Aus zwei mach eins
Seit Jahren zählen sie zu den beliebtesten Themen der Wirtschaftsliteratur und prägen das Denken in den Führungsetagen vieler Unternehmen: die Managementkonzepte Lean Management und Six Sigma. Doch trotz ihres Renommees finden die beiden Methoden in kleineren und mittleren Firmen noch kaum Beachtung. Vielen Chefs sind die Konzepte zu kompliziert und zu realitätsfremd, oder sie empfinden sie als zwei sich widersprechende Ansätze. Diese Sichtweise ist auf den ersten Blick nachvollziehbar. Doch wer genau hinschaut, erkennt, dass sich schlanke Strukturen à la Lean Management und Null-Fehler-Qualität im Sinne von Six Sigma in der Realität wirkungsvoll ergänzen. Schließlich möchte jede Unternehmensführung ihre Ressourcen so effektiv wie möglich einsetzen und Planabweichungen so früh wie möglich ausmerzen. Weitsichtige Manager haben die Vorteile der beiden Methoden kombiniert.
„In der Vergangenheit war vielen Unternehmen Six Sigma allein zu teuer und Lean Management nicht qualitätsbezogen genug.“
Die Kombination der beiden Konzepte heißt Lean Six Sigma und sorgt für schnellere und fehlerfreiere Prozesse. Der neue Ansatz ist ganz darauf ausgerichtet, die Anforderungen des so genannten magischen Dreiecks der Betriebswirtschaftslehre zu erfüllen: Die Qualität in Form von Liefertreue oder Produktzuverlässigkeit wird maximiert, die Kosten werden minimiert und die Durchlaufzeit in der Herstellung auf das Machbare verkürzt. Lean Six Sigma sorgt damit nicht nur für höhere Kundenzufriedenheit; die Methode bereitet auch den Boden für Innovationen und Wachstum. Voraussetzung ist, dass Lean Six Sigma auf alle Prozesse des Unternehmens angewandt wird und der Fokus auf der Null-Fehler-Qualität liegt. Amerikanische Studien unter erfolgreichen Anwendern belegen, dass sich bei der Fehlerbehebung bis zu 30 % des Jahresumsatzes an Kosten einsparen lassen.
„Lean Six Sigma ist auf alle Prozesse anwendbar.“
Wie effektiv das neue Managementkonzept ist, zeigt sich in fünf Bereichen: in der Strategie, in der Vorgehensweise, in den dabei eingesetzten Methoden, in der Unternehmenskultur und im Umfang der Anwendung. Entscheidend für den Erfolg von Lean Six Sigma ist, inwieweit seine beiden Bestandteile in ihrem Kern umgesetzt werden.
Lean Management: Toyotas Erfolgsrezept
Lean Management wurde bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt. Der japanische Automobilhersteller Toyota suchte damals nach einer Möglichkeit, Verschwendung auf ein Minimum zu reduzieren. Das Ergebnis war eine umfassende Managementmethode, die alle Prozesse beschleunigte und flexibler gestaltete. Die Wartezeiten von Maschinen wurden gesenkt, Überproduktion, unnötige Material- oder Arbeiterbewegungen sowie Nachbearbeitungen wurden vermieden, Bestände wurden optimiert und Kundenbedürfnisse ungefragt bedient. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Toyota durch Lean Management zu einem der weltweit führenden Autobauer geworden ist.
„Das Ziel von Lean Six Sigma besteht darin, alle wichtigen Wertströme im Unternehmen zu analysieren und zu optimieren.“
Toyotas Ansatz der schlanken Produktion ist von fünf Prinzipien geprägt. Das wichtigste ist die Bestimmung eines Wertes, einer gewissen Leistung, die der Befriedigung eines Kundenbedürfnisses dient. Darauf folgt die exakte Analyse des gesamten Wertschöpfungsstroms, wodurch mögliche Ressourcenverschwendungen und Fehlerquellen frühzeitig identifiziert werden können. Drittens muss der kontinuierliche Fluss aller Abläufe gewährleistet sein. Der vierte Punkt ist das Zieh-Prinzip: Es besagt, dass man nur das produziert, was aktuell nachgefragt wird. Das fünfte Prinzip schließlich ist das unablässige Streben nach Perfektion. Zu den Methoden, auf die Toyota bei der Umsetzung baut, zählen u. a. eine integrierte Logistik, ein automatischer Produktionsstop bei Planabweichungen und Netzwerke mit anderen Unternehmen, vor allem Lieferanten.
Six Sigma: Jack Welchs Methode
Während Lean Management sich auf das gesamte Unternehmen konzentriert, werden mit Six Sigma eher einzelne Projekte ins Auge gefasst. Dieser Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er Fehler anhand einer konsequenten Auswertung von Daten und Statistiken möglichst vollständig vermeidet. Auf diese Weise sollen nicht nur Kosten gesenkt, sondern auch die Umsätze durch zufriedene Kunden gesteigert werden. Das Vorgehen orientiert sich an einer festen Struktur, dem DMAIC-Zyklus (Define, Measure, Analyse, Improve, Control). In ihm wird das Problem zunächst definiert, dann werden Maßstäbe für die Ergebnisfeststellung ermittelt, die Problemursachen analysiert, Innovationen oder Verbesserungen erarbeitet und schließlich wird deren Umsetzung laufend kontrolliert.
„Der Grundsatz heißt: Vormachen und Vorleben schaffen Vertrauen und Handlungsdruck.“
Das Vorzeigebeispiel einer erfolgreichen Anwendung von Six Sigma ist der US-Konzern General Electric. Dessen ehemaliger Vorstandsvorsitzender Jack Welch machte sich Anfang der 90er Jahre für das Konzept stark und trug anschließend maßgeblich zu dessen weltweiter Anerkennung bei. Unter Welchs Führung wurden mehr als 100 000 Projekte mithilfe von Six Sigma optimiert. Allein im Jahr 2000 resultierte daraus für das Unternehmen ein Nettogewinn von rund 2,9 Milliarden Dollar.
Die Kombination: Lean Six Sigma
Die beiden Konzepte Lean Management und Six Sigma lassen sich auf drei Arten kombinieren. Erstens können Six-Sigma-Projektprozesse schlanker gestaltet werden. Zweitens lässt sich ein auf das gesamte Unternehmen bezogenes Lean Management durch Six-Sigma-Projekte erweitern. Drittens ist es möglich, die beiden Ansätze ganzheitlich miteinander zu verweben. Diese integrierte Vorgehensweise findet in der Praxis die meiste Zustimmung. Ihr Erfolg ist dann am größten, wenn die Initiative von der Führung ausgeht, der Wirkungsbereich klar definiert ist, die betroffenen Mitarbeiter umfassend geschult werden, der Ressourcenbedarf immer wieder neu bestimmt und der Nutzen des Ansatzes regelmäßig berechnet wird.
Lean Six Sigma beginnt beim Produktdesign
Wenn Lean Six Sigma bereits bei der Kreation neuer Ideen und Produkte seine Wirkung zeigen soll, muss ein weiteres Managementkonzept hinzugefügt werden: der Ansatz Design for Six Sigma (DFSS). Mit ihm wird verhindert, dass Fehler in der Produktentwicklung während der konkreten Herstellung teure Kosten nach sich ziehen. Die Qualitätsstandards von Six Sigma gelten damit bereits in der Laborphase, beim Entwerfen neuer Produkte. Eine Konsequenz daraus kann die Feststellung sein, dass ein neues Angebot nicht profitabel sein wird. Vielleicht wäre ein hoher Kundennutzen zu erwarten, aber die Produktion stellt sich von vornherein als zu teuer und zu risikoreich heraus.
„Sowohl bei der Einführung schlanker Prozesse als auch bei der Umsetzung von Null-Fehler-Qualität sind in regelmäßigen Abständen Messungen der zugrunde gelegten Steuerungskriterien durchzuführen.“
DFSS folgt der Vorgehensweise von Six Sigma. Allein die letzte Phase der regelmäßigen Kontrolle muss durch eine Verifizierung der Leistungsfähigkeit und der Kundenorientierung des neuen Produkts ersetzt werden, denn ein tatsächlicher Wertschöpfungsfluss existiert ja noch nicht. Man überprüft die erforderlichen Kapazitäten, die Kostenentwicklung und die Lieferfähigkeit. Die Vorteile von DFSS liegen auf der Hand: Eine so frühe Berücksichtigung von Six Sigma im gesamten Produktionsprozess erhöht die Zahl der Innovationen, reduziert die Qualitätskosten bis hin zum Vertrieb, steigert die Kundenorientierung und hebt Umsatz und Gewinn. Damit DFSS sein Potenzial entfalten kann, müssen die mit diesem Ansatz zu betreuenden Projekte sorgfältig ausgewählt und alle beteiligten Mitarbeiter umfassend qualifiziert werden.
Ergänzende Werkzeuge
Um Lean Management und Six Sigma effizient miteinander zu kombinieren, ist ein sorgfältiger Integrationsprozess erforderlich. Dieser beginnt mit einer Ist-Analyse, in der die Unternehmensdaten z. B. anhand einer Balanced Scorecard erfasst werden. Andere Methoden, die sich für die Situationsdiagnose anbieten, sind das Benchmarking, die Wertstromanalyse oder das Business-Assessment. Im nächsten Schritt müssen die Unternehmensziele sowie die vorrangigen Aufgaben klar beschrieben und aussagekräftige Kennzahlen entwickelt werden, mit denen sich die Ergebnisse von Lean Six Sigma messen lassen. Hieran schließt sich die konkrete Umsetzung des Konzepts an. Sie können sich dabei an den bereits erwähnten DMAIC-Zyklus halten. Abschließend sollten Sie eine Feedbackschleife etablieren, sodass Sie anhand der Ergebnisse sofort die notwendigen Veränderungen in den Abläufen auslösen können.
„Das Schaffen einer positiven Motivation sowie die Definition der betroffenen Bereiche und der zu lösenden Problemstellungen bestimmen das Ausmaß und den Grad der notwendigen Organisation und Teamstrukturen.“
Um die kontinuierliche Verbesserung zu gewährleisten, stehen Ihnen einige Basiswerkzeuge zur Verfügung. Eines ist das Wertstromdesign. Im Kern geht es dabei um das Aufdecken der Ursachen möglicher Verschwendungen in den Produktionsabläufen. Verbesserungen in der Entwicklung lassen sich dagegen mit den Methoden Quality Function Deployment (QFD), Design of Experiments (DOE) und der Theory of Inventive Problem Solving (TIPS, besser bekannt unter der entsprechenden russischen Abkürzung TRIZ) sicherstellen. Das erste dieser Werkzeuge bezieht sich auf die Erfüllung der Kundenerwartungen. Die zweite Methode optimiert die technischen Anforderungen des Produkts. TRIZ schließlich hat das Ziel, den Erfindungsreichtum in einer Firma zu steigern.
Erfolgsbeispiele
Die besten theoretischen Ansätze nützen nichts, wenn sie sich nicht in der Praxis bewähren. Eine breite Akzeptanz von Lean Six Sigma hängt davon ab, ob Firmen ihre Geschäftsabläufe mit diesem Konzept tatsächlich erfolgreich gestalten. Wie gut das funktionieren kann, zeigen die Beispiele der drei US-Konzerne Honeywell, Xerox und Lilly.
- Honeywell verbesserte mithilfe von Lean Six Sigma die Wartung und Reparatur von Flugzeugtriebwerken für Kleinmaschinen am deutschen Standort Raunheim. Das Unternehmen reduzierte die Zahl der zu bearbeitenden Stücke und optimierte die Abläufe der einzelnen Arbeitsschritte und Paralleltätigkeiten. Beide Maßnahmen senkten die Durchlaufzeit der Reparaturprozesse von 23 auf 8,5 Tage. Zudem konnte die Zuverlässigkeit bei Lieferterminen durch gezielteres Festlegen von Prioritäten gesteigert werden.
- Der Druckerspezialist Xerox wendet Lean Six Sigma seit 2002 im gesamten Unternehmen an. Ziele sind ein höherer Kundennutzen, Kostensenkungen, Produktivitätssteigerungen und das Eröffnen neuer Wachstumschancen Bereits im ersten Jahr nach der Einführung waren Ergebnisse sichtbar, so amortisierten sich z. B. die notwendigen Investitionen sofort. Grundlage für diesen Erfolg war eine hoch motivierte Führungsmannschaft, die ausreichend Ressourcen bereitstellte, bei der Auswahl geeigneter Projekte gezielt vorging und bei der Umsetzung auf Konsequenz und Disziplin setzte.
- Wie wichtig die Unternehmenskultur für die Einführung von Lean Six Sigma ist, zeigt das Beispiel des amerikanischen Pharmakonzerns Lilly. Im Jahr 2004 entschied sich die Führung für die neue Methode und initiierte eine Umfrage unter der Belegschaft, um die aktuelle Stimmung sowie die vorhandenen Kenntnisse bezüglich der Methode zu ermitteln. Der Fragenkatalog zeigte auf, welche Voraussetzungen für die Einführung von Lean Six Sigma unabdingbar sind – etwa die vorbehaltlose Unterstützung durch die Führung. Er machte aber auch klar, wo Hindernisse lauern – z. B. in ungenügender Kommunikation oder mangelhafter Umsetzung.
Prof. Armin Töpfer, der Herausgeber dieses Buches, ist Inhaber des Lehrstuhls für Marktorientierte Unternehmensführung an der Technischen Universität Dresden. Die übrigen 15 Autoren beschäftigen sich wissenschaftlich und praktisch mit dem Thema Lean Six Sigma.