Neuroleadership

Buch Neuroleadership

Erkenntnisse der Hirnforschung für die Führung von Mitarbeitern

Haufe,


Rezension

„Neuro“ ist in. Nach Neu­ro­mar­ket­ing und Neuroökonomie nun also Neu­rolead­er­ship. Vieles, was hier zur Sprache kommt, hat man denn auch schon einmal gehört oder gelesen. Es ist die konsequente Ausrichtung auf die Führung­spraxis, die das Buch trotzdem zu einem brauchbaren Ratgeber macht. Hilfreich sind vor allem die vielen Beispiel­si­t­u­a­tio­nen, die die oft wis­senschaftlichen Erläuterungen auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Klar ist: Allein durchs Lesen wird man noch nicht zum Neuroleader. Das Buch ruft zur bewussten Übung im Umgang mit anderen auf und zur Bere­itschaft, das eigene Verhalten täglich zu re­flek­tieren. Nur so lässt sich das Gelernte verin­ner­lichen und au­toma­tisieren. BooksInShort empfiehlt die Lektüre allen Führungskräften, die von den Erken­nt­nis­sen der Hirn­forschung profitieren wollen.

Take-aways

  • Die Vernetzung jedes Gehirns lässt sich bee­in­flussen.
  • Die Wirkung von so genannten Neu­roen­hancern (Hirndoping) kann auch durch Training erzielt werden.
  • Vier Gehirn­sys­teme bestimmen unser Handeln: das Be­loh­nungssys­tem, das emotionale System, das Entschei­dungs- und das Gedächt­nis­sys­tem.
  • Das Be­loh­nungssys­tem ist das Wichtigste, aber alle vier sind miteinander verbunden.
  • Win-win-Sit­u­a­tio­nen und Kooperation führen zu besseren Ergebnissen als Konkur­ren­z­denken.
  • Erfahrungen prägen Erwartungen und bee­in­flussen unser gegenwärtiges Handeln.
  • Emotionen spielen auch im Wirtschaft­sleben eine wichtige Rolle, denn jede Information wird vom Gehirn mit einer Emotion verbunden.
  • Verbinden Sie Veränderungen im Unternehmen von Anfang an mit positiven Emotionen.
  • Je mehr Menschen an einem Projekt beteiligt sind, desto mehr Eigen­dy­namik kann sich entwickeln – im Guten wie im Schlechten.
  • Gehirne funk­tion­ieren un­ter­schiedlich. Geben Sie Ziele vor, aber lassen Sie Ihren Mi­tar­beit­ern die Wahl der Ar­beitsmeth­ode.
 

Zusammenfassung

Gehirn­gerechtes Führen

Wer eine Führungskraft werden will, ist meistens ehrgeizig. Auch der Wille zur persönlichen Entwicklung spielt als Motiv eine wesentliche Rolle. Das Ziel, mit anderen gemeinsam etwas vo­ranzubrin­gen, folgt laut Umfragen auf Platz drei der Mo­ti­va­tions­fak­toren. Von Bedeutung sind außerdem der Wunsch nach Macht und Einfluss, Ansehen und Prestige und schlicht die Hoffnung auf mehr Geld. Nicht unbedingt die Beweggründe also, die man sich von einer Führungskraft wünscht. Hinzu kommt das Problem der Sand­wich-Po­si­tion: Auch Führungskräfte haben Vorgesetzte. Der Einzelne ist eingebunden in ein Geflecht von Hierarchien. Was das alles mit Neu­rolead­er­ship zu tun hat? Neu­rolead­er­ship hilft dabei, dass Mitarbeiter bessere Leistungen erbringen – und die Führungskraft selbst kooperiert dank der entsprechen­den Erken­nt­nisse besser mit ihrem Vorge­set­zten. Es geht darum, „gehirn­gerecht“ zu führen und seine eigenen Fähigkeiten zu erweitern.

Fakten über das Gehirn

Etwa 400 Gramm wiegt das Gehirn bei der Geburt. Nach 18 Jahren liegt sein Gewicht schließlich bei durch­schnit­tlich 1500 Gramm. Männer haben oft ein schwereres Gehirn, Frauen dafür eine höhere Ner­ven­zel­len­dichte. Das Gehirn benötigt 20 % der Energie – und das, obwohl es lediglich 2 % der Körpermasse ausmacht. Es verfügt über rund 100 Milliarden Ner­ven­zellen, und jede kann über bis zu 15 000 Kon­tak­t­stellen (Synapsen) mit anderen Ner­ven­zellen verbunden sein. Das ergibt ein System mit mehr als 100 Billionen Ver­net­zungsmöglichkeiten. Sowohl die Menge der Ner­ven­zellen wie auch deren Vernetzung können Sie bee­in­flussen – beispiel­sweise indem Sie eine Fremd­sprache lernen oder jonglieren. Allerdings bilden sich die Hirnzellen wieder zurück, wenn man pausiert.

„Neu­rolead­er­ship ist die Verbindung von neu­rowis­senschaftlichen Erken­nt­nis­sen mit z. T. bekannten Man­age­ment­the­o­rien mit dem Ziel, gehirn­gerechter zu führen und bessere Ergebnisse zu erzielen.“

Im Vergleich zum Schimpansen hat der Mensch ein besonders ausgeprägtes Stirnhirn. Weil Affen weniger präzis kom­mu­nizieren und weniger ziel­gerichtet handeln als Menschen, gehen Experten davon aus, dass die entsprechen­den Hirn­leis­tun­gen im vorderen Gehirn­ab­schnitt angesiedelt sind. Für diese Annahme spricht auch, dass Kinder, deren Gehir­nen­twick­lung in diesem Teil früh gestört wurde, die Regeln des sozialen Lebens schlechter lernen als andere. Schw­erver­brecher haben oft einen ver­min­derten Stof­fwech­sel im so genannten Stirnlappen.

Mehr Leistung durch Hirndoping

Die Hir­nen­twick­lung ist mit dem Ende der Jugend nicht abgeschlossen. Auch im Alter können immer wieder neue Verbindun­gen geknüpft werden. Fest steht, dass man sein Gehirn zu besseren Leistungen antreiben kann. So wundert es nicht, dass etwa 10 % aller Col­leges­tu­den­ten in den USA und 20 % aller Wis­senschaftler, die sich an einem Forum zum Thema Gehirn­dop­ing beteiligt haben, schon einmal so genannte Neu­roen­hancer eingenommen haben. Auch in Deutschland sind solche Stimuli verbreitet: Sie helfen dabei, die Nacht durchzuar­beiten, sich besser zu konzen­tri­eren und in Stress­si­t­u­a­tio­nen gelassen zu bleiben. Die Gründe für die Einnahme: Un­zufrieden­heit mit der eigenen Leistung, Versagensängste, Grup­pen­zwang. In vielen Situationen wäre Neu­rolead­er­ship der bessere Weg.

Führen kann man lernen

Das Ich, die Persönlichkeit eines jeden Menschen, ist keine starre Masse, sondern formbar. So zeigte ein Versuch, dass Probanden, die Begriffe zu den Bereichen Leistung und Sport sortieren mussten, danach schneller gingen als andere, die sich mit dem Themenfeld Alter und Krankheit beschäftigt hatten. Das Gehirn ist also bee­in­fluss­bar. Seine Kapazitäten sind jedoch begrenzt. Darum verwundert es nicht, wenn Ar­beit­nehmer unter zunehmender Arbeitslast leiden. Durch Ra­tio­nal­isierun­gen fallen Stellen weg, aber die Arbeit bleibt die gleiche, sie verteilt sich nur auf weniger Schultern. Hinzu kommt eine E-Mail-Flut, die einen immer wieder unterbricht. Und schließlich mehren sich die Vorgaben, wie Aufgaben zu lösen sind, während das selbstständige Arbeiten immer weniger gefördert wird. Neu­rolead­er­ship verfolgt einen anderen Ansatz.

„Lassen Sie jeden Mitarbeiter seinen Weg gehen, solange er zum Erfolg führt.“

Gute Führung beginnt beim persönlichen Gespräch mit den Mi­tar­beit­ern. Am meisten lernt der Vorgesetzte über sie, indem er ihre Motorik, die Körpersprache, beobachtet. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Darum ist es wichtig, dass Sie als Führungskraft zu dem stehen, was Sie sagen. Ihre Worte und Gesten sollten eine ein­heitliche verbale und nonverbale Botschaft bilden. Das kommt besonders dann zu Tragen, wenn Sie loben: Die Wertschätzung ihrer Arbeit motiviert die Mitarbeiter mehr als irgendetwas anderes.

Die vier wichtigsten Gehirn­sys­teme

Lob wird vom Gehirn als Belohnung wahrgenom­men und in einem entsprechen­den System verarbeitet. Grundsätzlich geht man von vier wichtigen Gehirn­sys­te­men aus:

  1. Das Be­loh­nungssys­tem kann immer wieder gereizt werden, ohne dass eine Gewöhnung stattfindet. Es freut sich beispiel­sweise über sym­pa­this­che Gesichter. Allein das ist Grund genug, mit den Mi­tar­beit­ern persönlich zu kom­mu­nizieren. Das Be­loh­nungszen­trum mag es auch, wenn Gelerntes angewandt werden kann – und es ist frustriert, wenn das vermittelte Wissen einer Fortbildung im Ar­beit­sall­tag untergeht. Vertrauen, soziales Verhalten und Fairness aktivieren das Be­loh­nungssys­tem. Für Führungskräfte bedeutet das: Mitarbeiter fühlen sich dann wohl, wenn die Un­ternehmen­skul­tur der Firma intakt, die Arbeit angemessen, das Vergütungssystem gerecht und der Ar­beit­splatz sicher ist. Klar ist: Zufriedene Mitarbeiter erbringen bessere Leistung.
  2. Im emotionalen System geht es darum, die eigenen Gefühle, aber auch die der anderen richtig zu verstehen und damit zu arbeiten. Relativ einfach ist das bei positiven Emotionen. Negative Gefühle wie Furcht oder gar Panik in der Belegschaft werden dagegen zum echten Problem; sie lähmen die Mitarbeiter. Ganz schlecht sind cholerische Vorgesetzte: Selbst wenn sie sich später entschuldigen, ist die Er­wartung­shal­tung der Mitarbeiter negativ beeinflusst. Darum ist es wichtig, dass Sie als Führungskraft lernen, auch ihr unbewusstes Verhalten zu kon­trol­lieren. Wutanfälle haben im Ar­beit­sall­tag nichts verloren.
  3. Das Gedächt­nis­sys­tem speichert Erfahrungen ab, und zwar umso besser, je länger sie zurückliegen. An erste Erfahrungen erinnert sich das Gehirn besser als an Wieder­hol­un­gen. Das Gedächt­nis­sys­tem macht einen auch vorsichtig, denn an Angst- oder Stress­si­t­u­a­tio­nen erinnert es sich besser als an Schönes. Erin­nerun­gen werden in der gleichen Hirnregion erzeugt wie Erwartungen. Das bedeutet, dass alles, was Sie für die Zukunft erwarten, auf etwas Vergangenem beruht, also auf etwas, was Sie gelernt haben. Gle­ichzeitig kann der Mensch immer weiter lernen. Dieser Punkt spielt bei Ein­stel­lungs­ge­sprächen eine wichtige Rolle: Es sollte weniger darum gehen, was ein poten­zieller Mitarbeiter bereits kann, als darum, wie sehr er bereit ist, sich Neues anzueignen. Schließlich ändern sich die Ar­beits­be­din­gun­gen ständig, und die Mitarbeiter müssen imstande sein, sich den neuen Her­aus­forderun­gen zu stellen. Versuchen Sie aber auch, Mitarbeiter dort einzusetzen, wo sie ihre Stärken beweisen können, denn Schwächen lassen sich nicht immer leicht beseitigen. Und achten Sie als Führungskraft darauf, wie sehr Sie sich im Gespräch vom Unbewussten leiten lassen: Erinnert Sie das Gespräch an ein früheres Ereignis? Oder der Bewerber an einen anderen Menschen? Ist diese Erinnerung positiv oder negativ besetzt? Und wie sehr beeinflusst sie jetzt Ihr Handeln?
  4. Das Entschei­dungssys­tem hilft beim strate­gis­chen Denken. Allerdings wird es von den drei anderen Systemen manipuliert. So kommt es z. B., dass ein Mitarbeiter lieber eine sofortige Gehaltserhöhung wählt als eine höhere Rente zum Berufsende, also dazu neigt, kurzfristig zu denken. Das Entschei­dungszen­trum ist übrigens auch dazu da, die Einhaltung sozialer Normen zu sichern. Interessant in diesem Zusam­men­hang: Je höher die Anonymität in einem Unternehmen, desto seltener die Ehrlichkeit. Das zeigt sich an einem Experiment, in dem die Probanden öfter in E-Mails die Unwahrheit sagten als in hand­schriftlichen Dokumenten. Auch waren sie eher bereit, jemanden anzulügen, den sie nicht kannten. Für Sie als Führungskraft sollte das ein Ansporn sein, den persönlichen Kontakt allen anderen Kom­mu­nika­tions­for­men vorzuziehen.

Die Grundregeln des Neu­rolead­er­ship

Die folgenden sieben Grundregeln der gehirn­gerechten Führung sollten Sie beherzigen:

  1. Ohne das Be­loh­nungssys­tem geht gar nichts. Der Mehrheit der Mitarbeiter ist Harmonie am Ar­beit­splatz wichtig – sowohl zwischen den Kollegen als auch zwischen Belegschaft und Vorge­set­zten. Führungskräfte, die trotzdem den Wettbewerb fördern, dürfen sich nicht wundern, wenn ganze Abteilungen durch Mobbing gelähmt werden. Wichtig sind den Mi­tar­beit­ern außerdem die Qualität der Arbeit und das dafür gezahlte Gehalt. Nicht vergessen: Die Grundlage jeder Entschei­dung ist das Be­loh­nungssys­tem. Am besten fährt, wer nicht nur die eigenen Vorteile, sondern auch die der anderen im Auge hat und anspricht. Das ist besonders wichtig, wenn Veränderungen im Unternehmen anstehen.
  2. Das Ul­ti­ma­tum­spiel gilt überall. Hier geht es um Fairness. Ein Beispiel: Spieler A bekommt von einem Spielleiter eine Summe X. Davon soll er Spieler B einen Teil abgeben. Wenn B mit der Höhe seines Teils zufrieden ist, darf A den Rest behalten. Ist B nicht zufrieden, muss A alles an den Spielleiter zurückgeben. Die Ergebnisse zeigen, dass B nicht zufrieden ist, wenn er unter 40 % der Gesamtsumme angeboten bekommt. Er verzichtet dann lieber auf alles. In Ver­hand­lun­gen hat sich gezeigt, dass jemand einen Vorschlag leichter akzeptiert, wenn sein Be­loh­nungssys­tem immer wieder ange­sprochen wird. Entschei­dun­gen sollten möglichst auf Win-win-Sit­u­a­tio­nen hin­aus­laufen. Kooperation funk­tion­iert besser als Konkurrenz.
  3. Vor­in­for­ma­tio­nen bee­in­flussen die Erwartungen und das Verhalten. Positive Gerüchte über Menschen oder Ereignisse wirken schon im Vorfeld auf das Be­loh­nungssys­tem und erleichtern anstehende Ver­hand­lun­gen. Allerdings verbreiten sich negative Vor­in­for­ma­tio­nen schneller.
  4. Gehirne sind un­ter­schiedlich. Darum erinnern sich Menschen an ein und dasselbe nicht auf gleiche Weise. Das führt unter Spezial­is­ten häufig zu Ärger bei der Lösung eines Problems – von Ein­vernehmen keine Spur. Darum ist es wichtig, dass Sie als Führungskraft nicht nur ihr Fachwissen im Kopf haben, sondern auch offen gegenüber anderen sind. Und: Mitarbeiter können auch dann zu einem guten Ergebnis kommen, wenn sie nicht die von Ihnen bevorzugte Technik oder Methode anwenden.
  5. Fakten sind nie emotionslos. Jede Information, die unser Gehirn erreicht, wird zuerst in­ter­pretiert und dann mit einer Emotion besetzt. Dies hat positive oder negative Auswirkun­gen auf das weitere Vorgehen. Werden im Unternehmen Veränderungen verkündet, sollten sie gleich mit positiven Emotionen versehen werden.
  6. Erfahrungen bestimmen das Verhalten. Bewertungen entstehen durch Erin­nerun­gen und Erfahrungen. Erfahrene Mitarbeiter sind schneller und geraten seltener in Stress als Unerfahrene.
  7. Situationen können eine Eigen­dy­namik entwickeln. So können sich etwa Ag­gres­sio­nen auf andere übertragen – das ist speziell in Ver­hand­lungssi­t­u­a­tio­nen gefährlich. Je mehr Menschen beteiligt sind, desto größer ist die Gefahr der Eigen­dy­namik. Events sind häufig positiv belegt, und auch Vorfreude kann sich übertragen. Allerdings ist es auch hier möglich, dass un­ter­schiedliche Bewertungen zu un­ter­schiedlichen Reaktionen und Gegen­reak­tio­nen führen.

Über den Autor

Prof. Dr. Christian E. Elger ist Direktor der Klinik für Epilep­tolo­gie und Wis­senschaftlicher Geschäftsführer der Life & Brain GmbH im Universitätsklinikum Bonn.