1 + 1 = ? Wenn zwei Unternehmen miteinander fusionieren, ist es nicht automatisch so, dass 1 + 1 = 3 ergibt. In der Vergangenheit hat sich oft gezeigt, dass diese Formel so nicht allgemein gültig ist und eher durch 1 + 1 = ? ersetzt werden muss. Unsicherheit, Aktienentwicklung, Arbeitslosigkeit und v. a. enttäuschte Erwartungen an die Chancen einer Fusion haben den eigentlichen Fusionsprozess in Frage gestellt und müssen neu überdacht werden. Fusionen werden angestrebt, um einerseits neue Märkte aufzubauen, um andererseits vorhandene Märkte neu aufzuteilen. Neben den Faktoren, die oft zur Aufhebung einer Fusion führen, zur Verunsicherung und Vorsicht, bieten sich dennoch reelle Möglichkeiten, in einem Fusionsprozess neue Denkansätze zu entwickeln und die bestehende Unternehmenskultur der fusionierenden Unternehmen komplett neu zu gestalten, um eben am Ende dann für alle Beteiligten ein gewinnbringendes Ergebnis präsentieren zu können.
Klare Konzepte
Direkt nach der Entscheidung, eine Fusion durchzuführen, beginnt deren schwerstes Kapitel. Konzepte müssen entworfen werden, die klar Ziele und den Gegenstand des neu entstehenden Unternehmens definieren. Ein konkreter Zeitplan muss erstellt und vorgestellt werden und neben aller Planung darf v. a. der Faktor Mensch, also die Mitarbeiter der fusionierenden Unternehmen, nicht vernachlässigt werden. Während früher eher das Konzept der Diversifizierung als Ziel verfolgt wurde, gilt heute "big is beautiful": der Zusammenschluss wichtiger und grosser Konzerne, um auf dem Weltmarkt eine Vormachtstellung zu erlangen. Obwohl dies dem Kunden bzw. dem Aktienanleger gegenüber ein gewisses Vertrauen schafft, wurden jedoch in den letzten Jahren die sozialen Faktoren, die aus einer Grossfusion erwachsen, oft ausser Acht gelassen und werden heute quasi wiederentdeckt, um die Fusionen langfristig auch erfolgreich für alle Beteiligten gestalten zu können.
Die Bedeutung der weichen Faktoren
Vielfach spielen v. a. Tempo und Aktien eine Rolle. Sollte nicht stattdessen vielleicht eher eine gesellschaftliche Verantwortung gefragt sein, die sich um die Belange der Menschen kümmert, um die es in einer Fusion doch im Grunde genommen eigentlich geht? Es gibt den entscheidenden Faktor "Unternehmenskultur", der nach der Fusion zweier Unternehmen erst einmal neu definiert werden muss. Dabei sind die offensichtlichen Gründe, die zu dem Zusammenschluss führen, meist einfach und klar zu erkennen, während die so genannten "weichen Faktoren", wie Kundenorientierung, Kreativität, Betriebsklima, Beziehung der Mitarbeiter untereinander usw., verstärkt beachtet werden müssten. Es empfiehlt sich, bestimmte Rituale während der eigentlichen Fusionsphase einzuhalten, um den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich mit der neuen Situation anzufreunden und am Ende das Beste daraus zu machen. Besonders dem "übernommenen" Unternehmen muss eine Trauerphase zugestanden werden, in der die Mitarbeiter lernen, sich von der Kultur des alten Unternehmens zu lösen und offen auf das nun neu entstehende zugehen zu können.
„Fusionen brauchen Leader mit Fähigkeiten zur Multikulturalität, zur Pluralität, zur Mehrstimmigkeit statt zum Kanon. Denn in komplexen Zeiten gibt es keine einfachen Antworten mehr.“
Es geht nicht darum, in einem neu entstehenden Unternehmen lediglich alle Abläufe der ehemaligen zu uniformieren, vielmehr sollten die Mitarbeiter von den Verantwortlichen dahin gehend motiviert werden, eine ganz neue, eigene Unternehmenskultur für das neue Unternehmen zu entwickeln. Respekt für die Leistungen der anderen Kollegen im Team gehören ebenfalls dazu, so wie auch der Lernprozess, dass Differenzen und zwangsläufige Unsicherheiten im Fusionsprozess eher kreativ und als Chance wahrzunehmen sind. Nur dann, wenn die Mitarbeiter nämlich bereit sind, Veränderung als etwas Positives zu begreifen, können ihr Wissen und ihre Erfahrung auch konstruktiv in den Prozess mit eingebaut werden.
„Wenn Mitarbeiter zu lange in Unsicherheiten belassen werden, verschwinden die potenziellen Vorteile rasch.“
Die Mitarbeiter können anhand von computerunterstützten Programmen selber herausfinden, wo denn nun die tatsächlichen Unterschiede zu den ihnen bekannten Elementen der Unternehmenskultur liegen, und so das Potenzial für die Veränderung selber erkennen und damit direkt einen Teil der Verantwortung für die Schaffung des Neuen annehmen. Sie sollten top-down, d. h. jeweils persönlich von ihren direkten Vorgesetzten möglichst unverzüglich in die einzelnen Phasen der Fusion eingeführt werden, um Unsicherheiten so im Vorfeld schon weitmöglichst zu vermeiden. Eine Fusion sollte für alle Beteiligten gewinnbringend sein. Wichtigste Empfehlung ist also, Beziehungsprobleme, z. B. kulturelle Besonderheiten, grundsätzlich von den reinen Sachproblemen zu trennen. Kommunikation muss offen, ehrlich und fair gestaltet werden. Es geht weniger darum, den anderen zu übervorteilen, als vielmehr darum, gemeinsam nach neuen Lösungsansätzen zu suchen, die dann ein gemeinsames Wachstum in Zukunft ermöglichen. "Vertrauen aufbauen" sollte ein wichtiges Thema sein, denn schliesslich zieht man ja an einem Strang. Wichtig ist auch ein Eingehen auf die Bedürfnisse des neuen Partners, evtl. unter Zuhilfenahme eines interkulturell arbeitenden Mediators, der sowohl eine erklärende als auch eine vermittelnde Rolle übernehmen kann. Dies empfiehlt sich besonders, wenn die Fusion zwischen Unternehmen unterschiedlicher Länder geplant ist.
Die Aufgaben der Leader
Nur wenn in dieser wichtigen Phase des gegenseitigen Kennenlernens wirklich klar herausgearbeitet wird, welches die Hoffnungen und Erwartungen aller Beteiligten sind, kann eine Fusion langfristig für beide Seiten befriedigend gestaltet werden. Hier sind Leader gefordert, die die Verschiedenheit der fusionierenden Unternehmen erkennen und zulassen können. Sie müssen die Rituale wie Abschiedsfeste vom alten Unternehmen, persönliche Nachrichtenübermittlung, Umgang mit den Ängsten vor der Übernahme usw. mit einbeziehen, um das Alte gebührend abzuschliessen und damit Raum für neue Ideen zu schaffen. Die Leader müssen dabei diese Rituale vorleben, vorschlagen und zulassen. Gehen Sie dabei sensibel mit den Gefühlen der jeweiligen Mitarbeiter um. Für viele ist das Unternehmen ein Bestandteil ihres Lebens. Wenn Veränderungen anstehen, benötigen sie Zeit, sich damit auseinander zu setzen, und Ehrlichkeit, um sich nicht hintergangen zu fühlen.
„Es musste nur sichergestellt werden, dass dieses über die Jahre angesammelte Know-how im Fusionsprozess nicht verloren ging und zusammen mit dem Know-how des Fusionspartners in konkrete Massnahmen umgesetzt werden konnte.“
Im Fusionsprozess ist es wichtig, das kreative Kapital, das die alten Mitarbeiter mit in das neu entstehende Unternehmen einbringen, auszuschöpfen. Wir erreichen dies nur darüber, dass die Mitarbeiter uns vertrauen, an das Unternehmen glauben und so den Kopf frei haben, um all ihre Kräfte für die Innovation einzusetzen. Man bezeichnet diese Art der Unternehmenskultur als "Corporate Consciousness", die gefördert und insbesondere von den Leadern vorgelebt und aufgezeigt werden muss. Da die Unternehmen an der Börse nicht mehr nur wie früher nach ihren sachbezogenen Werten beurteilt werden, sondern mehr und mehr nach ihrem innovativen Potenzial, wird deutlich, wie wichtig es ist, die Mitarbeiter nicht als einfach zu ersetzende Einheit zu betrachten, sondern sie mit in den prinzipiellen Faktoren des Unternehmens im Fusionsprozess einzugliedern. Das Know-how, die Qualifikationen, Profil und geistiges Eigentum der Mitarbeiter hat ja letztdendlich das Unternehmen zu dem gemacht, was es für eine Fusion interessant werden lässt. Kümmern wir uns also darum, dass uns diese Mitarbeiter erhalten bleiben und wir gemeinsam an einer erfolgversprechenden Zukunft für das neue Unternehmen arbeiten. Reagieren Sie als Leader schnell: Informieren Sie Ihre Mitarbeiter innerhalb von 48 Stunden nach einer offiziellen Fusionsankündigung persönlich. Entscheiden Sie die Besetzung von Schlüsselpositionen frühzeitig und beziehen sie die Ideen und Vorschläge der Mitarbeiter in die Erstellung des Leitbildes für das neue Unternehmen mit ein. Erstellen Sie einen Aktionsplan, um für alle evtl. auftretenden Fragen schon vorab Lösungsvorschläge zur Hand zu haben.
Öffentlichkeit
Auch diese will so schnell und umfassend wie möglich über eine anstehende Fusion informiert werden. Einigen Sie sich vorher mit Ihren Mitarbeitern über die Sprachregelung, die für alle Beteiligten verbindlich gehandhabt werden muss, um Unsicherheiten und Fehlinformationen zu vermeiden. Bereiten Sie diese vor der ersten öffentlichen Ankündigung vor. Stellen Sie entsprechende Medienmappen zusammen und üben Sie die Reaktionen auf auftauchende Fragen. Der Zeitpunkt einer Fusionsankündigung ist gleichzustellen mit dem Zeitpunkt des Beginns einer allgemeinen Verunsicherung. Bleiben Sie präzise, offen und glaubhaft, und Sie schaffen die Vertrauensbasis, die Sie jetzt benötigen. Corporate Design und Corporate Identity sollten im Moment der Ankündigung bereits entwickelt sein, um sich als neues Unternehmen erfolgreich darzustellen.
Die Position des Einkaufs
Wichtige Schnittstelle in vielen Unternehmen ist die Rolle des Einkaufs und der Einkäufer. Hier entstehen besonders viele Unsicherheiten, da oft fälschlicherweise davon ausgegangen wird, dass diese Posten ja leicht umzubesetzen sind. Ehemalige Konkurrenten werden plötzlich zu Partnern und müssen diese Tatsache zunächst einmal verdauen. Auch hier sind Ehrlichkeit und Klarheit gefragt: Sprechen Sie eventuelle Unstimmigkeiten oder ungeklärte Sachverhalte offen an und zeigen so, dass Sie als Einkäufer daran interessiert sind, an der Neugestaltung des Unternehmens mitzuwirken. Dabei müssen Sie auch intensiv mit Ihren alten Lieferanten kommunizieren, denn selbst wenn die Produkte u. U. sogar dieselben bleiben, werden Sie jetzt von einem neuen Unternehmen bestellt, und das höchstwahrscheinlich zu neuen Konditionen. Überfordern Sie keine langjährig gewachsenen zwischenmenschlichen Beziehungen durch Überraschung, sondern binden Sie diese so wichtigen Partner direkt in den Fusionsprozess mit ein. Sprechen Sie offen über die Beweggründe und stellen Sie klar heraus, was Sie jetzt erwarten.
Alte Kunden = neue Kunden?
Auch die Kunden sind verunsichert und wissen oft nicht, wie sie sich gegenüber dem neuen Riesen verhalten sollen. Hier wird besonders deutlich, wie sich Menschen oft bar jeder Vernunft auf die Seite des angeblich "schwächeren", weil übernommenen Partners stellen. Ihnen obliegt es, klar zu formulieren, dass es hier nicht um stark und schwach, sondern vorrangig um neu geht. Erstellen Sie einen Aktionsplan, wie Sie mit den Kundenerwartungen umgehen wollen, und setzen Sie diesen so schnell wie möglich um. Seien Sie sich Ihrer Stärken und Schwächen bewusst und arbeiten Sie daran. Dann können Sie am Ende den Kunden sogar davon überzeugen, dass er ein besseres Geschäft als früher mit Ihnen machen kann, und Sie haben die erste Hürde in Bezug auf langjährige Kundenbindung genommen.
Kunde Anleger
Wie reagiert die Börse auf eine Fusionsankündigung? Während früher die Kurse sprunghaft anstiegen, sind die Anleger heute vorsichtiger geworden. Falsche Versprechungen der Manager, enttäuschte Erwartungen und die von vornherein höher angesetzten Kurse bringen oft nicht den erhofften Börsengewinn. Auch hier erwarten die Anleger klare Konzepte und Ehrlichkeit. Ein klarer und straffer Zeitplan in Bezug auf die Besetzung der einzelnen Positionen ist ebenfalls unumgänglich. Wenn die Anleger noch an eine Fusion glauben sollen, müssen die Vorteile herausgearbeitet und glaubhaft dargestellt werden.
„Bei allen strategischen, operativen oder zielorientierten Überlegungen geht es vor allem um Menschen. Menschen, die sich auf den verschiedensten Ebenen und in den verschiedensten Positionen befinden. Die Menschen eben, die eine Fusion erfolgreich werden lassen oder zum Scheitern bringen, je nachdem, welche Rolle sie im Fusionsprozess spielen.“
Fusionen sind eine Chance für alle Beteiligten. Aber nur, wenn entsprechende Visionen zugelassen und implementiert werden. Diese Versionen beschäftigen sich derzeit viel mit dem menschlichen Potenzial, das ein Unternehmen ausmacht und welches es zu erhalten und zu fördern gilt. Nur dann ist ein echtes Win-Win, d. h. eine für alle Beteiligten befriedigende Entwicklung nach einer Fusion tatsächlich möglich.