten Formen der Kooperation ist der Tausch von Content gegen Traffic.“
Reale, neue Ereignisse können aufgegriffen und im Netz verstärkt werden: Das verlangt gute Trendscouts, die kommende Moden in der Jugendszene vorausahnen und als Ereignis langfristig aufbauen. Das können z. B. Themenbezüge zu Trendsportarten wie Snowboard oder Streetball sein, lokale Ereignisse wie Modenschauen oder Theaterpremieren sowie Zeitintervalle wie der 14-tägige Stadtkalender oder die Tour einer Band.
Fallbeispiel MultiMediaMeile:
Die Veranstaltungsagentur Cyburbia Medien realisierte 1996 erstmalig die MultiMediaMeile Düsseldorf in Zusammenarbeit mit der lokalen Messe und der Kölner Musik Komm. Seitdem hat sie sich zu einer festen Grösse in der Medienlandschaft gemausert. Sie verfolgt das Ziel, die neue Welt der digitalen Medien, der Computernetzwerke und Onlinedienste allen Düsseldorfern und deren Gästen auf unterhaltsame Art zu erklären. Mitmachen ist erwünscht. Cyburbia stellte einfach in einer Zeltstadt am Rheinufer Computer-Infrastruktur auf, die jeder Besucher nach Herzenslust testen konnte. So mancher schrieb die erste E-Mail seines Lebens und surfte durch seine Web-Premiere. Diverse Künstler traten auf und lieferten ihre Interpretation der MultiMediaMeile. Im darauf folgenden Jahr wurde die Stadt Düsseldorf Mitveranstalter, die Zeltstadt wuchs, Aussteller wie die Deutsche Telekom, LTU, Microsoft u. a. beteiligten sich. Alle Veranstaltungen waren selbstverständlich gratis. Ein Event wurde geboren. Neue Ereignisse werden erfunden und im Netz realisiert: Das sind Events, die nur im Netz stattfinden und dementsprechend grosse Dynamik und Ausstrahlung besitzen müssen - bisher sind das vor allem Auktionen und Online-Games. Komplett künstliche Web-Welten haben den Vorteil, auch komplett steuerbar zu sein.
Fallbeispiel "Berlin Connection"
Das CD-ROM-Computerspiel "Berlin Connection" ist eines der aufwendigsten seiner Art. Wie ein Detektiv bewegt sich der Spieler durch das reale Berlin und muss Spuren finden - was sie bedeuten, erfährt er erst im Laufe des Spiels. Für diese neu entwickelte Gattung "interaktiver Dokumentar-Thriller" mussten neue Vertriebswege gefunden werden. Im Internet ist es möglich, dem Nutzer einen wirklichen Vorgeschmack auf dieses an sich sehr erklärungsbedürftige Spiel zu geben. Das geschieht, indem eine gekürzte Einführung zum Herunterladen bereitgestellt wird. Für "Berlin Connection" wurde eine Website (www.berlin-connection.de) entworfen, die zunächst den Charakter einer Hotline für alle Interessierten haben sollte - inzwischen wird die Story geschickt weiter gesponnen und die Freunde des Spiels werden auf diese Weise neugierig auf einen zweiten Teil gemacht. Interessanterweise wird diese Fortsetzung zuerst in einen Roman münden - hier verkehrt sich die Welt.
Fallbeispiel Harald Schmidt Show
Die Begleit-Page (www.schmidt.de) zur täglichen Comedy-Show von Sat.1 wurde anfangs (1996) bis zu 20 000 Mal im Monat angeklickt; drei Jahre später waren es schon eine halbe Million Besuche. Das Programm ist eng an die Live-Show gebunden und bietet den Fans eine Suchfunktion für alle Sprüche und Gags, die je veröffentlicht wurden, einen Chat, Merchandising sowie Videofunktionen. Zielrichtung war u. a. die Schaffung einer Basis für Konzepterweiterungen, um kreative Eigenformate für das Internet in Anlehnung an die Schmidt Show zu ermöglichen. Der Unterhalt kostet rund 30 000 DM im Monat. Auf jeder Seite laufen Werbebanner, die vorab ausgebucht waren. Die Citibank wählte eine Sonderwerbeform über ein Gewinnspiel, in dem wöchentlich Eintrittskarten für die Show verlost wurden. "My World" nutzte den Schmidt Shop (Merchandising) auch zum Vertrieb nicht aus der Sendung bekannter Artikel. Im Jahr 2000 konnte bereits "Content" in Form von Sprüchen Harald Schmidts an andere Portale (AOL) und WAP-Handynutzer verkauft werden.
Gemeinschaft
Gemeinschaften bilden und stärken sich durch sie verbindende Ereignisse. Das zeigt sich besonders bei Notstandsgemeinschaften: Krankheiten, Kriege und Katastrophen knüpfen Schicksalsbande, die temporär über allen anderen Verbindungen stehen. Die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an einem Event ist an die Zugehörigkeit zu einer Gruppe geknüpft und dient der Selbstvergewisserung ("Ich bin, denn ich bin dabei"). Gemeinschaftsbildung vollzieht sich im Wesentlichen innerlich und findet daher im Internet ihre ideale Heimat.
Digitale Markenführung
Digitale Gemeinschaften sind häufig jugendlich und daher entsprechend sensibel und flüchtig mit ihren Werten. Ein Event-Partner muss zur Szene und zum Inhalt passen und glaubwürdig sein. Events sind Inszenierungsleistungen und fordern dementsprechend kulturelle Kompetenz. Diese bezieht sich einerseits auf die Partner, Inhalte und Teilnehmergruppen und andererseits auf die Gestaltung im engeren Sinne, also die Dramaturgie der Ankündigung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung. Zum Erfolg führt schliesslich nur die enge Verzahnung mit anderen Aktivitäten im Unternehmen, die auf die gewonnenen Kontakte aufbauen, wie etwa Customer-Relationship-Management.
Tendenzen
Das Netz wird alltäglich: Gewöhnungseffekte bedeuten, dass Online-Angebote sich nicht länger auf ihren Neuigkeitswert verlassen können und es mit immer kritischeren Kunden zu tun haben. Das Netz wird allgegenwärtig: Der PC als einziges Zugriffsinstrument gibt sein Monopol auf; Handys nach WAP-Standard sind nur der erste Schritt zum tragbaren Computer, bei dem netzfähige Komponenten in Kleidung und Körperprothesen integriert sind. Geräte und Gebühren werden billiger: Über Flatrate-Angebote wächst die Tendenz, permanent online zu sein. Anspruchsvolle Plattformen für E-Commerce werden durch Standardisierung auch für Kleinunternehmer lukrativ.