Das Einkaufsschachbrett

Buch Das Einkaufsschachbrett

Mit 64 Ansätzen Materialkosten senken und Wert schaffen

Gabler,


Rezension

Wenn ein Be­ratung­sun­ternehmen mit gleich fünf Autoren ein Buch zu einem Thema vorlegt, auf das sich die Firma spezial­isiert hat, vermittelt das leicht den Anschein, als ginge es hier weniger um Lesernutzen als um Neukun­dengewin­nung. Das Einkauf­ss­chachbrett erweist sich in dieser Hinsicht aber als angenehme Überraschung. Das vorgestellte Konzept ist griffig, und die Un­terteilung in vier Strategien, die sich auf 16 Hebel ausweiten lassen (jeweils vier Hebel pro Strategie), was wiederum zu insgesamt 64 Ansätzen führt, ist gut belegt und ein­leuch­t­end. Zu jedem der Ansätze gibt es ein Fall­beispiel, was den Wert und die An­schaulichkeit des Materials noch erhöht. Ein Schwach­punkt ist, dass es teilweise zu Überschnei­dun­gen zwischen den ver­schiede­nen Ansätzen kommt. Außer für den Einkauf selbst kann das Einkauf­ss­chachbrett laut den Autoren auch dazu benutzt werden, die Kompetenzen der Einkäufer zu reg­istri­eren und ggf. gezielt zu entwickeln. Insgesamt ein gelungenes Konzept, das sys­tem­a­tisch vorgestellt wird. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die im Einkauf tätig sind oder eine Karriere in diesem Bereich ins Auge fassen.

Take-aways

  • Beim Einkauf entwickelt sich aufgrund veränderter Rah­menbe­din­gun­gen zunehmend ein Verkäufermarkt.
  • Ein sit­u­a­tion­sangepasster strate­gis­cher Umgang mit den Lieferanten gewinnt daher an Bedeutung.
  • Das Einkauf­ss­chachbrett zeigt Ihnen vier Ba­sis­strate­gien für die jeweilige Marktmacht von Unternehmen und Lieferanten.
  • Bei niedriger Angebots- und Nach­fragemacht gilt es, die Nachfrage pro­fes­sionell zu steuern.
  • Bei hoher Ange­bots­macht sollte das Unternehmen die Natur der Nachfrage möglichst verändern.
  • Bei hoher Nach­fragemacht sollte das Unternehmen den Wettbewerb unter den Lieferanten zu seinem Vorteil nutzen.
  • Bei hoher Angebots- und Nach­fragemacht sollten beide Parteien gemeinsam langfristige Vorteile anstreben.
  • Die vier Ba­sis­strate­gien werden über 16 Hebel in letztlich 64 Ansätzen realisiert.
  • Mit einer strategisch sinnvollen Ausrichtung des Einkaufs gibt es auch bei einem Verkäufermarkt noch einen relativ weiten Hand­lungsspiel­raum.
  • Sie können das Einkauf­ss­chachbrett auch zur gezielten Mi­tar­beit­er­en­twick­lung einsetzen.
 

Zusammenfassung

Die neuen Spielregeln im Einkauf

Seit den 80er Jahren erfreute sich der Einkauf meist an einem Käufermarkt. Die Ma­te­ri­alkosten sanken stetig. Mit einfachen Mitteln wie Anfragen, langfristi­gen Lieferverträgen oder Volumenbündelung konnten leicht jährliche Preis­senkun­gen von 1–3 % erreicht werden. Diese Entwicklung hat viele Lieferanten in Bedrängnis gebracht und zu einer Zunahme von Fusionen und Übernahmen auf dem Liefer­an­ten­markt geführt. Zudem steigen mit­tler­weile die En­ergiepreise, und auf­strebende Wirtschaftsräume wie China, Indien und Brasilien haben durch ihren Rohstoff­be­darf die Preise zusätzlich unter Druck gesetzt. Als Konsequenz hat sich in vielen Branchen die Marktmacht zugunsten der Lieferanten verschoben. Das erfordert ein Umdenken beim Einkauf. Wer die Material- und Zuliefer­kosten möglichst niedrig halten will, muss neue Strategien einsetzen. Diese müssen vor allem der jeweiligen eigenen Marktmacht beim Einkauf angepasst werden.

Vier Ba­sis­strate­gien für den Einkauf

Zur Handhabung der aktuellen En­twick­lun­gen im Einkauf ist es zunächst geboten, die Situation bezüglich der Machtverteilung zwischen Angebot und Nachfrage einzuschätzen. Dabei ergeben sich vier un­ter­schiedliche Möglichkeiten, die jeweils andere Strategien erfordern: nur hohe Ange­bots­macht, nur hohe Nach­fragemacht, hohe Angebots- und Nach­fragemacht sowie niedrige Angebots- und Nach­fragemacht. Optisch werden diese vier Möglichkeiten der Mark­t­machtverteilung durch vier Quadranten auf dem Einkauf­ss­chachbrett dargestellt. Jeder Situation entspricht eine Ba­sis­strate­gie:

  1. Niedrige Angebots- und Nach­fragemacht: Selbst bei einem großen Au­to­mo­bil­her­steller ist etwa die Nachfrage nach Flugreisen aufgrund seines relativ eingeschränkten Bedarfs nur gering. Gle­ichzeitig gibt es bei den Anbietern durch die Lib­er­al­isierung des Marktes genug Konkurrenz. In einer solchen Situation der niedrigen Angebots- und Nach­fragemacht gilt die Ba­sis­strate­gie: Die Nachfrage steuern. Diese Strategie verfügt über folgende Hebel:
  • Nach­frage­m­an­age­ment: Eine Möglichkeit, Kosten zu senken, besteht darin, die Nachfrage in wichtigen Bereichen zu reduzieren sowie die Lieferverträge optimal zu gestalten und anzuwenden.
  • Co-Sourcing: Manchmal ist es möglich, eine geringe Nach­fragemacht durch die Bündelung von Waren­grup­pen oder durch eine Einkauf­s­ge­mein­schaft mit anderen Unternehmen zu beheben.
  • Volumenbündelung: Skalen­ef­fekte kann der Einkauf häufig auch durch eine Bündelung über Standorte, Pro­duk­tlin­ien oder gar ganze Pro­duk­t­gen­er­a­tio­nen hinweg erzielen. Zudem lohnt es sich oft, den Einkauf auf wenige Lieferanten zu beschränken, um so Vol­u­men­vorteile zu erreichen.
  • Nutzung kaufmännischer Daten: Die optimale Nutzung entsprechen­der Software – etwa von SAP oder Oracle – ermöglicht eine Erhöhung der Transparenz und die Erschließung von Kosten­vorteilen z. B. durch Stan­dar­d­isierung.
„Das Einkauf­ss­chachbrett zeigt, dass es keine Beschaf­fungssi­t­u­a­tion in Unternehmen gibt, die nicht mit einer erprobten, überall adap­tier­baren Methode bewältigt werden kann.“

Im Rahmen des Hebels „Nach­frage­m­an­age­ment“ konnte ein Unternehmen der IT-Branche mit einer Nach­fragere­duk­tion bei Flugreisen 10–20 % Einsparun­gen erzielen. Und zwar konkret durch eine Erhöhung des Kosten­be­wusst­seins seiner Mitarbeiter, neue Genehmi­gungsregelun­gen und die Förderung von Videokon­feren­zen.

  1. Hohe Ange­bots­macht: Auch ein großer Au­to­mo­bil­her­steller, um das Beispiel noch mal aufzunehmen, hat nicht in jedem Gebiet eine hohe Nach­fragemacht. Im En­ergiebere­ich etwa gibt es aufgrund des stark eingeschränkten Wettbewerbs kaum Ver­hand­lungsspiel­raum. Hier greifen vor allem en­ergies­parende Maßnahmen. Die entsprechende Strategie heißt: Die Natur der Nachfrage verändern. Diese Ba­sis­strate­gie kann durch folgende Hebel im­ple­men­tiert werden:
  • Risiko­man­age­ment: Es gilt, Engpässe zu vermeiden und die fi­nanziellen Ergebnisse des Un­ternehmens gezielt abzusichern.
  • In­no­va­tions­durch­bruch: Manchmal müssen eigene innovative Lösungen entwickelt werden, vor allem wenn man auf Lieferanten mit Patenten oder einer Monopol­stel­lung angewiesen ist.
  • Nutzung technischer Daten: Wachsende Pro­duk­tvielfalt und kürzere Pro­duk­tleben­szeiten erhöhen die Komplexität für das Unternehmen, was sich negativ auf den Ertrag auswirkt. Hier gilt es, Verbesserungspoten­ziale hin zu mehr Einfachheit zu iden­ti­fizieren.
  • Re-Spez­i­fizierung: Manchmal muss ein Produkt neu entwickelt werden, wenn es bei den gegebenen Spez­i­fizierun­gen nicht mehr möglich ist, weitere Kostensenkun­gen oder Wert­steigerun­gen zu erreichen.
„Die Logik von Ange­bots­macht versus Nach­fragemacht scheint in hohem Maße der Denkweise von Führungskräften zu entsprechen und erleichtert die Verknüpfung von Einkauf­s­the­men mit der Un­ternehmensstrate­gie.“

Ein führender Produzent in­dus­trieller Steuergeräte stellte im Sinne des Hebels „In­no­va­tions­durch­bruch“ durch eine Kernkos­te­n­analyse, bei der die Ba­sisan­forderun­gen der Kunden an seine Pro­duk­tlinie ermittelt wurden, fest, dass die Kernkosten nur 35 % der Gesamtkosten ausmachten. Die Pro­duk­tlinie konnte also deutlich reduziert werden. Da viele der dadurch möglichen Änderungen in die Se­rien­pro­duk­tion übernommen werden konnten, war der Hersteller wieder wet­tbe­werbsfähig.

  1. Hohe Nach­fragemacht: Braucht ein großer Au­to­mo­bil­her­steller z. B. Schmiede­teile, kann er einen Lieferanten unter Hunderten Anbietern auswählen. Selbst bei sehr hohen Qualitätsstandards bleiben genug für einen ernsthaften Wettbewerb übrig. Die richtige Strategie in einer solchen Situation lautet daher: den Wettbewerb unter den Lieferanten nutzen. Daraus ergeben sich vier Hebel:
  • Glob­al­isierung: Nicht nur für den Absatz der eigenen Produkte, auch für den kostengünstigeren Einkauf ist es sinnvoll, eine globale Perspektive zu entwickeln. Dabei geht es nicht nur um das Aus­find­ig­machen von Niedrigkostenländern, sondern um einen ganzheitlichen Ansatz, der die Bewertung von Risiken mit einschließt.
  • Auss­chrei­bung: Obwohl mit­tler­weile meist kein Käufermarkt mehr besteht, ist die Auss­chrei­bung immer noch ein gutes Mittel, um Transparenz über den Liefer­an­ten­markt zu erlangen. Sie erfordert aber ein sys­tem­a­tis­ches Vorgehen, wenn sie zu aussagekräftigen Ergebnissen führen soll.
  • Zielpreise: Die von sta­tis­tis­chen Methoden gestützte Festlegung re­al­is­tis­cher Zielpreise kann zu wesentlichen Kosteneinsparun­gen führen.
  • Prüfung des Liefer­an­ten­pric­ings: Die Preise der Lieferanten sind oft nicht transparent genug. Mit bestimmten Methoden wie etwa Preis­bench­mark­ing lässt sich eine bessere Grundlage für Preisver­hand­lun­gen legen.
„Eine hohe Ange­bots­macht besteht, wenn Lieferanten als Mo­nop­o­lis­ten am Markt agieren, ihre Produkte patentgeschützt sind, die Hürden für Neue­in­steiger und Sub­sti­tu­tion­spro­dukte sehr hoch sind und die Nachfrage das Angebot übersteigt.“

Eine Großbank, die zahlreiche Pub­lika­tio­nen in deutscher Sprache veröffentlicht, konnte im Rahmen des Hebels „Glob­al­isierung“ ihre Kosten fast halbieren, indem sie über den Ansatz „Best Shoring“ die grafische Bearbeitung und das Redigieren ihrer Pub­lika­tio­nen ins nahe gelegene Tschechien verlegte. Eine Verlagerung nach Indien wäre zwar noch kostengünstiger gewesen, wurde aber wegen mangelnder Deutschken­nt­nisse und demzufolge mangelnder Qualität nicht realisiert.

  1. Hohe Angebots- und Nach­fragemacht: Will ein großer Au­to­mo­bil­her­steller Mo­tor-Man­age­mentsys­teme von Bosch kaufen, trifft er auf einen Lieferanten mit hoher Ange­bots­macht, weil in vielen Bereichen kaum ein Weg an Bosch vorbeiführt: Das Unternehmen nimmt aufgrund seiner komplexen Produkte oft eine Alle­in­stel­lung als Lieferant ein. Gle­ichzeitig ist Bosch aber auf die Au­to­mo­bil­her­steller als wesentlichen Absatzmarkt angewiesen. Hier lautet die Strategie deshalb: gemeinsam mit dem Lieferanten nach einem Vorteil suchen. Im Einkauf­ss­chachbrett finden sich die entsprechen­den Hebel zu dieser Ba­sis­strate­gie:
  • Integrierte Op­er­a­tions­pla­nung: Wenn Lieferant und Käufer zu einem offenen In­for­ma­tion­saus­tausch bereit sind, kann man gemeinsam operative Kosteneinsparun­gen erzielen.
  • Wertket­ten­man­age­ment: Bei diesem Ansatz wird die gesamte Wertkette des Un­ternehmens in enger Zusam­me­nar­beit mit den Lieferanten sys­tem­a­tisch optimiert.
  • Kosten­part­ner­schaft: Das Ziel ist, gemeinsam mit einigen wenigen aus­ge­suchten Lieferanten deutliche Einsparun­gen anzustreben.
  • Wert­part­ner­schaft: Hier geht es darum, den Wertzuwachs zum Vorteil beider Seiten zu optimieren. Dabei wird das un­ternehmerische Risiko in der Regel geteilt.
„Der Einkauf als strategisch wichtige Funktion erfordert es, umfassend den Liefer­an­ten­markt zu kennen und diese Kenntnisse in regelmäßigen Abständen immer wieder zu erneuern.“

Ein Beispiel für die Umsetzung dieser Strategie im Rahmen des Hebels „Wertket­ten­man­age­ment“ stellt die Um­satzteilung dar, die AT&T und Apple bei der Einführung des iPhone vereinbart haben. Für jedes Gespräch, das AT&T-Kunden mit dem iPhone führen, erhält Apple einen bestimmten Anteil. AT&T kann so sein biederes Image aufbessern und zugleich exklusiv ein attraktives Produkt anbieten. Apple hat einen zuverlässigen Mo­bil­funkpart­ner und zusätzliche Gewinne.

Das Einkauf­ss­chachbrett im Detail

Die vier Ba­sis­strate­gien lassen sich also in 16 Hebel unterteilen. Jeder dieser Hebel führt wiederum zu vier Ansätzen. Das ergibt insgesamt 64 Ansätze, jeweils 16 für jede der vier Grund­si­t­u­a­tio­nen aus un­ter­schiedlicher Angebots- und Nach­fragemacht. Das Einkauf­ss­chachbrett bietet sich so als gutes Werkzeug an, um einen Überblick darüber zu gewinnen, welche Ansätze in welcher Situation ratsam sind. Es zeigt: Auch in einem Verkäufermarkt gibt es durchaus noch Hand­lungsspiel­raum für den Einkauf, solange die richtigen Strategien, Hebel und Ansätze eingesetzt werden. Das Einkauf­ss­chachbrett stellt außerdem ein gutes Instrument für die Per­son­alen­twick­lung im Einkauf dar. Für jeden Mitarbeiter kann in das Schachbrett eingetragen werden, welche Ansätze er bereits beherrscht. Ist das ganze Schachbrett gefüllt, sollte der Mitarbeiter als Generalist gelten, und ihm sollte eine attraktive Kar­ri­erepo­si­tion im Unternehmen angeboten werden. Auf diese Weise wird die strate­gis­che Bedeutung des Einkaufs im Unternehmen betont, und talentierte Mitarbeiter werden für diesen zunehmend wichtigen Bereich gewonnen.

Über die Autoren

Christian Schuh ist Co-Leader der Operations Practice von A. T. Kearney in Zen­traleu­ropa. Seine vier Mitautoren Robert Kromoser, Michael F. Strohmer, Ramón Romero Pérez und Alenka Triplat sind ebenfalls Berater für A. T. Kearney.