Führung und Veränderungsmanagement

Buch Führung und Veränderungsmanagement

Persönlichkeit als Motor von Organisationskultur und Organisationstransformation

EHP,


Rezension

Jedes Unternehmen muss sich verändern, wenn es bestehen will. Dumm nur, dass gerade Großfirmen oft ziemlich träge sind und die ehrgeizig­sten Pläne des Managements nichts nützen, wenn die Mitarbeiter die Veränderungen nicht mittragen und umsetzen. Edgar H. Schein hat sich ein Leben lang mit diesem Problem beschäftigt. In seinem Buch zeigt der MIT-Pro­fes­sor und Begründer der Or­gan­i­sa­tion­spsy­cholo­gie auf, welche Rolle die Un­ternehmen­skul­tur in Veränderung­sprozessen spielt und wieso der ideale Manager gle­ichzeitig ein Künstler und Fam­i­lien­ther­a­peut ist. Führung und Veränderungs­man­age­ment umfasst drei eigenständige Veröffentlichun­gen Scheins, dazu einen Vortrag und zwei Zeitschrifte­nar­tikel. Leider bleiben einige Passagen oberflächlich und allgemein, während an anderer Stelle Konzepte, die der Autor in früheren Werken geprägt hat, einfach vo­raus­ge­setzt werden. Abgesehen davon kann BooksInShort das handliche Buch allen Führungskräften und Beratern empfehlen, die Veränderung­sprozesse erfolgreich managen möchten.

Take-aways

  • Wer in einem Unternehmen Veränderungen anstoßen will, muss zuerst dessen Kultur kennen und akzeptieren.
  • Den richtigen Führungsstil per se gibt es nicht – er ist von der Fir­menkul­tur abhängig.
  • Die Un­ternehmen­skul­tur entwickelt sich in der Entste­hungsphase der Firma; der einzelne Mitarbeiter muss sich ihr unterordnen.
  • Oft ist die Fir­menkul­tur eng mit der Persönlichkeit des Gründers verknüpft.
  • Eruieren Sie, wo genau ein Problem seinen Ursprung hat und setzen Sie dort an.
  • Gehen Sie vor wie ein Therapeut: Finden Sie die Stärken des Un­ternehmens und versuchen Sie, damit die Probleme zu lösen.
  • Legen Sie als externer Berater keine fixfertigen Lösungen vor, beziehen Sie die entsprechen­den Teams in die Lösungs­find­ung ein.
  • Gemeinsam erarbeitete Strategien werden eher akzeptiert.
  • Eine entschei­dende Rolle hat das mittlere Management: Mitarbeiter orientieren sich an ihren direkten Vorge­set­zten; diese müssen die Werte unbedingt vorleben.
  • Achten Sie darauf, dass die Werte des Un­ternehmens (z. B. In­no­va­tions­freudigkeit, kein Per­son­al­ab­bau) nicht mit dessen Wirtschaftlichkeit konkur­ri­eren.
 

Zusammenfassung

Erst verstehen, dann verändern

Veränderung­sprozesse in Unternehmen zu managen, ist eine überaus komplexe Aufgabe. Deswegen macht es keinen Sinn, mit einem festen Konzept an die Sache her­anzuge­hen und entsprechende Methoden dann auf Biegen und Brechen durchsetzen zu wollen. Auch wenn die gängige Rat­ge­ber­lit­er­atur Ihnen etwas anderes verheißen mag: Den einen richtigen Führungsstil, den Sie, um erfolgreich zu sein, nur kennen und anwenden müssen, gibt es leider nicht. Jede Or­gan­i­sa­tion und jede Situation ist anders, und auf diese Gegeben­heiten müssen Sie flexibel und angemessen reagieren. Veränderung im Unternehmen bedeutet immer auch eine Veränderung der Un­ternehmen­skul­tur. Beschäftigen Sie sich deshalb als Erstes gründlich mit der gewachsenen Kultur Ihrer Firma, ehe Sie Neuerungen ins Auge fassen.

Die Angst vor dem Neuen

Wie bei jeder Men­schen­gruppe entwickeln die Angehörigen eines Un­ternehmens bestimmte Normen und erschaffen so ihre eigene Wirk­lichkeit. Wenn sich eine solche Kultur einmal entwickelt hat, muss sich der Einzelne ihr anpassen. Veränderungen sind nur möglich, wenn auch diese Normen angepasst werden – und sie sind nur dann erfolgreich, wenn das neue Verhalten besser funk­tion­iert als das alte.

„Den einen richtigen Führungsstil gibt es nicht, Mi­tar­beit­erführung ist vielmehr grundsätzlich sit­u­a­tion­s­abhängig.“

Forschungen mit ehemaligen Kriegs­ge­fan­genen haben gezeigt, dass sich Menschen eher für eine Veränderung gewinnen lassen, wenn sie die Neuerung als relativ sicher empfinden. Löst die Veränderung Un­sicher­heit aus, tendiert der Einzelne dazu, sich an den Menschen in seiner Umgebung zu orientieren. Veränderungen lassen sich nur dann dauerhaft umsetzen, wenn sie über längere Zeit immer wieder angegangen und verstärkt werden. Ohne diese Verstärkung ist bald alles wieder beim Alten.

Eine große Familie

Führung bedeutet u. a., eine Un­ternehmen­skul­tur mit aufzubauen und weit­erzuen­twick­eln. Oft gibt es in einem Unternehmen neben der offiziellen Kultur aber auch Subkulturen, die ihr ent­ge­gen­ste­hen oder sie sogar un­ter­minieren. Konflikte zwischen ver­schiede­nen Subkulturen sind eine erhebliche Belastung für das ganze System. Dazu kommt, dass Subkulturen noch veränderungsre­sisten­ter sind als die allgemeine Fir­menkul­tur. Versuchen Sie zunächst einmal, die Subkulturen einfach wahrzunehmen und zu akzeptieren.

„Exakt dieser Punkt ist es, an dem 90 % der Veränderung­spro­gramme fehlschla­gen: Das Ziel der Änderung ist sehr genau beschrieben, der Weg dorthin nicht.“

Jedes Unternehmen stellt ein System dar, ähnlich wie eine Familie. Der Versuch, die Kultur eines Betriebs zu bee­in­flussen, ähnelt im Grunde einer Fam­i­lien­ther­a­pie. So gesehen, brauchen Sie im Veränderungs­man­age­ment die Qualitäten eines sys­temis­chen Fam­i­lien­ther­a­peuten – und selbst ein Therapeut scheitert oft genug mit seinen Bemühungen. Denn Systeme lassen sich generell nur schwer verändern, und auch nur an bestimmten Stellen. Versuchen Sie her­auszufinden, wo genau die Probleme ihren Ursprung haben und an welchen Punkten Sie überhaupt ansetzen können, um etwas zu verändern. Verzichten Sie darauf, Dinge erzwingen zu wollen, damit vergeuden Sie nur Ihre Kraft, ohne wirklich etwas zu erreichen.

Keine fertigen Lösungen

Auch ein externer Berater hat im Prinzip eine ther­a­peutis­che Funktion. Die Unternehmen hören das nicht gern, deshalb muss er sich einer anderen Be­grif­flichkeit bedienen. Wie ein Therapeut sollten Sie als Berater vor allem die Stärken des Un­ternehmens her­ausar­beiten und auf dieser Basis die Probleme angehen.

„Wir entwickeln einen funk­tion­ieren­den Weg, um erfolgreich unsere Aufgabe erledigen zu können. Aber dieser Weg muss nicht notwendi­ger­weise der sein, der durch die Regeln vorgegeben wird.“

Egal ob Manager oder Berater: Ihre Arbeit lässt sich auch als die eines An­thro­polo­gen oder Künstlers beschreiben. Wie ein An­thro­pologe müssen Sie zunächst einmal die Kultur des Un­ternehmens so akzeptieren, wie sie ist, und sie ohne Vorurteile erforschen, um sie zu verstehen. Erst wenn Sie sie durch und durch kennen, können Sie überhaupt sinnvolle Maßnahmen zur Veränderung und Problemlösung ergreifen. Auf der Suche nach den richtigen Lösungen brauchen Sie die Qualitäten eines Künstlers. Jedes Unternehmen ist anders, deshalb können Sie nicht einfach auf Paten­trezepte zurückgreifen. Stattdessen müssen Sie, wie ein Künstler, auf Ihre Intuition hören, spontan und kreativ sein. Verzichten Sie darauf, dem Unternehmen fertige Lösungen zu präsentieren – Sie werden damit keinen Erfolg haben. Denn Menschen nehmen nur Lösungen an, die sie selbst erarbeitet haben. Als Berater ist es Ihre Aufgabe, ein Team bei diesem Prozess zu unterstützen. Doch die Lösungen müssen vom Team selbst kommen, nur dann wird es sie auch akzeptieren und umsetzen.

Gründer prägen die Un­ternehmen­skul­tur

Die Un­ternehmen­skul­tur ist meist stark mit der Entste­hungs­geschichte des Un­ternehmens und mit der Persönlichkeit seines Gründers verknüpft. In manchen Firmen hat sie sich direkt aus den persönlichen Werten des Gründers entwickelt: Er hat eine Geschäftsidee, baut eine Firma auf und stellt Mitarbeiter ein. Er leitet das Unternehmen in Übere­in­stim­mung mit seinen eigenen Werten; die Mitarbeiter müssen entweder diese Werte akzeptieren oder sich einen anderen Ar­beit­nehmer suchen.

„Individuen erschaffen Or­gan­i­sa­tio­nen, die Kulturen entwickeln, und Or­gan­i­sa­tio­nen akkul­turi­eren Individuen.“

Ein gutes Beispiel ist das Unternehmen IBM. Dessen Gründer Tom Watson war ursprünglich Verkäufer. Entsprechend standen bei IBM nicht Neuen­twick­lun­gen, sondern vor allem der Verkauf im Mittelpunkt. Einen ganz anderen Ansatz verfolgte Ken Olsen, der Gründer der Digital Equipment Corporation. Ihm waren in erster Linie In­no­va­tio­nen wichtig. Außerdem stattete er seine Mitarbeiter mit möglichst großen Freiheiten aus und erwartete im Gegenzug, dass sich jeder diesen Befugnissen entsprechend einbrachte, selbstständig Entschei­dun­gen traf und Leistung zeigte. Manche waren damit überfordert, aber generell sorgte diese Kultur für begeisterte, eigen­ver­ant­wortliche Mitarbeiter – und zunächst auch für Erfolg. Das Unternehmen scheiterte erst, als Olsen seine eigenen Pro­jek­t­teams gegeneinan­der konkur­ri­eren ließ und so seine Ressourcen vergeudete.

Manager kom­mu­nizieren anders

Wenn ein Unternehmen wächst, verändert sich notwendi­ger­weise auch seine Kom­mu­nika­tion. In kleinen Unternehmen kom­mu­nizieren Sie als Führungskraft direkt mit den Beteiligten, in großen findet der Austausch oft indirekt statt und ist eng mit Kontrollen und Anreizen verbunden.

„Führungskräfte müssen fähig sein zu akzeptieren, dass die ver­schiede­nen Subkulturen ihres Un­ternehmens jeweils eigene partikulare Wertmaßstäbe besitzen.“

Oft fällt es Managern schwer, ihren Stil umzustellen und statt einzelner Menschen plötzlich ganze Systeme zu lenken. Gerade in großen Unternehmen braucht ein Manager scharfes an­a­lytis­ches Denken und hohe emotionale Intelligenz. Er muss Kompetenz beweisen und darf bei aller Fre­undlichkeit gegenüber seinen Mi­tar­beit­ern nie die Wirtschaftlichkeit des Un­ternehmens aus den Augen verlieren. Keine einfache Aufgabe, vor allem wenn die Wirtschaftlichkeit mit anderen Werten des Un­ternehmens konkurriert.

Werte und Wirtschaftlichkeit

Der besagte Ken Olsen z. B. verpasste es, die In­no­va­tions­freudigkeit seiner Firma in wirtschaftlich sinnvolle Bahnen zu lenken. So wurde bei der Digital Equipment Corporation einmal eine große Wer­bekam­pagne noch vor dem Start wieder aufgegeben: Die Führungskräfte des Un­ternehmens, allesamt Ingenieure, in­ter­essierten sich schlicht nicht dafür. Jeden Dollar, der nicht in die Entwicklung floss, be­tra­chteten sie als vergeudet.

„Die besten Entschei­dun­gen werden meiner Meinung nach intuitiv getroffen und diejenigen, die Entschei­dun­gen auf solche Art und Weise treffen, haben etwas von den ‚kreativen Instinkten‘ eines Künstlers.“

Bei der Firma Ciba-Geigy war der gute Umgang mit den Mi­tar­beit­ern über lange Zeit ein wichtiger Wert. Ent­las­sun­gen waren sozusagen tabu. Erst als die Zukunft des gesamten Un­ternehmens auf dem Spiel stand, konnten sich die Ve­r­ant­wortlichen zu Personalkürzungen durchringen. Aber sie versuchten, auch in dieser Situation noch die Werte des Un­ternehmens zu wahren: Erst beschränkten sie sich darauf, frei werdende Stellen nicht wieder neu zu besetzen, dann sprachen sie zwar Ent­las­sun­gen aus, stellten die betroffenen Mitarbeiter aber danach befristet als Berater wieder ein, um ihnen den Übergang zu erleichtern.

Änderungs­druck am Beispiel Con Edison

Der amerikanis­che En­ergiev­er­sorger Con Edison war ein pa­tri­ar­chalisch struk­turi­ertes Unternehmen, das sich kaum um Fragen des Umweltschutzes kümmerte. Doch dann wurde bei einem Zwis­chen­fall Asbest freigesetzt, und ein Gericht verdonnerte das Unternehmen dazu, in Zukunft peinlich genau Rechen­schaft über die Einhaltung von Umweltvorschriften abzulegen. Con Edison wurde von außen gezwungen, seine Un­ternehmen­skul­tur grundlegend zu ändern.

„Man stellte sich also der Aufgabe, die unumgänglichen Ent­las­sun­gen vorzunehmen, tat dies aber auf eine humane Art und Weise. Aufgrund dieser Maßnahmen konnte man sagen, dass Ciba-Geigy ein Unternehmen sei, das Menschen gut behandle, auch bzw. sogar dann, wenn Mitarbeiter entlassen werden müssen.“

Die Fir­men­leitung ging darauf ein, aber bei den Mi­tar­beit­ern lösten die tief greifenden Änderungen zunächst vor allem Angst aus. In dieser Situation kam Con Edison seine al­therge­brachte Fir­menkul­tur zugute: Der pa­tri­ar­chalis­che Führungsstil half, die Änderungen rasch auf allen Ebenen durchzuset­zen. Schließlich setzten sich die Mitarbeiter so engagiert für die neuen Un­ternehmenswerte ein, dass sie selbst wesentliche Verbesserungsvorschläge einbrachten.

Theorie und Praxis

Veränderungen und neue Ziele zu propagieren, ist eine Sache, die praktische Umsetzung eine ganz andere. In der Regel werden Vorgaben vor Ort nie genau so umgesetzt, wie die Fir­men­leitung sie formuliert hat. Jeder Beteiligte modifiziert Anweisungen so, wie es für seine Arbeit günstig ist. Das ist wie beim Autofahren: Die meisten Menschen wissen, wie man sicher fährt, aber die wenigsten befolgen wirklich alle Regeln, die sie im Fahrun­ter­richt gelernt haben.

„Niemand kann gezwungen werden, die Arbeit genau auf die vorgeschriebene Art und Weise zu tun, es sei denn, es würde ihn jemand die ganze Zeit beauf­sichti­gen, was freilich keinen Sinn macht.“

Besonders gefährlich wird es, wenn die Ziele der Fir­men­leitung von den unteren Führungss­chichten nicht mitgetragen werden. Mitarbeiter müssen sich vor allem an ihren direkten Vorge­set­zten orientieren, mit denen sie auch zusam­me­nar­beiten, und deren Vorgaben erfüllen. Wenn die Fir­men­leitung Umweltschutz propagiert, der direkte Vorgesetzte aber die Arbeit nur möglichst schnell erledigt haben möchte, stehen die Chancen schlecht, dass die Mitarbeiter an der Basis die Vorgaben aus der Chefetage erfüllen.

Widerstände ernst nehmen

Machen Sie sich deshalb bei Veränderung­sprozessen immer bewusst, dass der Unterschied zwischen Theorie und Praxis enorm sein kann. Beobachten Sie, wo die Mitarbeiter von den Vorgaben abweichen und warum. Prüfen Sie, welche Mod­i­fika­tio­nen Sie akzeptieren können und welche nicht. Kom­mu­nizieren Sie die Beobach­tun­gen Ihren Vorge­set­zten ebenso wie den Mi­tar­beit­ern, und versuchen Sie, in­akzept­a­bles Verhalten sofort zu stoppen. Dabei ist es ganz wichtig, dass die Mitarbeiter in die Prozesse mit einbezogen werden; nur dann werden sie ihr Verhalten tatsächlich anpassen. Erzwingen können Sie allerdings gar nichts, es sei denn, Sie wollen Ihre Angestell­ten permanent überwachen, was der Un­ternehmen­skul­tur wenig förderlich wäre.

„Es muss ein Prozess entwickelt werden, der die Mitarbeiter sys­tem­a­tisch beteiligt.“

Nehmen Sie bei Veränderungen die Ängste Ihrer Mitarbeiter ernst, sie sind völlig normal. Jeder Mitarbeiter hat seinen ganz eigenen Weit­er­bil­dungs­be­darf – wenn Sie z. B. Ihre gesamte Kom­mu­nika­tion auf E-Mail umstellen, kann es sein, dass manche Mitarbeiter erst einmal einen Kurs im Maschi­nen­schreiben brauchen, weil sie bisher nur der Sekretärin Briefe diktiert haben. Gehen Sie auf diesen in­di­vidu­ellen Schu­lungs­be­darf ein und geben Sie den Mi­tar­beit­ern ausreichend Zeit, sich die nötigen Kompetenzen anzueignen.

Über den Autor

Edgar H. Schein ist Professor emeritus am Mass­a­chu­setts Institute of Technology. Er gilt als Begründer der Or­gan­i­sa­tion­spsy­cholo­gie und -en­twick­lung und hat zahlreiche Bücher zum Thema verfasst.