Der Abschwung einer Supermacht
Die USA sind ein Subprime-Land geworden. Genau wie bei den minderwertigen Krediten, die die Immobilienkrise in den Jahren 2007/2008 angeheizt haben, verhalten sich die amerikanischen Eliten auch heute noch, wenn es um die Herausforderungen der Zukunft geht: Man möchte alles haben, und zwar sofort, nimmt teure ökologische Hypotheken auf und kann sie sich im Grunde überhaupt nicht leisten. Eine Subprime-Gesellschaft eben, die jahrelang von einer Subprime-Regierung geführt wurde. Zudem ist das innovative Klima des weltoffenen, zukunftsbejahenden, liberalen Amerikas nach dem 11. September 2001 einer öden Wüste der Fremdenfeindlichkeit und Abschottung gewichen. Pioniergeist und Innovationskraft sucht man vergeblich.
Alarmstufe Grün
Als Öko-Land haben die USA auf der ganzen Linie versagt. Was haben die Amerikaner in den letzten Jahrzehnten getan, um die Umwelt zu schützen? Nixon setzte die ersten Umweltschutzgesetze der USA durch. Reagan wollte den Staat aus der amerikanischen Wirtschaft vollständig hinausfegen und lehnte Regulierungen vehement ab. Er verringerte die Mindestkilometerleistung pro Liter Kraftstoff für Fahrzeuge und sorgte so dafür, dass die größten Energieverschwender, die Amerika kennt, wieder auf die Straßen durften. Geschickte Lobbyarbeit der Automobilhersteller führte dazu, dass Benzin billig blieb und sich die Anschaffung der SUVs und Hummers lohnte. Während man in Europa immer kleinere und sparsamere Autos kauft, leisten sich die Amerikaner Sprit fressende Monsterboliden, die ihren Herstellern und der Ölindustrie fette Gewinne einbringen – energie- und umweltpolitisch eine Katastrophe. Die Vereinigten Staaten haben so lange überlebt, weil sie ihr Land, ihre Wirtschaft und ihre Gesellschaft immer wieder neu erfunden und an die globalen Anforderungen angepasst haben. Für die USA gilt zukünftig „Code Green“, die Alarmstufe Grün. Die USA müssen ihre grüne Seele entdecken und sich als grüne Nation neu erfinden. Nur dann können sie auch die in den letzten Jahren arg in Mitleidenschaft gezogene nationale Identität neu erschaffen.
Das Effizienz-Waterloo der amerikanischen Industrie
„Wenn der Wind sich dreht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“, sagt ein chinesisches Sprichwort. Die USA haben bislang nur gemauert. Unter dem Vorwand, der Wirtschaft nicht zu schaden, hat sich die Regierung nicht darum gekümmert, die Energieeffizienz der Stromverbraucher zu reduzieren. Schließlich wollte man der Verschwender-Industrie keine Steine in den Weg legen. Doch was ist aus der Wirtschaft geworden? Während in Europa kleine Staaten wie Dänemark ein Wirtschaftswachstum nicht nur trotz, sondern wegen grüner Politik erzielen konnten, sind die amerikanischen Konzerne lahm und träge geworden. Klar: Warum sollte man Innovationen schaffen, wenn die Energie billig und im Überfluss zu haben ist? Es waren in den letzten Jahren vor allem die anderen, die Windmühlen gebaut haben. Das Problem: Wenn von den USA die Rede ist, dann ist auch immer von der ganzen Welt die Rede. Keine Nation kann heute ihr eigenes Süppchen kochen.
Die Welt ist flach, heiß und überbevölkert
Was hat sich im Vergleich zu früher verändert? Es sind vor allem drei Dinge:
- Die Welt ist flach; die Probleme, die es zu lösen gilt, gehen alle an.
- Die Welt ist heiß; die Erderwärmung aufgrund industrieller Produktion und Energieverschwendung wird uns allen noch schwer zu schaffen machen.
- Die Welt ist überbevölkert; immer mehr Menschen wollen ein gutes Leben haben.
„Grün ist nicht einfach eine neue Art der Erzeugung elektrischen Stroms, sondern eine neue Art der Erzeugung nationaler Kraft.“
Überall auf der Welt blasen wir schädliches CO2 in die Luft und verpesten diese zusätzlich mit Methan und anderen Gasen, die sich in der Atmosphäre festsetzen. Der Klimawandel ist aber nur eines der Symptome eines globalen Problems, das wir selbst geschaffen haben. Die Hälfte des tropischen Regenwalds ist bereits zerstört, Flüsse und Meere sind verunreinigt, seltene Tiere und Pflanzen ausgerottet, ganze Ökosysteme vergiftet – Raubbau an der Natur aus ökonomischen Gründen.
„Wir leben schon zu lange von geborgter Zeit und geborgtem Geld.“
Heute stehen wir vor großen Veränderungen – und sollten uns so auch verhalten. Wir leben in keiner nachindustriellen und nachkolonialen Zeit mehr, sondern in einer Vorzeit: vor dem Zeitalter der Energie und des Klimas. Diese beiden Punkte sollten auf unserer Agenda der Zukunft ganz weit oben stehen.
Der Klimakollaps ist nah
Fernsehgeräte, Kühlschränke, Mobiltelefone: Sie alle gelangen millionenfach nach China. Als Schrott. Denn China ist der Schrottverwerter Nummer eins. Nicht alles davon stammt aus dem Ausland. Inzwischen produziert das Reich der Mitte selbst eine Menge Elektroabfälle. Chinas Hunger nach Rohstoffen ist so gewaltig, dass einige wenige Öko-Aktivisten in den lokalen Medien sogar schon Aufrufe platzieren, fortan mit Mehrwegstäbchen oder besser gleich mit der Hand zu essen – weil das Holz für die Einwegstäbchen immer knapper wird. Gleichzeitig werden die Chinesen immer reicher, und sofort beginnt die Nachahmung der USA: im Energieverbrauch, im Konsum und im Raubbau an der Natur. Globalisierung bedeutet darum auch, dass uns nur globaler Umweltschutz vor dem Klimakollaps bewahren kann. In Washington meldete 2007 ein Magazin, dass der Herbst in jenem Jahr abgeschafft würde: Eine ganze Jahreszeit einfach gestrichen. Diese Behauptung war natürlich Satire, aber sie wird immer mehr zu einer beunruhigenden Wirklichkeit: Statt eines langsamen Übergangs vom Sommer in den Winter entwickelt sich der Herbst in vielen Teilen der USA zu einer feuchtwarmen Jahreszeit mit fast ununterbrochenem Sonnenschein.
Die Leugner und die Mahner
Und dann gibt es die „Hurricane Season“. Der gewaltige Wirbelsturm Katrina, der 2005 über New Orleans hinwegfegte, speiste sich zu großen Teilen aus dem immer wärmer werdenden Golf von Mexiko. Die Erwärmung der Meere sorgt also nicht nur für Artensterben und tauendes Eis an den Polen. Naturkatastrophen wie Katrina zeigen den Menschen deutlich, dass das ökologische Gleichgewicht nicht langsam und schleichend kippt, sondern dass seine Destabilisierung auch mit gewaltigen Eruptionen einhergehen kann. Trotzdem gibt es immer noch Politiker, die den Klimawandel leugnen. Es sind vor allem jene, die von den Ölgesellschaften „geschmiert“ werden – und jene Konservativen, die eine Bekämpfung des Klimawandels deshalb verhindern wollen, weil dies staatliche Interventionen einschließen würde, die nicht in ihre Freie-Märkte-Ideologie passen. Seitdem Al Gore als prominenter Apostel des Kampfs gegen den Klimawandels aufgetreten ist, fällt es seinen politischen Gegnern leicht, die ökologische Frage zu einem parteipolitischen Machtkampf zu machen – statt ihr den gebührenden Rang als parteien- und länderübergreifendes Problem zuzugestehen.
In den Händen der Öl-Diktatoren
Man könnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, wenn die USA und der Rest der Verbrauchernationen ihren Energieappetit einschränken würden. Denn zwei große Probleme unserer Zeit, Fundamentalismus und Energieknappheit, hängen zusammen. Die Länder, die über Öl und Gas verfügen, bauen regelrechte Öl-Diktaturen auf. Weil die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen überall auf der Welt so groß ist, bleiben die Regierungen im Nahen Osten mächtig. Wer das Öl kontrolliert, kontrolliert auch die Politik und die soziale Ordnung. Russland, einst der kranke Mann Europas, klappert nicht mehr mit dem Säbel, sondern dreht einfach den Gashahn zu, wenn ihm die Politik in einem Land wie der Ukraine missfällt. Während der Preis der Energieträger steigt, werden Demokratie, freie Wahlen, Presse- und Meinungsfreiheit und jede Form der Rechtsstaatlichkeit zurückgefahren. Nicht nur in Russland, sondern auch im Iran, in Venezuela und Nigeria. Je höher der Ölpreis, desto besser können die Diktatoren ihre Feinde aus dem Weg schaffen, Armeen aufbauen, Gegner bestechen und Wählerstimmen kaufen. Je mehr sie einnehmen, desto weniger scheren sie sich darum, was die Welt von ihnen denkt.
„Wir wollen die Verdopplung der CO2-Konzentration bis zur Mitte des Jahrhunderts verhindern.“
Die USA haben jahrelang zugesehen, nach der Devise: „Macht doch, was Ihr wollt, aber haltet den Ölpreis niedrig, behindert die Lieferungen nicht und geht Israel nicht allzu sehr auf den Geist.“ Jetzt ist es höchste Zeit, dass sich die Welt aus ihrer Abhängigkeit vom Öl befreit. Dann würde der Ölpreis auf ein vernünftiges Niveau sinken und die Staaten müssten sich darum kümmern, ihre Gesellschaft und ihre Industrie zu modernisieren. Solange das Öl fette Gewinne verspricht, liegt alles andere brach. Grüne Politik ist deshalb keine „Privatsache“, wie Ex-Vizepräsident Dick Cheney einmal formulierte, sondern eine geopolitisch höchst dringende Angelegenheit.
Was zu tun ist
In China werden Entscheidungen der Regierung im gesamten Land verkündet und dann innerhalb kürzester Zeit durchgesetzt. Zentralistisch, hierarchisch, top-down. Der Umstieg auf bleifreies Benzin gelang China in nur zwei Jahren. Die USA haben für den gleichen Schritt 32 Jahre gebraucht. Wenn die USA „China für einen Tag“ sein könnten, dann ließen sich auf einen Schlag viele Entscheidungen durchsetzen, die sonst Jahre dauern würden, weil Machtinteressen, bürokratische Hürden und Lobby-Netzwerke ihre Umsetzung behindern. In diesem Punkt ist China den USA überlegen. Was aber können wir tun, ohne unsere Demokratie aufzugeben? Visionen für eine bessere Zukunft sind:
- Ein Energie-Internet, das unsere Häuser intelligent vernetzt. Wenn alle Geräte im Haus miteinander kommunizieren, erkennen sie automatisch, wann sie sich ein- und ausschalten müssen, um ihre Leistung effizient zu erbringen. Intelligente Vernetzung ist das Schlüsselkriterium für hohe Energieeffizienz.
- Der Stromlieferant wird zum Allround-Anbieter, der sogar iTunes-Songs aus der Steckdose bereitstellt und im Garten gegen eine Leasinggebühr eine Solaranlage aufstellt, mit der die Häuser der Nachbarschaft mit grünem Strom beliefert werden.
- Elektrischer Verkehr: Autos laufen nur noch mit Hybridantrieben und tanken über Stromtankstellen, mit denen jeder Parkplatz und jedes Parkhaus ausgestattet sind. Je nach aktuellem Marktpreis kann das Auto auch Strom verkaufen, also ins Netz einspeisen. Jedes Hausdach ist ein Sonnenkollektorenpark. Schulen werden nach Schulschluss zu Büros, weil die Zweitnutzung Ressourcen schont. Meetings werden nur noch virtuell abgehalten: Dank 3D-Technologie und Surround-Sound fühlt sich das an wie eine echte Konferenz, aber ohne die für weite Reisen nötigen Emissionen.
„Wenn doch Amerika für einen Tag China sein könnte – nur für einen Tag.“
Wann haben die USA das letzte Mal eine wirklich wichtige Innovation im Bereich der sauberen Energien herausgebracht? Das war 1957, als das erste Kernkraftwerk ans Netz ging. Seitdem ist nichts passiert. In allen Branchen, auf allen Märkten funktioniert der Wettbewerb, und die Unternehmen produzieren eine kluge Erfindung nach der anderen. Nur auf dem Energiemarkt tut sich einfach nichts. Auf diesem Markt herrscht keine echte Konkurrenz, die wenigen Konzerne sind genauso bequem wie die Erdölerzeuger im Nahen Osten: Warum sich um Innovationen kümmern, wenn das Gold aus einer Ölquelle gepumpt werden kann? Die Politik muss darum Anreize setzen, damit Energieeffizienz geschaffen wird. Dies kann auch über Steuern und Preissignale erfolgen. Nur wenn Energie teuer ist, kann der Wettbewerb um Ideen, die den Energieverbrauch einschränken helfen, funktionieren.