Die Fortschritte der Informationstechnologie und die schnelle Verbreitung des Internets haben auf dem Gebiet der Wirtschaft einen Strukturwandel eingeleitet, dessen Ausmasse noch gar nicht recht absehbar sind. Die traditionellen, auf Unternehmen des Industriezeitalters zugeschnittenen Orientierungen stimmen nicht mehr; die Grundkategorie der Ökonomie, der Begriff des Wertes, erhält eine neue Bedeutung. An den Dimensionen Markt, Produkt und Organisation werden diese Veränderungen besonders augenfällig. Um Ihr Unternehmen erfolgreich in das Zeitalter der digitalen Wirtschaft zu führen, müssen Sie diesen Hintergrund verstehen. Dann können Sie mit den Vorbereitungen beginnen, Ihr Unternehmen auf die Anforderungen der Neuen Ökonomie auszurichten, und können konkrete Massnahmen ins Auge fassen.
Vom Markt zum Netzwerk
Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage war jahrhundertelang das eherne Gesetz des Marktes. Markterfolg erreichte ein Unternehmen entweder dadurch, dass es Produkte anbot, die sich deutlich von denen der anderen Wettbewerber abhoben, oder dadurch, dass es Produkte zu besonders günstigen Preisen an den Markt brachte. Teil dieser Strategie war es, durch möglichst viele Eintrittsbarrieren andere Wettbewerber von einem Markt fern zu halten. So hatten kleine Unternehmen kaum eine Chance, die durch Mengenvorteile erzielten Preise von grossen Unternehmen unterbieten zu können. Genauso waren Standortvorteile oder vertraglich ausgehandelte Wettbewerbsvorteile, wie z. B. der Gebietsschutz, bewährte Methoden der Wettbewerbskontrolle.
„Mit unserem Eintritt in das Zeitalter der digitalen Wirtschaft müssen wir die Denkweisen und Managementinstrumente des 20. Jahrhunderts zurücklassen und das 21. Jahrhundert endgültig leben.“
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts kam Effizienz als Wettbewerbsvorteil hinzu: Durch Rationalisierungsmassnahmen, wie z. B. das Fliessband oder ab etwa 1980 der Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung, konnten weitere Kosteneinsparungen erzielt werden. Zu Beginn der 90er Jahre erreichten die durch den Einsatz der Informationstechnologie geschaffenen Produktivitätssteigerungen ein Niveau, demgegenüber die traditionelle Beschreibungsform, für die niedrige Kosten als der primär wertschaffende Faktor gelten, zu kurz greift. Der Einsatz der modernen Informationstechnologie bringt eine Wertschöpfung ganz neuer Art hervor. Die so genannte digitale Wertschöpfungskette schafft Mehrwert nicht über Volumen oder Kosteneinsparungen, sondern durch Anwendung von Informationen bzw. Wissen. Nicht nur ist es durch den Einsatz der modernen Informationstechnologie möglich, Herstellung und Verteilung von materiellen Produkten zu beschleunigen, es entstehen auch ganz neue Formen der Zusammenarbeit mit Lieferanten, mit Marktforschungsunternehmen und mit den Kunden selbst. Diese digitalen Wertschöpfungsnetzwerke bestehen im Wesentlichen aus drei Komponenten:
- Elektronisch vernetzte Prozesse ermöglichen hocheffiziente Geschäftsbeziehungen zwischen den Herstellern, Lieferanten und Kunden, die sehr viel dynamischer sind als die traditionelle Versorgungskette;
- gemeinsame digitale Plattformen bzw. Technologie-Standards erlauben es, sämtliche Geschäftsvorgänge digital und damit schneller und effizienter als bisher durchzuführen;
- so genannte Infomediäre stellen über die Sammlung von Metadaten verschiedene Funktionen zur Verfügung, die den Austausch von Information allgemein verbessern und damit die Wirksamkeit des Netzes erhöhen.
„Jede Organisation muss sich im digitalen Zeitalter verändern.“
Das Ziel jedes zukunftsträchtigen Unternehmens muss es sein, Teil einer digitalen Wertschöpfungskette, besser noch Teil eines Wertschöpfungsnetzwerkes zu sein. Auf dem Weg dorthin sind Schritte, die Entwicklungsmöglichkeiten offen lassen, eher anzuraten als voreilige Festlegungen. Versuchen Sie zunächst, im Markt Erfahrungen zu machen, bauen Sie erste Beziehungen auf und halten Sie Ausschau nach möglichen Partnern. Parallel dazu müssen Sie die technischen Voraussetzungen für ein digitales Netzwerk schaffen. Während dieser Sondierungsphase sollten Sie sich an drei leitenden Vorstellungen orientieren:
- Einer der wichtigsten Bausteine digitaler Wertschöpfungsnetzwerke ist der elektronische Handel, der E-Commerce. Wählen Sie Ihre individuelle Eintrittsstrategie für diese wichtige E-Anwendung. Als traditioneller Grosshändler der Autobranche etwa könnten Sie versuchen, sich stärker als bisher auf das elektronisch unterstützte Beliefern von Ersatzteilen zu verlegen. Als Händler dagegen wäre es aussichtsreich, sich darauf zu konzentrieren, Infomediär-Dienste aufzubauen, z. B. Service-Angebote auf die Nachfrage abzustimmen oder Dienstleistungen und potenzielle Abnehmer zusammenzubringen.
- Finanzieren Sie erste Netzwerkaktivitäten über Einsparungen. Kosten können schon dadurch reduziert werden, dass die Geschäftspartner elektronisch statt über die herkömmlichen Medien miteinander kommunizieren. Gelingt es Ihnen, einen ganzen Posten aus der klassischen Versorgungskette herauszuschneiden, z. B. einen personengesteuerten Auskunftsservice durch eine von Kunden online benutzbare Datenbank zu ersetzen, so ist die Einsparung besonders hoch.
- Einer der grössten Vorteile, die ein digitales Wertschöpfungsnetzwerk bietet, ist die Möglichkeit, verstärkt Kundendaten zu sammeln und detailliert auswerten zu können. Nutzen Sie dieses ungeheure Potenzial, das letztlich den Umsatz Ihres Unternehmens steigern wird.
Das neue Produkt
Waren es in der frühen Tauschgesellschaft Überlebenswerte, die ein Produkt wertvoll gemacht haben, so folgten in der Wertskala bald Bequemlichkeit, Streben nach Statusdemonstration und schliesslich ästhetische und im Bereich des subjektiven Geschmacks liegende Kriterien. Durch die neue Informationstechnologie, insbesondere durch das Internet werden neue Kriterien wichtig, sind neue Wert-Treiber hinzugekommen, die inzwischen mindestens genauso wichtig sind wie die traditionell geschätzten Produkteigenschaften. Es handelt sich im Wesentlichen um zwei Grössen: um den Faktor Zeit und um den inhaltlichen Produktnutzen, den so genannten Content.
„Im Zeitalter der digitalen Wirtschaft verlagert sich im Handel das Gleichgewicht der Macht unaufhaltsam auf den Verbraucher. Die meisten Märkte sind längst reine Käufermärkte.“
Der moderne Verbraucher ist zeithungrig. Er möchte für das Einkaufen oder Bestellen von Waren nicht viel Zeit aufwenden, er möchte nicht lange warten, bis er ein bestelltes Produkt in Händen hält, und er honoriert in der Regel alle Konzepte, die ihm helfen, im täglichen Leben Zeit einzusparen. Produkte und Dienstleistungen, die diesem Bedürfnis entgegenkommen, bieten dem Kunden Zeit-Wert. Anbieter von Konsumgütern oder Dienstleistungen sollten sich darauf einstellen, dass mit Hilfe des Zeit-Wertes Premiumpreise am Markt zu erzielen sind.
„Heute treffen die Verbraucher die Entscheidungen, und diese Entscheidungen sind abhängig von einer Reihe von Faktoren, die sich unter dem Schlüsselbegriff ‚Wert’ zusammenfassen lassen.“
Der wichtigste neue Wert-Treiber ist der inhaltliche Produktnutzen, der Content. Durch die Fortschritte der Informationstechnologie, insbesondere durch die damit gegebene Möglichkeit der Massenspezialisierung, werden in Zukunft immer mehr Produkte zwei Dimensionen aufweisen. Zum einen verfügt ein Produkt über eine spezifische Funktion, z. B. als Uhr über die Funktion, die Zeit zu messen. Darüber hinaus kann das Produkt Uhr aber auch ein digitales Werkzeug sein, etwa durch einen integrierten Kompass oder eine Datenbank. In seiner Zeitmessfunktion ist das Produkt Uhr ein Container, eine Verpackung für einen Inhalt, einen Content, der die grundlegende Funktionalität der Uhr verändert. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die Getreidesilos im Mittelwesten der USA oder in Zentral-Frankreich. Hatte ein Silo um 1960 noch ausschliesslich die Funktion, Getreide zu lagern, so ermöglichen es digitale Netzwerke heute, die Lagerhaltung mit dem Bedarf ganzer Supermarktketten abzustimmen.
„Die neue interaktive Rolle, die Verbraucher in der digitalen Wirtschaft im Hinblick auf den Ablauf der Produktentwicklung und Qualitätsverbesserung spielen werden, wird heute noch vielfach unterschätzt.“
In Zukunft werden immer mehr Produkte die Qualifizierung "Verpackung plus Inhalt", also das Container-Content-Verhältnis aufweisen. Als Unternehmensleiter müssen Sie feststellen, wie Ihre Produkte oder Dienstleistungen in dieses Paradigma passen und welche Art von Koalition Sie mit anderen Unternehmen eingehen müssen, um gewinnbringende Container-Content-Kombinationen zu schaffen.
Die wertbasierte Organisation
Die Form eines Unternehmens hängt wesentlich von den jeweils verfügbaren Techniken zur Koordinierung von Arbeitsabläufen, Kapitalflüssen und Wegen der Materialbeschaffung ab. Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglicht und verlangt andere Organisationsmodelle als die zentralistisch-hierarchische Form, die für die Unternehmen des Industriezeitalters typisch ist.
„Schon seit mindestens zehn Jahren ist den meisten Unternehmen und Top-Managern klar, dass wir mit den hierarchischen Organisationen des zwanzigsten Jahrhunderts in Zukunft nur noch sehr wenig anfangen können.“
Bedenkt man, dass der wichtigste Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens in der digitalen Wirtschaft die Fähigkeit ist, aus vorhandenem Wissen möglichst rasch neues Wissen zu erzeugen, dass Wertschöpfung, dass Mehrwert hier v. a. durch die Anwendung von Informationen und Wissen erreicht wird, dann liegt es auf der Hand, dass die Netzwerkstruktur die einzig angemessene Organisationsform für Unternehmen der digitalen Wirtschaft ist. Nur die Netzwerkstruktur erlaubt, dass jeder Mitarbeiter sich so weit mit dem Unternehmen identifiziert, dass er günstige Gelegenheiten nicht nur erkennt, sondern auch nutzt. Netzwerkstrukturen kommen mit viel weniger Kontrolle aus als hierarchische Strukturen, weil Verantwortung nicht delegiert, sondern gezielt verteilt wird. Wenn sich ein so organisiertes Unternehmen einer neuen Herausforderung stellen muss, kann es leicht ein funktionsübergreifendes Team bilden, das sich schnell in die neuen Aufgaben einarbeitet.
„Anstelle des freien Spiels der Kräfte tritt in der digitalen Wirtschaft das Netzwerk.“
Ideal wäre es, wenn die Netzwerkstruktur so konsequent entwickelt würde, dass ein Unternehmen sich auch der Unterstützung anderer Unternehmen versichern könnte. Damit ist nicht eine Form des Outsourcings im herkömmlichen Sinne gemeint. Im wertbasierten Netzwerk soll vom jeweiligen Unternehmen nur das ausgeführt werden, was dieses Unternehmen besser und günstiger beitragen kann als die Kooperationspartner. Es geht darum, die eigene wertschöpfende Kernkompetenz zu erkennen und zu fördern und die Kernkompetenzen der anderen Unternehmen für die eigenen Zwecke einzusetzen.
„Digitale Wertschöpfungs-Netzwerke sind die Schlüsselakteure in effizienten Märkten.“
Für eine wertschöpfende Kernkompetenz sind drei Merkmale charakteristisch:
- Sie muss einmalig sein, sich also wesentlich unterscheiden von dem, was andere Unternehmen an gleicher Stelle und unter gleichen Bedingungen machen;
- sie muss übertragbar und in neuen Kontexten einsetzbar sein;
- sie muss einen Kundennutzen hervorbringen, der vom Kunden auch als solcher erkannt wird.
„Wertbasierte Organisationen sind praktisch anzusehen wie LegoTM-Steine, die auf jede erdenkliche Art und Weise zusammengesetzt werden können.“
Eine solche Kernkompetenz kann niemals von bestimmten Personen abhängen. Vielmehr muss sie so mit dem Unternehmen bzw. dem Netzwerk verwachsen sein, dass auch ein Personalwechsel oder ein Technologiesprung das Potenzial dieser Kompetenz nicht verringert. Die Identifizierung von Kernkompetenzen ist eine anspruchsvolle Aufgabe und in der Regel nur von neutralen Experten zu bewältigen. Es gibt zahlreiche Beispiele von Unternehmen, die jahrelang irrige Meinungen über ihre Kernkompetenz vertraten.
„Wer im digitalen Marktgeschehen weiterkommen will, muss die Technologie unmittelbar zur Wertschöpfung einsetzen und zwar so, dass dieser Wert dem Kunden auch bewusst wird.“
Netzwerke aus wertbasierten Organisationen, digitale Wertschöpfungs-Netzwerke, sind die Grundpfeiler effizienter Märkte. Um an diesem Netzwerkeffekt teilhaben zu können, d. h. um Ihr Unternehmen für die Veränderungen im Zeitalter der neuen digitalen Wirtschaft zu rüsten, müssen Sie v. a. seine Kernkompetenzen identifizieren, festlegen, welche Massnahmen für nichtwertschöpfende Aktivitäten anstehen, und sicherstellen, dass die Informationstechnologie nicht nur als Hilfsmittel, sondern als Basis neuer Strategien und Fertigkeiten genutzt wird. Das ist eine hochkomplexe und sehr schwierige Aufgabe, für die hier allenfalls erste Anstösse gegeben wurden, damit Sie sich fachkundig der Unterstützung von Experten bedienen können.