Nichtwissen ist teuer
Mit Wissenslücken leben zu müssen, kennzeichnet den Unternehmer. Aufgrund der zunehmenden Spezialisierung und der immer kürzer werdenden Halbwertszeit allen Wissens, können solche Lücken heute allerdings gefährlich gross sein. Waren früher allein Mut und Intuition zur Überbrückung nötig, so ist heute selbst für kleine Unternehmen ein stärker methodisches Vorgehen überlebensnotwendig geworden. Im Dienste höherer Entscheidungssicherheit und überlegener Zukunftsorientierung sollten Sie als Unternehmer dafür sorgen, dass Wissen systematisch beschafft, aufbereitet und zugänglich gemacht werden kann.
„Bereits vor 15 Jahren hiess es, Information und Wissen seien die wichtigsten Faktoren für wirtschaftlichen Erfolg. Die Notwendigkeit, mit der innerbetrieblichen Ressource Wissen strategisch umzugehen, ist heute grösser denn je.“
Gerade kleine und mittlere Unternehmen sollten ein umfassendes Wissensmanagement auch mit Blick auf ihr Innovationspotenzial anstreben. Die Unterschätzung der Bedeutung des eigenen Wissens und der fehlende Überblick über das am Markt schon vorhandene, einschlägige Know-how sind die beiden schwerwiegendsten innovationspolitischen Fehler - Fehler, die ein Unternehmen in die Pleite treiben können. Wenn Sie hier auf Wissensmanagement setzen, können Sie sich teure Pannen ersparen. So sollte es selbstverständlich sein, bereits im Vorfeld eines Entwicklungsprojektes umfassende Informationen über Patente, Lizenzen und Absatzmärkte einzuholen. Dann können Sie begründet entscheiden, ob etwa am Markt vorhandenes Wissen günstiger eingekauft als selbst erstellt werden kann, oder ob kapitalintensive Entwicklungsleistungen angezeigt sind, weil eine USP (Unique Selling Proposition) geschaffen oder ein Massenmarkt erschlossen werden kann.
Die Unternehmensführung als Wissensmanager
Wird ein Unternehmen mit einem Ozeandampfer verglichen, dann verstehen sich die meisten Unternehmensleiter als Kapitän des Schiffes. Dabei bestimmt der Konstrukteur wesentlich stärker als der Kapitän die Rolle des Dampfers. Als Konstrukteur, als Designer der Wissensmanagementstrukturen legen Sie das Fundament für den Erfolg Ihres Unternehmens. Forschungen zur Unternehmenskultur haben gezeigt, dass gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen der Schlüssel zum ertragreichen Wissensmanagement in den Händen der Geschäftsleitung liegt. Ihre Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, sicherzustellen, dass das Wissensmanagement Ihres Unternehmens aus einem Guss und mit Bedeutung erfüllt ist, und dass Sie es in seinen Leitlinien als Vorbild leben.
„Die Fähigkeit, mit Wissen umzugehen und auf dem Markt zu nutzen, wird zum kritischen Erfolgsfaktor für mittelständische Unternehmen.“
Je nach Art Ihres Unternehmens wird das Wissensmanagement ein anderes Ziel und seine Struktur einen anderen Schwerpunkt haben. Ergebnisse von Befragungen und Fallstudien zeigen, dass sich die Aktivitäten des Wissensmanagements auf bestimmte Anwendungsfelder im Unternehmen konzentrieren. Der Fokus liegt in den wertschöpfenden Bereichen und hier an erster Stelle bei der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen, gefolgt vom Markt- und Kundenverständnis sowie der Herstellung. Bei den unterstützenden Geschäftsprozessen dominieren die Aktivitäten im Umfeld des Informationsmanagements. Das Schlusslicht bildet hier der Bereich des Personalmanagements. Bei den Wissensformen hat das Methodenwissen mit 78 % eine Spitzenposition inne.
Wissen finden, teilen und bewahren
Wissen wächst, wenn man es teilt. Wissen zu teilen, stellt also ein gelungenes Beispiel jener Win-Win-Situation dar, die allgemein als ideal gilt, weil alle Seiten profitieren. Was also steht diesem höchst erstrebenswerten Zustand entgegen, was hindert ein Unternehmen, dieses Potenzial auszuschöpfen? Das sind zunächst einmal psychologische Gegebenheiten. So gaben zwei Drittel der Betriebe, die die Unternehmensberatung Kienbaum 1999 befragte, die handlungsleitende Maxime "Wissen ist Macht" als Hauptgrund für die mangelnde Bereitschaft an, Wissen auszutauschen oder zu teilen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Unternehmensberatung Booz, Allen & Hamilton, wenn sie die zugrunde liegende Einstellung vieler betroffener Mitarbeiter auf die Formel bringt: "Knowledge sharing is an unnatural act".
„Fehlendes Wissensmanagement entpuppt sich zunehmend als Kostentreiber im Betrieb.“
Zu knappe Zeitvorgaben und die Anwendung von Zwang sind die schlimmsten Fehler, die Sie machen können, wenn Sie Ihre Mitarbeiter dafür gewinnen wollen, ihr Wissen unternehmensweit verfügbar zu machen, z. B. in ein Informationssystem einzubetten. Als positive Massnahme ist die Schaffung eines wissensfreundlichen Unternehmensklimas unerlässlich: Als Leiter des Unternehmens müssen Sie ein Vorbild sein für offene und vertrauensvolle Kommunikation, jedes Pokern mit Wissen ablehnen und flache Hierarchien schaffen. In kleinen und mittleren Betrieben ist das Klima per se wissensfreundlicher. Die Beschäftigten identifizieren sich hier stärker mit dem Betrieb als Ganzem und realisieren auch viel schneller, welche negativen Folgen mangelnder Wissensaustausch hat.
„Klein- und Mittelbetriebe sind mehr von ihren intellektuellen Fähigkeiten abhängig als von Vermögenswerten, da sie sich spezialisiert haben und ihr Wissen in den Produkten steckt.“
Neben der psychologischen Barriere müssen Sie ein weiteres wichtiges Hindernis auf dem Weg zum systematischen Wissensaustausch beachten. Ein Grossteil unseres Wissens ist impliziter oder taziter Natur. Die wenigsten Menschen wissen, was sie alles wissen - ihr Wissen ist ihnen nicht bewusst (tazit) oder in ihr Handeln eingewoben (implizit). Ihre Mitarbeiter zeigen ihr Wissen oder Können am Output, können aber die zugrunde liegenden Regeln meist nur vage artikulieren. Dies gilt besonders für praktisches Wissen. Es gilt also, Wissensstrukturen freizulegen, implizites Wissen begrifflich zu fassen und eine Systematik der Wissenseingabe, -speicherung und -abfrage zu erarbeiten. Ohne Computer, Datenbanken und andere einschlägige Instrumente ist das heute nicht mehr möglich.
Die Werkzeuge für das Wissensmanagement
Wissensmanagement lässt sich keineswegs auf Informationstechnologie reduzieren. Die Informationstechnologie hat in diesem Zusammenhang den Charakter eines Mittels, eines Werkzeuges - freilich eines notwendigen, unverzichtbaren Werkzeuges. Der Versuch, Wissensmanagment ohne Informationstechnologie zu betreiben, ist in etwa so realitätsnah wie das Bestreben, den Verkehr in Deutschland mit Ochsenkarren auf Feldwegen zu bewerkstelligen. Machen Sie sich deshalb mit den wichtigsten Funktionen eines umfassenden Informationssystems vertraut. Alle Bausteine des Wissensmanagements lassen sich auf diese Funktionen abbilden, wobei einige auch, wie z. B. computerunterstütztes Lernen oder Expertensysteme, unter zwei Funktionen subsumiert werden müssen:
- Bibliotheken und Archive dienen dazu, Dokumente zu erfassen und zugänglich zu machen. Häufig bieten diese Funktionen auch die Möglichkeit des Information-Retrieval, erlauben es also, grosse Dokumentenbestände nach verschiedenen Kriterien oder Suchbegriffen zu durchkämmen.
- Zu den Kartographiesystemen zählen Visualisierungswerkzeuge, z. B. graphische Modelle und graphische Navigationshilfen wie hyperbolische Bäume sowie die automatische oder halbautomatische Verschlagwortung von Informationsbeständen.
- Gruppenunterstützende Systeme ermöglichen es Personen, über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg zusammenzuarbeiten (Videokonferenzsysteme) oder ihre gemeinschaftlichen Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten.
- Die Entwicklung von Systemen, die den Wissensfluss unterstützen, die sozusagen kombinatorisch neues Wissen produzieren können, steckt noch in den Anfängen.
„Je weiter ich beim Lernen vom Arbeitsplatz weggehe, desto schwerer fällt die Anwendung auf die Realität im Betrieb.“
Für all diese Funktionen - marginal auch für die letztgenannte - finden Sie am Markt diverse Software-Angebote.
Lassen Sie auch die Internettechnologie nicht ausser Acht. Sie ist ein vielseitiger und inzwischen unentbehrlicher Helfer für erfolgreiches Wissensmanagement. Viele Unternehmen benutzen sie heute schon auf drei verschiedene Arten: als Internet zur Beschaffung externen Wissens, als Intranet für die zugangsgeschützte Sammlung, Speicherung und Verteilung betriebsinternen Wissens und als Extranet, um ausgewählten Gruppen (Lieferanten, Partnern, Kunden) Zugang zu einem Teilbereich des Intranets zu gewähren.
Wissen und lernen
Das lernende Unternehmen oder die lernende Organisation gilt seit einiger Zeit als höchste Stufe, die ein Unternehmen in Sachen Wissensmanagement erreichen kann. Der Begriff der lernenden Organisation soll verdeutlichen, dass das Verhältnis zwischen lernenden Individuen und Organisation nicht im Sinne einer starren, hierarchisch geordneten Struktur gesehen wird, sondern relational und gegenseitig definiert ist. Nur so ist die nötige Transparenz, Offenheit und Flexibilität gewährleistet, die Unternehmen kreativ macht und schnell lernen lässt. Die lernende Organisation ist ein Ideal, eine leitende Idee. Konkret lassen sich aber Hindernisse benennen, die Sie ausräumen müssen, um sich der Verwirklichung anzunähern.
„Kommunikationsfeindliche Bürozellen und abgeschottete Abteilungen haben in den Wissenszentren der Zukunft nichts zu suchen.“
Ein wichtiges Hindernis für ein lernfreundliches Klima ist eine mangelnde Fehlerkultur. Nach Einschätzung von Bernhard Wilpert, Professor für Arbeitspsychologie, verhindern individuelle Gewohnheiten und Organisationsstrukturen, dass Menschen aus Fehlern lernen. Diese Strukturen sind zäh, zumal sie von der Spitze aus eher noch gefestigt werden. Manager sind es gewohnt, stets alles wissen zu müssen, und tun sich schwer damit, sich als Lernende zu verstehen und sich damit auch zu Versuch und Irrtum zu bekennen. Hier nachhaltige Veränderungen zu bewirken, das Bewusstsein zu verankern, dass Fehler Lerngewinn bedeuten und nicht Bestrafung nach sich ziehen, ist ein lohnendes Ziel im Dienste erfolgreichen Wissensmanagements.
„Wo Wissenstransfer immer wichtiger wird, um auf dem Markt bestehen zu können, sind gerade mittelständische Unternehmen auf Impulse von grossen wissenschaftlichen Einrichtungen angewiesen.“
Ein sehr konkretes Lernhemmnis ist eine kommunikationsfeindliche Architektur. Isolierte Bürozellen und abgeschottete Abteilungen erschweren das Lernen und den Austausch von Wissen. Dieser Einsicht folgend, hat die Münchner Firma für Hard- und Softwarelösungen Digital Equipment vor einigen Jahren eine vollkommen neue Büroarchitektur geschaffen. Kein Mitarbeiter hat mehr einen festen Schreibtischplatz oder gar ein abgetrenntes Büro. Tag für Tag suchen sich die Beschäftigten einen neuen Platz, je nachdem, mit wem, woran und wie lange sie arbeiten. Dabei müssen sie Desksharing nicht unbedingt im Büro betreiben. Jeder ist so ausgestattet, dass er arbeiten kann, wo immer er will, sei es zu Hause, beim Kunden, im Flughafen oder eben im Büro. Bei Digital Equipment ist man davon überzeugt, dass Flexibilität und Offenheit nur dort entstehen, wo es keine fest zugeordneten Plätze gibt.
Wissen und kooperieren
Lohnende Kooperationen mit Forschungseinrichtungen sind in der Regel aufwändige und riskante Projekte, empfehlen sich also nicht unbedingt für kleine oder mittelständische Unternehmen. Wenn allerdings Kostenkontrolle und Moderation einer solchen Allianz gewährleistet sind, bietet die Zusammenarbeit gerade diesen Unternehmen hervorragende Chancen. Kleine und mittlere Unternehmen können Forschung und Entwicklung nicht selbst leisten, sondern sind auf den Wissenstransfer grosser Forschungseinrichtungen angewiesen. Klappt die Kooperation, so ist sie höchst ergiebig.
„Kooperationen, in denen die Partner innovative Ideen ausprobieren, die einer alleine nicht umsetzen könnte, sind keine Projekte mit Erfolgsgarantie.“
So ist die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihren rund 50 Instituten ein Partner für angewandte Vertragsforschung auf allen ingenieurwissenschaftlichen Gebieten. Dazu kommen Initiativen auf Länderebene oder EU-Programme. Wenn Sie eine solche Partnerschaft ins Auge fassen, sollten Sie von Experten eine Abschätzung der Entwicklungs- und vor allem der Einführungskosten am Markt erstellen lassen. Zweitens sollten Sie sicherstellen, dass der wissenschaftliche Partner den Wissenstransfer für das geplante Produkt wirklich umsetzen kann. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, stehen die Chancen gut, dass Sie sich auf ein lohnendes Risiko einlassen.
Prof. Dr. Conny H. Antoni ist Inhaber eines Lehrstuhls für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie an der Universität Trier. Dr.-Ing. Tom Sommerlatte ist Chairman der Abteilung Management Consulting worldwide bei Arthur D. Little, Inc. in Wiesbaden.