Gehirngerechtes Führen
Wer eine Führungskraft werden will, ist meistens ehrgeizig. Auch der Wille zur persönlichen Entwicklung spielt als Motiv eine wesentliche Rolle. Das Ziel, mit anderen gemeinsam etwas voranzubringen, folgt laut Umfragen auf Platz drei der Motivationsfaktoren. Von Bedeutung sind außerdem der Wunsch nach Macht und Einfluss, Ansehen und Prestige und schlicht die Hoffnung auf mehr Geld. Nicht unbedingt die Beweggründe also, die man sich von einer Führungskraft wünscht. Hinzu kommt das Problem der Sandwich-Position: Auch Führungskräfte haben Vorgesetzte. Der Einzelne ist eingebunden in ein Geflecht von Hierarchien. Was das alles mit Neuroleadership zu tun hat? Neuroleadership hilft dabei, dass Mitarbeiter bessere Leistungen erbringen – und die Führungskraft selbst kooperiert dank der entsprechenden Erkenntnisse besser mit ihrem Vorgesetzten. Es geht darum, „gehirngerecht“ zu führen und seine eigenen Fähigkeiten zu erweitern.
Fakten über das Gehirn
Etwa 400 Gramm wiegt das Gehirn bei der Geburt. Nach 18 Jahren liegt sein Gewicht schließlich bei durchschnittlich 1500 Gramm. Männer haben oft ein schwereres Gehirn, Frauen dafür eine höhere Nervenzellendichte. Das Gehirn benötigt 20 % der Energie – und das, obwohl es lediglich 2 % der Körpermasse ausmacht. Es verfügt über rund 100 Milliarden Nervenzellen, und jede kann über bis zu 15 000 Kontaktstellen (Synapsen) mit anderen Nervenzellen verbunden sein. Das ergibt ein System mit mehr als 100 Billionen Vernetzungsmöglichkeiten. Sowohl die Menge der Nervenzellen wie auch deren Vernetzung können Sie beeinflussen – beispielsweise indem Sie eine Fremdsprache lernen oder jonglieren. Allerdings bilden sich die Hirnzellen wieder zurück, wenn man pausiert.
„Neuroleadership ist die Verbindung von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen mit z. T. bekannten Managementtheorien mit dem Ziel, gehirngerechter zu führen und bessere Ergebnisse zu erzielen.“
Im Vergleich zum Schimpansen hat der Mensch ein besonders ausgeprägtes Stirnhirn. Weil Affen weniger präzis kommunizieren und weniger zielgerichtet handeln als Menschen, gehen Experten davon aus, dass die entsprechenden Hirnleistungen im vorderen Gehirnabschnitt angesiedelt sind. Für diese Annahme spricht auch, dass Kinder, deren Gehirnentwicklung in diesem Teil früh gestört wurde, die Regeln des sozialen Lebens schlechter lernen als andere. Schwerverbrecher haben oft einen verminderten Stoffwechsel im so genannten Stirnlappen.
Mehr Leistung durch Hirndoping
Die Hirnentwicklung ist mit dem Ende der Jugend nicht abgeschlossen. Auch im Alter können immer wieder neue Verbindungen geknüpft werden. Fest steht, dass man sein Gehirn zu besseren Leistungen antreiben kann. So wundert es nicht, dass etwa 10 % aller Collegestudenten in den USA und 20 % aller Wissenschaftler, die sich an einem Forum zum Thema Gehirndoping beteiligt haben, schon einmal so genannte Neuroenhancer eingenommen haben. Auch in Deutschland sind solche Stimuli verbreitet: Sie helfen dabei, die Nacht durchzuarbeiten, sich besser zu konzentrieren und in Stresssituationen gelassen zu bleiben. Die Gründe für die Einnahme: Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung, Versagensängste, Gruppenzwang. In vielen Situationen wäre Neuroleadership der bessere Weg.
Führen kann man lernen
Das Ich, die Persönlichkeit eines jeden Menschen, ist keine starre Masse, sondern formbar. So zeigte ein Versuch, dass Probanden, die Begriffe zu den Bereichen Leistung und Sport sortieren mussten, danach schneller gingen als andere, die sich mit dem Themenfeld Alter und Krankheit beschäftigt hatten. Das Gehirn ist also beeinflussbar. Seine Kapazitäten sind jedoch begrenzt. Darum verwundert es nicht, wenn Arbeitnehmer unter zunehmender Arbeitslast leiden. Durch Rationalisierungen fallen Stellen weg, aber die Arbeit bleibt die gleiche, sie verteilt sich nur auf weniger Schultern. Hinzu kommt eine E-Mail-Flut, die einen immer wieder unterbricht. Und schließlich mehren sich die Vorgaben, wie Aufgaben zu lösen sind, während das selbstständige Arbeiten immer weniger gefördert wird. Neuroleadership verfolgt einen anderen Ansatz.
„Lassen Sie jeden Mitarbeiter seinen Weg gehen, solange er zum Erfolg führt.“
Gute Führung beginnt beim persönlichen Gespräch mit den Mitarbeitern. Am meisten lernt der Vorgesetzte über sie, indem er ihre Motorik, die Körpersprache, beobachtet. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Darum ist es wichtig, dass Sie als Führungskraft zu dem stehen, was Sie sagen. Ihre Worte und Gesten sollten eine einheitliche verbale und nonverbale Botschaft bilden. Das kommt besonders dann zu Tragen, wenn Sie loben: Die Wertschätzung ihrer Arbeit motiviert die Mitarbeiter mehr als irgendetwas anderes.
Die vier wichtigsten Gehirnsysteme
Lob wird vom Gehirn als Belohnung wahrgenommen und in einem entsprechenden System verarbeitet. Grundsätzlich geht man von vier wichtigen Gehirnsystemen aus:
- Das Belohnungssystem kann immer wieder gereizt werden, ohne dass eine Gewöhnung stattfindet. Es freut sich beispielsweise über sympathische Gesichter. Allein das ist Grund genug, mit den Mitarbeitern persönlich zu kommunizieren. Das Belohnungszentrum mag es auch, wenn Gelerntes angewandt werden kann – und es ist frustriert, wenn das vermittelte Wissen einer Fortbildung im Arbeitsalltag untergeht. Vertrauen, soziales Verhalten und Fairness aktivieren das Belohnungssystem. Für Führungskräfte bedeutet das: Mitarbeiter fühlen sich dann wohl, wenn die Unternehmenskultur der Firma intakt, die Arbeit angemessen, das Vergütungssystem gerecht und der Arbeitsplatz sicher ist. Klar ist: Zufriedene Mitarbeiter erbringen bessere Leistung.
- Im emotionalen System geht es darum, die eigenen Gefühle, aber auch die der anderen richtig zu verstehen und damit zu arbeiten. Relativ einfach ist das bei positiven Emotionen. Negative Gefühle wie Furcht oder gar Panik in der Belegschaft werden dagegen zum echten Problem; sie lähmen die Mitarbeiter. Ganz schlecht sind cholerische Vorgesetzte: Selbst wenn sie sich später entschuldigen, ist die Erwartungshaltung der Mitarbeiter negativ beeinflusst. Darum ist es wichtig, dass Sie als Führungskraft lernen, auch ihr unbewusstes Verhalten zu kontrollieren. Wutanfälle haben im Arbeitsalltag nichts verloren.
- Das Gedächtnissystem speichert Erfahrungen ab, und zwar umso besser, je länger sie zurückliegen. An erste Erfahrungen erinnert sich das Gehirn besser als an Wiederholungen. Das Gedächtnissystem macht einen auch vorsichtig, denn an Angst- oder Stresssituationen erinnert es sich besser als an Schönes. Erinnerungen werden in der gleichen Hirnregion erzeugt wie Erwartungen. Das bedeutet, dass alles, was Sie für die Zukunft erwarten, auf etwas Vergangenem beruht, also auf etwas, was Sie gelernt haben. Gleichzeitig kann der Mensch immer weiter lernen. Dieser Punkt spielt bei Einstellungsgesprächen eine wichtige Rolle: Es sollte weniger darum gehen, was ein potenzieller Mitarbeiter bereits kann, als darum, wie sehr er bereit ist, sich Neues anzueignen. Schließlich ändern sich die Arbeitsbedingungen ständig, und die Mitarbeiter müssen imstande sein, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. Versuchen Sie aber auch, Mitarbeiter dort einzusetzen, wo sie ihre Stärken beweisen können, denn Schwächen lassen sich nicht immer leicht beseitigen. Und achten Sie als Führungskraft darauf, wie sehr Sie sich im Gespräch vom Unbewussten leiten lassen: Erinnert Sie das Gespräch an ein früheres Ereignis? Oder der Bewerber an einen anderen Menschen? Ist diese Erinnerung positiv oder negativ besetzt? Und wie sehr beeinflusst sie jetzt Ihr Handeln?
- Das Entscheidungssystem hilft beim strategischen Denken. Allerdings wird es von den drei anderen Systemen manipuliert. So kommt es z. B., dass ein Mitarbeiter lieber eine sofortige Gehaltserhöhung wählt als eine höhere Rente zum Berufsende, also dazu neigt, kurzfristig zu denken. Das Entscheidungszentrum ist übrigens auch dazu da, die Einhaltung sozialer Normen zu sichern. Interessant in diesem Zusammenhang: Je höher die Anonymität in einem Unternehmen, desto seltener die Ehrlichkeit. Das zeigt sich an einem Experiment, in dem die Probanden öfter in E-Mails die Unwahrheit sagten als in handschriftlichen Dokumenten. Auch waren sie eher bereit, jemanden anzulügen, den sie nicht kannten. Für Sie als Führungskraft sollte das ein Ansporn sein, den persönlichen Kontakt allen anderen Kommunikationsformen vorzuziehen.
Die Grundregeln des Neuroleadership
Die folgenden sieben Grundregeln der gehirngerechten Führung sollten Sie beherzigen:
- Ohne das Belohnungssystem geht gar nichts. Der Mehrheit der Mitarbeiter ist Harmonie am Arbeitsplatz wichtig – sowohl zwischen den Kollegen als auch zwischen Belegschaft und Vorgesetzten. Führungskräfte, die trotzdem den Wettbewerb fördern, dürfen sich nicht wundern, wenn ganze Abteilungen durch Mobbing gelähmt werden. Wichtig sind den Mitarbeitern außerdem die Qualität der Arbeit und das dafür gezahlte Gehalt. Nicht vergessen: Die Grundlage jeder Entscheidung ist das Belohnungssystem. Am besten fährt, wer nicht nur die eigenen Vorteile, sondern auch die der anderen im Auge hat und anspricht. Das ist besonders wichtig, wenn Veränderungen im Unternehmen anstehen.
- Das Ultimatumspiel gilt überall. Hier geht es um Fairness. Ein Beispiel: Spieler A bekommt von einem Spielleiter eine Summe X. Davon soll er Spieler B einen Teil abgeben. Wenn B mit der Höhe seines Teils zufrieden ist, darf A den Rest behalten. Ist B nicht zufrieden, muss A alles an den Spielleiter zurückgeben. Die Ergebnisse zeigen, dass B nicht zufrieden ist, wenn er unter 40 % der Gesamtsumme angeboten bekommt. Er verzichtet dann lieber auf alles. In Verhandlungen hat sich gezeigt, dass jemand einen Vorschlag leichter akzeptiert, wenn sein Belohnungssystem immer wieder angesprochen wird. Entscheidungen sollten möglichst auf Win-win-Situationen hinauslaufen. Kooperation funktioniert besser als Konkurrenz.
- Vorinformationen beeinflussen die Erwartungen und das Verhalten. Positive Gerüchte über Menschen oder Ereignisse wirken schon im Vorfeld auf das Belohnungssystem und erleichtern anstehende Verhandlungen. Allerdings verbreiten sich negative Vorinformationen schneller.
- Gehirne sind unterschiedlich. Darum erinnern sich Menschen an ein und dasselbe nicht auf gleiche Weise. Das führt unter Spezialisten häufig zu Ärger bei der Lösung eines Problems – von Einvernehmen keine Spur. Darum ist es wichtig, dass Sie als Führungskraft nicht nur ihr Fachwissen im Kopf haben, sondern auch offen gegenüber anderen sind. Und: Mitarbeiter können auch dann zu einem guten Ergebnis kommen, wenn sie nicht die von Ihnen bevorzugte Technik oder Methode anwenden.
- Fakten sind nie emotionslos. Jede Information, die unser Gehirn erreicht, wird zuerst interpretiert und dann mit einer Emotion besetzt. Dies hat positive oder negative Auswirkungen auf das weitere Vorgehen. Werden im Unternehmen Veränderungen verkündet, sollten sie gleich mit positiven Emotionen versehen werden.
- Erfahrungen bestimmen das Verhalten. Bewertungen entstehen durch Erinnerungen und Erfahrungen. Erfahrene Mitarbeiter sind schneller und geraten seltener in Stress als Unerfahrene.
- Situationen können eine Eigendynamik entwickeln. So können sich etwa Aggressionen auf andere übertragen – das ist speziell in Verhandlungssituationen gefährlich. Je mehr Menschen beteiligt sind, desto größer ist die Gefahr der Eigendynamik. Events sind häufig positiv belegt, und auch Vorfreude kann sich übertragen. Allerdings ist es auch hier möglich, dass unterschiedliche Bewertungen zu unterschiedlichen Reaktionen und Gegenreaktionen führen.
Prof. Dr. Christian E. Elger ist Direktor der Klinik für Epileptologie und Wissenschaftlicher Geschäftsführer der Life & Brain GmbH im Universitätsklinikum Bonn.