Schurkenstaat Schweiz?

Buch Schurkenstaat Schweiz?

Steuerflucht: Wie sich der größte Bankenstaat der Welt korrumpiert und andere Länder destabilisiert

C. Bertelsmann,


Rezension

Ist die Schweiz böse? Selbst pa­tri­o­tis­che Eidgenossen finden das mit­tler­weile keine abwegige Behauptung mehr. Zumindest, wenn es um Steuer­poli­tik geht. Die Zusammenhänge und Fakten, die Viktor Parma und Werner Vontobel – beides Schweizer – anführen, lassen die strahlend weiße Alpen­re­pub­lik ziemlich grau erscheinen. Habgierig und eigennützig bis an die Grenze des Akzeptablen seien die hel­vetis­chen Politiker und Wirtschaft­slenker, und das auch noch auf Kosten anderer Staaten. Happige Vorwürfe, die ebenso detailgenau wie scharf formuliert daherkommen. Die heile Welt der Schneekugel Schweiz wird geschüttelt, dass die Flocken stieben. Nur: Könnte man die beschriebe­nen Tatsachen auch aus einem anderen Blickwinkel bewerten? Die Schweiz als cleverer Kleinstaat, der mit seinen tiefen Steuern und seiner direkten Demokratie eher als Vorbild denn als Buhmann taugt? Auch diese Sichtweise hat etwas für sich, aber wer sie vertreten will, kommt nach der Lektüre dieses Buches nicht darum herum, seine Argumente zu überprüfen und das eine oder andere fallen zu lassen. BooksInShort empfiehlt die kluge Provokation politisch in­ter­essierten Zeitgenossen und allen Schweizer Bürgern, die sich ob der in­ter­na­tionalen Kritik erstaunt die Augen reiben.

Take-aways

  • Die Schweiz ist der siebtgrößte Finanzplatz der Welt.
  • Die Konzen­tra­tion von Vermögen in den Händen weniger Su­per­re­icher nimmt stetig zu.
  • Die Schweizer Fi­nanzpoli­tik ist darauf aus­gerichtet, ideale Standort- und Steuerbe­din­gun­gen für Privatvermögen und Unternehmen zu schaffen.
  • Bankge­heim­nis und Steuer­vorteile ziehen Anleger aus der ganzen Welt an.
  • Mithilfe der Pauschal­s­teuer können vermögende Ausländer in der Schweiz Steuerbeträge in Millionenhöhe einsparen.
  • Ein Millionär, der in der Schweiz nur einen geringen Prozentsatz an Steuern zahlt, stellt für den entsprechen­den Kanton immer noch ein lukratives Geschäft dar.
  • Durch ihre Hold­ing-Besteuerungspoli­tik zieht die Schweiz jedes Jahr zahlreiche in­ter­na­tionale Unternehmen an.
  • Die Konzen­tra­tion ausländischen Vermögens desta­bil­isiert En­twick­lungsländer.
  • Für die Liquiditätsnot im Zuge der Finanzkrise 2008 ist die Schweiz mitver­ant­wortlich.
  • Deutsch­lands Lohn­dump­ing-Poli­tik vergrößert die Un­gle­ich­heit der Einkommen – und die Klientel für Schweizer Banker.
 

Zusammenfassung

Mitschuldig am Crash?

Die Schweiz steht auf Platz sieben der weltweit größten Finanzplätze. Wegen ihrer fi­nanziellen Macht, zahlreichen steuer­lichen Schlupflöchern sowie un­kon­ven­tionellen Steuerge­set­zen halten sie viele Beobachter für mitschuldig am weltweiten Finanzcrash des vergangenen Jahres. Mehr noch: Die Schweiz ist moralisch und in­tellek­tuell korrumpiert – zu diesem Schluss kann man gelangen, wenn man sich mit der Steuer- und Stan­dortwet­tbe­werb­spoli­tik des Alpenlandes genauer beschäftigt. Der größte Trumpf der Schweiz ist zweifellos das Bankge­heim­nis. Es erhöht die Attraktivität des Landes für ausländische, aber auch eidgenössische Anleger um ein Vielfaches.

Steueroase Schweiz

Die 26 Kantone der Schweiz sind in Sachen Gel­dan­gele­gen­heiten weitgehend selbstständig. Zwischen ihnen herrscht ein zunehmender Stan­dortwet­tbe­werb. Die Steuersätze werden immer niedriger und die Anreize für Wohlhabende attraktiver. Für Vermögende und Unternehmen offeriert die Schweiz zahlreiche Vergünstigungen. So gibt es unter bestimmten Vo­raus­set­zun­gen die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung. Dabei werden statt des tatsächlichen Vermögens und Einkommens lediglich die Ausgaben für den Leben­saufwand in der Schweiz besteuert; als Einkommen wird das Fünffache des Eigen­mi­etwerts des bewohnten Eigentums angenommen. Für sehr Reiche bedeutet dies ein jährliches Steuergeschenk in Millionenhöhe. Rund 4000 betuchte Ausländer profitieren zurzeit von dieser Art der Steuer – die meisten „Schweizer Millionäre“ sind keine echten Schweizer, sondern Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz, den sie zumeist nur wenige Monate im Jahr offiziell nutzen.

„Für führende Politiker der westlichen Welt sind Steueroasen wie die Schweiz mitschuldig am jüngsten Crash.“

Auch multi­na­tionalen Unternehmen bietet der Standort Schweiz zahlreiche Vorteile. Hold­ingge­sellschaften, die im Kanton Zug ansässig sind, zahlen in der Regel nur Kap­i­tal­s­teuer, und eine geringe noch dazu. Über solche Holdings werden etliche Geschäfte, ins­beson­dere Rohstof­fgeschäfte mit En­twick­lungsländern, abgewickelt, ohne dass die immensen Gewinne versteuert werden müssten. Die Stiftung Christian Aid hat in einer Studie errechnet, dass durch die Steuere­in­nah­men, die den En­twick­lungsländern voren­thal­ten werden, jedes Jahr rund 350 000 Kinder sterben. Würden diese Steuern von multi­na­tionalen Unternehmen korrekt entrichtet, könnte sowohl die Kinder­sterblichkeit reduziert als auch die Gesundheit und Lebenser­wartung der armen Bevölkerung deutlich erhöht werden.

„Der steuergünstige Kleinstaat im Herzen Europas ist zu einer der bevorzugten Zufluchtsstätten der Reichen und Schönen dieser Welt geworden.“

In einer anderen Un­ter­suchung kommt Greenpeace zu dem Schluss, dass die in der Schweiz ansässige Danzer-Gruppe in den Jahren 2002–2006 durch Holzexport via Tochter­fir­men die Zahlung von rund 7,8 Millionen Euro Steuern geschickt vermieden hat – Millionen, die der Demokratis­chen Republik Kongo an Steuere­in­nah­men entgangen sind. Eine der Folgen ist die politische Desta­bil­isierung des Landes, an der die Schweiz auf diese Weise beteiligt ist.

Das Schweizer Er­fol­gsrezept

Es ist die Mischung aus Bankge­heim­nis, politischer Neutralität, Steuer- und Stan­dortvorteilen, die die Schweiz zu einem der größten Finanzplätze und Vermögensver­wal­terin­nen weltweit gemacht hat. Von anderen, am Lib­er­al­is­mus ori­en­tierten Staaten (Großbritannien, USA) übernahm sie früh juristische und wirtschaftliche Instrumente wie die Hold­ingstruk­tur, Son­der­tar­ife, Briefkas­ten­fir­men, fiktive Wohnsitze und den Steuer­wet­tbe­werb zwischen Teilstaaten. Die Holdings zogen und ziehen Unternehmen, deren Lizenzen, Patente und Kapital an wie Honig die Bienen. Holdings üben weder geschäftliche Tätigkeit aus noch zahlen sie Steuern auf Gewinne, sie sammeln aber die Erträge der Tochterge­sellschaften ein. In der Schweiz sind heute rund 13 000 Holdings verzeichnet, davon alleine rund 6000 im Kanton Zug – aus Steuergründen natürlich.

„In der Heimat hin­ter­lassen die Steuerflüchtigen gravierende Ausfälle.“

Mit den amerikanis­chen Großunternehmen – oft in Holdings struk­turi­ert – verbindet die Schweiz seit den 50er Jahren ein besonderes Band. Rund 650 US-Un­ternehmen sind in der Schweiz ansässig, bei 110 von ihnen ist sie das Haup­tquartier für Europa, Nahost und Afrika. Ihre Interessen werden von dem Swis­sH­old­ings-Ver­band vertreten und verteidigt, oftmals gegen die EU und mit er­staunlichem Erfolg. Das Ziel dabei: beste Bedingungen für Holdings in der Schweiz, Spaltung der Europäischen Union in Steuer­fra­gen und Wahrung des Bankge­heimnisses mit allen Mitteln.

Die Ursprünge Bankge­heimnisses

Der Ursprung des Bankge­heimnisses liegt weit zurück, obwohl es erst 1934 offiziell verankert wurde. Die Schweiz hatte schon zu Zeiten der Weimarer Republik ihre Finger im in­ter­na­tionalen Fi­nanzgeschehen – und war sogar an der Desta­bil­isierung der damaligen deutschen Republik beteiligt: Als das „Re­ich­sno­topfer“ eingeführt wurde, eine neue Vermögensabgabe, brachten viele wohlhabende Deutsche ihr Geld vor dem Fiskus in Sicherheit – von den Schweizer Bankiers wurden sie mit offenen Armen empfangen. Deutsches Fluchtgeld, aber auch Vermögenswerte in Form von Patenten oder Lizen­zrechten fanden in der Schweiz ein neues Zuhause, sicher vor den deutschen Steuerbehörden und vor den Repa­ra­tions­forderun­gen der Alliierten nach dem Ersten Weltkrieg. Dieses Geld fehlte der Weimarer Republik als Steuere­in­nah­men, die sie dringend nötig gehabt hätte. Man schätzt das Volumen auf rund acht Milliarden Goldmark, die bis 1923 das Land verlassen haben.

„Für die Schweiz ist die deutsche Kap­i­talflucht nach wie vor ein Kerngeschäft.“

Als Vater des Schweizer Bankge­heimnisses gilt Jean-Marie Musy. Als Fi­nanzmin­is­ter nahm er 1933 einen Fall von Banks­pi­onage durch deutsche Staats­beamte zum Anlass für ein neues Gesetz und zementierte damit das Bankge­heim­nis. Die Schweiz entwickelte sich in der Folge zu einer währungspoli­tis­chen Großmacht und entzog auch Frankreich, ähnlich wie Deutschland, jahrzehn­te­lang Kapital, das dort zur Fi­nanzierung des Staates fehlte. Die Schweizer Bankiers halfen somit indirekt mit, mehrere europäische Staaten zu untergraben. Denn: Ein Staat, dessen Kapital flieht und auf das fortan keine Steuern mehr erhoben werden können, ist auf Dauer nicht in der Lage zu funk­tion­ieren.

„Ob man ein Bankge­heim­nis aus Sicht der EU-Länder als gut oder schlecht bewertet, hängt ganz wesentlich davon ab, wie hoch oder niedrig man den Nutzen von Staat­saus­gaben einstuft.“

Kein Wunder, dass das Schweizer Bankge­heim­nis in­ter­na­tional unter Beschuss geriet, und zwar nicht erst im Zuge der Finanzkrise. Der letzte Coup zu seiner Wahrung: die Zins­besteuerung anstatt des au­toma­tis­chen In­for­ma­tion­saus­tausches mit den EU-Ländern. Die Schweiz zahlte bei deren Einführung im Jahr 2007 rund 500 Millionen an Steuern zurück, die auf ausländisches Vermögen in der Schweiz angefallen waren.

Der Schweizer Beitrag zur Finanzkrise

Durch das sys­tem­a­tis­che Einsammeln und Verwalten großer Vermögen untergräbt die Schweiz die wirtschaft­spoli­tis­che Handlungsfähigkeit selbst großer In­dus­tri­es­taaten wie Deutschland, Frankreich oder Italien. Außerdem hat die Ansammlung enormer Geldmengen ihren Teil zur weltweiten Finanzkrise 2008 beigetragen. Die zumeist in Steueroasen ansässigen Hedgefonds mussten in Windeseile aufgelöst bzw. verkauft werden, als sich die Kredite verteuerten und die An­legerpanik um sich griff. Der Markt wurde mit Milliarden US-Dollar überschwemmt und kollabierte. Natürlich war die Schweiz nicht der einzige Staat, der Öl ins Feuer goss. Aber die Fehler der Schweizer Großbank UBS, die in die Einstellung des Private Banking in den USA, auf­se­hen­erre­gende Gericht­sprozesse und eine notwendig gewordene staatliche Ret­tungsak­tion mündeten, sind kaum zu toppen. Heute wissen wir, dass das Management der UBS sehenden Auges in die Fi­nanzkatas­tro­phe im Investment- und Private Banking hineingerast ist. Die UBS bot Kunden in den USA Beihilfe zur Steuerver­mei­dung – ganz gemäß der Schweizer Tradition.

Bremsklotz Deutschland

Die Glob­al­isierung und die Fiskalpoli­tik der Staaten führen weltweit zu einer Umverteilung von Vermögen. Gewaltige Geldmittel sind in den Händen weniger gebündelt. In Deutschland und China hat eine Lohnen­twick­lung nach unten stattge­fun­den, die es den Unternehmen ermöglicht, günstig zu produzieren und ihre Gewinne zu vergrößern. Im deutschen Einzel­han­del erhält ein Drittel der Beschäftigten weniger als 7,50 € brutto pro Stunde. Die so genannten Minijobs auf 400-€-Basis gehen in die gleiche Richtung. Mit einem einzigen Job kommen viele Deutsche heute nicht mehr aus. Zugleich steigt die Ar­beit­slosen­zahl, da es, besonders für gering Qual­i­fizierte, nicht mehr genügend Stellen gibt. Die Folge des Lohn­dump­ings: Was bei Arbeitern und Angestell­ten in der Lohntüte fehlt, sammelt sich bei Un­ternehmensgewin­nen und Managergehältern an. Unternehmen und Einzelper­so­nen, die über Vermögen verfügen, legen dieses nicht im Heimatland an, sondern trans­ferieren es bevorzugt dorthin, wo sie die besten An­lagebe­din­gun­gen finden. Zum Beispiel in die Schweiz.

„Der EU sind die kantonalen Steuer­priv­i­legien für ausländische Holding- und Briefkas­ten­fir­men ein Dorn im Auge.“

Zugleich stehen die Sozial­sys­teme in Europa, ins­beson­dere in Deutschland, vor der Aufgabe, immer größere gemein­schaftliche Ansprüche zu finanzieren. Und dies bei geringeren Löhnen, weniger Arbeitsplätzen, zunehmender Ar­beit­slosigkeit, mehr Rentnern und geringeren Steuersätzen für Unternehmen. Viele Firmen verlegen ihren Standort trotzdem ins Ausland, und die deutsche Lohn­dump­ing-Poli­tik wirkt sich auch auf die Nach­barstaaten aus: Diese müssen um ihre Wet­tbe­werbsfähigkeit in Sachen Export bangen, wenn sie nicht ebenfalls die Löhne senken. Deutschland ist für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa ein Bremsklotz und Hindernis geworden; es exportiert seine Ar­beit­slosigkeit, was zu einem Ansturm auf Arbeitsplätze z. B. in der Schweiz führt. Außerdem sind Deutsch­lands Handelsüberschüsse für einen teuren Euro mitver­ant­wortlich.

Vermögensver­wal­tung global

Die Konzen­tra­tion von Vermögen in den Händen einer su­per­re­ichen Oberschicht ist ein globales Phänomen. Große Vermögenswerte gehören Menschen, die mobil sind und auswählen können, wo auf der Welt sie leben möchten: Unternehmer, Sport- und Medienstars, Fi­nanz­di­en­stleis­ter, Banker und Fir­men­lenker. Nicht wenige von ihnen entscheiden sich für die Schweiz. Ein Beispiel: Siedelt sich ein Einkom­mensmil­lionär neu in einem Schweizer Kanton an, spült er seinem gewählten Steuer­dom­izil selbst bei niedrigen Steuersätzen noch viel Geld in die Kassen. Bei 20 % wären das 200 000 Franken. Der Staat kalkuliert rund 40 000 Franken staatliche Ausgaben pro Haushalt (für öffentliche Ein­rich­tun­gen, soziale Leistungen etc.). Schon mit einem fiktiven Steuersatz von 5 % auf ein Millionärseinkommen würde dieser Millionär die von ihm verur­sachten Gemein­aus­gaben decken.

„Der Dreh mit der Pauschal­s­teuer lohnt sich für Eidgenossen und reiche Ausländer zugleich – sie können die Beute ganz unter sich teilen.“

Nun ahnt man, auf welch lukrativem Weg die Schweiz unterwegs ist. Mit rund 7000 Milliarden Schweizer Franken gilt das Land als Drehscheibe der globalen Vermögensver­wal­tung. Für Unternehmer und Kleinfirmen hat dies allerdings auch negative Folgen: Kredite zu erhalten ist langwierig und vor allem kostspielig. Und das, obwohl Geld im Überfluss vorhanden wäre. Auch für Bank­di­en­stleis­tun­gen zahlen Schweizer wie Ausländer hohe Preise. Fakt ist dennoch, dass die „Steuerver­mei­dungsin­dus­trie“ der Schweiz Vermögen und Arbeitsplätze bringt, z. B. bei Banken, Fi­nanz­di­en­stleis­tern, Wirtschaft­sprüfern, Treuhand- und Be­ratungs­fir­men. Ganz zu schweigen vom Konsum, den die an­ge­siedel­ten Millionäre ja ebenfalls tätigen.

Über die Autoren

Viktor Parma ist akkred­i­tierter Bun­de­shausjour­nal­ist in Bern. Er schrieb u. a. für Bilanz, Die Weltwoche und Son­ntags­Blick. Werner Vontobel hat Volk­swirtschaft studiert und ist nach Stationen bei anderen Medien Wirtschaft­spub­lizist beim Son­ntags­Blick. Er ist auch Koautor des Buches Der Irrsinn der Reformen.