Schaffen Konzerne Mehrwert?
Rund 90 % der deutschen Aktiengesellschaften sind Konzerne oder in konzernähnliche Strukturen eingebunden. Umso berechtigter ist die Frage, ob ein Konzernverbund tatsächlich effizienter ist, als seine einzelnen Tochterunternehmen es für sich allein wären. „Synergien schaffen“ mag eine inflationär verwendete Parole sein, doch sie benennt tatsächlich die Hauptaufgabe des Konzernmanagements. Umgangssprachlich wird vom „2 + 2 > 4“-Effekt gesprochen: Es geht darum, die Zusammenarbeit der Konzerntöchter derart zu verbessern oder zu intensivieren, dass sie als Ganzes mehr Wert generieren als ihre einzelnen Bestandteile. Nutzung und Steuerung von Mehrwertstrategien sind in der Praxis alles andere als einfach. Die entscheidende Frage lautet: Wo genau stecken die viel beschworenen Mehrwertpotenziale?
Synergiepotenziale aufdecken
Unter dem Dach des Konzernverbunds profitieren die einzelnen Unternehmen von der Möglichkeit, firmenspezifische Kompetenz- und Ressourcenbündel entwickeln und anbieten zu können. Das Zusammenspiel der einzelnen Tochterunternehmen macht den Wert ihrer Dienstleistungen und Produkte aus. Häufig sind derartige Know-how- und Ressourcenansammlungen die Grundlage von Wettbewerbsvorteilen. Um sie zu nutzen, muss das Konzernmanagement seinen Blick nicht nur auf die rein organisatorischen Herausforderungen richten, sondern vor allem auf die vorhandenen Ressourcen.
„Konzernzentralen können Wert schaffen, viel häufiger jedoch vernichten sie Wert.“
Kollektive und öffentlich nutzbare Ressourcen („Corporate Commons“) sind die wichtigste Quelle von Mehrwertpotenzialen. Bereits vor über zwei Jahrhunderten prägten Wirtschaftsökonomen das Prinzip der „unsichtbaren Hand“ des freien Marktes, dem zufolge ein Ressourcenaustausch automatisch zum Besten der Beteiligten über die Bühne gehe. Heute sieht man das differenzierter, um nicht zu sagen anders: Eine „sichtbare Hand“ – nämlich die des Konzernmanagements – sorgt dafür, dass innovative Ressourcen und Kompetenzen gebündelt werden. Darin besteht der wesentliche Mehrwert erfolgreicher Konzerne.
Schützen Sie Ihre Ressourcen
Analysieren Sie Ihre Ressourcen genau – vom Realkapital über das Humankapital bis hin zum organisatorischen Kapital. Gibt es z. B. wichtige Know-how-Träger, die das Unternehmen verlassen und zur Konkurrenz wechseln könnten? Welche Ressourcen sind nicht handel- und auch nicht verschiebbar? Äußerst schwer oder überhaupt nicht imitieren lassen sich Ressourcen, die in der Unternehmenshistorie selbst begründet sind, etwa eine über Jahre aufgebaute Unternehmenskultur oder maßgeschneiderte Mitarbeiterausbildungen. Hier lohnen sich Investitionen. Je leichter eine Ressource jedoch ersetzbar ist, desto schwieriger ist es, sich mit ihrer Hilfe einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Zentralisierung oder Autonomie?
Wenn es um die Aufgabenverteilung und die Gewährung von Entscheidungsbefugnissen innerhalb des Konzerns geht, schwankt das Management oft hin und her: Mehr Zentralisierung? Oder doch mehr Autonomie für die einzelnen Konzerntöchter? Die Vorteile der Zentralisierung: Entscheidungen fallen konsistenter aus, und auch übergeordnete Belange werden berücksichtigt. Die Nachteile: Es kann sein, dass sich die Zentrale überlastet oder dass sich einzelne Konzernteile übergangen fühlen und die Motivation der dort Beschäftigten leidet.
„Ein Konzern schafft dann Mehrwert, wenn die beiden Dimensionen Einfluss der Leitung und Verwandtschaft der Teileinheiten aufeinander abgestimmt werden.“
Auch für die Dezentralisation gibt es Pro und Contra: Positiv ist, dass durch sie Entscheidungsprozesse verkürzt werden, dass mit unnötiger Bürokratie aufgeräumt wird, dass das Unternehmertum gefördert wird und dass dank lokal verankertem Wissen flexibel auf Marktveränderungen reagiert werden kann. Die Kehrseite: Es kann sein, dass konzernweite Ressourcen- und Marktpotenziale nur ungenügend oder gar nicht ausgeschöpft werden. Oft denken einzelne Einheiten nur noch an sich und entwickeln kein Bewusstsein für übergeordnete Probleme des Konzerns.
Das Beispiel HP
Um die richtige Balance zwischen Zentralisation und Dezentralisation zu halten, müssen Sie sich die Autonomie- und Abstimmungskosten vor Augen halten. Ein Praxisbeispiel, aus dem man wegen seiner jahrzehntelangen bewegten Geschichte sehr gut lernen kann, ist der weltweit tätige IT-Konzern Hewlett-Packard, der seit seiner Gründung 1939 mehrmals die gesamte Organisation restrukturierte. Stets ging es dabei um die Frage nach mehr Zentralisierung oder mehr Autonomie. Im Lauf der Jahre zeigte sich immer wieder aufs Neue, dass weder eine zentralisierte noch eine dezentralisierte Struktur per se richtig oder falsch war – stattdessen muss die Konzernstruktur laufend überprüft und an aktuelle Anforderungen angepasst werden.
„Die gemeinsame Erzeugung, Teilung und Nutzung der Ressourcenbasis ist der Schlüssel zur Realisierung des Mehrwertpotenzials. Die Konzernmutter hält ihn in der Hand.“
HP-Chef Mark Hurd, der 2005 ins Amt kam, versuchte es mit einer „Re-Fusion“: Er hob die Matrixorganisation seiner Vorgängerin Carly Fiorina wieder auf, entflocht einzelne Einheiten und sorgte dafür, dass jeder Bereich alle Kompetenzen hatte, die er brauchte, um seine Geschäfte eigenverantwortlich zu führen. Gleichzeitig setzte er einen Vorstand ein, der die Vertriebsorganisation koordinieren und einheitliche Ansprechpartner für die Kunden schaffen sollte. Hurds Vision: HP als Anbieter maßgeschneiderter Gesamtsystemlösungen zu etablieren.
Verschiedene Mehrwertdimensionen
Es gibt grundsätzlich zwei Dimensionen, in denen ein Konzern Mehrwert schaffen kann: Entweder ist das Mehrwertpotenzial im Einfluss der Konzernleitung auf die Teileinheiten zu suchen (organisatorische Dimension) oder aber in einer Verwandtschaft zwischen den Teileinheiten (Ressourcendimension). Der bekannte Luxusgüterkonzern Gucci ist das Beispiel für ein Unternehmen mit hohem Planungseinfluss. Die Konzernleitung übt eine starke Kontrolle über ihre Tochterfirmen Yves Saint Laurent, Stella McCartney u. a. aus. Das Gegenteil ist bei der britischen Virgin Group der Fall, deren Töchter aus ganz verschiedenen Branchen wie Mobilfunk, Tourismus oder Musik kommen und außer dem gemeinsamen Markennamen keiner erkennbaren Einwirkung der Konzernmutter unterliegen. Ein gutes Beispiel für Ressourcenverwandtschaft ist der Disney-Konzern: Die einmal entwickelten Film- oder Comicfiguren können auch im Vertrieb von Kleidung, Spielzeug und dergleichen verwendet werden.
Drei Mehrwertstrategien
Je nachdem, in welcher Dimension das Konzernmanagement tätig werden will, sind verschiedene Mehrwertstrategien angezeigt. Drei der wichtigsten sind: Intrapreneurship, Spezialisierung und Synergiemanagement.
- Intrapreneurship: Hier wird versucht, den Einfluss der Konzernleitung zu minimieren, weshalb man auch von einer Strategie des internen Markts spricht. Mehrwert entsteht durch die Summe der Einzelwertbeiträge; die Konzernmutter beschränkt sich auf die finanzielle Kontrolle, obligatorische Managementaufgaben und mögliche Verbesserungen innerhalb ihrer Tochtergesellschaften.
- Spezialisierung: Hier geht es um eine Konzentration funktionaler Aufgabenbereiche in Form von Shared-Service- oder Kompetenzzentren. Die Konzernleitung übt eine strategische Kontrolle aus und ermöglicht ihren Teileinheiten die gemeinsame Nutzung von Ressourcen. Mehrwert entsteht durch Größen-, Verbund- und Transfereffekte. Beispiele dafür sind das gemeinsame Filialnetz der Deutschen Post oder die Plattformstrategien der meisten Autobauer: Verschiedene Modelle teilen sich dieselben Komponenten.
- Synergiemanagement: Durch die Zusammenarbeit der Teileinheiten kann Mehrwert in Form von Kooperationseffekten generiert werden, die im besten Falle superadditiv sind, d. h. die Summe ist größer als ihre Bestandteile. Dazu muss die Konzernleitung strategisch planen, zusätzliche Managementaufgaben übernehmen und Ressourcenverwandtschaften ausloten. Ein erfolgreiches Beispiel einer die Teileinheiten übergreifenden, koordinierten Synergiestrategie ist der US-amerikanische IT- und Beratungskonzern IBM.
Kollektivressourcen steuern
Dass die komplette Belegschaft geschlossen an einem Strang zieht, nur weil Sie als Konzernmanager eine bestimmte Strategie ausgeben, sollten Sie besser nicht erwarten. Stattdessen müssen Sie sich mit dem sozialen Dilemma befassen, dass individuelle Rationalität nicht automatisch zu kollektiver Rationalität führen muss. Anders ausgedrückt: Wo immer es um öffentlich verfügbare Ressourcen geht, werden Sie das „Trittbrettfahrerproblem“ in den Griff kriegen müssen. Trittbrettfahrer sind entweder Drückeberger, die nichts zum Gesamtergebnis beitragen, oder Individuen, die mehr konsumieren, als ihnen eigentlich zustünde. Dieses Problem kennen Sie von einzelnen Mitarbeitern, aber es gilt genauso auf Konzernebene, d. h. unter den einzelnen Teilunternehmen. Sorgen Sie für klare Verhältnisse, indem Sie Ihre Konzernressourcen in öffentliche Ressourcen sowie Pool- und Club- Ressourcen aufteilen und entsprechende Nutzungsbedingungen festlegen:
- Poolressourcen: Dabei kann es sich z. B. um Personaldienstleistungen oder IT-Services handeln, die gemeinsam genutzt werden können. Hier besteht sowohl das Problem einer möglichen Übernutzung als auch jenes, dass man Teileinheiten kaum vom Gebrauch ausschließen kann. Die Konzernleitung kann dem nur durch die Festlegung von Verrechnungspreisen entgegenwirken. Aber Achtung: Wenn der Preis als zu hoch wahrgenommen wird, kann eine durch die Preisfestsetzung auferlegte Zugangsbeschränkung eine ansonsten mögliche Übernutzung der Poolressource in eine Unternutzung umkehren, was sicher nicht erwünscht ist.
- Clubressourcen: Dazu zählen etwa Fachkenntnisse, erworbene Best Practices oder ganze Teams oder Stäbe. Auch hier kann es Probleme geben. So ist z. B. eine „Outputsteuerung“ durch Anweisungen und Verordnungen der Konzernleitung nicht möglich, da Expertenteams nicht gezwungen werden können, ihr Fachwissen wirklich weiterzugeben.
- Öffentliche Ressourcen: Hier sind Nutzungsrestriktionen nicht möglich. Typische Beispiele sind über Jahre hinweg aufgebaute Beziehungen zu Interessengruppen oder die erworbene Konzernreputation. Der Nutzerkreis ist weder genau identifizierbar noch eingrenzbar, woraus sich Konflikte zwischen individuellen und kollektiven Interessen ergeben können. In diesem Fall hilft nur die Überzeugungsarbeit des Konzernmanagements, das die nachgeordneten Einheiten zu einem gemeinsamen Handeln bewegen muss, sodass schließlich jede Einheit einen Beitrag zum Kollektivgut leistet.
Prof. Dr. Jetta Frost hat den Lehrstuhl für Organisation und Unternehmensführung an der Universität Hamburg inne. Prof. Dr. Michèle Morner ist Inhaberin des Reinhard-Mohn-Stifungslehrstuhls für Unternehmensführung, Wirtschaftsethik und Gesellschaftlichen Wandel an der Universität Witten/Herdecke.