Product Lifecycle Management für die Praxis

Buch Product Lifecycle Management für die Praxis

Ein Leitfaden zur modularen Einführung, Umsetzung und Anwendung

Springer,


Rezension

Jörg Feldhusen und Boris Gebhardt geben sich wirklich alle Mühe, Zuversicht zu verbreiten. Aber wenn sie de­tail­freudig darstellen, wie Unternehmen ihre Produkte und Prozesse optimieren und dabei Geld sparen, wirkt die Komplexität der Einführung eines Pro­duk­t­daten­man­age­mentsys­tems fast schon beängstigend. Darum geht es nämlich, in aller Ausführlichkeit: Wie im­ple­men­tiert man solch ein System zuerst in die un­ternehmensin­terne IT und später in das gesamte Unternehmen. Die beiden Forscher behaupten unablässig, dass – wenn man sich nur an sämtliche Vorgaben hält – eigentlich nichts schiefgehen kann. Mag sein. Aber diese Zuversicht überträgt sich nur bedingt. BooksInShort empfiehlt das Buch allen Managern und Ingenieuren, die in ihrem Glauben an die Be­herrschbarkeit der In­for­ma­tion­stech­nolo­gie gefestigt sind.

Take-aways

  • Wer Ressourcen ver­schwen­det, schwächt seine Marktkraft.
  • Product Lifecycle Management (PLM) beugt Ver­schwen­dung vor, indem der gesamte Pro­duk­tzyk­lus von der Entwicklung bis zur Markteinführung bewertet wird.
  • PLM kümmert sich um den Aufbau von Produkten ebenso wie um die Struktur von Prozessen.
  • PLM benötigt auf der IT-Ebene ein Pro­duk­t­daten­man­age­mentsys­tem (PDMS).
  • Dazu ist es notwendig, die Produkte und Prozesse PDMS-tauglich zu machen.
  • Produkte und Prozesse werden in Module zerlegt, die problemlos neu zusam­menge­setzt werden können.
  • Die Zahl der Varianten wird reduziert und damit auch die Komplexität und die Kost­spieligkeit.
  • Scheitern PDMS-Pro­jekte, liegt das meist an mangelnder Vor­bere­itung.
  • Sinnvoll ist eine de­tail­lierte Aufnahme des Ist-Zu­s­tands, eine klare Definition des Sol­lzu­s­tands und ein re­al­is­tis­cher und zugleich ausführlicher Um­set­zungs­plan.
  • Gehen Sie nicht gleich in die Vollen: Ein Pi­lot­pro­jekt steigert die Akzeptanz.
 

Zusammenfassung

Komplexität reduzieren mit PLM

Was gestern neu war, ist heute schon veraltet und morgen bereits vergessen. Das zwingt Unternehmen, ihre Produkte schneller als zuvor auf den Markt zu bringen. Wer hier den Überblick verliert, fällt zurück, denn wenn En­twick­lungs- und Kon­struk­tion­skosten beim falschen Produkt verursacht werden, geht viel Geld verloren. Dennoch werden immer wieder Ressourcen für Produkte ver­schwen­det, die von den Kunden letztlich nicht angenommen werden. Wer nun einfach das Risiko scheut und alles auf die ver­meintlich sichere Karte setzt, verliert garantiert: Der Markt entwickelt sich einfach zu schnell, es gibt keine sichere Karte mehr.

„Eine neue Technologie muss möglichst kostengünstig und kurzfristig eingeführt werden, um ihre eigenen Forschungs- bzw. En­twick­lungskosten zu decken.“

Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet das Product Lifecycle Management, kurz PLM. Dabei wird jede Phase eines Produkts – Entwicklung, Kon­struk­tion, Fertigung, Montage, Wartung – gesondert beobachtet und gesteuert. Dieser Prozess wird in der Praxis mithilfe eines Pro­duk­t­daten­man­age­mentsys­tems (PDMS) umgesetzt. In dieses IT-System fließt das vorhandene Un­ternehmenswis­sen. Ziel des PLM ist es, die Komplexität der Un­ternehmenss­teuerung zu senken. PLM ist auf mehreren Ebenen wirksam:

  1. Aufbau und Struktur der Produkte
  • Entwicklung kon­fig­urier­barer Produkte
  • Entwicklung von Pro­duk­t­stan­dards
  • Mod­u­lar­isierung der Produkte
  1. Aufbau und Struktur der Prozesse
  • schnellere Markteinführung
  • weniger Teil­prozesse
  1. Aufbau der Un­ternehmen­sor­gan­i­sa­tion
  • kürzere Wege
  • flexiblere Or­gan­i­sa­tion bei klarerer Auf­gaben­verteilung

Vom Vari­anten­re­ich­tum zum Baukas­ten­prinzip

Um den Bedürfnissen der Kunden nachzukom­men, variieren Unternehmen ihre Produkte. Mit der Zahl der Varianten steigt allerdings die Komplexität, was wiederum dafür sorgt, dass der Weg zu neuen Produkten langsamer und teurer wird. Wie gegen­s­teuern, ohne die Kunden zu verärgern? Die Her­aus­forderung liegt darin, die interne Zahl der Varianten herun­terz­u­fahren, aber den Kunden weiterhin fast dasselbe Angebot zu machen. Nur offenkundig unrentable Varianten sollten eingestellt werden. Dafür ist es notwendig, die interne und die externe Vielfalt zu kennen – und sie im nächsten Schritt zu entkoppeln.

„Einer der wichtigsten Aspekte von PLM liegt in der gezielten Nutzung und Bere­it­stel­lung des im Unternehmen vorhandenen Wissens.“

Produkte müssen in ver­schiedene Module zerlegt bzw. aus Modulen zusam­menge­baut werden können. Diese Module muss man ohne Einfluss auf die Funktion des Endprodukts hinzufügen, entfernen oder gegen andere austauschen können. Genau dasselbe gilt auch für Prozesse. Unternehmen sind gefordert, Stan­dard­prozesse zu bestimmen, die aus festen Prozess­mod­ulen („muss immer durchlaufen werden“) und variablen bestehen („kommt nicht immer zur Anwendung“). Um dieses Baukas­ten­prinzip in der Produkt- und Prozes­sar­chitek­tur konsequent umzusetzen, muss das gesamte Unternehmen modular re­struk­turi­ert werden. Hierzu empfiehlt sich der Aufbau einer Ma­trix-Or­gan­i­sa­tion, um möglichst flexibel agieren zu können.

„Die Zeitspanne, die zur Verfügung steht, um mit einem Produkt Geld zu verdienen, wird immer kürzer.“

Das ist natürlich aufwändig. Für den Start ist es ratsam, die rentabel­sten oder meistverkauften Produkte zu ermitteln und daraus jeweils ein Ref­eren­zpro­dukt zu formen, sozusagen als Keimzelle aller Varianten. Daraus lässt sich ableiten, wie viele Varianten es gibt, welche sinnvoll sind, auf welche künftig verzichtet werden sollte und welche evtl. sogar noch fehlen. So lässt sich innerhalb eines relativ überschaubaren Zeitraums das Ref­eren­zpro­dukt stan­dar­d­isieren und die Zahl der Pro­duk­t­vari­anten beherrschen.

„Zwischen Vielfalt und Komplexität des Leben­szyk­lus besteht ein direkter Zusam­men­hang.“

Dafür müssen Sie allerdings sämtliche notwendigen Daten und In­for­ma­tio­nen un­ternehmensweit integrieren und für die PLM-Bedürfnisse neu struk­turi­eren – eine Mam­mu­tauf­gabe, deren Ziel ein Pro­duk­t­daten­man­age­mentsys­tem ist. Dieses PDMS speichert und verwaltet alle pro­duk­tbeschreiben­den Daten während des gesamten Leben­szyk­lus des Produkts, damit au­torisierte Anwender auf sie zugreifen können. Das System einzuführen ist aufwändig und teuer. Jedes Unternehmen sollte sich deshalb genau über den „Reifegrad“ der gegenwärtig benutzten In­for­ma­tion­stech­nolo­gie informieren und her­aus­finden, was es kostet, diese PDMS-tauglich zu machen. Die Ab­bruchquote bei PDMS-Pro­jek­ten ist hoch, und das liegt meist an un­zure­ichen­der Vor­bere­itung.

Einführung mit System

Ein PDMS einzuführen ist ein Projekt und erfordert entsprechende Or­gan­i­sa­tion. Nötig sind ein Pro­jek­tleiter, ein Projektpate als Schnittstelle zur Geschäftsführung und ein Kernteam, das die einzelnen Ar­beitss­chritte vorbereitet und umsetzt. Es müssen operative Ziele erarbeitet und benannt werden. Das geschieht in Gesprächen und Workshops, in denen man die Ziele gewichtet. Was un­re­al­is­tisch ist, fliegt raus. Das Projektteam wird anschließend mit personellen und fi­nanziellen Ressourcen aus­ges­tat­tet. Es erstellt einen Vorgehens- und Mach­barkeit­s­plan, der mit der Geschäftsleitung abzustimmen und im Verlauf der Einführung ständig abzu­gle­ichen ist.

„Die PLM-Strate­gie bezieht sich zwar im Kern auf die Produkte, beeinflusst aber letztlich das gesamte Unternehmen.“

Um die Machbarkeit abzuklären, müssen Sie in einem ersten Schritt den Ist-Zustand im Unternehmen ermitteln und anschließend einzelne (PDMS-taugliche) Teil­prozesss­chritte festlegen. Diese werden auf so genannten Prozes­sauf­nah­meblättern niedergelegt. Parallel dazu wird der Zustand der IT-In­fra­struk­tur erkundet und als IT-Sys­tem­land­karte dargestellt. Anschließend skizzieren Sie den Sollzustand, am besten in Form ver­schiedener vorstell­barer Szenarien: von „alles bleibt beim Alten“ bis „alles wird neu“. Für jedes Szenario werden Kosten und Nutzen einander gegenübergestellt. Anschließend wählen Sie jenes Szenario aus, das den ermittelten Zielen zu vertret­baren Kosten am nächsten kommt.

„Um eine Basis für den Einsatz eines PDMS zu schaffen, ist neben einer eindeutigen Datenpräsenz eine leistungsfähige IT-In­fra­struk­tur oblig­a­torisch.“

Darauf aufbauend werden sämtliche relevanten Produkte, Prozesse und Bereiche der Ablau­for­gan­i­sa­tion aus da­ten­tech­nis­cher Sicht in PDMS-tauglichen Modellen beschrieben. Diese müssen meist erst aufgebaut werden. Bei Produkten etwa, indem kon­struk­tive, fer­ti­gung­stech­nis­che und pro­jek­tbeschreibende Daten gesammelt, aufbereitet und miteinander vernetzt werden. Darauf basiert wiederum eine „Wer“-Matrix und eine „Was“-Matrix, aus denen hervorgeht, wer wann auf welche Daten zugreifen und sie bearbeiten darf. Zugleich zeigt diese Dop­pel­ma­trix, welche Mitarbeiter für welche Aufgaben geschult werden müssen.

Simulation kommt vor dem Ernstfall

Der Ernstfall beginnt in ausgewählten, leicht umsetzbaren Teil­bere­ichen. In dieser sechs bis zwölf Monate dauernden Pilotphase wird das PDMS in das bestehende IT-System eingebaut und muss – anfangs unbedingt in Form einer Simulation – seine Tauglichkeit beweisen. Dafür sollten Sie externe Experten hinzuziehen, die mit der verwendeten Software bestens vertraut sind. Aus den Erfahrungen dieser Phase können Sie ableiten, mit wie viel Aufwand und Kosten die komplette Umstellung auf PDMS verbunden wäre.

„Das Pilotsystem darf keinesfalls in die Abläufe des aktuellen Tagesgeschäfts eingreifen.“

Wenig sinnvoll ist es, für die Pilotphase einen Bereich zu wählen, in dem es vorher Probleme gab. Das geht meistens schief. Beginnen Sie in einem Sektor, der modular leicht darstellbar ist. Schließlich sollen schnellstmöglich die Vorzüge eines PDMS erkennbar werden. Sollte die Pilotphase zeigen, dass Ihr Unternehmen derzeit von einem PDMS überfordert ist, müssen Sie ein Ausstiegsszenario erarbeiten. In allen anderen Fällen kann das PDMS nach der Pilotphase un­ternehmensweit umgesetzt werden. Dabei gilt es,

  • sämtliche relevanten Pro­duk­t­daten zu übertragen,
  • Date­nak­tu­alität zu gewährleisten,
  • die Ressourcen (auch die zeitlichen) zu planen und
  • ein Langzeitarchiv für die Pro­duk­t­daten einzurichten.
„Die Einführung und der Betrieb eines PDMS stellt für jedes Unternehmen eine große Her­aus­forderung dar und ist mit erheblichem fi­nanziellem Aufwand verbunden.“

Wenn die nötige Hard- und Software vorhanden ist und die Mitarbeiter entsprechend geschult sind, kann es losgehen. In der Folge ist es nötig, das PDMS immer wieder zu überprüfen, Fehler zu beheben und das System auf den neuesten Stand zu bringen.

Was bringt das alles?

Irgendwann stellt sich un­weiger­lich die Frage, was das neue System überhaupt bringt. Antworten liefert die an das geläufige Man­age­ment­tool der Balanced Scorecard angelehnte Capability Scorecard (CSC), mit deren Hilfe ermittelt werden kann, inwieweit die angestrebten Ziele innerhalb des Product Lifecycle Managements erreicht worden sind. Aus der Capability Scorecard lassen sich konkrete Hand­lungsan­weisun­gen ableiten, und zwar in den folgenden Bereichen:

  • Finanzen: Wie wirkt sich die Einführung von PDMS auf den Cashflow etc. aus?
  • Produkte: Welche Produkte sind derzeit PDMS-tauglich?
  • Prozesse: Inwieweit sind Prozesse momentan PDMS-tauglich doku­men­tiert und umsetzbar?
  • IT: Wie gut versteht sich das vorhandene IT-System mit dem PDMS?
  • Or­gan­i­sa­tion: Inwieweit lehnt sich der Aufbau der Or­gan­i­sa­tion an die Vorgaben durch das PDMS an?
„Bereits in der Einführungsphase entstehen enorme Kosten hin­sichtlich Software, Hardware und Con­sultin­gaufwen­dun­gen.“

Schreiben Sie für alle Bereiche notwendige Aktivitäten und angestrebte Ziele fest, bewerten Sie sie und überprüfen Sie sie mit der CSC. So können Schwach­stellen früh erkannt, gewichtet und behoben werden. Insofern lässt sich die Capability Scorecard auch als Ansatz für das Pro­jek­t­con­trol­ling nutzen.

Der verzögerte Nutzen

An die komplexe Aufgabe, ein PDMS einzuführen, macht sich ein Unternehmen nur, wenn sich die In­vesti­tio­nen rentieren. Das zu bemessen ist aus folgenden Gründen nicht so leicht:

  • Das PDMS wirkt sich auch auf Abteilungen aus, die nicht direkt betroffen sind.
  • Viele Nutzen­fak­toren können monetär kaum oder gar nicht erfasst werden.
  • Andere Nutzen­fak­toren zeigen sich erst zeitlich verzögert.
„Erfahrene Unternehmen investieren am meisten in die Im­ple­men­tierung.“

Um zu entscheiden, ob sich ein PDMS rentiert, ist eine ganzheitliche Sichtweise nötig. Es geht vor allem darum, die erwartete Nutzen­ren­dite in allen Un­ternehmens­bere­ichen gegenüber dem Ist-Zustand zu beziffern – das betrifft nicht nur Kosten, sondern auch Zeit und Qualität.

Die schwer bez­if­fer­baren und indirekten Kosten werden in den meisten Unternehmen überschlagen und Pi mal Daumen festgelegt. Dazu werden die einmaligen Sach- und Per­son­alkosten zur Einführung plus die laufenden Kosten ein­gerech­net. Die In­vesti­tio­nen können durchaus zweis­tel­lige Mil­lio­nen­sum­men erreichen, amor­tisieren sich aber in den meisten Fällen nach spätestens drei Jahren. Wer bei der Im­ple­men­tierung die Kosten drücken will, spart am falschen Ende. Noch etwas zeigt die Praxis: Wer auf ein PDMS-gestütztes Product Lifecycle Management setzt, steigert sowohl seinen Umsatz als auch seinen Marktanteil – in einer Un­ter­suchung traf dies in 100 % der Fälle zu.

Über die Autoren

Prof. Dr.-Ing. Jörg Feldhusen leitet das Institut für Allgemeine Kon­struk­tion­stech­nik des Maschi­nen­baus an der RWTH Aachen. Er hat zehn Jahre in der Industrie gearbeitet, u. a. bei Siemens und AEG West­ing­house. Dr.-Ing. Boris Gebhardt hat an Feldhusens Lehrstuhl an der RWTH Aachen gearbeitet. Er hat Maschi­nen­bau in Aachen, zudem Luft- und Raum­fahrt­tech­nik in München studiert. Gebhardt hat mehrere PLM-Pro­jekte in der Industrie eingeführt und umgesetzt.