Die ersten Tage der Zukunft

Buch Die ersten Tage der Zukunft

Wie wir mit dem Internet unser Denken verändern und die Welt retten können

Pendo,


Rezension

Das Internet verändert die Art, wie wir miteinander kom­mu­nizieren und uns informieren, radikal. Und die Umwälzung ist sicher noch nicht abgeschlossen. Michael Maier, ein vielseitig versierter Autor und In­ter­ne­tun­ternehmer, untersucht das World Wide Web mit Bezug zur ökologisch-ökonomischen globalen Krise. Die These lautet: Die Menschheit bedroht sich selbst und den Planeten, aber das Internet kann uns vor dem Untergang retten. Maier vergleicht unsere Kom­mu­nika­tion im Netz mit dem in­tel­li­gen­ten Verhalten der Delfine und gelangt zu der Schlussfol­gerung, dass Austausch, In­for­ma­tions­flut und Weisheit der Masse der Menschheit zu einem „Superhirn“ verhelfen, mit dem sie komplexe Probleme lösen wird. Maier wirft einen ganz neuen und weitgehend op­ti­mistis­chen Blick auf das Internet, den man gerne online mit ihm diskutieren möchte. Zumal nicht ganz klar wird, wie ein globaler Zugang zum Internet und damit ein kollektives Wir Realität werden kann. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die an der medialen Zukunft der Menschheit in­ter­essiert sind.

Take-aways

  • Wir stecken zwar in einer globalen Krise, entwickeln mit dem Internet aber auch das Mittel, um sie zu überwinden.
  • Nur mit Integration statt Isolation, Austausch statt Exklusivität und weltweiter Vernetzung sind wir in der Lage, die komplexen Her­aus­forderun­gen zu meistern.
  • In Sachen soziale Intelligenz können wir von den Delfinen lernen, die dank ihres Echolots gemeinsam denken und handeln.
  • Mit dem Internet ver­wirk­lichen wir unser eigenes Echolot­sys­tem, das unser Denken und unsere Gehirne rev­o­lu­tion­iert.
  • Die Menschheit wird dank des Internets über ein kollektives Denkorgan, ein Superhirn verfügen.
  • Je mehr Menschen sich beteiligen, desto höher ist die Wahrschein­lichkeit für er­fol­gre­iche Problemlösungen.
  • Wikipedia, YouTube und Google sind er­fol­gre­iche Beispiele für neue Formen der Zusam­me­nar­beit.
  • Das Internet birgt zwar viele Gefahren, doch es entwickelt auch seine eigenen Schutzmech­a­nis­men.
  • Die menschliche Moral wird sich weit­er­en­twick­eln und sich den neuen Gegeben­heiten anpassen müssen.
  • Lernen ist ein lebenslanger Prozess, der am besten durch Nachahmen gelingt.
 

Zusammenfassung

Die größte Krise der Menschheit – und ihre Lösung

Die Apokalypse klopft an unsere Tür: Der Planet Erde ist einer permanenten Zerstörung ausgesetzt, die nicht nur der Menschheit die Lebens­grund­lage entzieht. Klimawandel, Hungersnöte, Wirtschaft­skrisen und Atombombe bedrohen uns in einem Ausmaß, das die Machthaber mit herkömmlichen Mitteln schon lange nicht mehr in den Griff bekommen. Gle­ichzeitig ist in den letzten Jahren eine völlig neue Kom­mu­nika­tions- und In­for­ma­tion­skul­tur entstanden: das Internet. Dieses Medium macht es auf ganz andere Weise als bisher möglich, sich miteinander zu unterhalten, zu diskutieren, zu forschen und zu informieren. Dank Chatroom, E-Mail, Such­mas­chine und Blog können die Menschen quasi in Echtzeit gemeinsame Denkprozesse umsetzen und erhalten umgehend Rückmeldung auf ins Netz gestellte Fragen, Ideen und An­schau­un­gen. Doch die Web-Rev­o­lu­tion ist nicht nur technischer Art: Aus der Gesamtheit an Wissen, Beiträgen und auch Zweifeln aller Beteiligten wächst derzeit, über Raum- und Zeitgrenzen hinweg, ein men­schliches „Superhirn“. Mit dieser sozialen Intelligenz aus­ges­tat­tet, werden wir schon bald in der Lage sein, die aktuellen Probleme gemeinsam zu lösen.

Intelligenz unter Wasser

Der Schlüssel zum Erfolg heißt soziale Intelligenz. Die gibt es auch im Tierreich: Delfine und Wale verfügen mit dem Echolot über eine sehr kluge Kom­mu­nika­tions­form. Das ständige Aussenden von Tönen und der laufende Kontakt mit Grup­pen­mit­gliedern ermöglichen ihnen, sich unter Wasser zu orientieren und gle­ichzeitig andere zu orten. Das Internet funk­tion­iert nach erstaunlich ähnlichen Mechanismen. Dank permanenter Rückkopplung und Anbindung an das Know-how der Mitmenschen auf der ganzen Welt wird gemeinsames Handeln über große räumliche Distanzen hinweg möglich. Wie schon Gutenbergs Buchdruck unser Denken verändert hat, nimmt auch das Internet Einfluss auf unser Hirn und unsere Denkstruk­turen – in positiver Weise und zum Wohl der Menschheit.

Das Internet macht’s möglich

Reduktion auf das Wesentliche, radikale Mei­n­ungs­frei­heit und rasante Antwortzeiten kennze­ich­nen die On­lineme­dien. Die Rolle eines Bloggers im Netz ist die eines permanenten Kom­men­ta­tors und mutigen Wächters. Provokante Meinungen fordern zum Austausch auf, und zwar öffentlich und unter dem eigenen Namen. So können einseitige Me­di­en­darstel­lun­gen beurteilt oder zweifel­hafte Un­ternehmen­shand­lun­gen angeprangert werden. Berechtigte Kritik verlangt von den Tätern eine sofortige Korrektur ihrer Handlungen, wollen sie sich nicht die Ungnade der Masse zuziehen. Dadurch erhält das Netz ein wichtiges Selb­stko­r­rek­tiv mit dem Ziel einer laufenden Verbesserung und Weit­er­en­twick­lung.

„In ihrer jetzigen Verfassung ist die Menschheit eine Gefahr für den Planeten. Ohne sie würde das Leben blühen.“

Gle­ichzeitig verschwimmt die Trennung zwischen Produzent und Konsument. Auf der Video­plat­tform YouTube und am Wandel der Musikin­dus­trie zeigt sich deutlich, wie sich vormals passive Konsumenten engagieren und beteiligen. Ehemalige Zuschauer werden mit einfachen Mitteln zu Akteuren, nehmen Gestal­tung­sprozesse selbst in die Hand, veröffentlichen ihre Ergebnisse ohne jegliche Bedenken und für alle sichtbar. Doch weniger der Hang zur Selb­st­darstel­lung als vielmehr der Wunsch nach einem gemeinsamen Kom­mu­nika­tion­sstil und nach kollektiver Weit­er­en­twick­lung sind die Triebfedern ihres Handels. Auf einige mag die freizügige Bekanntgabe all dessen, was man gerade macht, und wo man sich aufhält, wie Selbstentblößung wirken. Dabei basiert sie auf einer positiven Grun­de­in­stel­lung und gegen­seit­igem Vertrauen in privaten wie beruflichen Netzwerken.

Alles offen, alles Beta

Allerdings ist Wachsamkeit gefragt, um Un­wahrheiten und Bluffer zu iden­ti­fizieren und zu neu­tral­isieren. Ständig sorgen z. B. die Autoren der On­linebib­lio­thek Wikipedia dafür, dass die Inhalte nicht einseitige Interessen wider­spiegeln und weiter an Qualität gewinnen. Alle Ko­r­rek­tur­prozesse sind transparent. Nötige Änderungen müssen begründet werden und bleiben nachvol­lziehbar. Es ist erstaunlich, dass diese so er­fol­gre­iche Non-Profit-Or­gan­i­sa­tion einzig von der Eigenini­tia­tive der Autoren lebt. Die Beteiligten beziehen ihre Motivation daraus, men­schliches Wissen zu sammeln und es frei und kostenlos weit­erzugeben.

„Die Menschheit hat offenbar erkannt, dass die Zeit für sub­stanzielle Veränderung gekommen ist – sie handelt, ohne dass ihr befohlen wird.“

Den Grundstein für diese offene Herange­hensweise legte die digitale Welt selbst. Der eigene Anspruch, einen tadellosen Code zu entwickeln, motivierte zahlreiche Pro­gram­mierer zum Hacken. Wirtschaftlichen Schaden anzurichten, war weniger das Ziel, vielmehr ging es darum, Lücken und Mängel im System aufzudecken und die Software zum Nutzen aller zu verbessern. Solange die Hersteller jedoch ihren Code geheim hielten, waren Eingriffe von außen offiziell nicht erlaubt. Den großen Umbruch brachte die Open-Source-Be­we­gung. Seit 1991 wird nach der Idee von Linus Torvalds das Be­trieb­ssys­tem Linux gemein­schaftlich entwickelt. Aus dem Nachbau des bereits an Universitäten einge­set­zten, aber unter Verschluss gehaltenen Unix entstand unter Beteiligung zahlreicher unabhängiger Entwickler ein neues, stabiles Be­trieb­ssys­tem. Das heutige Internet ist Ergebnis der vernetzten Unix-Rech­ner. Und sein zentrales Prinzip – das Verlinken auf andere Seiten, deren Inhalte man für wichtig hält – ist gle­ichzeitig auch die Grundlage des von Google einge­set­zten Suchal­go­rith­mus.

Ein Superhirn für alle

Das Gehirn wird landläufig als Sitz des men­schlichen Ich gesehen. Die Hirn­forschung zeigt, dass bio­chemis­che Reaktionen u. a. für unsere Emotionen zuständig sind und dass selbst ein erwachsenes Gehirn nie vollständig entwickelt ist. Lebenslanges Lernen ist daher möglich und auch nötig. Lern­prozesse finden an den Synapsen statt, den Schalt­stellen zwischen den Ner­ven­bah­nen, wo unser Denkorgan nützliche Erfahrungen und Funktionen abspeichert. Erfolglose Schaltungen und überflüssige Wege werden dagegen vernachlässigt und durch bessere ersetzt. Wenn wir also neue Erfahrungen machen, vergleichen wir diese ständig mit unseren neuronal gespe­icherten Erin­nerun­gen. Je mehr wir erleben, umso mehr können wir auch lernen, denn der Menschen lernt durch Nachahmen.

„Wer nicht mitzieht, hinaus zum unbekannten Horizont, dessen Name ,Rettung der Welt‘ ist, wer nur an sich denkt und nicht an die Menschheit, der wird ein Nichts, rutscht in die Be­deu­tungslosigkeit ab.“

Auch Tiere nutzen das Wissen ihrer Artgenossen für das eigene Überleben, z. B. Ameisenvölker bei der Anlage ihres kom­plizierten Baus. Wenn Lebewesen kollektiv denken und dadurch das Denken des Einzelnen bee­in­flussen, sprechen Wis­senschaftler von Schwarmintel­li­genz oder sozialer Intelligenz. Dabei bedienen sich Sender und Empfänger eines gemeinsamen Ze­ichen­vor­rats. Analog könnte das Internet als Träger eines globalen Superhirns dienen, das nach den Regeln des men­schlichen Gehirns funk­tion­iert. Um weltweit voneinander zu lernen, müssen sich alle Nutzer aktiv beteiligen und Werkzeuge wie E-Mail verwenden können. Damit ein globaler Prozess gelingt, benötigen wir eine gemeinsame Weltan­schau­ung. Das Internet wirkt dabei als Konformitätsverstärker. Es ermöglicht, gemeinsam zu denken und zu handeln, bietet zudem aber auch ausreichend Raum für Vielfalt und un­kon­ven­tionelle Ideen.

Die Weisheit der Masse

In­di­vid­u­alität bedeutet Ausgrenzung und Alleinsein. Zusam­me­nar­beit in einer Gemein­schaft erhöht dagegen die Wahrschein­lichkeit, Probleme zu lösen. Math­e­matiker können die „Weisheit der Masse“ sogar mit einer Formel berechnen, dem Con­dorcet-Jury-The­o­rem: Je mehr Menschen sich an einer Entschei­dung beteiligen, desto besser ist das Ergebnis. Es gibt aber zwei Vo­raus­set­zun­gen: Die Frage muss konkret zu beantworten sein, und die Mehrheit muss eher richtig als falsch liegen. Zur Il­lus­tra­tion ein wahres Beispiel: Die Teilnehmer einer Viehauktion sollten das Gewicht eines Ochsen schätzen. Der Durch­schnitt aller ausgezählten Schätzungen wich nur um ein Pfund vom tatsächlichen Gewicht des Tieres ab. Mit diesem Experiment widerlegte der britische Natur­forscher Francis Galton 1906 selbst seine arrogante These, „nur ein gebildeter Staatsmann könne ein Land und dessen unge­bildetes Volk führen“. Amerikanis­che Psychologen haben 2008 entdeckt, dass auch Einzelne zu besseren Ergebnissen kommen, wenn sie auf eine Frage mehrfach antworten dürfen und man daraus einen Durch­schnitt ermittelt. Das Vorgehen, ständig neue Hypothesen aufzustellen und diese mit der Realität abzu­gle­ichen, ist im Internet optimal re­al­isier­bar.

Welche Moral setzt sich durch?

Je mehr In­for­ma­tio­nen uns aber zur Verfügung stehen, desto komplexer gestaltet sich der Entschei­dung­sprozess und desto schwieriger fallen moralische Einord­nun­gen. Doch unser Gehirn ist darauf vorbereitet: Dank der Spiegel­neu­ro­nen können sich Menschen in andere einfühlen. So kann es gelingen, fremde Emotionen, Gedanken und Ver­hal­tensweisen nachzu­vol­lziehen und anderen freundlich zu begegnen. Dem Individuum selbst nützt sein soziales Verhalten. Die gemeinsame Basis, an der sich die Menschen moralisch orientieren, wird sich stetig weiter zum Guten entwickeln. Unser Zusammengehörigkeitsgefühl wächst, die soziale Ve­r­ant­wor­tung steigt. Respekt vor dem anderen und der Vorsatz, Gutes zu tun und niemandem zu schaden, werden zu Grundsätzen unserer Handlungen. Eine kollektive menschliche Moral, verstanden als kulturelles Gut, agiert dynamischer und fällt Urteile situativ, anstatt zeitlebens starre Regeln zu befolgen. Das angelsächsische Rechtssys­tem, das Gesetze vom gerichtlichen Einzelfall ableitet, wird weltweit Einzug halten.

Achtung, Fallstricke!

Noch ist das Superhirn nicht vollständig entwickelt. Bedrohungen müssen wir ernst nehmen und aktiv bekämpfen, damit sich das Blatt nicht zum Schlechten wendet. Das Internet ist eine optimale Plattform für politische Agitatoren und die Ankündigung von Gewalttaten. Ter­ror­is­tis­che Angriffe zielen auch auf Com­put­er­net­zw­erke und könnten u. U. sogar das World Wide Web zerstören, was einem Super-GAU gleichkäme. Staatliche Zensur und die Überwachung von In­ter­net­seiten können die In­for­ma­tions­frei­heit enorm einschränken, so blockiert etwa China unerwünschte Inhalte mit einer Firewall. Totalitäre Systeme miss­brauchen von privater Hand gesammelte Daten, um Rückschlüsse auf Personen zu ziehen. Vermutlich ist aber die fortschre­i­t­ende Kom­merzial­isierung des Internets das größte Risiko, denn Werbung, PR und Lobbyisten versuchen die Nutzer laufend zu ma­nip­ulieren. Wichtige Funktionen des Superhirns, die keinen direkten wirtschaftlichen Nutzen bringen, könnten verkümmern oder gar nicht erst entstehen.

„Vielleicht ist die schillernde Realität des Internets gerade deswegen so ermutigend: Sie ist das Gegenteil einer Diktatur.“

Doch das System selbst bietet Abhilfe. Ständige Wachsamkeit und Selb­stko­r­rek­tur sind unabdingbar. Tra­di­tionelle Or­gan­i­sa­tio­nen müssen In­ter­net­nutzern mit deren Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel begegnen und z. B. Chats oder Foren offerieren. Kreative können ihre Werke mit den Cre­ative-Com­mons-Rechten belegen, sodass andere Nutzer fremde Inhalte zu nicht kom­merziellen Zwecken kostenlos verwenden dürfen. Das klassische Urhe­ber­recht erlaubt zwar maximale Kontrolle, aber keine kol­lab­o­ra­tive Weit­er­en­twick­lung. Bei der kom­merziellen Vermarktung von unter CC-Recht stehenden Werken profitieren auch die Urheber, meist sogar ohne dazwis­chengeschal­tete Vermarkter.

Der neue Geist in der Wirtschaft

Moderne Unternehmen erkennen die rasante Entwicklung und wissen die Vorteile für sich zu nutzen: Sie operieren global, lassen in­ter­na­tional produzieren und setzen bei der Pro­duk­ten­twick­lung auf die Ideen der Konsumenten. Hierarchien sind auf dem Rückmarsch, das Gebot der Stunde lautet Kol­lab­o­ra­tion. Anstatt geistiges Eigentum zu verschließen, wird Wissen geteilt und zur Weit­er­en­twick­lung freigegeben. Neben Google heißen die er­fol­gre­ich­sten Geschäftsmodelle z. B. Spreadshirt, Ab­ge­ord­neten­watch oder studiVZ. Die alten Eliten müssen komplett umdenken und sich am Superhirn beteiligen – oder abdanken.

Über den Autor

Michael Maier ist Journalist und In­ter­ne­tun­ternehmer. Der studierte Jurist und Kirchen­musiker hat als Chefredak­teur, Start-up-Gründer und Forscher gearbeitet und besitzt eine Firma für strate­gis­che Un­ternehmens­ber­atung rund ums Internet.