Die Subprime-Lösung

Buch Die Subprime-Lösung

Wie wir in die Krise hineingeraten sind – und was wir jetzt tun sollten

Börsenmedien,
Auch erhältlich auf: Englisch


Rezension

Wer heute eine plausible Erklärung dafür bieten kann, wie es zur Finanzkrise gekommen ist, findet bei vielen Gehör. Wer noch dazu sagen kann, wie wir da wieder rauskommen, noch viel mehr. Robert J. Shiller, der schon den New-Econ­omy-Hype messer­scharf analysiert hat, kann beides: Sowohl seine gut nachvol­lziehbare Analyse als auch seine konkret for­mulierten Lösungsvorschläge sind ein wichtiger Diskus­sions­beitrag und könnten helfen, das Vertrauen in Banken und Unternehmen zurück­zugewin­nen. Denn bei aller Kritik am Fi­nanzsys­tem setzt der Autor nicht etwa auf radikale Re­strik­tio­nen, sondern auf die Ausweitung und die Demokratisierung der globalen Fi­nanzwirtschaft. Risiken, die auf viele Schultern verteilt werden, lasten weniger schwer, lautet sein Haup­tar­gu­ment. BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die über die Finanzkrise nachdenken und die künftige Entwicklung mitprägen wollen.

Take-aways

  • Die Sub­prime-Krise ist die Folge einer Speku­la­tions­blase am US-Im­mo­bilien­markt.
  • Viele Amerikaner glaubten seit den 90er Jahren, als Haus­be­sitzer reich zu werden.
  • Die Hauspreise stiegen stetig. Erst 2006 endete die Euphorie.
  • Die Krise könnte lange andauern. Ein „verlorenes Jahrzehnt“ ist möglich.
  • Kurzfristig wirkende Ret­tungspakete sind nötig, um Panikwellen zu verhindern.
  • Um Speku­la­tions­blasen in Zukunft wirkungsvoll zu verhindern, sind in­sti­tu­tionelle Reformen des Fi­nanz­markts unumgänglich.
  • Die Fi­nanz­in­for­ma­tio­nen müssen besser werden. Stichworte: Datenbanken zur Bonität von Pri­vat­per­so­nen, Stan­dard­fi­nanzpläne, mehr Transparenz bei Wert­pa­pieren und neue wirtschaftliche Maßeinheiten, die die Inflation berücksichtigen.
  • Es braucht neue Finanzmärkte. Im­mo­bilien­fu­tures z. B. würden es möglich machen, Preisblasen einzudämmen, bevor sie platzen.
  • Neue Fi­nanzin­stru­mente für Haus­be­sitzer werden benötigt. Stichworte: Eigen­heim-Kap­i­talver­sicherun­gen, Con­tin­u­ous-Work­out-Hy­potheken, die laufend ans Einkommen und die Inflation angepasst werden, Lebens­stan­dard-Ver­sicherun­gen.
  • Die Lösung liegt nicht in der Eindämmung der Finanzmärkte, sondern in ihrer Ausweitung, d. h. Demokratisierung.
 

Zusammenfassung

Die Krise zieht ihre Kreise

Die Sub­prime-Krise, die rund um den Globus weite Kreise zieht, ist die Folge einer Speku­la­tions­blase am US-Im­mo­bilien­markt, aus der seit 2006 die Luft entweicht. Diese Krise wird nicht nur zu Engpässen in der Kred­itver­sorgung führen, sondern unseren Lebensstil verändern. Unser soziales Geflecht, das auf Vertrauen und Optimismus angewiesen ist, ist in Gefahr. Welche Ausmaße die de­struk­tiven Kräfte der Krise noch annehmen werden, ist schwer vo­rauszusagen. Wir müssen uns allerdings auf ein niedrigeres Wirtschaftswach­s­tum einstellen – möglicher­weise über zehn Jahre. Solch ein „verlorenes Jahrzehnt“ nach einer Im­mo­bilien­speku­la­tions­blase hat Japan in den 90er Jahren durchlitten.

Die Unfähigkeit, eine Speku­la­tions­blase zu erkennen

Uns fehlt die Fähigkeit, spekulative Übertrei­bun­gen rechtzeitig zu erkennen. Im Jahr 2004 gab es keine langfristige Statistik über die Entwicklung der Häuserpreise in den USA oder anderswo – offenbar in­ter­essierte sich niemand für die Speku­la­tion­s­ge­fahren am Im­mo­bilien­markt. Viele Zeitgenossen – auch die Führungskräfte – übersahen zu lange den Kern des Problems: nämlich, dass sich Leute Häuser kauften, sich diese aber überhaupt nicht leisten konnten. In der langfristi­gen Betrachtung zeigt sich, wie sich die Im­mo­bilien­preise von den wirtschaftlichen Fun­da­men­tal­daten abgekoppelt hatten. Ihr steiler Anstieg war unbegründet. Die einzige Erklärung, die maßlose Spekulation, wollten auch Ben Bernanke, George W. Bush und Alan Greenspan nicht wahrhaben. Greenspan wiederholte in Vorträgen, es werde keine große Blase geben, sondern höchstens kleine, begrenzte Schaumbäder.

Vorsicht: Ansteck­ungs­ge­fahr!

Diese Blindheit hatte – wie das bei jeder Blase der Fall ist – psy­chol­o­gis­che Ursachen. Es handelt sich um ein soziales Phänomen, das man mit einer ansteck­enden Krankheit vergleichen kann. Beobachten Menschen über eine Weile steigende Preise, setzt sich bei immer mehr von ihnen die Überzeugung durch, dass der Boom weitergehen wird – sie steigen ein. Als Begründung genügt ihnen der Glaube an eine „neue Ära“. Das war beim New-Econ­omy-Hype so und nun auch bei der Im­mo­bilien­preis­blase. Das protes­tantis­che Ar­beit­sethos ist nicht länger die Grundlage des amerikanis­chen Selb­st­wert­gefühls. Statt harter Arbeit bewundert die Bevölkerung nun Reichtum, der durch clevere Geldanlage erworben wurde. Das ist letztlich die Haup­tur­sache der Speku­la­tions­blase. Die Überbe­w­er­tung trug viel mehr zur Sub­prime-Krise bei als die oft genannten zu niedrigen Zinsen: Sie hielt dreimal länger an als die Niedrigzin­sphase. Diese begünstigte allerdings den Boom, ebenso die mangelnde Regulierung des aggressiven Kred­itver­gabesek­tors. Die immer flexibleren Kred­itkon­di­tio­nen kamen den Wünschen der Kunden nach, die an den anhaltenden Boom glaubten. Statt auf gierige Banker, schlechte Rat­ing-Agen­turen oder Alan Greenspan zu schimpfen, sollten wir selb­stkri­tisch sein und uns eingehender mit den Ursachen befassen.

Die Flut der Sub­prime-Kred­ite

Seit Ende der 90er Jahre schien es in den USA einen sicheren Weg zu fi­nanziellem Wohlstand zu geben: Hausbesitz. Werden Bauland und Bau­res­sourcen nicht immer knapper und damit immer teurer? Das stimmt zwar nicht, aber der Glaube an die ewige Wert­steigerung der Immobilie hielt sich wacker. Die Zahl der Häuser, die nicht von Mietern, sondern von Eigentümern bewohnt werden, stieg in den USA zwischen 1997 und 2005 um 11,5 %. Am meisten legte die Haus­be­sitzerquote in finanziell schwachen Schichten zu: bei Ger­ingver­di­enern, unter 35-Jährigen, Hispanics und Schwarzen. Der Nach­frage­boom, der steigende Hauspreise zur Folge hatte, wurde von Banken, Gutachtern und Kred­it­nehmern angeheizt. Hy­potheken­ver­lei­her vernachlässigten die Überprüfung der Zahlungsfähigkeit der Kred­it­nehmer. Sie gaben die entsprechen­den Risiken einfach in verbriefter Form an andere Fi­nanzin­sti­tu­tio­nen auf der ganzen Welt weiter. Sie verzichteten sogar darauf, die Einkommen der Kred­it­nehmer bei den Finanzämtern abzufragen, obwohl sie dazu das Recht gehabt hätten. Die Hauspreise legten real von 1997 bis 2006 um 85 % zu und trieben die Bautätigkeit bis auf den höchsten Stand seit 1951.

Der unaufhalt­same Abstieg

Das Überangebot führte schließlich zu einem langsameren Preisanstieg über zwei Jahre und seit 2006 zu sinkenden Preisen. Seitdem fällt das Kartenhaus zusammen; seit 2005 sinkt die Haus­be­sitzerquote wieder. Die Häuserpreise fallen immer schneller, hauptsächlich in der niedrigsten Preisklasse, was vor allem an Zwangsvoll­streck­un­gen liegt. Viele Sub­prime-Kred­it­nehmer können ihre Schulden nicht mehr bezahlen, seit die Phase niedriger Lock­vo­gel-Zin­sen ausgelaufen ist. Die Zahlungsausfälle wirken sich auf Kred­itkarten- und Au­tokred­itschulden aus, bringen die Finanzhäuser in Schwierigkeiten, wandern um die Welt und schwappen wieder zurück in die USA. Der Dollar fällt, ausländisches Kapital wird vom US-Ak­tien­markt abgezogen.

Die Zeche zahlen die Vor­sichti­gen

Auf diese Krise haben die Staaten bislang mit kurzfristig angelegten Maßnahmen reagiert. Die Ret­tungsak­tio­nen für Hy­potheken­banken und -schuldner sind aber umstritten. Solche so genannten Bailouts retten letztlich diejenigen, die ve­r­ant­wor­tungs­los gehandelt haben – auf Kosten von Mark­t­teil­nehmern, die sich an die Regeln gehalten haben. Die Hil­f­skred­it­pro­gramme der Fed senken die Zinsen für die Banken, die sonst am Markt viel höhere Zinsen zahlen müssten, während diese Niedrigzin­spoli­tik den Vermögenszuwachs der Geldanleger schmälert; ein Effekt, der durch die Inflation noch verstärkt wird. Falls wegen der Hilfsmaßnahmen die Steuern steigen, zahlt der Steuerzahler die Zeche. Doch bei aller Kritik: Es ist richtig, dass der Staat seine Rolle als Risiko­man­ager ausfüllt. Es ist wichtig, dass er alles unternimmt, um Panikwellen zu vermeiden – selbst wenn die Instrumente der kurzfristi­gen Ret­tungspoli­tik nicht alle Probleme lösen können.

Das Gefährliche an der Krise

Die Un­sicher­heit der Beschäftigten und die Demütigungen der Ar­beit­slosen haben während der Großen Depression in den 30er Jahren dazu geführt, dass die Menschen sich tra­di­tionellen Werten zuwandten oder sich radikalisierten. Die Lehre daraus ist, dass die Politiker die Nöte breiter Bevölkerungss­chichten nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Das Vertrauen der Menschen ins Wirtschaftssys­tem ist erschüttert. Die Gefahr von so genannten Sys­te­m­ef­fek­ten ist groß und bedrohlicher als jene, die von sinkenden Hauspreisen ausgeht. Ver­braucher­panik kann jede Bank ruinieren. Lassen Sie sich trotz der schlechten Nachrichten nicht dazu verleiten, grundle­gende Werte des Wirtschaftssys­tems abzuschreiben. Während die USA in den 30er Jahren mit einer zukun­ftsweisenden Politik auf die Krise reagierten, zogen viele europäische Staaten fatale Kon­se­quen­zen. Sie isolierten sich in­ter­na­tional und in­dok­trinierten ihre eigene Bevölkerung mit ide­ol­o­gis­chen Mitteln. Das war eine Ursache für den Krieg.

Krisenbekämpfung in der Großen Depression

Wie kamen die USA aus der Großen Depression heraus, dieser letzten ver­gle­ich­baren Krise? Anfang der 30er Jahre waren säumige Hy­potheken­schuld­ner scharen­weise aus ihren Häusern geworfen worden. Dann ließ Präsident Roosevelt ab 1933 staatliche und private In­sti­tu­tio­nen schaffen, die die Hy­potheken­laufzeiten ver­braucher­fre­undlich verlängerten und die Hy­potheken­banken in Krisen­si­t­u­a­tio­nen stützen. Auch die Hy­potheken­fi­nanziererin und -ver­brieferin Fannie Mae, die die Bildung von Wohneigen­tum förderte und heute selbst ein Krisenfall ist, ist ein Kind dieser Zeit. Hinzu kamen damals Systeme zur Ein­la­gen­sicherung und Auf­sichts­behörden wie die Securities and Exchange Commission (SEC). Nach US-Vorbild führten viele Länder ähnliche Ein­rich­tun­gen ein.

Finanzmärkte reformieren – aber nicht fixieren

Verglichen mit diesen Reformen, die über Jahrzehnte erfolgreich wirkten, sind die bislang beschlosse­nen Maßnahmen bloß Pflästerchen. Die Steuer- und Kred­iter­le­ichterun­gen entsprechen 0,5 % des US-Haushaltsvermögens – viel zu wenig angesichts der Größe des Problems und un­zure­ichend, um das Vertrauen der Bürger langfristig wieder­herzustellen. Dies gelingt nur durch eine in­sti­tu­tionelle Reform des Fi­nanzsek­tors. Ein Verbot komplexer Fi­nanzpro­dukte ist allerdings keine Lösung. Es hilft niemandem, wenn der Fi­nanzbranche innovative Methoden künftig untersagt werden. Vielmehr sollte die Suche nach besseren In­sti­tu­tio­nen fürs Risiko­man­age­ment im Fi­nanzsek­tor verstärkt werden – so wie damals in der Großen Depression. Konkret brauchen wir:

  1. Bessere und breiter gestreute Fi­nanz­in­for­ma­tio­nen: Nicht Stimmungen oder Faustregeln sollten bei ökonomischen Entschei­dun­gen den Ausschlag geben, sondern Erken­nt­nisse. Elemente einer besseren In­for­ma­tion­sin­fra­struk­tur sind eine umfassende Fi­nanzber­atung für alle, nationale Datenbanken mit In­for­ma­tio­nen über die wirtschaftliche Lage von Pri­vat­per­so­nen und eine ver­braucheror­i­en­tierte Fi­nanzreg­ulierungs­behörde. Hinzu kommen Stan­dard­fi­nanzpläne, mehr Transparenz bei Wert­pa­pieren und neue wirtschaftliche Maßeinheiten – vor allem eine In­dex­ein­heit, die – anders als die Währung – die tatsächliche Kaufkraft repräsentiert. Damit versehene Immobilien könnten nicht mehr mit der falschen Behauptung beworben werden, der Wert von Häusern würde sich alle zehn Jahre verdoppeln. Die Inflation muss ins Bewusstsein der Verbraucher gelangen.
  2. Neue Finanzmärkte: Durch Derivate auf Eigenheime könnten Im­mo­bilien­risiken wesentlich breiter gestreut werden. Die Futures würden es möglich machen, sich gegen fallende Im­mo­bilien­preise abzusichern oder darauf zu wetten (shorten). Damit wäre es möglich, eine Preisblase einzudämmen, bevor diese sich bis zum Platzen bläht.
  3. Neue Fi­nanzin­stru­mente für Haus­be­sitzer: Dazu gehören langfristig angelegte Rück­zahlmodalitäten und Eigen­heim-Kap­i­talver­sicherun­gen. Nötig ist eine Neuauflage der Home Owner’s Loan Corporation, die 1933 gegründet wurde. Sie gab Darlehen an Hy­potheken­banken, wenn diese ihren Kunden günstigere Konditionen boten als damals üblich. Damit verbesserte sich die Lage der ver­schulde­ten Haus­be­sitzer, das Problem der Zwangsvoll­streck­un­gen verschwand. Langfristig sind Con­tin­u­ous-Work­out-Hy­potheken eines der wichtigsten Mittel zur Verbesserung der Marktlage. Die Höhe dieser Hypotheken wird ständig an mehrere Indikatoren angepasst, darunter Inflation und persönliches Einkommen. Im Fall von Zahlung­sprob­le­men sinkt die Hypothekenhöhe, fällt aber nicht auf null. Sie könnte dann durch eine Lebens­stan­dard-Ver­sicherung gedeckt werden, die die herkömmliche Berufsunfähigkeitsver­sicherung ablösen sollte. Damit wären nicht nur medi­zinis­che, sondern auch wirtschaftliche Notlagen abgedeckt.

Das Positive aus der Krise

Als die Sub­prime-Kred­ite in den 90er Jahren aufkamen, stießen sie auf positive Resonanz von vielen Seiten. Schließlich boten sie breiteren Bevölkerungss­chichten die Möglichkeit, Vermögenswerte aufzubauen. Die Umsetzung war zwar ein Desaster, aber wenn es bei der Au­far­beitung der Krise gelingt, vernünftige Risikokon­trollmech­a­nis­men zu etablieren, dann könnte der Traum von der Vermögensbildung für viele tatsächlich wahr werden. Das würde die Demokratisierung des Fi­nanzwe­sens bedeuten. Es würde unsere Wirtschaft auf festeren Grund stellen, wenn das Risiko so auf mehr Schultern verteilt werden könnte. Der Frieden­sno­bel­preis an Muhammad Yunus und seine Grameen-Bank, die Mikrokred­ite an Arme vergibt, steht für diese Idee des demokratisierten Fi­nanzwe­sens. Die Idee, möglichst vielen Menschen Wohneigen­tum zu ermöglichen, sorgt für mehr Gleichheit in der Gesellschaft und wird das zurzeit so schmerzlich vermisste Ver­braucherver­trauen stärken.

Über den Autor

Robert J. Shiller ist Professor für Wirtschaftswis­senschaft an der Yale-Uni­ver­sität in Connecticut. Der Best­seller­autor schrieb u. a. die Bücher Die neue Fi­nan­zord­nung und Ir­ra­tionaler Überschwang, in dem er auf dem Höhepunkt der New-Econ­omy-Blase deren Platzen vorhersagte.