Genji, der Leuchtende
Als die LieblingsÂfrau des Kaisers dem wunderschönen Knaben Genji das Leben schenkt, macht ihr die Kaiserin Kokiden das Leben am Hof zur Hölle, denn sie bangt um die Stellung ihres eigenen Sohnes. Aus lauter Gram stirbt die Mutter des schönen Jungen. Dieser wĂ€chst bei seiner GroĂmutter auf und kehrt erst spĂ€ter wieder an den Hof zurĂŒck. Kurz darauf zieht die junge Prinzessin Fujitsubo dort ein, die Genjis verÂstorÂbener Mutter gleicht, und zwischen den beiden entwickeln sich zĂ€rtliche Bande. Genji werden die MĂ€nnerweihen verliehen, zeitgleich wird er mit Aoi, der Tochter des Ministers zur Linken, vermĂ€hlt. Mit seinem Freund, dem jungen StallmeisÂter To no Chujo, der auch sein Schwager ist, ist er einer Meinung: Trotz aller AnstrenÂgunÂgen wĂ€hlt der Mann doch nie die Richtige, sodass die wahre Liebe eine ewig unerfĂŒllte Sehnsucht bleibt.
Geheimnis um einen FĂ€cher
Als Genji in einem Ă€rmlichen StadtvierÂtel weilt, fĂ€llt ihm ein FĂ€cher auf. Hat ihn womöglich eine Frau absichtlich hingelegt? Der Vorfall geht Genji nicht aus dem Kopf und er beauftragt seinen Gefolgsmann Koremitsu, herÂauszufinden, wer dahinÂterÂsteckt. Derweil versucht er, die EiferÂsuchtÂsanfĂ€lle der Dame Rokujo, seiner Geliebten, einzudĂ€mmen, obwohl er immer weniger Lust verspĂŒrt, ihren Launen nachzugeben. Als sich herÂausstellt, dass die geheimnisvolle EigentĂŒmerin des FĂ€chers von To no Chujos Pagen bedient wird, scheint sich ein RĂ€tsel zu lĂŒften: Womöglich handelt es sich um die Frau, von der To no Chujo einst schwĂ€rmte und mit der er ein Kind hat?
Ein kleines MĂ€dchen
Genji wird krank und sucht einen heiligen Mann auf. Bei ihm trifft er auf eine Nonne und ein hĂŒbsches zehnjĂ€hriges MĂ€dchen namens Murasaki, das verblĂŒffende Ăhnlichkeit mit Fujitsubo hat. Es wurde der Nonne in Obhut gegeben, die sich um die Zukunft des MĂ€dchens sorgt. Genji beglĂŒckwĂŒnscht sich zu dieser Entdeckung. Wie oft, seufzt er, findet sich Schönheit völlig unvermutet an verborgener Stelle! Ein Priester erzĂ€hlt ihm von den UnwĂ€gbarkeiten im diesÂseitÂiÂgen Leben und von den VergelÂtunÂgen im jenseitigen. Genji wird angesichts seines jetzigen LebenswanÂdels von GewisÂsensÂbisÂsen geplagt: Welch schreckÂliche Strafen werden wohl auf ihn warten? Er erkundigt sich nach dem Kind und erfĂ€hrt, dass es die Tochter des Prinzen Hyobukyo und damit eine Nichte Fujitsubos ist.
Ein frevÂelÂhafter Akt
Als Genji wieder einmal nach Hause zu seiner Gemahlin, der Prinzessin Aoi, zurĂŒckkehrt, machen sich die beiden gegenseitig schlimme VorwĂŒrfe. Das kleine MĂ€dchen geht Genji nicht mehr aus dem Sinn. AusÂgerechÂnet jetzt erkrankt Fujitsubo â und Genji wittert seine Chance, ihr nĂ€herzukommen. Fujitsubo ist durchaus bewusst, dass eine Beziehung zu Genji frevelhaft wĂ€re. Sie lehnt zunĂ€chst jegliche Begegnung ab, doch die gegenÂseitÂige Anziehung raubt den beiden jede Vorsicht, und sie geben sich einander hin. Umso gröĂer ist danach die Reue ĂŒber den Fehltritt. Das schlechte Gewissen wirft Fujitsubo erneut aufs KrankenÂlager, und â sie ist schwanger.
Ein gefÀhrliches Kind
Als die Nonne, in deren Obhut das MĂ€dchen Murasaki bislang gelebt hat, stirbt, will Genji die Kleine gegen ihren Widerstand unbedingt zu sich nehmen. Da kommt der Vater, Prinz Hyobukyo, zu Besuch, um seine Tochter zu holen. In einer Nacht-und-Nebel-AkÂtion entfĂŒhrt Genji das MĂ€dchen, das sich â sehr zu seiner Freude â rasch an seinem Hof einlebt. Genjis Frau Aoi wird zugetragen, dass jemand heimlich im Palast lebt. Weil sie ihrer Eifersucht kaum freien Lauf lassen kann, wird sie immer unnahbarer. Bald schenkt Fujitsubo einem Jungen namens Ryozen das Leben, doch dessen wahre Herkunft muss fortan wie ein Geheimnis gehĂŒtet werden, denn Fujitsubo ist die Gemahlin des Kaisers. Der Kaiser vergöttert diesen Knaben, die Mutter Fujitsubo aber wird von bösen Vorahnungen heimgesucht. Als der Kaiser die erÂstaunliche Ăhnlichkeit zwischen Genji und dem Kind anspricht, stehen Fujitsubo und Genji ungeheure Ăngste aus. Fujitsubo wird zur Kaiserin ernannt und Genji in den Rang des Staatsrats erhoben.
Eine neue Geliebte
Ăber seinen AmtsgeschĂ€ften muss Genji manche Frau vernachlĂ€ssigen, was sich insÂbesonÂdere die Dame Rokujo zu Herzen nimmt. Als Rachegeist sucht sie Genjis Gattin Aoi heim, die schwanger ist. Aoi bringt einen Sohn zur Welt, der Yugiri genannt wird, und stirbt kurz darauf. Genji erscheint das Leben wie eine Reihe sinnloser SchickÂsalssÂchlĂ€ge, und er bereut bitterlich das erkaltete VerhĂ€ltnis zu seiner Frau. Dann entsinnt er sich der kleinen Murasaki und ihm fĂ€llt erneut auf, dass sie das Ebenbild jener ist, die er am meisten liebt: Fujitsubo. Das VerhĂ€ltnis zwischen Genji und Murasaki wird inniger, bis er sie eines Nachts zur Frau macht. Erst jetzt informiert er Murasakis Vater Prinz Hyobukyo ĂŒber den Verbleib seiner Tochter.
SchwindenÂdes GlĂŒck
Als der alte Kaiser stirbt, werden Genji wichtige StaatsgeschĂ€fte anvertraut. Die ReÂgentschaft wird vom Minister zur Rechten ĂŒbernommen, einem Mann von schwierigem Charakter. Fujitsubo ahnt, dass sie am Hof unter Kokidens Zepter nicht lĂ€nger geduldet ist, und geht ins Kloster, wodurch sie zugleich Genjis NachÂstelÂlunÂgen entflieht. UnglĂŒckÂlicherÂweise lĂ€sst sich dieser auf eine AffĂ€re mit Oborozukiyo ein, einer Schwester von Kokiden. Das VerhĂ€ltnis wird ausÂgerechÂnet von deren Vater, dem Minister zur Rechten, entdeckt, der alles seiner Tochter Kokiden erzĂ€hlt. FĂŒr Kokiden ist nun nach dem Tod des Kaisers die Zeit der Rache gekommen. Genjis Stellung am Hof gerĂ€t ins Schwanken, und er geht freiwillig ins Exil.
In der Verbannung
Als eines Nachts ein fĂŒrchterÂliches Gewitter seine kleine HĂŒtte heimsucht, sieht Genji im Traum seinen Vater, der ihm rĂ€t, diesen Ort zu verlassen. Prompt besucht ihn der ehemalige Statthalter von Akashi, bringt ihn auf sein Anwesen und bietet ihm sĂ€mtliche AnÂnehmÂlichkeiten. Ganz uneigennĂŒtzig handelt der Mann nicht, denn er möchte Genji mit seiner Tochter zusamÂmenÂbrinÂgen. Obwohl Genji sich nach Murasaki sehnt, lĂ€sst er sich auf ein VerhĂ€ltnis mit der Dame ein. Am Hof wandelt sich derweil die Stimmung, denn sowohl der neue Kaiser, Fujitsubos Sohn Ryozen, als auch die Witwe des alten Kaisers sind krank. Es werden MĂ€nner gebraucht, denen man StaatsgeschĂ€fte anvertrauen kann, und Genji wird in die Hauptstadt zurĂŒckbeordert. Die Dame aus Akashi bleibt allein zurĂŒck und schenkt Genji eine Tochter, der eine glĂŒckliche Zukunft als Kaiserin voÂrausÂgeÂsagt wird.
VeÂrÂantÂworÂtunÂgen
Kurz vor ihrem Tod vertraut die Dame Rokujo ihre Tochter Akikonomu Genji an. Es gelingt ihm, sie bei Hof einzufĂŒhren und sie sogar zur Gemahlin des Kaisers zu machen. Trotz dieses Erfolgs spielt Genji angesichts der WechselfĂ€lle des Lebens immer wieder mit dem Gedanken, sich in die Einsamkeit zurĂŒckzuziehen. Er baut eine Einsiedelei und bittet die Dame aus Akashi, mit ihm zu kommen. Diese aber hat schon zu viel von seinen LiebeshĂ€ndeln gehört und weigert sich zunĂ€chst. Allerdings besitzt die Familie der Dame in der NĂ€he von Genjis Einsiedelei ein GrundstĂŒck â und dorthin will sie ĂŒbersiedeln.
Die AufklÀrung des Kaisers
Nur um der Zukunft des Kindes willen und schweren Herzens gibt die Dame aus Akashi ihre Tochter in Genjis Obhut. Das Kind erobert alsbald Murasakis Herz. Als Fujitsubo stirbt, empfĂ€ngt sie ein letztes Mal ihren Sohn, den Kaiser, der noch immer nichts ĂŒber die wahren HintergrĂŒnde seiner Geburt weiĂ. Erst der Geistliche, der Fujitsubo bis zuletzt betreut, eröffnet dem jungen Kaiser das Geheimnis seiner Herkunft. Dieser ist erschĂŒttert und möchte am liebsten seinen Titel ablegen. Gern wĂŒrde er mit Genji ĂŒber die Vaterschaft sprechen, doch der weicht immer wieder aus.
Die nÀchste Generation
Yugiri, der Sohn von Genji und Aoi, erhĂ€lt im Alter von zwölf Jahren die Mannesweihe, doch Genji weist ihm nur einen niederen Rang zu, weil er möchte, dass sich sein Sohn Verdienste durch Studien erwirbt. Kumoi, die Tochter von To no Chujo, steht von Kind auf mit Yugiri auf vertrautem FuĂ, ihr Vater ist jedoch wegen Yugiris niedrigem Rang gegen diese Verbindung. Yugiri wiederum möchte nur eines: mit Kumoi zusammen sein.
WiedergeÂfunÂdene Tochter
Tamakatsura, eine Tochter von To no Chujo und Yugao, der Dame mit dem FĂ€cher, die einst auch Genjis Geliebte war, lebte einige Jahre getrennt von ihren Eltern in einer abgelegenen Provinz und ist inzwischen zu einer schönen Dame herangewachÂsen. Nun werden die unzĂ€hligen Freier immer zuÂdringlicher. Tamakatsura flieht heimlich in die Hauptstadt. Dort erfĂ€hrt sie, dass Yugao schon vor langer Zeit gestorben ist. Genji nimmt Tamakatsura bei sich auf, ja er tĂ€uscht sogar vor, ihr Vater zu sein.
EntrĂŒsteter Vater
Unter den Freiern, die sich um Tamakatsura scharen, sind auch Tu no Chujos Söhne. Genji versucht, ihr den einen oder anderen Bewerber schmackhaft zu machen, entbrennt aber gleÂichzeitig selbst in heftiger Liebe zu ihr. Als Genji die HeimÂlichtuerei nicht mehr lĂ€nger aushĂ€lt, weiht er To no Chujo ein. Dieser ist erschĂŒttert, als er erfĂ€hrt, dass Tamakatsura seine Tochter ist; entrĂŒstet ist er auch ĂŒber das zweifelÂhafte Gebaren Genjis, weil er vermuten muss, Tamakatsura sei mitÂtlerÂweile eine heimliche Nebenfrau Genjis. Endlich erhört Tamakatsura das Werben des Prinzen Higekuro und wird schwanger. Die beiden heiraten in groĂer HeimÂlichkeit, was Tamakatsura indes bald bereut.
Böse Rache
To no Chujo ist endlich geneigt, Yugiris Werben um seine Tochter Kumoi nachzugeben. Derweil zieht sich Suzaku, der zwischen dem alten und dem neuen Kaiser selbst fĂŒr kurze Zeit Kaiser war und dann abdankte, in ein Kloster zurĂŒck. Zuvor vertraut er jedoch Genji seine Tochter Nyosan an, die dieser nun ganz zeremoniell heiraten muss. Zwar ertrĂ€gt Murasaki es mit Fassung, als Nyosan als Braut einzieht, doch zum ersten Mal fĂŒhlt sie sich in ihrer Stellung bedroht. Als Genji eines Nachts Murasaki von seinen frĂŒheren Frauen, insÂbesonÂdere von Rokujo und ihrer krankhaften Eifersucht, erzĂ€hlt, provoziert er damit genau dieselbe GefĂŒhlsregung bei Murasaki: Sie wird von hohem Fieber befallen. Obwohl Genji sich seit Rokujos Tod um deren Tochter Akikonomu gekĂŒmmert hat, sucht sie als Geist seine GefĂ€hrtinnen heim.
Kashiwagi gibt nicht auf
WĂ€hrend Genji an Murasakis KrankenÂlager weilt und Nyosan vernachlĂ€ssigt, kann Kashiwagi, der Ă€lteste Sohn von To no Chujo, nur an Nyosan denken. Ein VerhĂ€ltnis mit ihr ist jedoch nicht möglich, daher heiratet er ihre Ă€ltere Schwester Ochiba. Dann gesteht Kashiwagi doch Nyosan seine Liebe, sie gibt sich ihm hin und wird schwanger. Bei einem seiner seltenen Besuche bei Nyosan entdeckt Genji einen Brief von Kashiwagi; dieser wiederum erfĂ€hrt, dass Genji von allem unÂterÂrichtet ist. Die GewisÂsensÂbisse quĂ€len Kashiwagi so sehr, dass er krank wird und stirbt. Noch vor seinem Tod vertraut er Yugiri seine Frau Ochiba an.
Ein Kind wird geboren
Nyosan schenkt einem Jungen das Leben. Genji muss vorgeben, der Vater zu sein, was ihm schwerfĂ€llt, zumal er durch dieses Ereignis an sein heimliches VerhĂ€ltnis mit Fujitsubo erinnert wird. Nyosan geht in ein Kloster. Yugiri erhĂ€lt die Flöte seines Freundes Kashiwagi, der ihn nachts im Traum darum bittet, das Instrument dem richtigen Erben zu ĂŒberreichen. Yugiri versucht, den Traum zu entrĂ€tseln, und besucht seinen Vater, doch Genji verrĂ€t nichts.
Murasakis Tod
Yugiri kĂŒmmert sich um die Familie seines verÂstorÂbeÂnen Freundes und verliebt sich in die junge Witwe Ochiba. Ein Geistlicher aber befiehlt der Mutter Ochibas, dieses VerhĂ€ltnis sofort zu beenden, denn die Folgen wĂ€ren fĂŒr alle Beteiligten entsetzlich. Sie schreibt Yugiri einen Brief, der jedoch in Kumois HĂ€nde gerĂ€t. Diese leidet sehr darunter, dass Yugiri in eine andere Frau verliebt ist. Yugiri ertrĂ€gt die Abweisungen Ochibas mit Gleichmut, bis sie ihn nach einer Weile doch noch erhört. Unterdessen stirbt Murasaki, und Genji sieht im Leben keinen Sinn mehr. Er möchte nur noch eines: der Welt entfliehen. Die einzige Hoffnung, die ihn trĂ€gt, ist die Vereinigung mit Murasaki im Jenseits. Er löst seinen Besitz auf, vernichtet alle Briefe und sieht seinem Tod entgegen.
Zum Text
Aufbau und Stil
Der erste Teil der Geschichte vom Prinzen Genji fĂŒhrt in die glĂ€nzende Welt des japanischen Kaiserhofs ein. Die breit angelegten AusfĂŒhrungen, mit denen einerseits realistisch und detailreich Zeremonien, Naturschönheiten, Kleider und sogar Dinge wie Briefpapier und HandÂschriften beschrieben werden, lassen anÂderÂerÂseits die Figuren seltsam steif erscheinen, wenngleich manche EinwĂŒrfe der Autorin dem Ganzen einen munteren Ton verleihen. StelÂlenÂweise wirken die einzelnen Szenen und BegebenÂheiten wie lose aneinanÂdergehĂ€ngt; zumindest im ersten Teil scheint es an inÂhaltlicher KohĂ€renz zu mangeln. Dieser Eindruck schwĂ€cht sich im Lauf des Textes ab. Offenbar hat sich die Autorin beim Schreiben weitÂerÂenÂtwickÂelt: Intrigen, EnttĂ€uschungen und das Thema Tod rĂŒcken nun in den Vordergrund, Wehmut und Resignation bilden den Grundtenor des zweiten Teils. UnablĂ€ssig ist von der VergĂ€nglichkeit des Lebens die Rede, basierend auf dem budÂdhisÂtisÂchen Prinzip, wonach die materielle Welt nichts als Illusion ist. Vor diesem Hintergrund gewinnen auch die Figuren ein schĂ€rferes Profil.
Der Text wird von Andeutungen, Symbolen und Metaphern dominiert. Wie im japanischen Theater hat jede Geste, jede Bewegung, ja jeder Schritt eine besondere Bedeutung, die sich dem westlichen Leser nur schwer erschlieĂt. Auch die zahlreichen WechÂselgedichte, die zwischen den Liebenden ausÂgeÂtauscht werden, verhindern eine zĂŒgige LektĂŒre.
InÂterÂpreÂtaÂtionÂsansĂ€tze
- Der Roman liefert ein Sittenbild der japanischen StĂ€ndegeÂsellschaft um das Jahr 1000. Wer keinem gehobenen Stand angehört, ist seinem Schicksal ausÂgeliefert, es sei denn, jemand wie Genji hĂ€lt seine schĂŒtzende Hand ĂŒber ihn.
- Das im Roman vielfach theÂmaÂtisierte budÂdhisÂtisÂche Prinzip, wonach die materielle Welt nichts ist als eine Illusion, fĂŒhrt letzten Endes zur VerunÂsicherung des Individuums und zur Abkehr von der Welt â in vielen FĂ€llen zum RĂŒckzug ins Kloster. Die budÂdhisÂtisÂche Vorstellung des Karmas geht davon aus, dass sich jede Wirkung auf eine Ursache zurĂŒckfĂŒhren lĂ€sst und dass man fĂŒr alle Missetaten dereinst auf die eine oder andere Weise zur RechenÂschaft gezogen wird.
- Der Roman hat eine sehr zwiespĂ€ltige Hauptfigur: Man kann Genji als bloĂen SchĂŒrzenjĂ€ger sehen â oder aber als idealen Mann von Adel, der in allen KĂŒnsten bewandert ist und sich zum BeschĂŒtzer schwacher Frauen aufwirft. Auch eine psyÂcholÂoÂgisÂche Deutung ist möglich: Genji verliert schon frĂŒh seine Mutter, und alle anderen Frauen, insÂbesonÂdere Fujitsubo, sind lediglich ein MutÂterÂersatz fĂŒr ihn.
- MöglicherÂweise sind die FrauenÂfigÂuren im Roman WiderÂspieglunÂgen der verÂschiedeÂnen charakÂterÂlichen Aspekte und heimlichen WĂŒnsche der Autorin. Sie beschreibt aus weiblicher Perspektive, wie sich die Frauen Genji mehr oder weniger freiwillig unterordnen und sehnsĂŒchtig auf seine GunÂstÂbezeuÂgunÂgen warten.
- In der Beziehung zwischen Mann und Frau im alten Japan spielte die Ăsthetik eine gröĂere Rolle als die Ethik: Wer keinen Ă€sthetischen Sinn besaĂ â der sich beispielÂsweise in der Wahl des BriefÂpaÂpiers und in der Handschrift ausdrĂŒckte â, hatte keine Aussicht auf Erfolg in LiebesÂdinÂgen. Wer hier auftrumpfen konnte hingegen umso mehr.
HisÂtorischer Hintergrund
BlĂŒtezeit der ErzĂ€hlkunst
Die Heian-Epoche (794â1192) gilt in vielerlei Hinsicht als eine glanzvolle Ăra Japans: Die KĂŒnste enÂtwickÂelÂten sich, und der Buddhismus hielt Einzug in die Gesellschaft. Eine ausgeklĂŒgelte HeiratÂspoliÂtik trug zum Aufstieg und Machterhalt der FuÂjiÂwara-DyÂnasÂtie bei. Es galt, möglichst viele der eigenen Töchter mit Kronprinzen oder Kaisern zu vermĂ€hlen und dann Einfluss auf den Schwiegersohn zu nehmen. Die Regierungszeit von Fujiwara no Michinaga gilt als Höhepunkt der Heian-Epoche; er konnte vier seiner Töchter mit Kaisern verheiraten. In dieser Zeit entstand auch die japanische SilÂbenÂschrift, was die litÂerÂarische Entwicklung förderte. Zuvor war fĂŒr StaatsÂdokuÂmente die chinesische Sprache verwendet worden, deren Studium MĂ€nnern vorbehalten blieb.
Polygamie war damals in Japan in den oberen GesellschaftssÂchichten weit verbreitet â und nur dort, denn sie war eine kostÂspielige AnÂgeleÂgenÂheit. Die Hauptfrau musste vom selben gesellschaftlichen Rang sein wie der Mann. Auf einem groĂen Anwesen begegnete man sich nur unregelmĂ€Ăig und oft monatelang gar nicht. Gerade in adligen Kreisen waren die so genannten Hofgeschichten, die um die Beziehung zwischen Mann und Frau kreisen, beliebt und weit verbreitet. Das Grundmuster: Ein Mann besucht eine Frau und kann nicht einmal ihr Gesicht sehen, denn stĂ€ndig sind sie durch einen Wandschirm voneinander getrennt.
Entstehung
Die Heian-Zeit brachte Frauen hervor, die ihre Persönlichkeit entwickeln und ihre kĂŒnstlerische Seite ausleben konnten, da sie zwar am Hof, nicht aber im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen. Eine von ihnen war Murasaki Shikibu, aus deren Leben nur wenige verbriefte EinzelÂheiten ĂŒberliefert sind. Was sie am Hof erlebte, schrieb sie in einem Tagebuch nieder, das die Jahre 1008 bis 1010 umfasst; dessen Inhalte flossen mit in Die Geschichte vom Prinzen Genji ein.
Auch fand eine Vermengung von frĂŒhbudÂdhisÂtisÂchen GeÂbetÂszÂerÂeÂmonien und schamanÂisÂtisÂchen Ritualen â charakÂterÂisÂtisch fĂŒr die japanische Geisteswelt â Eingang in das Werk. Vermutlich wollte Murasaki Shikibu zunĂ€chst nur kleinere Geschichten schreiben und diese aneinanderhĂ€ngen. Der hohe BilÂdungsÂstand der Autorin war damals auĂergewöhnlich: Im Gegensatz zu fast allen GeschlechtsgenossinÂnen jener Zeit schrieb sie auch auf Chinesisch.
WirkungsÂgeschichte
Als gebildete Frau war Murasaki Shikibu eine Zielscheibe des Spotts fĂŒr ihre leÂichtlebigeren ZeitgenossinÂnen. Ihre herÂvorÂraÂgenÂden Kenntnisse der chiÂneÂsisÂchen Sprache und Kultur galten gar als Tabubruch. Noch dazu war sie eine â wenn auch stille â Kritikerin der damaligen VerhĂ€ltnisse. Nicht selten klagt ihr Romanheld Genji ĂŒber die ScheinÂheiligkeit der Höflinge und den Zwang, sich verstellen zu mĂŒssen. Die Beliebtheit der Geschichte vom Prinzen Genji, die in Abschriften in adligen Kreisen kursierte, fĂŒhrte dazu, dass sich immer mehr Frauen ein Beispiel an Murasaki Shikibu nahmen und selbst zu schreiben begannen. WĂ€hrend sich die MĂ€nner der Lyrik in chiÂneÂsisÂchen SchriftzeÂichen widmeten, konnte sich innerhalb der FrauengeÂsellschaft, die eine einfache SilÂbenÂschrift benutzte, eine regelrechte RoÂmantraÂdiÂtion herÂausÂbilden. Das Resultat: ĂŒber 200 Werke allein in der Heian-PeÂriÂode. Murasakis Genji blieb das wichtigste von ihnen. Stellt man diesen ersten Roman aus der Feder einer Frau der westlichen Literatur gegenĂŒber, wo zur selben Zeit vor allem Mythen weitÂergÂereÂicht wurden, in denen EinzelperÂsoÂnen â von Helden einmal abgesehen â keine wichtige Rolle spielten, so ist der Unterschied frappierend.
Die Geschichte vom Prinzen Genji animiert bis heute zu zahllosen Adaptionen. Kozaburo Yoshimura und Kon Ichikawa verfilmten das Werk 1951 und 1966. 1980 erschien die Geschichte als Manga von Yamato Waki unter dem Titel AsakiyumemÂishi. Seit 2005 liegt sie als Videospiel fĂŒr die Playstation 2 vor. Japanische LitÂerÂaturÂwisÂsenschaftler sehen das Werk als beispielÂloses Zeugnis des frĂŒhen Buddhismus in Japan und als AusÂgangspunkt der modernen japanischen Literatur. Der japanische Philosoph Daisaku Ikeda verstieg sich sogar zu der Aussage, Prinz Genji sei die Inkarnation eines Bodhisattwa (ErÂleuchÂtungsweÂsen im Buddhismus), weil er als leuchtender Prinz so viel Göttliches ausstrahle. Wenngleich der Stellenwert des Genji in der japanischen Literatur unbeÂstritÂten ist, fand der Roman im Westen mit seiner DeÂtailÂfreude, den schwer zu entzÂifÂferÂnÂden Kulturcodes und der fehlenden Spannung zwischen den Figuren eine eher kritische Aufnahme.