Die Kollateralschäden der Rationalisierung
Die Guillotine steht nicht von ungefähr am Anfang einer Epoche der Industrialisierung und der zunehmenden Macht von Maschinen über den Menschen. Allein die Tatsache, dass Guillotinen irgendwann erfunden wurden, forderte dazu auf, dass man sie auch benutzte; die Folge war ein Prozess mechanischen Tötens während der Französischen Revolution. Die Mechanisierung hat im Zeitalter der Globalisierung einen neuen Höhepunkt erreicht. Tugenden wie innere Ruhe und Gelassenheit haben in den hoch industrialisierten Staaten immer mehr an Wert verloren. Begriffe wie Effizienz und Profitabilität haben dagegen an Bedeutung gewonnen. Die Konsequenz dieser Verschiebung ist eine tief greifende Spaltung unserer Gesellschaft, verbunden mit einem Verlust von Verantwortungsgefühl. Die Elite fordert immer neue Opfer von der unteren Klasse und vergisst dabei völlig, dass Löhne nicht nur Kosten sind, sondern auch die Voraussetzung für die Nachfrage. Freiheit und Moral stehen nicht mehr unter dem Oberbegriff der Gemeinschaftlichkeit, sondern haben sich immer mehr voneinander abgekoppelt. Die Errungenschaften der modernen Technik erleichtern zwar tatsächlich unser Leben. In der Summe, in dem Geist, der dahintersteckt, bewegen sie uns jedoch in die falsche Richtung.
Autos und „Heuschrecken“
Lässt sich Profitstreben mit ethischem Handeln vereinbaren? Ja, aber leider gelingt das noch zu selten. Nehmen wir als Beispiel die Automobilindustrie. Vor allem deutsche Autobauer haben sich in „Grünen Papieren“ und „Selbstverpflichtungen“ gegenseitig überboten. Herausgekommen ist dabei nichts. Ging es ums Geschäft, wurden diese Absichtserklärungen rasch über Bord geworfen. Andere Automobilkonzerne wie Renault und Toyota haben dagegen konsequent auf Sprit sparende, umweltschonende Motoren gesetzt und können jetzt die Früchte ihrer Bemühungen ernten.
„Das Wesen des Fortschritts besteht nicht so sehr in Rationalisierung, Beschleunigung, Qualitätsverbesserung usw. Das Wesen des Fortschritts ist eher darin zu suchen, was all die fortschreitenden Errungenschaften mit uns gemacht haben und bis heute mit uns machen.“
Im Unterschied dazu hat in der Finanzwirtschaft eine Raubtiermentalität Einzug gehalten, an der sich die als „Heuschrecken“ verrufenen Finanzinvestoren, aber auch staatliche oder regionale Institutionen beteiligen. Beispiel Nokia: Das finnische Mobilfunkunternehmen errichtete 1994 ein Werk in Bochum, nachdem vom Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen knapp 90 Millionen Euro an Subventionen zugesichert worden waren. Das Ende vom Lied: 2008 entschloss sich Nokia, den hochprofitablen Standort nach Rumänien zu verlagern. Ziel: die Erhöhung der Gewinnmarge von 17 auf 20 %.
Banker in der Scheinwelt
Die wenigsten Finanzinvestoren sind Killertypen vom Schlag eines Gordon Gekko aus Oliver Stones Film Wall Street. Auch in dieser Branche finden sich viele ehrbare und verantwortungsvolle Familienväter. Das Problem ist jedoch, dass sie zu lange in Scheinwelten leben. Nur mit diesem weit verbreiteten Mangel an Bodenhaftung, einer gewissen narzisstischen Selbstüberschätzung und einem fehlgeleiteten Risikoinstinkt lässt sich ein Desaster wie die 2008 entstandene Bankenkrise erklären. Dass der Weg an die Spitze aber nicht zwangsläufig in eine Scheinwelt münden muss, sieht man etwa an Muhammad Yunus, dem Friedensnobelpreisträger und Gründer der ersten Mikrokreditbank der Welt. Sein Beispiel zeigt, dass soziale Verantwortung ein hohes Maß an Wertschöpfung erzeugen kann.
Machtmissbrauch der Elite
In keinem anderen Land der Welt ist das Misstrauen gegenüber Managern so groß wie in Deutschland. Ihr Image wurde in jüngster Vergangenheit noch weiter ramponiert. In dem Maß, in dem eine Gesellschaft die Werte Gleichheit und Gerechtigkeit verrät, gerät ihr inneres Gleichgewicht ins Wanken, und wir erreichen die Zustände, die Karl Marx als Endstufe des Kapitalismus beschrieben hat. Vorstände ohne Anstand haben dieser Situation Vorschub geleistet, z. B. Peter Hartz, der Mitglieder des VW-Betriebsrats mit finanziellen Zuwendungen und Luxusreisen gefügig gemacht hat. Oder Klaus Zumwinkel, der zwar die Deutsche Post zu einem modernen, weltweit führenden Logistikunternehmen umgebaut hat, dessen Steuersünden aber von Verantwortungslosigkeit zeugen. Mit dem Glaubwürdigkeitsverlust der wirtschaftlichen und politischen Eliten erleidet die Demokratie in Deutschland einen großen Schaden. Mittlerweile ist die stärkste Partei jene der Nichtwähler geworden, was für ein tief greifendes Misstrauen gegenüber der Integrität unserer politischen Instanzen spricht. Auch dort koppelt sich die Elite von den Normalbürgern ab, beklagt einerseits den Mangel an Eigenverantwortlichkeit, nutzt aber ihre Macht oft dazu, um in die eigene Tasche zu wirtschaften.
China: die autoritäre Herausforderung
Neben diesen hausgemachten Problemen gibt es Herausforderungen von außen, denen es zu widerstehen gilt. So macht ein neuer, staatlich verordneter Kapitalismus der Demokratie zu schaffen. Nirgendwo zeigen sich dessen Stärken und Schwächen so exemplarisch wie am Beispiel Chinas. Der Grund für Chinas hohes Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren ist die Geschwindigkeit, mit der dort ökonomisch relevante Entscheidungen getroffen werden. In demokratischen Staaten dauert es oft Jahre, bis eine Entscheidung den Marsch durch die Institutionen bewältigt hat. Vorbilder aber sind Staaten wie China nicht. Nicht nur lässt ihr Mangel an Grundrechten und ethischen Prinzipien keinen Raum für die Freiheit des Individuums, die Umweltverschmutzung in vielen chinesischen Großstädten als Folge einer rigorosen Planwirtschaft gefährdet auch die Gesundheit ihrer Bewohner massiv.
Eingebildet und ungebildet
Dass wir gut ausgebildete und verantwortlich handelnde Eliten brauchen, daran besteht kein Zweifel. Fraglich ist allerdings der Weg, der dahin führt. Die entscheidenden Probleme und Hindernisse liegen in der Elitenbildung. So wurde in Deutschland in den vergangenen Jahren eine Reihe von Management- oder Business-Schulen gegründet, in denen zukünftige Eliten gefördert werden sollten. Kreatives Denken und verantwortliches Handeln kommen jedoch in den Lehrplänen deutlich zu kurz. Zudem wird als Voraussetzung für den Erfolg immer noch Leistung gepriesen. Die Realität sieht oft anders aus. Natürlich ist die Leistungsfähigkeit ein wesentlicher Faktor auf dem Weg nach oben, entscheidend für den Erfolg aber ist sie nicht: Viel wichtiger ist immer noch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse: zum gehobenen Bürgertum.
Klassenunterschiede sind real
Die Kritik an den exorbitant steigenden Managementgehältern ist durchaus berechtigt. Allein zwischen 2002 und 2007 sind die Gehälter der DAX-Vorstände um rund 80 % gestiegen, während im selben Zeitraum das Gehalt des Durchschnittsverdieners gleich geblieben und seine Kaufkraft damit faktisch zurückgegangen ist. Diese Diskrepanz beruht wohl kaum auf einer realen Leistungssteigerung der einen zuungunsten der anderen Gruppe. Zumal Vorstände das Geld ihrer Unternehmen nicht allein, sondern gemeinsam mit ihren Mitarbeitern erwirtschaften. Ein Beispiel: Der Durchschnittsverdiener bei Springer verdient ein Bruttogehalt von 3000 € monatlich. Der Vorstand kommt dagegen auf das 111-Fache. Dies veranschaulicht, dass die Schere zwischen Arm und Reich in unserem Land auseinandergeht. Darum ist es nicht nur aus ökonomischen Gründen konsequent, über Mindestlöhne nachzudenken, es ist sogar ein Gebot verantwortlichen Handelns.
Von der „Egonomie“ zur Ökonomie
Ist der Markt ein alles verschlingendes Monster? Zerstört der Kapitalismus zwangsläufig die Grundlagen unserer Gesellschaft? Sicher nicht. Was wir heute erleben, ist nicht die Ökonomisierung der Gesellschaft, sondern deren „Egonomisierung“. Der Kapitalismus hat uns eine Epoche historisch einmaligen Wohlstands beschert. Er ist aber nicht dafür zuständig, uns glücklich zu machen. Er soll nur die Voraussetzungen dafür schaffen, dass es uns gut geht. Ist er dazu nicht mehr in der Lage, wird er offensichtlich zweckentfremdet.
„Eine radikalisierte Freiheit, auf dem Markt wie anderswo, führt zu Dysfunktionen, weil sie die Grundlagen des Miteinanders beschädigt – und damit die Voraussetzungen der Eudaimonia, des guten Lebens, missachtet.“
Ebenso bedrohlich wie ein falsches Kapitalismusverständnis ist der Missbrauch des Begriffs „Globalisierung“ für eine Art Superkapitalismus. Es ist fraglich, ob das, was heutzutage in der Welt geschieht, wirklich ökonomischen Gesetzmäßigkeiten gehorcht oder einfach nur zu einer weiteren Konzentration von Macht und Kapital drängt. Beispiel Indonesien: Durch die Asienkrise und die folgenden Kreditauflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Welthandelsorganisation (WHO) ist hier ein aufstrebender Entwicklungsstaat fast schon planmäßig in seinen wirtschaftlichen Strukturen zerstört worden.
„Was für die Allgemeinheit das Beste ist, ist letztlich auch das Beste für ein verantwortlich agierendes Unternehmen.“
Geradezu desaströse Folgen hat die Globalisierung, wie sie derzeit betrieben wird, für die Nahrungsmittelproduktion und -distribution auf dem Weltmarkt. Mit großzügiger Subventionspolitik haben die industrialisierten OECD-Staaten die Binnenmärkte vieler afrikanischer Staaten zerstört. Millionen von Menschen sind dadurch in Hungersnot geraten. Die Tatsache, dass viele afrikanische Staaten von ihren eigenen Regierungen durch Korruption und Vetternwirtschaft zugrunde gewirtschaftet werden, darf uns nicht daran hindern, uns diesem Problem zu stellen. Eine wichtige zukünftige Herausforderung ist die Verteilung der weltweiten Wasserressourcen. Diese sind zwar ausreichend vorhanden, aber regional sehr ungleich verteilt. So lebt ein großer Teil der Weltbevölkerung in Regionen mit starkem Wassermangel (Afrika, Naher Osten, Westasien), was die Armut dort verschärft.
Von der Globalisierung zur Lokalisierung
Globalisierung ist keine Einbahnstraße. Viele der heutigen Probleme lassen sich letztlich nur auf regionaler Basis lösen. Unternehmen, die momentan noch auf der Suche nach Lohnkostenvorteilen um den Globus vagabundieren, werden demnächst an ihren alten Standort zurückkehren. Beschleunigt wird dieser Prozess dadurch, dass die Kosten für Transport und Logistik in Zukunft weiterhin steigen werden. Auch Energie wird vermehrt wieder dort generiert werden, wo man sie braucht.
Treibstoff der Zukunft
Erneuerbare Energien sind auf dem Vormarsch, daran wird auch das kurzfristige Profitdenken in den Vorstandsetagen der großen Konzerne nichts ändern. Die Ölressourcen sind begrenzt, selbst neue Funde wären nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Nutzung anderer Energiequellen wie Sonnen- oder Windenergie wird permanent weiterentwickelt. Beispielsweise deckt in Brasilien der Anteil von Biosprit bereits mehr als 40 % des gesamten Treibstoffbedarfs. Man sollte aber nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und alles auf eine einzige Ressource, auf einen Treibstoff setzen. An dieser Stelle ist der Gesetzgeber gefordert. Nur klare Vorgaben zwingen die Unternehmen zum Handeln. Grün gefärbte Absichtserklärungen haben sich dagegen in der Vergangenheit als wenig effektiv erwiesen.
Rendite und Verantwortung
Worin liegen die Gemeinsamkeiten derjenigen Unternehmen, die Rendite und soziale Verantwortung, ökonomische Effizienz und Umweltbewusstsein miteinander in Übereinstimmung bringen? Es sind drei Dinge:
- Gewinnstreben und Gewissen harmonieren miteinander und schaffen damit die Grundlage für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.
- Auffällig viele dieser Unternehmen sind inhabergeführt.
- Der Blick ist auf das Unternehmen und sein Umfeld gerichtet. Der ökonomische Betrieb wird als Teil eines komplexen Austauschs mit der Umwelt betrachtet.