Jugend ohne Gott

Buch Jugend ohne Gott

Amsterdam, 1937
Diese Ausgabe: Suhrkamp,


Worum es geht

Die Generation der Seelenlosen

In seinem 1937 er­schiene­nen Roman Jugend ohne Gott widmet sich Ödön von Horváth der Generation der damals 14-Jährigen. Unter der Diktatur zu Gehorsam, Men­schen­ver­ach­tung und Rassenhass erzogen, sind sie zu seelenlosen Monstern verkommen. Zu jung, um noch die Schrecken des Ersten Weltkrieges erlebt zu haben, träumen sie vom Kriegshelden­tum. In einem aufs Äußerste verknappten, dabei doch bildhaften Stil beschreibt Horváth eine Jugend ohne Ori­en­tierung, Empathie und Zivil­courage. Auch der Ich-Erzähler, ein Lehrer, ist kein Held, sondern repräsentiert den Typus des Mitläufers. Erst durch einen Mordfall unter seinen Schülern entwickelt er den Mut, die Wahrheit zu sagen, und findet dadurch zu seinem Glauben an Gott zurück. Das zentrale Thema des Romans, der im Gewand eines Krimis daherkommt, ist der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft: Wie kann der Einzelne seine hu­man­is­tis­chen Ideale in einer von Op­por­tunis­mus und Eigennutz be­herrschten Welt leben? Horváths mys­tisch-re­ligiöse Antwort mag nicht jeden überzeugen, dennoch regt das Buch auch heute noch zum Nachdenken an. 

Take-aways

  • Der an­ti­mil­i­taris­tis­che Roman Jugend ohne Gott begründete den Ruhm des öster­re­ichisch-un­garischen Schrift­stellers Ödön von Horváth.
  • Inhalt: Ein Gym­nasiallehrer lehnt die autoritär-mil­i­taris­tis­che Gesellschaft, in der er lebt, ab. Aus Angst um seine Stellung leistet er aber keinen offenen Widerstand. Als er in einen Mordfall unter seinen Schülern verwickelt wird, schweigt er zunächst. Doch dann bekennt er seine eigene Schuld und findet zu Gott, an den er nicht mehr geglaubt hat, zurück.
  • Horváth nennt das na­tion­al­sozial­is­tis­che Regime zwar nicht beim Namen, doch der Bezug auf die Nazidik­tatur ist deutlich.
  • Jugend ohne Gott ist zugleich eine Kriminal-, Liebes- und Bekehrungs­geschichte.
  • Das zentrale Thema ist der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft in einem totalitären Staat.
  • Am Ende des Romans, der auch von mys­tisch-re­ligiöser Erfahrung geprägt ist, steht die Erkenntnis, dass Gott gle­ichbe­deu­tend mit Wahrheit ist.
  • Horváths Stil ist einfach und schnörkellos, dabei bildhaft und assoziativ.
  • Jugend ohne Gott wurde gleich nach seinem Erscheinen in acht Sprachen übersetzt.
  • Das Buch wurde mehrfach verfilmt und gehört heute zum Schulkanon.
  • Zitat: „Wenn kein Charakter mehr geduldet wird, sondern nur der Gehorsam, geht die Wahrheit, und die Lüge kommt.“
 

Zusammenfassung

Die Pest der Men­schen­ver­ach­tung

An seinem 34. Geburtstag korrigiert ein Lehrer, der an einem Gymnasium Geschichte und Geografie un­ter­richtet, Schulaufsätze. Eigentlich könnte er glücklich sein: Er ist gesund und hat eine sichere Stellung mit Aussicht auf eine gute Pension. Und doch ist er unzufrieden. Er ärgert sich über die Aufsätze seiner Schüler zum Thema „Warum müssen wir Kolonien haben?“. Die Schlagworte und ras­sis­tis­chen Äußerungen, die die 14-jährigen Jungen von sich geben, stoßen ihm übel auf, er korrigiert sie aber nicht. Als Beamter kann er sich offene Kritik nicht leisten. Die Schüler plappern ohnehin nur die hohlen Phrasen nach, die ihnen täglich im Radio und in den Zeitungen serviert werden.

„Was wird das für eine Generation? Eine harte oder nur eine rohe?“ (S. 12)

Einen Satz, in dem Schüler N den Negern jedes Lebensrecht abspricht, streicht er aber doch an und erklärt ihm vor der Klasse, auch Neger seien Menschen. Prompt taucht Ns Vater in der Sprech­stunde auf und bezichtigt den Lehrer des Vater­landsver­rats. Der Lehrer wird zum Direktor zitiert. Der schüttelt zwar auch nur den Kopf über die Zeiten, in denen sie leben, seit die „Plebejer“ die Macht übernommen haben, wider­spricht aber nicht. Schließlich will er nicht seine Pension aufs Spiel setzen. In der nächsten Stunde überreichen die Schüler dem Lehrer einen Brief. Nach jenem Vorfall haben sie das Vertrauen in ihn verloren und wollen nicht mehr von ihm un­ter­richtet werden. Alle außer W, der erkrankt ist, haben un­ter­schrieben. Der Lehrer verlangt vom Direktor eine neue Klasse, doch der lehnt das mit dem Hinweis ab, die anderen Klassen seien auch nicht besser.

„Du könntest auch schon einen Sohn haben, denke ich dann, aber ich kann mich beherrschen, ein Kind in die Welt zu setzen. Nur damits in irgendeinem Krieg erschossen wird!“ (S. 13)

Der Lehrer beschließt, sich nicht von den Schülern un­terkriegen zu lassen, nur weil diese es nicht ertragen können, dass Neger auch Menschen sind. Die Kluft zwischen ihm und diesen Jungen, die auf die Menschen pfeifen, sich allem Denken verschließen und von Heldentaten im Krieg träumen, erscheint ihm unüberbrückbar. Ist er einfach zu alt, um zu verstehen, was in ihren Köpfen vorgeht? Zu allen Zeiten, denkt er, haben menschliche Gesellschaften zum Zweck der Selb­ster­hal­tung Verbrechen begangen, allerdings immer heimlich – heute aber ist man stolz darauf. Auch er fühlt sich schon von dieser Pest des men­schen­ver­ach­t­en­den Denkens angesteckt, da er den Jungen insgeheim den Tod wünscht.

Im Zeitalter der Fische

Der Lehrer geht in eine Bar und betrinkt sich. Dort trifft er auf einen ehemaligen Kollegen, einen Alt­philolo­gen, genannt Julius Caesar. Der erklärt das Drama der männlichen Jugend damit, dass diese keine normale Pubertät mehr durchmache. Es gebe keine richtigen, also begehrenswerten Frauen mehr, sondern nur noch „lernende, rudernde, gy­mas­tik­treibende, marschierende Ungeheuer“. Politisch seien die Jungen zu bequem, sie bräuchten nur den Unsinn, den das Radio verbreite, abzuschreiben und bekämen dafür gute Noten. Heimlich läsen sie verbotene ni­hilis­tis­che Bücher, aber nur um spötteln zu können.

„Ich weiß es nur zu gut, auf welch heimlichen Wegen und mit welch perfiden Schlichen das Gift ihrer Humanitätsduselei unschuldige Kinder­see­len zu unterhöhlen trachtet.“ (Herr N zum Lehrer, S. 14)

Der früher hoch geschätzte, nun her­abge­sunkene Julius Caesar prophezeit kalte Zeiten: Es komme bald das Zeitalter der Fische, in dem die Seelen der Menschen starr würden wie Fis­ch­gesichter. Am nächsten Morgen stirbt der Schüler W an seiner Lungenentzündung. Er war der kleinste und fre­undlich­ste der Schüler und hätte bestimmt nichts Abfälliges über Neger geschrieben. Auf der Beerdigung spürt der Lehrer die Feind­seligkeit der anderen Schüler, ins­beson­dere Ns, und die spöttische Arroganz von T, der ihn seltsam starr anblickt – wie ein Fisch. 

Gibt es einen Gott?

Die Schüler müssen unter Aufsicht des Lehrers an einem Zeltlager zur vormilitärischen Schulung teilnehmen. Der Bürgermeister des Dorfes, in dessen Nähe sie kampieren, klagt über Ar­beit­slosigkeit und Armut infolge der Stilllegung eines Sägewerks. Auf einem Gang durchs Dorf bekommt der Lehrer unterernährte Kinder zu Gesicht. Aus der Ferne beobachtet er, wie ein junges Mädchen und zwei Jungen eine blinde Frau überfallen und ein Brot stehlen. Im Gespräch mit dem Pfarrer kritisiert der Lehrer, der einem frommen Elternhaus entstammt, aber wegen der Schrecken des Ersten Weltkriegs den Glauben an Gott verloren hat, die Kirche: Sie nehme stets Partei für die Wohlhaben­den. Der Pfarrer gibt ihm recht, verteidigt aber auch die Haltung der Kirche, die dem Staat verpflichtet sei. Denn dieser sei eben von Gott gewollt, und man müsse ihm wohl oder übel gehorchen.

„Da sitzen sie nun vor mir. Sie hassen mich. Sie möchten mich ruinieren, meine Existenz und alles, nur weil sie es nicht vertragen können, daß ein Neger auch ein Mensch ist. Ihr seid keine Menschen, nein!“ (S. 18)

Einem der Schüler wird aus dem Zelt sein Fotoapparat gestohlen. Der Lehrer und der Feldwebel, ein gemütlicher Mann, der auch lieber zu Hause wäre, beobachten nachts abwechselnd die Wachposten. Während er in der Dunkelheit dasitzt, denkt der Lehrer an sein Gespräch mit dem Pfarrer zurück: Religion diene dazu, dem Menschen die Angst vor dem Sterben zu nehmen, denn dann lebe es sich leichter. Aus all dem Elend erlöse uns nur Gottes Gnade, hat der Pfarrer gesagt. Das hält der Lehrer für Ausreden. Er glaubt nur an den Teufel und weiß nicht, ob er an Gott glauben soll. Glauben oder nicht glauben ist eine Sache des freien Willens – die einzige Freiheit, die ihm noch geblieben ist.

Im Meer der Schuld

Bei seiner Nachtwache beobachtet der Lehrer, wie jemand dem Schüler Z einen Brief zusteckt. Als die Jungen am nächsten Tag nicht im Lager sind, liest er heimlich diesen Brief und auch Zs Tagebuch und findet heraus, dass dieser ein Liebesverhältnis mit einem Mädchen namens Eva hat eben jenes Mädchen, das der Lehrer beim Überfall auf die blinde Alte beobachtet hat. Wie er aus Zs Tagebuch erfährt, ist Eva aus einer Besserungsanstalt aus­ge­brochen und haust zusammen mit vier kleineren Jungen in einer Höhle. Als Z merkt, dass jemand seine Aufze­ich­nun­gen gelesen hat, verdächtigt er seinen Zeltkam­er­aden N und verprügelt ihn. Der Lehrer stürzt hinzu. Er spürt, dass Z den anderen umbringen will, und er ist kurz davor, öffentlich zuzugeben, dass er das Tagebuch gelesen hat. Doch dann schämt er sich vor seinen Schülern und beschließt, es Z allein zu sagen. Von T, der ihn spöttisch und überlegen ansieht, fühlt er sich durchschaut.

„Daß diese Burschen alles ablehnen, was mir heilig ist, wär zwar noch nicht so schlimm. Schlimmer ist schon, wie sie es ablehnen, nämlich: ohne es zu kennen. Aber das Schlimmste ist, daß sie es überhaupt nicht ken­nen­ler­nen wollen!“ (S. 19)

In der folgenden Nacht beobachtet der Lehrer Z mit Eva, von der er sich angezogen fühlt, im Wald beim Liebesspiel. Er nimmt sich vor, Z seine Tat zu gestehen und die beiden, denen bei Entdeckung eine harte Strafe droht, nicht zu verraten. Doch wieder verlässt ihn der Mut, und er verschiebt das Geständnis auf den nächsten Tag. Als die Schüler tags darauf von einem Marsch zurückkehren, fehlt N. Der Lehrer will Z endlich seine Tat gestehen, doch der unterbricht ihn: N sei es gewesen, er habe es selbst zugegeben. Da Zs Arme zerkratzt und seine Kleider zerrissen sind, keimt im Lehrer der Verdacht, Z könnte N etwas angetan haben. Er fühlt sich schuldig. Warum hat er bloß nicht vorher den Mund aufgemacht? Er wollte sich nicht „unschuldig verurteilen lassen“ und wollte die Ju­gendlichen vor Strafe bewahren. Er wollte mit seinem freien Willen dem schreck­lichen Gott etwas ent­ge­genset­zen.

„Sie pfeifen auf den Menschen! Sie wollen Maschinen sein, Schrauben, Räder, Kolben, Riemen – doch noch lieber als Maschinen wären sie Munition: Bomben, Schrapnells, Granaten.“ (S. 19)

Am letzten Tag des Lagers findet man N tot im Wald. Er ist mit einem Stein erschlagen worden. Neben seiner Leiche liegt ein Kompass, von dem man nicht weiß, wem er gehört. Während sich die furchtbare Nachricht im Zeltlager verbreitet und nach einem Schuldigen gesucht wird, sieht der Lehrer Gott – leibhaftig und furchtbar. Er sieht, wie Gott mit dem kleinen R spricht und dabei Z kalt anschaut. Der Lehrer hütet sich davor, seinen Verdacht gegen Z laut auszus­prechen. Er selbst ist genauso schuldig. Als R dem Staat­san­walt berichtet, N habe Zs Tagebuch gelesen und die beiden hätten sich deswegen ständig geprügelt, gibt Z den Mord unumwunden zu.

Gottvergessen­heit und Gottver­trauen

Vor dem Prozess gegen Z, der wegen Mordes angeklagt ist, widmen sich die Zeitungen der Sache ausgiebig. Im Interview äußert sich auch der Lehrer dazu: Die Jugend sei nicht verroht, sondern im Gegenteil pflicht­be­wusst, au­fopfer­ungsvoll und national gesinnt. Die Tat stelle lediglich einen Rückfall in lib­er­al­is­tis­chen In­di­vid­u­al­is­mus dar. In einem anderen Interview führt der Feldwebel die ganze Sache auf mangelnde Disziplin zurück. N’s Vater dagegen sieht die Schuld beim Lehrer, der seiner Auf­sicht­spflicht nicht nachgekom­men sei. Z’s Verteidiger ist der Überzeugung, sein Mandant habe den Mord nicht begangen, sondern er decke nur Eva, der er hörig sei.

„Wir sind alle verseucht, Freund und Feind. Unsere Seelen sind voller schwarzer Beulen, bald werden sie sterben. Dann leben wir weiter und sind doch tot.“ (S. 20)

Im Prozess wirft Z dem Lehrer übersteigerten Moralismus vor: Er habe immer nur gesagt, wie die Welt sein sollte, nicht, wie sie tatsächlich sei. Die Frage, ob er an Gott glaube, bejaht Z und gibt an, die Tat zu bereuen, doch in den Ohren des Lehrers klingt seine Reue falsch. Inzwischen glaubt der Lehrer wieder an Gott, aber er hält ihn weder für gut noch für gerecht. Als er zwis­chen­durch in einem Laden Zigaretten kauft, kommt er mit dem Ladenbe­sitzer ins Gespräch. Der hält alle für schuldig – den Lehrer, den Feldwebel und auch die Eltern. Nicht nur die Jugend, auch die Eltern kümmerten sich nicht um Gott und täten, als sei er nicht da. Der Lehrer sieht sich durch die Worte des Alten in die Pflicht genommen. Er muss sagen, dass er Zs Tagebuch gelesen hat!

Der Prozess

Der Lehrer gesteht seine Verfehlung. Die Zuhörer sind aufgebracht. Der Staat­san­walt droht dem Lehrer mit Anklage. Ns Vater erleidet einen Herzanfall. Beim Hinausgehen ruft Ns Mutter dem Lehrer zu, er müsse sich vor Gott fürchten, aber das tut er nicht. Inmitten all der Abscheu und Empörung spürt er Evas sanften Blick auf sich ruhen. Entgegen ihrer ursprünglichen Aussage berichtet diese nun, N und Z hätten damals in der Höhle im Wald gerauft. N habe Z von einem Felsen hi­n­un­terge­wor­fen. Da sie ihn für tot hielt, habe sie vor Wut einen Stein ergriffen, um N damit zu erschlagen. Aber plötzlich sei da ein fremder Junge gewesen, habe ihr den Stein entrissen, N verfolgt und ihn erschlagen. Bisher habe sie geschwiegen, weil Z, den sie übrigens nicht liebe, sie habe beschützen wollen. Eva erklärt, der Auftritt des Lehrers habe sie dazu gebracht, selbst die Wahrheit zu sagen. Das Aussehen des fremden Jungen kann Eva nicht beschreiben, sie erinnert sich nur an eines: Er habe Augen gehabt wie ein Fisch. Der Lehrer muss sofort an T denken.

„Und die einzige Freiheit, die mir verblieb: glauben oder nicht glauben zu dürfen.“ (S. 51)

Am Ende des Prozesses wird Z nur wegen kleinerer Vergehen verurteilt. Eva, der niemand glaubt, wird wegen Mordes angeklagt. Der Lehrer liebt Eva nun selbstlos und will ihr helfen. Vor dem Gymnasium, das er nicht mehr betreten darf, passt er T ab. Er stellt ihn zur Rede und fragt, ob er wisse, wer der fremde Junge sei, von dem Eva sprach. Aber T weicht aus und lenkt den Verdacht auf den Lehrer selbst. Er habe gesehen, wie der Lehrer damals Eva und Z nachts im Wald beobachtete. T bescheinigt dem Lehrer, dieser habe selbst Fischaugen, und verrät ihm, in der Schule trage er den Spitznamen „Fisch“, weil er immer so ein un­be­wegliches, un­durch­schaubares Gesicht habe und scheinbar immer nur beobachte, ohne etwas dabei zu empfinden.

Wahrheit und Gerechtigkeit

Nachdem der Lehrer vor Gericht die Wahrheit gesagt hat, fühlt er sich erleichtert. Es bereitet ihm keine Sorgen mehr, dass er angeklagt und ihm wahrschein­lich gekündigt wird, denn er fühlt, dass Gott bei ihm ist. Distanziert beobachtet er aus dem Fenster seines Zimmers, wie mit großer Beflaggung und Aufmärschen der Geburtstag des „Ober­ple­be­jers“ gefeiert wird. Da erscheint B bei ihm und erklärt, der Kompass, der neben dem toten N gefunden wurde, gehöre T. B traut T den Mord zu: Der habe ihm nämlich einmal erzählt, er würde gern zusehen, wie jemand stirbt. Ein geheimer Klub mit dem Motto „Wahrheit und Gerechtigkeit“, den B zusammen mit drei Klassenkam­er­aden gegründet hat, will T lückenlos beobachten und ihn des Mordes überführen. Zum Lehrer ist B gekommen, weil dieser der einzige Erwachsene sei, der ein Interesse an der Wahrheit habe. Dass seine Schüler ihn „Fisch“ nennen, sei eine Erfindung von T. Sein wirklicher Spitzname laute „Neger“.

„Ja, Gott ist schrecklich, aber ich will ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Mit meinem freien Willen.“ (S. 65)

Der Pfarrer besucht den Lehrer und rät ihm, er solle die Mutter von T in ihrer Villa aufsuchen, um ihr von seinem Verdacht zu erzählen. Doch statt der feinen Dame, die angeblich zu beschäftigt ist, empfängt ihn dort T selbst und streitet alles ab. Auch Julius Caesar will jetzt helfen, T zu fangen, doch ebenso wie der Klub bemüht er sich vergeblich. Eines Nachts holt die Polizei den Lehrer ab und fährt ihn zu Ts Haus. Der hat sich erhängt und einen Zettel hin­ter­lassen, auf dem steht, der Lehrer habe ihn in den Tod getrieben, weil er wisse, dass er, T, N ermordet habe. Trotz seiner eigenen Schuld freut sich der Lehrer, dass ein Böser vernichtet wurde.

„Es kommen kalte Zeiten, höre ich Julius Caesar, das Zeitalter der Fische. Da wird die Seele des Menschen unbeweglich, wie das Antlitz eines Fisches.“ (S. 98)

Im Gespräch mit der Polizei und dem Lehrer bekommt Ts Mutter einen Anfall. Sie kreischt und schlägt um sich. Dann wird sie still und lächelt den Lehrer an, und er spürt die Anwesenheit Gottes in dem Haus. Ts Schuld steht fest. Das Verfahren gegen den Lehrer wird eingestellt und auch Eva kommt frei. Der Lehrer tritt eine neue Ar­beitsstelle an, die der Pfarrer ihm angeboten hat: Er wird in Afrika an einer Mis­sion­ss­chule un­ter­richten.

Zum Text

Aufbau und Stil

Ödön von Horváths Jugend ohne Gott ist in 44 Kapitel unterteilt, die jeweils eine kurze, prägnante Überschrift tragen. Der gerade einmal 140 Seiten umfassende Roman ist aus der Perspektive des Lehrers in Ich-Form erzählt. Durch die Verwendung des inneren Monologs wird der Leser in die Gedanken­welt des Lehrers hineinge­zo­gen. Er kann seine Zer­ris­senheit, seinen Hass, seine Schuldgefühle unmittelbar nachvol­lziehen. Die Sätze – oft paratak­tisch aneinan­derg­ereiht – sind kurz und knapp, der Stil ist bewusst einfach und schnörkellos, oftmals elliptisch. Die drama­tis­chen Ereignisse werden in chro­nol­o­gis­cher Reihenfolge überwiegend im Präsens erzählt, wobei der Ich-Erzähler bei Rückblenden und eher re­flek­tieren­den Passagen häufig ins Präteritum verfällt. Der szenische Aufbau und die häufige Verwendung von Monologen und Dialogen rücken den Roman in die Nähe des Dramas. Die Figuren sind durch eine je eigene Sprechweise charak­ter­isiert, wodurch sich ihre Grup­pen­zugehörigkeit und Weltan­schau­ung ausdrückt. Die Sprache des Ich-Erzählers ist manchmal kühl reflektiert, dann wieder emotional, bildhaft und assoziativ.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • Der autoritär-mil­i­taris­tis­che Staat in Horváths Roman wird zwar nicht mit der na­tion­al­sozial­is­tis­chen Diktatur im Deutschland der 1930er-Jahre gle­ichge­setzt, doch es gibt zahlreiche An­spielun­gen, die auf den NS-Staat verweisen.
  • Zentrales Thema ist das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft im totalitären Staat. Obgleich der Lehrer dem herrschen­den Regime mit seiner Massenide­olo­gie kritisch gegenübersteht, verhält er sich aus Angst um seine Stellung konform und verrät seine hu­man­is­tis­chen, in­di­vid­u­al­is­tis­chen Grundüberzeu­gun­gen. Seine Schüler nimmt er als homogene Masse wahr und beraubt sie, indem er sie nur mit ihren An­fangs­buch­staben nennt, ihrer In­di­vid­u­alität.
  • Der Lehrer repräsentiert den typischen Mitläufer. Horváth schrieb dazu in einem Brief an einen Freund, ihm sei aufgefallen, dass er „ohne Absicht, auch zum ersten Mal den sozusagen faschis­tis­chen Menschen (in der Person des Lehrers) geschildert habe, an dem die Zweifel nagen – oder besser gesagt: den Menschen im faschis­tis­chen Staate.“
  • Der Roman erzählt neben einer Kriminal-  und einer Liebesgeschichte vor allem eine Bekehrungs­geschichte. Anfangs ist Gott für den Lehrer nur ein leerer Begriff. Am Ende gelangt er zu der Erkenntnis, dass Gott gle­ichbe­deu­tend mit Wahrheit und Gerechtigkeit ist, und findet jenseits kon­ven­tioneller Frömmigkeit zu seinem Glauben zurück.
  • Der Titel Jugend ohne Gott bezeichnet nicht eine unreligiöse, sondern eine op­por­tunis­tis­che Jugend ohne Ve­r­ant­wor­tungs­gefühl, Ideale und Gewissen. Deren emotionale Kälte spiegelt sich im Motiv des Fisches wider, das sich durch den ganzen Roman zieht. Horváths Kritik richtet sich auch gegen die Eltern der Schüler, die keine Zeit für ihre Kinder haben, sie vernachlässigen und ihnen keine moralischen Werte mehr vermitteln.
  • Ein wichtiges Thema des Romans ist der Unterschied zwischen Arm und Reich. Den Schülern, die überwiegend aus gut situierten Familien stammen und quasi aus Langeweile kriminell werden, stellt Horváth die Dorfjugend gegenüber, die unter der Ar­beit­slosigkeit ihrer Eltern leidet und aus Hunger stiehlt. 
  • Der Roman vermittelt ein negatives Bild der Frauen, die wech­sel­weise als erotisch reizlose „ruck­sack­tra­gende Venus“ oder als von ihren Ehemännern abhängige, egoistische Familienmütter auftreten. Selbst Eva, die einen Gegenpol zu diesem Frauentyp bildet, wird als gefühlskalt und berechnend beschrieben. Durch ihren Namen und ihre sexuelle Anziehungskraft sym­bol­isiert sie die Vertreibung aus dem Paradies und die Erbsünde.

His­torischer Hintergrund

NS-Diktatur und Erziehung zum Gehorsam

Von Beginn an hatte die 1919 gegründete, demokratis­che Weimarer Republik wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Die Weltwirtschaft­skrise von 1929, die Deutschland mit besonderer Härte traf, führte zu einer weiteren politischen Radikalisierung. Bereits nach den Wahlen von 1930 konnten die Parteien keine regierungsfähige Mehrheit mehr bilden. Reichspräsident Paul von Hindenburg reagierte auf die Krise mit Notverord­nun­gen und Min­der­heit­sregierun­gen. Gle­ichzeitig wuchs die allgemeine soziale Not. Im Sommer 1932 erreichte die Zahl der Ar­beit­slosen 6 Millionen, was den re­pub­lik­feindlichen Kräften zusätzlichen Auftrieb verlieh. Bei den Wahlen im selben Jahr erhielten die recht­sradikale NSDAP und die linksradikale KPD zusammen über die Hälfte der Wählerstimmen. Kleinkrim­i­nalität und Straßenkämpfe prägten den Alltag in den Städten. Inmitten der Au­seinan­der­set­zun­gen gaben sich die Na­tion­al­sozial­is­ten als die Kraft, die allein imstande sei, wieder Zucht und Ordnung herzustellen.

Unmittelbar nach seiner Ernennung zum Re­ich­skan­zler im Januar 1933 begann Adolf Hitler, eine na­tion­al­sozial­is­tis­che Diktatur zu etablieren: Parteien wurden verboten oder lösten sich selbst auf, politische Gegner wurden verfolgt, eingesperrt und ermordet, die Medien gle­ichgeschal­tet, Verbände und Gew­erkschaften zerschlagen oder von den Na­tion­al­sozial­is­ten vereinnahmt. Auch für die Jugend galt: Ordnung statt Freiheit, Gle­ich­schritt statt In­di­vid­u­alität und Vielfalt. Nicht der Einzelne, sondern nur die Gemein­schaft zählte. Der eigene Wille war dem des Führers un­terzuord­nen. Durch gemein­schaftliche Rituale und Zeltlager wurden die Ju­gendlichen auf Volk, Vaterland und Führer eingeschworen und allgemein gefügig gemacht.

Hitler selbst fasste sein Erziehungsideal auf dem Nürnberger Parteitag 1935 folgendermaßen zusammen: „In unseren Augen, da muss der deutsche Junge der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl. Wir müssen einen neuen Menschen erziehen, auf dass unser Volk nicht an den De­gen­er­a­tionser­schei­n­un­gen der Zeit zugrunde geht.“ Ein wichtiges Instrument für die totale Erfassung und In­dok­tri­na­tion junger Menschen war die Hitler­ju­gend (HJ), ab 1933 der einzige staatlich anerkannte Ju­gend­ver­band. Or­gan­isierte Massen­ver­anstal­tun­gen und Aufmärsche gaben den Ju­gendlichen das Gefühl, in der Masse aufzugehen. Von Beginn an spielte auch die Erziehung zum Krieg in der na­tion­al­sozial­is­tis­chen Pädagogik eine wichtige Rolle. So schrieb der Re­ich­sju­gendführer Baldur von Schirach in seiner Erziehungsan­leitung für die Jugend, das Gewehr müsse den Jungen so selbstverständlich in der Hand liegen wie der Federhalter.

Entstehung

Noch Anfang der 1930er-Jahre lebte Ödön von Horváth als gefeierter Bühnenautor in Berlin. Nach der Machtübernahme der Na­tion­al­sozial­is­ten 1933 durften seine Stücke dann jedoch nicht mehr aufgeführt werden. 1934 hielt er sich wiederholt in der elterlichen Villa im ober­bay­erischen Murnau auf, in dessen Umgebung zu dieser Zeit eines der sogenannten Hochland­lager der HJ unter dem Motto „Wir sind zum Sterben für Deutschland geboren“ stattfand. Zwischen 1934 und 1936 schrieb Horváth an einem (nicht vollendeten) Theaterstück über eine städtische Schülerklasse, die bei einem vormilitärischen Zeltlager mit einer in den Wäldern lebenden Jugendbande aneinan­dergerät.

Wahrschein­lich begann Horváth im Herbst 1936 – inzwischen lebte er im Wiener Exil –, den Stoff des Theaterstücks in Romanform zu bringen. Ein erster Entwurf, der schon in der Ich-Form verfasst war, trug den Titel „Auf der Suche nach den Idealen der Menschheit“. Horváth schrieb dazu später, es sei ein „Buch gegen die geistigen Anal­pha­beten, gegen die, die wohl lesen und schreiben können, aber nicht wissen, was sie schreiben, und nicht verstehen, was sie lesen.“ Auch dieses Werk blieb unvollendet. Im Sommer 1937 schrieb Horváth dann Jugend ohne Gott, in das beide Textfrag­mente eingingen, innerhalb weniger Wochen nieder. Der Roman erschien im Oktober 1937 im Amsterdamer Exilverlag Allert de Lange.

Wirkungs­geschichte

Jugend ohne Gott verkaufte sich von Anfang an gut und war schon wenige Monate nach seinem Erschienen in acht Sprachen übersetzt. In Deutschland geriet das Werk 1938 wegen seiner „paz­i­fistis­chen Tendenzen“ auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“. Die deutschen Exilautoren dagegen nahmen Jugend ohne Gott überwiegend positiv auf. Thomas Mann bekannte, das Buch habe einen „lebhaften Eindruck“ auf ihn gemacht. Klaus Mann beschied dem Werk „alle geheimnisvollen Eigen­schaften und Reize der wirklichen Dichtung“, und Hermann Hesse nannte das Buch „großartig“. Bereits im Juni 1938 gab es Pläne, das Buch zu verfilmen, die jedoch vom frühen Tod des Autors durchkreuzt wurden. Nach dem Krieg wurde Jugend ohne Gott dann gleich mehrfach verfilmt. Das Werk, das Horváths in­ter­na­tionalen Ruhm begründete, zählt heute in deutschsprachi­gen Ländern zum Schulkanon.

Über den Autor

Ödön von Horváth wird am 9. Dezember 1901 im ungarischen Fiume (dem heute kroatischen Rijeka) als unehelicher Sohn öster­re­ichisch-un­garischer Eltern geboren. Sein Vater ist Diplomat, sodass Ödön von klein auf immer wieder umzieht: zunächst nach Belgrad, dann nach Budapest, München, Pressburg und Wien, wo er 1919 sein Abitur macht. Anschließend besucht er an der Münchner Universität theater-, kunst- und lit­er­atur­wis­senschaftliche Seminare. Er verlässt die Universität ohne Abschluss und nimmt sich vor, Schrift­steller zu werden. Ab 1923 wohnt er abwechselnd bei seinen Eltern im ober­bay­erischen Murnau und in Berlin. 1927 wird sein erstes Theaterstück Revolte auf Côte 3018 uraufgeführt. Im selben Jahr lehnen die bayerischen Behörden seinen Antrag auf Einbürgerung ab. Horváth behält die ungarische Staatsbürgerschaft. Zwei Jahre darauf sichert ihm ein Vertrag mit dem Ullstein Verlag über sein gesamtes schrift­stel­lerisches Werk ein Einkommen. 1931, auf dem Höhepunkt seines Schaffens, werden die er­fol­gre­ich­sten Volksstücke Ital­ienis­che Nacht und Geschichten aus dem Wiener Wald uraufgeführt. Horváth siedelt nach immer heftigeren An­fein­dun­gen seitens der politischen Rechten 1933 nach Wien über. Seine Stücke dürfen nun in Deutschland nicht mehr gespielt werden. Er heiratet, lässt sich aber wenige Monate darauf wieder scheiden. 1934 wird er auf eigenen Antrag hin in den na­tion­al­sozial­is­tis­chen Re­ichsver­band deutscher Schrift­steller aufgenommen und führt ein recht unstetes Leben zwischen Wien und Berlin. Unter dem Pseudonym H. W. Becker arbeitet er an einigen trivialen Drehbüchern für die deutsche Fil­min­dus­trie mit. Als ihm das Deutsche Reich 1936 die Aufen­thalt­ser­laub­nis entzieht, bleibt er ganz in Wien. 1937 erscheint in einem Amsterdamer Exilverlag der Roman Jugend ohne Gott, eine Anklage gegen die Nazidik­tatur. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich flieht Horváth über Budapest, Prag, Zürich und Amsterdam nach Paris. Er stirbt am 1. Juni 1938, als er während eines Gewitters auf den Champs-Élysées von einem her­ab­fal­l­en­den Ast getroffen wird.