Einführung
Ziele haben wir alle – spätestens am 31. Dezember nehmen wir uns ganz viel vor. Doch daraus wird meist nichts, weil Stress und Alltagsabläufe es wieder vergessen machen. Gute Vorsätze allein müssen wirkungslos werden, weil die Messbarkeit ihres Eintreffens, ihrer Umsetzung fehlt. Hier könnte die Balanced Scorecard (BS) ansetzen. Ein individuelles Beispiel: Ein Geschäftsmann erleidet seinen zweiten Herzinfarkt. Schon nach dem ersten hat er sich geschworen, sein Leben zu verändern – und konnte es nicht einhalten. Seine Massgaben:
- Meine Arbeit ist mir zu stressig.
- Ich möchte mehr Zeit für meine Mitmenschen haben und v. a. für meine Familie.
- Und für meine Gesundheit muss ich auch etwas tun.
„Jede Strategie beginnt mit Utopien. Konstruktiv träumen. Aber Träume allein führen nicht zum Ziel, wir müssen es auch tun. Und der erste Schritt auf dem Weg zum Tun ist die Konkretisierung unserer Ziele.“
Diese alltäglichen Wunschvorstellungen formuliert er nun in Zielvorstellungen um:
- Ich will jeden Tag mit meiner Frau telefonieren – auch, wenn ich auf Dienstreise bin.
- Einmal pro Woche gehen wir aus, dreimal im Monat machen wir mit den Kindern einen Ausflug.
- Ich will im Sportverein häufiger trainieren und mich auch engagieren. Wöchentlich zehn Kilometer joggen.
- Zwei Tage in der Woche will ich spätestens gegen 18.30 Uhr das Büro verlassen.
„Wenn wir unsere BS zu stark mit Berichtszahlen überfrachten, verringern wir ihre Fähigkeit, als Führungsinstrument genutzt zu werden.“
Diese Vorgaben lassen sich ohne weiteres in Kennzahlen umsetzen: In einer Tabelle werden der Bereich, die Massnahme, das Soll und das Ist aufgeführt. In den Familienbereich fallen etwa die Telefonate mit der Ehefrau. Das Ist beträgt 3,7, das Soll 5. Im Gesundheitsbereich liegt die Massnahme „Joggen“. Das Ist wird mit 2 beziffert, das Soll mit 10. Das ist bereits eine (sehr simple) Balanced Scorecard – eine persönliche. Sie baut auf alltäglichen Erfahrungen auf. Ständig müssen Sie Ziele bestimmen, Massnahmen planen, Veränderungen durchführen. Um Ziel, Verlauf und Ergebnis der Aktivitäten kommunizieren und kontrollieren zu können, müssen Sie diese konkretisieren und messbar machen. Messbar werden sie durch geeignete Kennzahlen.
Die Balanced Scorecard
Die Erarbeitung und Anwendung einer BS ist eine anspruchsvolle Aufgabe.
- Kaplan und Norton haben die BS entwickelt. Ihre Grundidee ist, die strategischen Zielstellungen in die vier Parameter „Finanzen“, „Kunden“, „interne Geschäftsprozesse“ und „Lernen und Entwicklung“ einzuordnen, entsprechende Kennzahlen und Massnahmen zu entwickeln und in das betriebliche Feedback einzubinden. Nachteil: Ihr Modell ist amerikanisch und auf die deutsche, überwiegend mittelständisch geprägte Wirtschaft nicht uneingeschränkt anwendbar.
- Péter Horváth ist der Interpret Kaplans und Nortons im deutschsprachigen Raum. Er entwickelt dabei die Methode zur Erarbeitung einer BS als ein relativ fest gefügtes, logisch aufgebautes System von Instrumenten und Strukturen. Damit schafft er einen festen Rahmen, der die Umsetzung einer komplexen Strategie stützen hilft. Doch andererseits passt nicht jedes Unternehmen in einen festen Rahmen.
- Viele Beratungsfirmen haben sich schnell auf die BS-Mode eingestellt und bieten entsprechende Software, die eine Sammlung von Kennzahlen enthält. Problematisch sind hier eben die Vorteile solcher Baukastenlösungen: das trügerische Gefühl, auf alles einen sofortigen Überblick zu haben. Oft handelt es sich bei „weichen“ Kennzahlen um Scheingenauigkeiten, die einem entfernten Betrachter wenig nützen, sondern ihn höchstens in Sicherheit wiegen. Die Verantwortlichkeiten fehlen.
- Der Prozess um die Erstellung der BS ist in erster Linie ein sozialer – darum sind die meisten der erforderlichen Kennzahlen in Ihrem Unternehmen noch gar nicht ermittelt. Sie müssen die Datenbasis erst schaffen.
Das kommunikative Modell
Die Strategie muss direkt am Menschen ansetzen, nicht beim Unternehmen. Entscheidend sind die Fähigkeiten des Personals, aus ihren vielfältigen Kontakten Kundenwünsche aufzugreifen und in innovative Problemlösungen umzusetzen. Das geht nur, wenn Verantwortung stufenweise abgegeben wird – sodass die Leitung am Ende nur die Kennzahlen der jeweiligen strategischen Projekte beobachtet und jeder Projektleiter dann seine Zahlen. Ein System, das sehr von Kommunikation zwischen den Ebenen abhängt.
Vorgehensweise
Die Erarbeitung der BS erfolgt in sechs Schritten:
- Bestimmung von Leitbild und Leitziel des betreffenden Unternehmens.
- Entwicklung eines Handlungsrahmens (Matrix aus unternehmensspezifischen, strategischen Wegen und Perspektiven).
- Sammeln von Ideen für strategieorientierte Aktionen, von Zielen und von Kennzahlen zur Messung von Verlauf und Erfolg der Aktionen an diesen Zielen.
- Bündeln der Aktionen zu strategischen Projekten; Budgets der Projekte.
- Einbinden der strategischen Projekte in die operativen Arbeitsabläufe und die Führungsstruktur des Unternehmens.
- Organisieren des strategischen Lernprozesses im Unternehmen.
Zielfindung
Im Verlauf der Erarbeitung einer BS begegnen Ihnen verschiedene Arten von Zielen:
- Übergreifende Ziele in Gestalt der Vision Ihres Unternehmens. Als Leitwerte sollen sie allgegenwärtig sein. Als grundlegende Orientierung ist die Vision sehr allgemein gehalten.
- Strategische Wege sind zu definieren, um jeden Handlungsschritt konsequent auf das übergreifende Ziel auszurichten. Sie sind die Wegweiser, um Richtung Ziel nicht die Orientierung zu verlieren.
- Strategische Aktionen wählen Sie aus, um Ihre Strategie zu konkretisieren. Auch hierfür sind Ziele vonnöten, die es zu bestimmen gilt. Mittels Kennzahlen messen Sie Verlauf und Ergebnis der strategischen Aktionen.
- Strategische Projekte dienen dazu, die Aktionen zu bündeln – das wiederum führt zum Bau eines Netzwerks von Verantwortlichen. Für die strategischen Projekte bestimmen Sie wiederum Ziele, die entsprechend messbar gemacht werden.
- Operative Routineaufgaben sind die Details des Tagesgeschäfts, mit eigenen Kennzahlen und Detailzielen ausgestattet.
Checkliste
Sie erarbeiten die Balanced Scorecard, indem Sie zuerst Ihren Kopf frei machen! Planen Sie drei Tage ein, damit Sie und Ihre Mitarbeiter sich unvoreingenommen dem Projekt widmen:
- Durchführung des Workshops in lockerer Umgebung, keinesfalls im Unternehmen selbst. So vermeiden Sie Störungen durch das unvermeidliche Tagesgeschäft.
- Nehmen Sie alle und jeden mit, der in den Einflussbereich der BS fällt. Machen Sie keine Ausnahmen, dulden Sie keine Ausrede. Jeder muss seine Ideen und Vorstellungen einbringen. Die Teilnehmerzahl darf aber zwölf bis fünfzehn Köpfe nicht übersteigen.
- Schreiben Sie alles auf, um auch keine Idee zu verlieren oder zu übersehen. So würdigen Sie jeden Beitrag jedes Teilnehmers. Alles muss ans Pinnbrett – zum Lesen, zum Repetieren, zum Arbeiten daran. Gesprochenes verflüchtigt sich zu schnell, Geschriebenes hat Dauer.
Konflikte
Kennzahlen sind wichtige Informationsträger. Allerdings ist ihre Wirkung stark abhängig davon, wir Sie innerhalb Ihres Unternehmens damit umgehen. Nicht die Sachaussagen, sondern die Nebenbotschaften bilden das Hauptpotenzial für Konflikte. Das heisst, wenn Sie Kennzahlen präsentieren, vermitteln Sie – ob Sie wollen oder nicht – mindestens zwei Nebenbotschaften: „Ich habe Recht!“ (denn Kennzahlen sind unumstössliche Fakten) und „Du bist schuld!“ (Warum konnte das passieren?) Das Gegenüber muss sich im Rechtfertigungszwang wiederfinden. Die eingeübten Reflexe werden aktiviert. Das Resultat ist Widerstand, Misstrauen oder sogar Feindschaft. Nebenbotschaften sind dort stärker ausgeprägt, wo die bisherige Unternehmenskultur durch Misstrauen geprägt war – wenn Offenheit eher bestraft als belohnt wurde. Hier muss die BS als ein weiteres unangenehmes Kontrollsystem empfunden werden. Finden Sie sich (und Ihre Mitarbeiter) darum damit ab:
- Es gibt keine „objektiven“ oder „exakten“ Kennzahlen. Weder qualitativ noch quantitativ. Eine Kennzahl steht nie allein, sondern bekommt Bedeutung erst im Kontext vieler anderer Informationen und Kennzahlen.
- Es gibt weder „richtige“ noch „falsche“ Kennzahlen. Wie Sie eine Kennzahl interpretieren, hängt immer von Ihrer Perspektive ab – u. a. davon, inwieweit Sie dem Präsentator vertrauen und ob Sie bisher gute Erfahrungen mit ihm gemacht haben.
- Es gibt keinerlei Kennzahlen, die für alle Unternehmen gleichermassen gelten. Welche für Ihr Unternehmen bedeutsam sind, müssen Sie selbst bestimmen. Wie Ihre Mitarbeiter diese Kennzahlen (ob „Ist“ oder „Soll“) aufnehmen, hängt von Ihrer Kommunikations- und Unternehmenskultur ab.
Fehler
Die Instrumente einer BS verselbstständigen sich gern:
- Indem Sie die Kennzahlen auf ihre rein mathematische Aussage reduzieren, vernachlässigen Sie die ihnen zugrunde liegenden Themen. Das ist der Grund, warum die meisten Zahlen uns fremd sind und die meisten Menschen Kennzahlen eher skeptisch gegenüberstehen.
- Kennzahlen können auch als Machtmittel missbraucht werden – indem man Noten vergibt, sich als Oberlehrer aufspielt, ohne eine Ahnung von dem fremden Aufgabenbereich zu haben, über den man urteilt. Die Informationen verkommen zum Machtgegenstand der Monopolisten, die ihren Vorsprung gegenüber anderen ausspielen.
- Entsteht Misstrauen, ist das System unterminiert – Informationen werden zurückgehalten, positive Meldungen überbetont, negative Signale verschwiegen usw. Leicht entsteht das Missverständnis, dass nur messbares Verhalten zählt.
- Statt an den Zielvorgaben zu arbeiten, bastelt jeder an seinen individuellen Verteidigungsstrategien. So werden wertvolle Ressourcen, Zeit und Kreativität verschwendet.
Vertrauensarbeit
Veränderungen können nur von oben ausgehen, das gilt auch für eine vertrauensbasierte Unternehmenskultur. Sie benötigen u. a.:
- Geduld und die Kraft, um nicht in die Sünden der Vergangenheit zurückzufallen.
- Berechenbarkeit – das bedeutet schlicht, dass man sich auf Sie verlassen können muss.
- Zielklarheit und Deutlichkeit der Aussagen.
- Bereitschaft zur vollständigen Information – auch zur Bekämpfung von Gerüchten.
- Fehlertoleranz und Verzicht auf Schuldzuweisungen.
- Strikte Aufrechterhaltung von Vertraulichkeit.