Das Seerosen-Prinzip

Buch Das Seerosen-Prinzip

Wie uns die Gier ruiniert

DuMont,


Rezension

Bereits während seiner Zeit als Topmanager in global operieren­den Au­to­mo­bilkonz­er­nen hat sich Daniel Goeudevert einen Namen als kreativer Kopf gemacht. Diesem Ruf bleibt er auch als Buchautor, nach seinem Rückzug aus den Vor­stand­se­ta­gen, treu. Mit Das Seerosen-Prinzip legt er eine Be­stand­sauf­nahme der weltwirtschaftlichen Situation unter besonderer Berück­sich­ti­gung moralischer Kriterien vor. Inhaltlich hat Goeudevert nicht allzu viel Neues mitzuteilen. Das wäre auch erstaunlich, ignoriert er doch von den „Heuschrecken“ über den neuen Staatskap­i­tal­is­mus chi­ne­sis­cher Prägung bis hin zur Leistungslüge kaum ein Trendthema. Was das Werk des einstigen Topmanagers dennoch über weite Strecken lesenswert macht, ist die Lebenser­fahrung, die ihn zu seinen Erken­nt­nis­sen geführt hat. Entsprechend dem enormen Spektrum, das der Autor aufspannt, empfiehlt BooksInShort das Buch allen, die sich für Fragen der Wirtschaft­sethik in­ter­essieren.

Take-aways

  • Freiheit und Moral haben sich in unserer Gesellschaft voneinander abgekoppelt.
  • Diejenigen, die unsere Welt regieren, leben selbst in einer Scheinwelt und wissen nichts von den Problemen der Normalbürger.
  • Der Glaubwürdigkeitsver­lust der Eliten fügt unserer Demokratie großen Schaden zu.
  • Die Elite wird noch immer mehr über Herkunft als über Leistung definiert.
  • Von außen wird unsere Demokratie von der Effizienz eines staatlich verordneten Kap­i­tal­is­mus in China bedroht.
  • Firmenvorstände erzielen hohe Renditen wegen und nicht trotz ihrer Mitarbeiter.
  • Ein Kap­i­tal­is­mus, der nicht mehr die Bedürfnisse aller deckt, hat seinen Zweck verfehlt.
  • Auf die Glob­al­isierung wird eine Phase der Lokalisierung folgen. Nur so lassen sich die Probleme der Zukunft bewältigen.
  • Erneuerbare Energien werden auf dem Vormarsch bleiben. Wir sollten nur nicht den Fehler machen, auf eine einzige Ressource zu setzen.
  • Rendite und Ve­r­ant­wor­tungs­gefühl sind miteinander vereinbar. Sie können sich sogar gegenseitig ergänzen.
 

Zusammenfassung

Die Kol­lat­er­alschäden der Ra­tio­nal­isierung

Die Guillotine steht nicht von ungefähr am Anfang einer Epoche der In­dus­tri­al­isierung und der zunehmenden Macht von Maschinen über den Menschen. Allein die Tatsache, dass Guillotinen irgendwann erfunden wurden, forderte dazu auf, dass man sie auch benutzte; die Folge war ein Prozess mech­a­nis­chen Tötens während der Französischen Revolution. Die Mech­a­nisierung hat im Zeitalter der Glob­al­isierung einen neuen Höhepunkt erreicht. Tugenden wie innere Ruhe und Gelassen­heit haben in den hoch in­dus­tri­al­isierten Staaten immer mehr an Wert verloren. Begriffe wie Effizienz und Prof­itabilität haben dagegen an Bedeutung gewonnen. Die Konsequenz dieser Ver­schiebung ist eine tief greifende Spaltung unserer Gesellschaft, verbunden mit einem Verlust von Ve­r­ant­wor­tungs­gefühl. Die Elite fordert immer neue Opfer von der unteren Klasse und vergisst dabei völlig, dass Löhne nicht nur Kosten sind, sondern auch die Vo­raus­set­zung für die Nachfrage. Freiheit und Moral stehen nicht mehr unter dem Oberbegriff der Gemein­schaftlichkeit, sondern haben sich immer mehr voneinander abgekoppelt. Die Er­run­gen­schaften der modernen Technik erleichtern zwar tatsächlich unser Leben. In der Summe, in dem Geist, der dahin­ter­steckt, bewegen sie uns jedoch in die falsche Richtung.

Autos und „Heuschrecken“

Lässt sich Prof­it­streben mit ethischem Handeln vereinbaren? Ja, aber leider gelingt das noch zu selten. Nehmen wir als Beispiel die Au­to­mo­bilin­dus­trie. Vor allem deutsche Autobauer haben sich in „Grünen Papieren“ und „Selb­stverpflich­tun­gen“ gegenseitig überboten. Her­aus­gekom­men ist dabei nichts. Ging es ums Geschäft, wurden diese Ab­sicht­serklärungen rasch über Bord geworfen. Andere Au­to­mo­bilkonz­erne wie Renault und Toyota haben dagegen konsequent auf Sprit sparende, umweltscho­nende Motoren gesetzt und können jetzt die Früchte ihrer Bemühungen ernten.

„Das Wesen des Fortschritts besteht nicht so sehr in Ra­tio­nal­isierung, Beschle­u­ni­gung, Qualitätsverbesserung usw. Das Wesen des Fortschritts ist eher darin zu suchen, was all die fortschre­i­t­en­den Er­run­gen­schaften mit uns gemacht haben und bis heute mit uns machen.“

Im Unterschied dazu hat in der Fi­nanzwirtschaft eine Raubtier­men­talität Einzug gehalten, an der sich die als „Heuschrecken“ verrufenen Fi­nanz­in­ve­storen, aber auch staatliche oder regionale In­sti­tu­tio­nen beteiligen. Beispiel Nokia: Das finnische Mo­bil­funkun­ternehmen errichtete 1994 ein Werk in Bochum, nachdem vom Bund und dem Land Nor­drhein-West­falen knapp 90 Millionen Euro an Sub­ven­tio­nen zugesichert worden waren. Das Ende vom Lied: 2008 entschloss sich Nokia, den hoch­prof­itablen Standort nach Rumänien zu verlagern. Ziel: die Erhöhung der Gewinnmarge von 17 auf 20 %.

Banker in der Scheinwelt

Die wenigsten Fi­nanz­in­ve­storen sind Killertypen vom Schlag eines Gordon Gekko aus Oliver Stones Film Wall Street. Auch in dieser Branche finden sich viele ehrbare und ve­r­ant­wor­tungsvolle Familienväter. Das Problem ist jedoch, dass sie zu lange in Schein­wel­ten leben. Nur mit diesem weit ver­bre­it­eten Mangel an Bo­den­haf­tung, einer gewissen narzis­stis­chen Selbstüberschätzung und einem fehlgeleit­eten Risikoin­stinkt lässt sich ein Desaster wie die 2008 entstandene Bankenkrise erklären. Dass der Weg an die Spitze aber nicht zwangsläufig in eine Scheinwelt münden muss, sieht man etwa an Muhammad Yunus, dem Frieden­sno­bel­preisträger und Gründer der ersten Mikrokred­it­bank der Welt. Sein Beispiel zeigt, dass soziale Ve­r­ant­wor­tung ein hohes Maß an Wertschöpfung erzeugen kann.

Macht­miss­brauch der Elite

In keinem anderen Land der Welt ist das Misstrauen gegenüber Managern so groß wie in Deutschland. Ihr Image wurde in jüngster Ver­gan­gen­heit noch weiter ramponiert. In dem Maß, in dem eine Gesellschaft die Werte Gleichheit und Gerechtigkeit verrät, gerät ihr inneres Gle­ichgewicht ins Wanken, und wir erreichen die Zustände, die Karl Marx als Endstufe des Kap­i­tal­is­mus beschrieben hat. Vorstände ohne Anstand haben dieser Situation Vorschub geleistet, z. B. Peter Hartz, der Mitglieder des VW-Be­trieb­srats mit fi­nanziellen Zuwendungen und Luxusreisen gefügig gemacht hat. Oder Klaus Zumwinkel, der zwar die Deutsche Post zu einem modernen, weltweit führenden Lo­gis­tikun­ternehmen umgebaut hat, dessen Steuersünden aber von Ve­r­ant­wor­tungslosigkeit zeugen. Mit dem Glaubwürdigkeitsver­lust der wirtschaftlichen und politischen Eliten erleidet die Demokratie in Deutschland einen großen Schaden. Mit­tler­weile ist die stärkste Partei jene der Nichtwähler geworden, was für ein tief greifendes Misstrauen gegenüber der Integrität unserer politischen Instanzen spricht. Auch dort koppelt sich die Elite von den Normalbürgern ab, beklagt einerseits den Mangel an Eigen­ver­ant­wortlichkeit, nutzt aber ihre Macht oft dazu, um in die eigene Tasche zu wirtschaften.

China: die autoritäre Her­aus­forderung

Neben diesen haus­gemachten Problemen gibt es Her­aus­forderun­gen von außen, denen es zu widerstehen gilt. So macht ein neuer, staatlich verordneter Kap­i­tal­is­mus der Demokratie zu schaffen. Nirgendwo zeigen sich dessen Stärken und Schwächen so ex­em­plar­isch wie am Beispiel Chinas. Der Grund für Chinas hohes Wirtschaftswach­s­tum in den vergangenen Jahren ist die Geschwindigkeit, mit der dort ökonomisch relevante Entschei­dun­gen getroffen werden. In demokratis­chen Staaten dauert es oft Jahre, bis eine Entschei­dung den Marsch durch die In­sti­tu­tio­nen bewältigt hat. Vorbilder aber sind Staaten wie China nicht. Nicht nur lässt ihr Mangel an Grun­drechten und ethischen Prinzipien keinen Raum für die Freiheit des Individuums, die Umweltver­schmutzung in vielen chi­ne­sis­chen Großstädten als Folge einer rigorosen Plan­wirtschaft gefährdet auch die Gesundheit ihrer Bewohner massiv.

Eingebildet und ungebildet

Dass wir gut aus­ge­bildete und ve­r­ant­wortlich handelnde Eliten brauchen, daran besteht kein Zweifel. Fraglich ist allerdings der Weg, der dahin führt. Die entschei­den­den Probleme und Hindernisse liegen in der Eliten­bil­dung. So wurde in Deutschland in den vergangenen Jahren eine Reihe von Management- oder Busi­ness-Schulen gegründet, in denen zukünftige Eliten gefördert werden sollten. Kreatives Denken und ve­r­ant­wortliches Handeln kommen jedoch in den Lehrplänen deutlich zu kurz. Zudem wird als Vo­raus­set­zung für den Erfolg immer noch Leistung gepriesen. Die Realität sieht oft anders aus. Natürlich ist die Leistungsfähigkeit ein wesentlicher Faktor auf dem Weg nach oben, entschei­dend für den Erfolg aber ist sie nicht: Viel wichtiger ist immer noch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse: zum gehobenen Bürgertum.

Klasse­nun­ter­schiede sind real

Die Kritik an den exorbitant steigenden Man­age­ment­gehältern ist durchaus berechtigt. Allein zwischen 2002 und 2007 sind die Gehälter der DAX-Vorstände um rund 80 % gestiegen, während im selben Zeitraum das Gehalt des Durch­schnittsver­di­eners gleich geblieben und seine Kaufkraft damit faktisch zurückgegangen ist. Diese Diskrepanz beruht wohl kaum auf einer realen Leis­tungssteigerung der einen zuungunsten der anderen Gruppe. Zumal Vorstände das Geld ihrer Unternehmen nicht allein, sondern gemeinsam mit ihren Mi­tar­beit­ern er­wirtschaften. Ein Beispiel: Der Durch­schnittsver­di­ener bei Springer verdient ein Brut­to­ge­halt von 3000 € monatlich. Der Vorstand kommt dagegen auf das 111-Fache. Dies ve­r­an­schaulicht, dass die Schere zwischen Arm und Reich in unserem Land au­seinan­dergeht. Darum ist es nicht nur aus ökonomischen Gründen konsequent, über Mindestlöhne nachzu­denken, es ist sogar ein Gebot ve­r­ant­wortlichen Handelns.

Von der „Egonomie“ zur Ökonomie

Ist der Markt ein alles ver­schlin­gen­des Monster? Zerstört der Kap­i­tal­is­mus zwangsläufig die Grundlagen unserer Gesellschaft? Sicher nicht. Was wir heute erleben, ist nicht die Ökonomisierung der Gesellschaft, sondern deren „Egonomisierung“. Der Kap­i­tal­is­mus hat uns eine Epoche historisch einmaligen Wohlstands beschert. Er ist aber nicht dafür zuständig, uns glücklich zu machen. Er soll nur die Vo­raus­set­zun­gen dafür schaffen, dass es uns gut geht. Ist er dazu nicht mehr in der Lage, wird er of­fen­sichtlich zweck­ent­fremdet.

„Eine radikalisierte Freiheit, auf dem Markt wie anderswo, führt zu Dys­funk­tio­nen, weil sie die Grundlagen des Miteinan­ders beschädigt – und damit die Vo­raus­set­zun­gen der Eudaimonia, des guten Lebens, missachtet.“

Ebenso bedrohlich wie ein falsches Kap­i­tal­is­musverständnis ist der Missbrauch des Begriffs „Glob­al­isierung“ für eine Art Su­perkap­i­tal­is­mus. Es ist fraglich, ob das, was heutzutage in der Welt geschieht, wirklich ökonomischen Gesetzmäßigkeiten gehorcht oder einfach nur zu einer weiteren Konzen­tra­tion von Macht und Kapital drängt. Beispiel Indonesien: Durch die Asienkrise und die folgenden Kred­i­tau­fla­gen des In­ter­na­tionalen Währungsfonds (IWF) und der Welthandel­sor­gan­i­sa­tion (WHO) ist hier ein auf­streben­der En­twick­lungsstaat fast schon planmäßig in seinen wirtschaftlichen Strukturen zerstört worden.

„Was für die All­ge­mein­heit das Beste ist, ist letztlich auch das Beste für ein ve­r­ant­wortlich agierendes Unternehmen.“

Geradezu desaströse Folgen hat die Glob­al­isierung, wie sie derzeit betrieben wird, für die Nahrungsmit­tel­pro­duk­tion und -dis­tri­b­u­tion auf dem Weltmarkt. Mit großzügiger Sub­ven­tion­spoli­tik haben die in­dus­tri­al­isierten OECD-Staaten die Binnenmärkte vieler afrikanis­cher Staaten zerstört. Millionen von Menschen sind dadurch in Hungersnot geraten. Die Tatsache, dass viele afrikanis­che Staaten von ihren eigenen Regierungen durch Korruption und Vet­tern­wirtschaft zugrunde gewirtschaftet werden, darf uns nicht daran hindern, uns diesem Problem zu stellen. Eine wichtige zukünftige Her­aus­forderung ist die Verteilung der weltweiten Wasser­res­sourcen. Diese sind zwar ausreichend vorhanden, aber regional sehr ungleich verteilt. So lebt ein großer Teil der Weltbevölkerung in Regionen mit starkem Wasser­man­gel (Afrika, Naher Osten, Westasien), was die Armut dort verschärft.

Von der Glob­al­isierung zur Lokalisierung

Glob­al­isierung ist keine Einbahnstraße. Viele der heutigen Probleme lassen sich letztlich nur auf regionaler Basis lösen. Unternehmen, die momentan noch auf der Suche nach Lohnkosten­vorteilen um den Globus vagabundieren, werden demnächst an ihren alten Standort zurückkehren. Beschle­u­nigt wird dieser Prozess dadurch, dass die Kosten für Transport und Logistik in Zukunft weiterhin steigen werden. Auch Energie wird vermehrt wieder dort generiert werden, wo man sie braucht.

Treibstoff der Zukunft

Erneuerbare Energien sind auf dem Vormarsch, daran wird auch das kurzfristige Prof­it­denken in den Vor­stand­se­ta­gen der großen Konzerne nichts ändern. Die Ölressourcen sind begrenzt, selbst neue Funde wären nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Nutzung anderer En­ergiequellen wie Sonnen- oder Windenergie wird permanent weit­er­en­twick­elt. Beispiel­sweise deckt in Brasilien der Anteil von Biosprit bereits mehr als 40 % des gesamten Treib­stoff­be­darfs. Man sollte aber nicht die Fehler der Ver­gan­gen­heit wiederholen und alles auf eine einzige Ressource, auf einen Treibstoff setzen. An dieser Stelle ist der Gesetzgeber gefordert. Nur klare Vorgaben zwingen die Unternehmen zum Handeln. Grün gefärbte Ab­sicht­serklärungen haben sich dagegen in der Ver­gan­gen­heit als wenig effektiv erwiesen.

Rendite und Ve­r­ant­wor­tung

Worin liegen die Gemein­samkeiten derjenigen Unternehmen, die Rendite und soziale Ve­r­ant­wor­tung, ökonomische Effizienz und Umwelt­be­wusst­sein miteinander in Übere­in­stim­mung bringen? Es sind drei Dinge:

  1. Gewinnstreben und Gewissen harmonieren miteinander und schaffen damit die Grundlage für langfristi­gen wirtschaftlichen Erfolg.
  2. Auffällig viele dieser Unternehmen sind inhabergeführt.
  3. Der Blick ist auf das Unternehmen und sein Umfeld gerichtet. Der ökonomische Betrieb wird als Teil eines komplexen Austauschs mit der Umwelt betrachtet.

Über den Autor

Daniel Goeudevert ist Lit­er­atur­wis­senschaftler und war Topmanager bei Citroën, Renault, Ford und Volkswagen, bevor er sich auch als quer­denk­ender Buchautor einen Namen machte.