Run in den Ruin
Übertreibungen liegen in der Natur des Menschen. Selbst mit der besten Regulierung hätte sich die Finanzkrise von 2008 nicht verhindern lassen. Was ist passiert? Nach der Jahrtausendwende mit ihrem beispiellosen Aktienboom und anschließenden Crash sanken die Zinsen in den USA dermaßen stark, dass es sich für Amerikaner lohnte, Geld zu leihen und dieses in anderen Vermögensklassen anzulegen. Beispielsweise in Immobilien. Zwischen 2000 und 2006 kletterten die Immobilienpreise um 120 % (New York) oder gar 180 % (Miami). Die USA erlebten einen auf Pump gebauten Hausboom, der jede bis dato da gewesene Spekulationsblase in den Schatten stellte. In der Endphase des Booms erhielt jeder, der eine Hypothek haben wollte, tatsächlich eine – unabhängig von seiner Kreditwürdigkeit.
„Das Platzen der Kreditblase wirft für die Mathematiker ein großes Problem auf. Denn rein mathematisch hätte diese Blase nicht platzen dürfen.“
Immobilien und Aktien stiegen im Preis, speziell amerikanischen Hausbesitzern ging es jahrelang ausgezeichnet. Aber der Boom war fremdfinanziert, und ein Kredit ist ein Kredit – zumindest war das früher einmal so. Heutzutage sind Banken in der Lage, vergebene Kredite auf dem Finanzmarkt weiterzureichen und sie so aus der eigenen Bilanz zu nehmen; man nennt das „Verbriefung“. Dieses Vorgehen schafft Raum für weitere Kredite und hat sich binnen Kurzem zur gängigen Praxis entwickelt. Der Ritterschlag kam von den Rating-Agenturen. Mithilfe mathematischer Modelle, die die Rückzahlungswahrscheinlichkeit von Krediten berechnen, bewerteten die großen Agenturen die durch Kredite gedeckten festverzinslichen Wertpapiere. Ein hohes Rating bedeutet hohe Sicherheit, sollte man meinen. Das Rating eines Wertpapiers bestimmt aber zugleich den Preis, der sich am Kapitalmarkt dafür erzielen lässt. In den Boomjahren war es kein Problem, die vor allem mit Immobilien-, aber auch Kreditkarten- oder Autofinanzierungskrediten unterlegten, verbrieften Wertpapiere an den Abnehmer zu bringen. 2007 war es fast auf einen Schlag aus damit.
Streik am Kreditmarkt
Im Februar des Jahres meldete New Century, der zweitgrößte Kreditgeber für nicht erstklassige („subprime“) Kredite in den USA, hohe Verluste im Stammgeschäft. Das war ein Warnruf. Plötzlich stiegen die Zinsmargen auch für Kreditpapiere, die gar nicht mit dem Immobilienmarkt zusammenhingen.
„Auf keinen Fall darf eine Zentralbank insolvente Finanzinstitutionen unterstützen.“
Der Kredit für Unternehmen mit schlechter Kreditwürdigkeit – das Äquivalent zum Subprime-Kredit am Immobilienmarkt – sah nicht mehr die sonst üblichen Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen vor. Mit dieser neuen Runde fauler Kredite war der Anfang vom Ende eingeläutet. Mitte Juni 2007 standen zwei Hedgefonds der renommierten US-Investmentbank Bear Stearns vor dem Kollaps, nach New Century gerieten weitere Subprime-Kreditgeber in Schieflage, die Hauspreise in den USA entwickelten sich plötzlich rückläufig. Das Ergebnis: ein Käuferstreik bei Kreditpapieren und ein Verkäuferstreik am Interbankenmarkt, auf dem sich die Banken untereinander Tagesgeld ausleihen.
Knall auf Fall
Das war der große Knall. Die Beschwichtigungsversuche der betroffenen Zentralbanken dies- und jenseits des Atlantiks wirkten unglaubwürdig. Die Bank of England verhielt sich vollends unseriös, als sie einen Tag nach ihrer Warnung vor „moralischen Gefahren, wenn Zentralbanken das Finanzsystem mit allzu viel Liquidität unterstützen“, die Hypothekenbank Northern Rock vor der Pleite bewahrte und verstaatlichte. Die deutsche Bundesregierung tat nichts anderes, als sie angeschlagenen Landesbanken wie der Sachsen LB unter die Arme griff. Die Zentralbanken machten in dieser Situation einen Kardinalfehler, der jede Glaubwürdigkeit vermissen ließ: Sie halfen den nicht mehr zahlungsfähigen Finanzinstitutionen mit so genannten Bail-outs, finanziellen Notrettungen. Ein Vorgehen mit gefährlichen moralischen Nebenwirkungen: Eine Bank, die nach missglückten Spekulationen auf die die Unterstützung des Staates zählen darf, macht in guten Zeiten Gewinn – in schlechten gibt sie die Rechnung indirekt an den Steuerzahler weiter.
„Das Problem ist nicht Regulierung. Das Problem war eine Überzahl extrem risikofreudiger Investoren. Die beste Methode, dieses Problem zu lösen, ist nicht Regulierung, sondern ein Crash.“
Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Krise, als die amerikanische Zentralbank Fed die Investmentbank Bear Stearns mit 30 Milliarden Dollar rettete. Als dann im September 2008 auch noch die zahlungsunfähigen US-Hypothekengesellschaften Fannie Mae und Freddy Mac verstaatlicht wurden, gab es kein Halten mehr. Die Aktienkurse fielen weltweit ins Bodenlose, die wichtige Investmentbank Lehman Brothers ging Konkurs, die US-Regierung beschloss ein Rettungspaket von 700 Milliarden, reihenweise wurden Banken quasi-verstaatlicht, Island stand vor dem Staatsbankrott. Die kurzfristige Wirkung der Rettungspakete – auch des deutschen von 500 Milliarden Euro – verpuffte, die Finanzkrise weitete sich zur eigentlichen Wirtschaftskrise aus. Die Rezession wurde zur Tatsache.
Wie der Kreditmarkt funktioniert
Allen Spekulationsblasen gemeinsam sind zunächst eine mitreißende Jubelstimmung und der anschließende Versuch, hohe Preise durch Scheinargumente zu rechtfertigen. Das Kreditvolumen steigt an, die Investoren kaufen auf Pump. Ob nun die berühmte Tulpenzwiebelblase des 17. Jahrhunderts, die Übertreibungen der Jahre 1907 und 1929 oder die New-Economy-Blase der Jahrtausendwende – sie alle trugen diese klassischen Anzeichen. Man sollte meinen, dass die Menschen erkennen, wenn sie sich in eine Spekulationsblase hineinmanövrieren. So ist es leider nicht.
„Was passiert, wenn eine Bank an die Kreditobergrenze stößt? Eine der Möglichkeiten ist, dass sich die Bank mit dieser Situation begnügt. Eine genügsame Bank ist allerdings ein Widerspruch in sich.“
Im Gegensatz zum Aktienmarkt handeln auf dem Kreditmarkt nur professionelle Akteure. Die aus Krediten gebastelten Konstruktionen sind z. T. hochkomplex. Sogar viele Profis verstehen sie nicht vollständig – was sie aber nicht davon abhält, damit zu handeln. Stark vereinfacht ausgedrückt geschieht nichts anderes, als dass Kredite in Wertpapieren gebündelt werden, sodass die Bonität dieser Wertpapiere größer sein kann als die zugrunde liegenden Kredite. Das ist keine Zauberei, denn das Wertpapier lässt sich notfalls „überabsichern“. Sie nehmen eine bestimmte Anzahl von Immobilienhypotheken, beispielsweise 100, und bündeln sie zu einem Wertpapier; dieses ist nun mit den Hypotheken unterlegt oder, im Fachjargon, verbrieft. Wahrscheinlich erleiden einzelne Hypotheken einen Zahlungsausfall, was in gewissen Grenzen völlig normal ist. Also unterlegen Sie Ihr Wertpapierkonstrukt vorsichtshalber mit mehr als den erforderlichen 100 Hypotheken. Nun können Sie Ihr verbrieftes Wertpapier an Dritte verkaufen. Die Abnehmer erhoffen sich bestimmte regelmäßige Zinszahlungen, deren Höhe ebenfalls von der Bonität der verbrieften Hypotheken abhängt und die sich aus den Hypothekenzinszahlungen speisen. Die Hypothekennehmer wissen nicht einmal, dass ihre Gläubiger mittlerweile gewechselt haben.
Swaps und Derivate
Weil das noch recht einfach war, wird es nun eine Spur komplizierter. Zum wichtigsten Finanzinstrument der jüngsten Zeit avancierte der so genannte Swap, ein Austausch von Zahlungsströmen. Viele Marktteilnehmer können nur bestimmte Arten von Krediten erhalten und möchten lieber andere haben. Der eine hätte etwa gern einen variablen, bekommt aber nur den von der Bank angebotenen festen Zinssatz; ein anderer hätte lieber einen festen und damit berechenbaren Zins. Zunächst sieht es aus, als würden bei einem Swap beide Parteien gewinnen – aber am Ende wird sich eine Einschätzung als falsch herausstellen, da sich entweder der feste oder der variable Zins als vorteilhafter erweisen wird.
„Auch wenn man dem Konzept der Finanzmarktinnovationen eher skeptisch gegenübersteht, so muss man dennoch zugeben, dass die Verbriefung zu den großen Innovationen in diesem Sektor gehört.“
Die nächste Stufe ist der Credit Default Swap (CDS). Grundlage eines CDS ist ein Kredit von einer Bank an ein Unternehmen, wobei sich die Bank gegen einen möglichen Ausfall versichern möchte. Für diese Form der Versicherung zahlt die Bank eine Prämie an denjenigen, der das Risiko auf sich nimmt. Das ist in einem wirtschaftlichen Sinne gesehen eine Versicherungsleistung. Bei CDS handelt es sich um so genannte Derivate, also abgeleitete Wertpapiere. Da der Versicherer ja nur im Ausnahmefall zahlen muss, im optimalen Fall also keine Kosten anfallen, lädt diese Struktur bereits zur Spekulation ein.
„Der Markt für Credit Default Swaps ist eine tickende Zeitbombe. Ein Platzen könnte das gesamte globale Finanzsystem in den Abgrund stürzen.“
Zu den weiteren, fast ausschließlich für Insider verständlichen Kreditmarktinstrumenten ist es nur noch ein kleiner Schritt. Während bei MBS (Mortgage Backed Securities, durch Hypotheken besicherte Wertpapiere) noch Hypotheken als Sicherheit zugrunde liegen, besteht bei CDOs (Collateralized Debt Obligations, besicherte Schuldverschreibungen) eine noch größere Distanz zum ursprünglichen Kreditnehmer. Hier werden nicht mehr Hypotheken selbst gekauft, sondern man investiert in verbriefte Hypothekenkredite. CDOs existieren auch auf Kreditkarten- oder Autokrediten. Doch damit nicht genug, denn es geht auch virtuell: Eine Bank gründet eine „synthetische CDO“ und kauft den Versicherungsschutz, den die synthetische CDO verkauft. Irgendwann investieren CDOs in andere CDOs, was von manchen Experten als „wirkliche Innovation“ gefeiert wurde. Spätestens hier war der Punkt, an dem selbst die Profis nicht mehr erfassten, was durch welches Wertpapier besichert war – und anscheinend interessierte es auch niemanden.
Nach dem Crash ist vor dem Crash
Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 tauchte diese Frage wieder auf. Als die Antwort darauf unbefriedigend ausfiel und sich die Marktteilnehmer gegenseitig zu misstrauen begannen, platzte die Kreditblase, der Markt für viele verbriefte Papiere trocknete aus; es kam zum eingangs beschriebenen Crash.
„Wenn wir ‚offizielle‘ Ratings wollen, dann sollten wir staatliche Institutionen dafür kreieren.“
Nachdem man im dramatischen Oktober 2008 mit viel Optimismus noch hoffen konnte, eine länderübergreifende Rezession lasse sich abwenden, ist mittlerweile Pessimismus angesagt: Der viel beschworene Höhepunkt der Krise ist noch nicht erreicht. Auf die Subprime-Blase könnten weitere Krisen folgen: Hedgefonds, die reihenweise pleitegehen, eine Implosion im CDS-Markt, Firmeninsolvenzen, die zu einem Crash bei den Unternehmensanleihen führen, eine Kreditkartenkrise, zusammenkrachende Immobilienpreise auch in Europa. Mindestens zwei Jahre werden wir auf eine Besserung der Situation warten müssen. Möglich ist, dass sich die USA mithilfe der Inflation wieder aufrappeln. Die Konsequenz wäre allerdings, dass der Dollar seinen Status als globale Leitwährung einbüßen würde – und die Amerikaner ihr Privileg, folgenlos Schulden machen zu können. Die Macht im globalen Finanzsystem würde sich endgültig nach Asien verschieben. Der Euro würde an Stärke gewinnen, was allerdings für die deutsche Exportwirtschaft schlecht wäre.
Handlungsempfehlungen
Was ist zu tun? Rating-Agenturen und Hedgefonds zu regulieren bringt nichts, die meisten von ihnen werden sowieso eingehen. Die Zentralbanken müssen künftig ihre eigenen Bewertungen vornehmen, außerdem dürfen sie die Entwicklungen an den Immobilien- und Wertpapiermärkten nicht mehr einfach ignorieren. Die Bilanzierungsregeln müssen angepasst werden: Die Bewertung zu Marktpreisen ist zu überdenken, sie verstärkt Booms und Crashs unnötig. Der CDS-Markt muss entweder klaren Regeln unterstellt werden – bei den Swaps handelt es sich um Versicherungen, also sollten sie auch denselben Ansprüchen genügen – oder die CDS sollten frei an der Börse gehandelt werden, um mehr Transparenz herzustellen.
„Die nächste Blase wird auf jeden Fall kommen. Aber vorerst haben wir Ruhe. Das 21. Jahrhundert kann endlich beginnen.“
Als Privatinvestor kaufen Sie sinnvollerweise Gold, um sich gegen die Inflation zu wappnen. Auch Immobilien eignen sich als Inflationsschutz, zumal sie zurzeit supergünstig zu haben sind. Aktien sollten Sie kaufen, solange die Bewertungen so tief sind wie im Oktober 2008. Investieren Sie in Index-Aktien. Sobald sich die Indizes aber wieder eingependelt haben (der Dax z. B. bei rund 6000 Punkten) sollten Sie die Finger davon lassen. Der Markt wird sich lange Zeit seitwärts bewegen.