Die Krise zieht ihre Kreise
Die Subprime-Krise, die rund um den Globus weite Kreise zieht, ist die Folge einer Spekulationsblase am US-Immobilienmarkt, aus der seit 2006 die Luft entweicht. Diese Krise wird nicht nur zu Engpässen in der Kreditversorgung führen, sondern unseren Lebensstil verändern. Unser soziales Geflecht, das auf Vertrauen und Optimismus angewiesen ist, ist in Gefahr. Welche Ausmaße die destruktiven Kräfte der Krise noch annehmen werden, ist schwer vorauszusagen. Wir müssen uns allerdings auf ein niedrigeres Wirtschaftswachstum einstellen – möglicherweise über zehn Jahre. Solch ein „verlorenes Jahrzehnt“ nach einer Immobilienspekulationsblase hat Japan in den 90er Jahren durchlitten.
Die Unfähigkeit, eine Spekulationsblase zu erkennen
Uns fehlt die Fähigkeit, spekulative Übertreibungen rechtzeitig zu erkennen. Im Jahr 2004 gab es keine langfristige Statistik über die Entwicklung der Häuserpreise in den USA oder anderswo – offenbar interessierte sich niemand für die Spekulationsgefahren am Immobilienmarkt. Viele Zeitgenossen – auch die Führungskräfte – übersahen zu lange den Kern des Problems: nämlich, dass sich Leute Häuser kauften, sich diese aber überhaupt nicht leisten konnten. In der langfristigen Betrachtung zeigt sich, wie sich die Immobilienpreise von den wirtschaftlichen Fundamentaldaten abgekoppelt hatten. Ihr steiler Anstieg war unbegründet. Die einzige Erklärung, die maßlose Spekulation, wollten auch Ben Bernanke, George W. Bush und Alan Greenspan nicht wahrhaben. Greenspan wiederholte in Vorträgen, es werde keine große Blase geben, sondern höchstens kleine, begrenzte Schaumbäder.
Vorsicht: Ansteckungsgefahr!
Diese Blindheit hatte – wie das bei jeder Blase der Fall ist – psychologische Ursachen. Es handelt sich um ein soziales Phänomen, das man mit einer ansteckenden Krankheit vergleichen kann. Beobachten Menschen über eine Weile steigende Preise, setzt sich bei immer mehr von ihnen die Überzeugung durch, dass der Boom weitergehen wird – sie steigen ein. Als Begründung genügt ihnen der Glaube an eine „neue Ära“. Das war beim New-Economy-Hype so und nun auch bei der Immobilienpreisblase. Das protestantische Arbeitsethos ist nicht länger die Grundlage des amerikanischen Selbstwertgefühls. Statt harter Arbeit bewundert die Bevölkerung nun Reichtum, der durch clevere Geldanlage erworben wurde. Das ist letztlich die Hauptursache der Spekulationsblase. Die Überbewertung trug viel mehr zur Subprime-Krise bei als die oft genannten zu niedrigen Zinsen: Sie hielt dreimal länger an als die Niedrigzinsphase. Diese begünstigte allerdings den Boom, ebenso die mangelnde Regulierung des aggressiven Kreditvergabesektors. Die immer flexibleren Kreditkonditionen kamen den Wünschen der Kunden nach, die an den anhaltenden Boom glaubten. Statt auf gierige Banker, schlechte Rating-Agenturen oder Alan Greenspan zu schimpfen, sollten wir selbstkritisch sein und uns eingehender mit den Ursachen befassen.
Die Flut der Subprime-Kredite
Seit Ende der 90er Jahre schien es in den USA einen sicheren Weg zu finanziellem Wohlstand zu geben: Hausbesitz. Werden Bauland und Bauressourcen nicht immer knapper und damit immer teurer? Das stimmt zwar nicht, aber der Glaube an die ewige Wertsteigerung der Immobilie hielt sich wacker. Die Zahl der Häuser, die nicht von Mietern, sondern von Eigentümern bewohnt werden, stieg in den USA zwischen 1997 und 2005 um 11,5 %. Am meisten legte die Hausbesitzerquote in finanziell schwachen Schichten zu: bei Geringverdienern, unter 35-Jährigen, Hispanics und Schwarzen. Der Nachfrageboom, der steigende Hauspreise zur Folge hatte, wurde von Banken, Gutachtern und Kreditnehmern angeheizt. Hypothekenverleiher vernachlässigten die Überprüfung der Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer. Sie gaben die entsprechenden Risiken einfach in verbriefter Form an andere Finanzinstitutionen auf der ganzen Welt weiter. Sie verzichteten sogar darauf, die Einkommen der Kreditnehmer bei den Finanzämtern abzufragen, obwohl sie dazu das Recht gehabt hätten. Die Hauspreise legten real von 1997 bis 2006 um 85 % zu und trieben die Bautätigkeit bis auf den höchsten Stand seit 1951.
Der unaufhaltsame Abstieg
Das Überangebot führte schließlich zu einem langsameren Preisanstieg über zwei Jahre und seit 2006 zu sinkenden Preisen. Seitdem fällt das Kartenhaus zusammen; seit 2005 sinkt die Hausbesitzerquote wieder. Die Häuserpreise fallen immer schneller, hauptsächlich in der niedrigsten Preisklasse, was vor allem an Zwangsvollstreckungen liegt. Viele Subprime-Kreditnehmer können ihre Schulden nicht mehr bezahlen, seit die Phase niedriger Lockvogel-Zinsen ausgelaufen ist. Die Zahlungsausfälle wirken sich auf Kreditkarten- und Autokreditschulden aus, bringen die Finanzhäuser in Schwierigkeiten, wandern um die Welt und schwappen wieder zurück in die USA. Der Dollar fällt, ausländisches Kapital wird vom US-Aktienmarkt abgezogen.
Die Zeche zahlen die Vorsichtigen
Auf diese Krise haben die Staaten bislang mit kurzfristig angelegten Maßnahmen reagiert. Die Rettungsaktionen für Hypothekenbanken und -schuldner sind aber umstritten. Solche so genannten Bailouts retten letztlich diejenigen, die verantwortungslos gehandelt haben – auf Kosten von Marktteilnehmern, die sich an die Regeln gehalten haben. Die Hilfskreditprogramme der Fed senken die Zinsen für die Banken, die sonst am Markt viel höhere Zinsen zahlen müssten, während diese Niedrigzinspolitik den Vermögenszuwachs der Geldanleger schmälert; ein Effekt, der durch die Inflation noch verstärkt wird. Falls wegen der Hilfsmaßnahmen die Steuern steigen, zahlt der Steuerzahler die Zeche. Doch bei aller Kritik: Es ist richtig, dass der Staat seine Rolle als Risikomanager ausfüllt. Es ist wichtig, dass er alles unternimmt, um Panikwellen zu vermeiden – selbst wenn die Instrumente der kurzfristigen Rettungspolitik nicht alle Probleme lösen können.
Das Gefährliche an der Krise
Die Unsicherheit der Beschäftigten und die Demütigungen der Arbeitslosen haben während der Großen Depression in den 30er Jahren dazu geführt, dass die Menschen sich traditionellen Werten zuwandten oder sich radikalisierten. Die Lehre daraus ist, dass die Politiker die Nöte breiter Bevölkerungsschichten nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Das Vertrauen der Menschen ins Wirtschaftssystem ist erschüttert. Die Gefahr von so genannten Systemeffekten ist groß und bedrohlicher als jene, die von sinkenden Hauspreisen ausgeht. Verbraucherpanik kann jede Bank ruinieren. Lassen Sie sich trotz der schlechten Nachrichten nicht dazu verleiten, grundlegende Werte des Wirtschaftssystems abzuschreiben. Während die USA in den 30er Jahren mit einer zukunftsweisenden Politik auf die Krise reagierten, zogen viele europäische Staaten fatale Konsequenzen. Sie isolierten sich international und indoktrinierten ihre eigene Bevölkerung mit ideologischen Mitteln. Das war eine Ursache für den Krieg.
Krisenbekämpfung in der Großen Depression
Wie kamen die USA aus der Großen Depression heraus, dieser letzten vergleichbaren Krise? Anfang der 30er Jahre waren säumige Hypothekenschuldner scharenweise aus ihren Häusern geworfen worden. Dann ließ Präsident Roosevelt ab 1933 staatliche und private Institutionen schaffen, die die Hypothekenlaufzeiten verbraucherfreundlich verlängerten und die Hypothekenbanken in Krisensituationen stützen. Auch die Hypothekenfinanziererin und -verbrieferin Fannie Mae, die die Bildung von Wohneigentum förderte und heute selbst ein Krisenfall ist, ist ein Kind dieser Zeit. Hinzu kamen damals Systeme zur Einlagensicherung und Aufsichtsbehörden wie die Securities and Exchange Commission (SEC). Nach US-Vorbild führten viele Länder ähnliche Einrichtungen ein.
Finanzmärkte reformieren – aber nicht fixieren
Verglichen mit diesen Reformen, die über Jahrzehnte erfolgreich wirkten, sind die bislang beschlossenen Maßnahmen bloß Pflästerchen. Die Steuer- und Krediterleichterungen entsprechen 0,5 % des US-Haushaltsvermögens – viel zu wenig angesichts der Größe des Problems und unzureichend, um das Vertrauen der Bürger langfristig wiederherzustellen. Dies gelingt nur durch eine institutionelle Reform des Finanzsektors. Ein Verbot komplexer Finanzprodukte ist allerdings keine Lösung. Es hilft niemandem, wenn der Finanzbranche innovative Methoden künftig untersagt werden. Vielmehr sollte die Suche nach besseren Institutionen fürs Risikomanagement im Finanzsektor verstärkt werden – so wie damals in der Großen Depression. Konkret brauchen wir:
- Bessere und breiter gestreute Finanzinformationen: Nicht Stimmungen oder Faustregeln sollten bei ökonomischen Entscheidungen den Ausschlag geben, sondern Erkenntnisse. Elemente einer besseren Informationsinfrastruktur sind eine umfassende Finanzberatung für alle, nationale Datenbanken mit Informationen über die wirtschaftliche Lage von Privatpersonen und eine verbraucherorientierte Finanzregulierungsbehörde. Hinzu kommen Standardfinanzpläne, mehr Transparenz bei Wertpapieren und neue wirtschaftliche Maßeinheiten – vor allem eine Indexeinheit, die – anders als die Währung – die tatsächliche Kaufkraft repräsentiert. Damit versehene Immobilien könnten nicht mehr mit der falschen Behauptung beworben werden, der Wert von Häusern würde sich alle zehn Jahre verdoppeln. Die Inflation muss ins Bewusstsein der Verbraucher gelangen.
- Neue Finanzmärkte: Durch Derivate auf Eigenheime könnten Immobilienrisiken wesentlich breiter gestreut werden. Die Futures würden es möglich machen, sich gegen fallende Immobilienpreise abzusichern oder darauf zu wetten (shorten). Damit wäre es möglich, eine Preisblase einzudämmen, bevor diese sich bis zum Platzen bläht.
- Neue Finanzinstrumente für Hausbesitzer: Dazu gehören langfristig angelegte Rückzahlmodalitäten und Eigenheim-Kapitalversicherungen. Nötig ist eine Neuauflage der Home Owner’s Loan Corporation, die 1933 gegründet wurde. Sie gab Darlehen an Hypothekenbanken, wenn diese ihren Kunden günstigere Konditionen boten als damals üblich. Damit verbesserte sich die Lage der verschuldeten Hausbesitzer, das Problem der Zwangsvollstreckungen verschwand. Langfristig sind Continuous-Workout-Hypotheken eines der wichtigsten Mittel zur Verbesserung der Marktlage. Die Höhe dieser Hypotheken wird ständig an mehrere Indikatoren angepasst, darunter Inflation und persönliches Einkommen. Im Fall von Zahlungsproblemen sinkt die Hypothekenhöhe, fällt aber nicht auf null. Sie könnte dann durch eine Lebensstandard-Versicherung gedeckt werden, die die herkömmliche Berufsunfähigkeitsversicherung ablösen sollte. Damit wären nicht nur medizinische, sondern auch wirtschaftliche Notlagen abgedeckt.
Das Positive aus der Krise
Als die Subprime-Kredite in den 90er Jahren aufkamen, stießen sie auf positive Resonanz von vielen Seiten. Schließlich boten sie breiteren Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, Vermögenswerte aufzubauen. Die Umsetzung war zwar ein Desaster, aber wenn es bei der Aufarbeitung der Krise gelingt, vernünftige Risikokontrollmechanismen zu etablieren, dann könnte der Traum von der Vermögensbildung für viele tatsächlich wahr werden. Das würde die Demokratisierung des Finanzwesens bedeuten. Es würde unsere Wirtschaft auf festeren Grund stellen, wenn das Risiko so auf mehr Schultern verteilt werden könnte. Der Friedensnobelpreis an Muhammad Yunus und seine Grameen-Bank, die Mikrokredite an Arme vergibt, steht für diese Idee des demokratisierten Finanzwesens. Die Idee, möglichst vielen Menschen Wohneigentum zu ermöglichen, sorgt für mehr Gleichheit in der Gesellschaft und wird das zurzeit so schmerzlich vermisste Verbrauchervertrauen stärken.