Finanzstrategisch denken!

Buch Finanzstrategisch denken!

Paradigmenwechsel zur Strategic Corporate Finance

Springer,


Rezension

Weil alle In­for­ma­tio­nen sofort in den Markt einfließen, ist der Preis immer angemessen: Was für eine beruhigende Theorie. Millionen von in­sti­tu­tionellen und privaten Anlegern haben daran geglaubt. Bis Fi­nanzspeku­lanten gezeigt haben, wie wenig dieses Idealbild mit der Realität zu tun hat. Vor diesem Hintergrund erörtern die Autoren des Sammelbands Fi­nanzs­trate­gisch denken! einige hochrel­e­vante Fragen zur Re­al­wirtschaft. Zum Beispiel: Wie lässt sich beurteilen, ob eine Fusion, eine Übernahme oder eine Kooperation langfristig sinnvoll ist und entsprechen­den Profit verspricht? Auch wenn der Aktienkurs des Un­ternehmens gerade in den Keller rauscht? Dass die Herausgeber gleich einen „Par­a­dig­men­wech­sel zur Strategic Corporate Finance“ ausrufen, ist etwas unbeschei­den – zumal die sechs Aufsätze z. T. nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit zu sein scheinen. Aber die Fi­nanz­markt-Tur­bu­len­zen haben auch viele andere nicht vo­raus­ge­se­hen, meint BooksInShort und empfiehlt das Buch allen Investoren, die ihre Auswahlkri­te­rien hin­ter­fra­gen wollen.

Take-aways

  • Die Theorie des perfekten Markts hat mit der Realität wenig zu tun.
  • Aktienkurse spiegeln keineswegs immer den wahren Un­ternehmenswert wider.
  • Besonders wenn Unternehmen sich strategisch neu orientieren, ist der Aktienkurs wenig aussagekräftig.
  • Viele Analysten und Investoren verstehen komplexe und langfristig aus­gerichtete Un­ternehmensentschei­dun­gen nicht.
  • Besonders Ko­op­er­a­tio­nen, Fusionen und Di­ver­si­fizierun­gen werden häufig nicht angemessen eingeschätzt.
  • In solchen Fällen eröffnen sich Gele­gen­heiten, am Markt vorbei strategisch zu investieren.
  • Durch die Art der Kom­mu­nika­tion können Unternehmen das Interesse von Investoren hervorrufen oder dämpfen.
  • Jenseits des Kap­i­tal­markts besteht die Absicht von Ven­ture-Cap­i­tal- und Pri­vate-Eq­uity-In­ve­storen sowie Hedgefonds darin, hohe Renditen her­auszu­holen.
  • Oft belasten die Investoren die Unternehmen so stark mit Schulden, dass diese nicht mehr sinnvoll agieren können.
  • Die Fokussierung auf die Rendite hat zur Folge, dass viele In­vesti­tio­nen nicht nachhaltig angelegt werden.
 

Zusammenfassung

Kein Markt ist perfekt

Zwei Glaubenssätze sind in Unternehmen weit verbreitet. Der erste: Der Finanzmarkt hat immer Recht. Der zweite: Also müssen wir uns anpassen. Beides lässt sich so absolut nicht behaupten. Strategisch denkende Unternehmen schauen, wann sich die Chance bietet, aus den Vorgaben des Kap­i­tal­markts auszubrechen. Dann agieren sie am Markt vorbei oder sogar scheinbar gegen seine Gesetzmäßigkeiten. In der Rückschau zeigt sich oft: Das war schlau!

„Der Fi­nanzs­tratege macht die großen Deals und setzt sich mit ihnen bewusst über den Markt hinweg. Dieses Vorgehen kennze­ich­net die Strategic Corporate Finance.“

Die meisten Unternehmen scheuen allerdings vor un­kon­ven­tionellen Entschei­dun­gen zurück. Sie halten weiterhin an der Annahme fest, es gebe einen gut funk­tion­ieren Kap­i­tal­markt. Und sie gehen wie selbstverständlich davon aus, dass auf diesem Markt mit den un­ternehmensin­tern geläufigen Messzahlen wie Return on Investment oder EBIT (earnings before interest and taxes) operiert wird. Seit einem halben Jahrhundert predigen Wis­senschaftler: Das klingt zwar logisch, entspricht aber nicht der Realität an den Kapitalmärkten. Dort kommt es darauf an, Wert­steigerun­gen zu er­wirtschaften und diese an Zahlungsüberschüssen festzu­machen.

„Kein Unternehmen kann sich dauerhaft den Mechanismen der Finanzmärkte entziehen.“

Alle In­for­ma­tio­nen fließen – so die Theorie des perfekten Markts – in die Bewertung von Unternehmen am Kap­i­tal­markt ein und verändern den Kurs. Weil im Kurs alle In­for­ma­tio­nen eingespeist sind, ist er immer gerecht. Kein Investor weiß mehr als der andere, niemand wird übervorteilt. Der Preis der Aktie entspricht ihrem Wert. Auf dieser Basis öffnet sich der Kap­i­tal­markt für alle In­ter­essen­ten. Heute wissen wir jedoch: Der Markt mag perfekt sein, der Mensch aber ist es nicht. Entschei­dun­gen sind nicht immer logisch, daher sind es auch Kap­i­ta­lan­la­gen nicht. Wird dann noch berücksichtigt, dass Eigenkap­i­tal den Unternehmen wichtiger ist als Fremd­kap­i­tal, dass vor dem Fiskus nicht alle in allen Ländern gleich sind und dass manche Akteure eben doch mehr wissen als andere, wird klar: Die Theorie vom perfekten Markt ist nur eine Theorie.

Fi­nanzs­trate­gisch denken

Dennoch gehen die meisten Akteure am Kap­i­tal­markt davon aus, dass es sich, wenn schon nicht um perfekte, so doch um gut funk­tion­ierende Märkte handelt, in denen sämtliche relevanten In­for­ma­tio­nen eingespeist sind. Darüber kann man sich streiten, über die folgenden drei Punkte aber nicht:

  1. Märkte machen transparent, was alles zum Verkauf steht.
  2. Sie erlauben den Vergleich und gewisse Transak­tio­nen.
  3. Sie geben Feedback, wie die eigene Leistung von anderen eingeschätzt wird.
„Fi­nanzs­trate­gisch denken heißt, sich vom Korsett der bestehenden Kapitalmärkte zu befreien.“

Besonders wichtig ist der letzte Punkt. Eine Fehleinschätzung der eigenen Leistung öffnet die Räume für strategisch denkende und handelnde Fi­nanz­in­ve­storen. Das gilt beispiel­sweise für:

  • komplexe Transak­tio­nen, die einen hohen Un­ter­suchungs- und Be­w­er­tungsaufwand erfordern (etwa bei langfristig angelegten Ko­op­er­a­tio­nen),
  • Di­ver­si­fizierun­gen, deren strate­gis­che Bedeutung und deren Hintergründe von Analysten und Investoren nicht leicht einzuschätzen sind,
  • Mark­tein­tritte in Felder, deren künftige Bedeutung zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum abzuschätzen ist.
„In der Fi­nanzwirtschaft geht es um Geld, das erst in der Zukunft fällig wird oder verfügbar wird.“

In all diesen Fällen muss die Un­ternehmensführung notge­drun­gen in Kauf nehmen, dass der Aktienkurs erst einmal fällt. Auf eine solche Gelegenheit haben strategisch denkende Investoren nur gewartet: In dieser Phase decken sie sich mit Aktien ein.

Mergers & Ac­qui­si­tions

Fusionen und Aufkäufe sind in der Un­ternehmenswelt normal. Am Kap­i­tal­markt wird oft spekuliert, wer mit wem zusam­menge­hen könnte und ob das wohl sinnvoll (also wert­steigernd) ist oder nicht. Entsprechend steigt oder fällt der Aktienkurs. Im Vordergrund steht dabei die Erwartung von Synergien oder von Expansionen. Wird durch eine Übernahme die Marktmacht gestärkt, reagieren die Anleger meist positiv, wagt sich das Unternehmen dagegen auf neue Felder vor und di­ver­si­fiziert, sinkt der Aktienkurs nicht selten. Komplexe, längerfristig angelegte Entschei­dun­gen werden von Analysten und Investoren häufig vernachlässigt oder un­ter­schla­gen – nicht zuletzt, weil die erhofften Kurssteigerun­gen weit in die Zukunft verlagert sind. Je schwieriger eine Übernahme, eine Fusion oder eine Allianz zu bewerten ist, desto zögerlicher reagiert der Kap­i­tal­markt.

„Fi­nanzs­trate­gis­che Überlegungen müssen über die bloße Analyse von Un­ternehmens­daten hinausgehen und Strate­gieentschei­dun­gen beleuchten.“

Damit Di­ver­si­fizieren sinnvoll ist, muss das Unternehmen wissen, warum es diesen Schritt wagt. Ein Grund wäre etwa, wenn neu auftretende Kundenbedürfnisse eher durch den Kauf einer Firma als durch interne Forschung und Entwicklung befriedigt werden können. Das neue Feld muss in die Gesamt­strate­gie eingebaut, das bestehende Unternehmen entsprechend umgebaut werden. Un­prof­itable Felder – auch das gehört zu einem erfolgreich di­ver­si­fizierten Unternehmen – müssen abgestoßen werden.

„Mit geeigneten Kom­mu­nika­tion­sstrate­gien können Unternehmen ihre Bewertung am Kap­i­tal­markt bee­in­flussen.“

Zu den selten hin­ter­fragten Gegeben­heiten des Kap­i­tal­markts gehört, dass di­ver­si­fizierte Unternehmen mit einem Kon­glom­er­atsab­schlag bestraft werden. Und das, obwohl Studien belegen, dass Mis­chkonz­erne eine bessere Wer­ten­twick­lung aufweisen als der Durch­schnitt der Unternehmen. Eine Spezial­isierung solcher Kon­glom­er­ate klappt nur in jedem dritten Fall, in etwa der Hälfte der Fälle sinkt der Un­ternehmenswert.

„Schweige- oder besser noch Täuschungsstrate­gien sind scharfe Waffen in der Abwehr unerwünschter Akqui­si­tio­nen.“

Wer fi­nanzs­trate­gisch denkt, wagt sich – oft mit eigens en­twick­el­ten Geschäftsmodellen – an Unternehmen, vor denen ein Großteil der Investoren zurückschreckt. Oder er geht in Schwellenländer, trotz politischer Unwägbarkeiten. Klar ist: Wo Renditen einzufahren sind, steckt immer auch ein Risiko. Wenn Jahre später in den Schwellenmärkten die Gewinne eingestrichen werden und die anderen aufmerksam werden, rollt der große Treck an. Die Her­aus­forderung besteht jedoch darin, die Chancen zu entdecken, für die andere (noch) keine Augen haben.

Die Rolle Un­ternehmen­skom­mu­nika­tion

Ak­tienge­sellschaften müssen kom­mu­nizieren: zwangsweise über Ad-hoc-Mel­dun­gen, Quar­tals­berichte und Jahresab­schlüsse mehr oder minder freiwillig gegenüber Analysten und Jour­nal­is­ten. Es ist sinnvoll, sich mit einer schlüssigen und auf die Strategie zugeschnit­te­nen Kom­mu­nika­tion an alle zu wenden – Mitarbeiter, Lieferanten, Investoren, Öffentlichkeit –, um so das Bild vom Unternehmen gestalten oder zumindest bee­in­flussen zu können. Dabei kann ein Unternehmen drei un­ter­schiedliche Absichten verfolgen:

  1. Stärke zeigen (Schmück­ungsstrate­gie),
  2. Investoren über die Stärke im Ungewissen lassen (Schweiges­trate­gie) oder
  3. auf die falsche Fährte locken (Täuschungsstrate­gie).
„Es zeichnet sich ab, dass Unternehmer mehr Ve­r­ant­wor­tung übernehmen müssen.“

Für jede dieser Strategien gibt es ein angemessenes Umfeld. Allein ist jedoch keine auf Dauer tragfähig. Zudem lassen alle drei ein wichtiges Element vermissen: Ehrlichkeit. Das bestraft der Kap­i­tal­markt auf Dauer mit Ver­trauensver­lust.

Es muss also klug und dosiert informiert werden. Wer die eigenen Stärken ausschmückt, macht eventuelle Partner (und Investoren) auf sich aufmerksam. Wer die Konkur­renten auf Abstand halten will, sollte über die Schweiges­trate­gie nachdenken oder auf die Täuschungsstrate­gie setzen, etwa indem vor allem über Flops berichtet wird. Auf diese Weise kann ein Unternehmen seine Bewertung am Kap­i­tal­markt bee­in­flussen.

Abseits der Kapitalmärkte

Die meisten Start-ups würden scheitern, wenn sie keine Geldgeber fänden. Banken gehören selten zu diesen: Zu ungewiss, zu neu, zu unvertraut wirken die Geschäftsmodelle auf sie. Private Geldgeber springen in diese Bresche. Die Investoren – Ven­ture-Cap­i­tal-Gesellschaften und -Fonds – hoffen auf eine ver­gle­ich­sweise gewaltige Rendite bei einem Weit­er­verkauf oder Börsengang. Oft sind 30–50 % eingeplant – wenn alles gut geht. Diese Geldgeber investieren in den frühen Phasen der Gründung eines Un­ternehmens.

„Die verschärften Bedingungen der Fremd­kap­i­talbeschaf­fung durch Basel II waren ein geradezu heilsamer Schock.“

In späteren Phasen werden Pri­vate-Eq­uity-Gesellschaften und -Fonds aktiv. Sie übernehmen Unternehmen oder Teile davon, um sie aufzumotzen und weit­erzu­verkaufen. Häufig allerdings bürden sie der gekauften Firma die Schulden aus dem Erwerb auf, die samt Zinsen mit den Gewinnen dieses Un­ternehmens getilgt werden müssen. Ein riskantes Modell.

„Ein Mehr an Rendite ist nur durch ein Mehr an Risiko zu haben.“

Auch Hedgefonds holen sich das Geld für ihre Investments auf dem Finanzmarkt. Obwohl sie meist nur einen Min­der­heit­san­teil an einem Unternehmen halten, bee­in­flussen sie die Strategie. Das Ziel: durch Son­der­ausschüttungen oder Aktienrückkäufe die Investoren befriedigen. Oft wird das gekaufte Unternehmen dadurch gelähmt, denn es fehlt an Liquidität.

Gutes vs. schlechtes Kapital

Auch wenn es sicherlich überzogen ist, die Fi­nanz­in­ve­storen pauschal als „Heuschrecken“ zu verschreien: Die durch sie angestoßene Diskussion über Gier und Hem­mungslosigkeit an den Finanzmärkten kommt nicht von ungefähr. Dieser Debatte haben sich die Akteure zu stellen. Pri­vate-Eq­uity- und Hedgefonds scheinen Nach­haltigkeits­gedanken in Ökonomie, Ökologie und im sozialen Bereich komplett zu ignorieren. Was für sie „gutes Kapital“ ist, wird außerhalb ihrer Kreise häufig als zerstörerisches „schlechtes Kapital“ gegeißelt. Allerdings nutzen diese „Heuschrecken“ Mark­tin­ef­fizien­zen – was diese ver­schwinden lässt und dem Markt insgesamt guttut.

„Das Preis­geschehen auf den Finanzmärkten koppelt sich zunehmend von der Realität ab.“

Was also ist gutes, was schlechtes Kapital? Gemeinhin wird diese Frage danach entschieden, ob das Kapital nachhaltig eingesetzt wird. Gemäß dieser Definition wäre Mez­za­nine-Kap­i­tal gut, denn es erhöht das Eigenkap­i­tal und führt zu einem besseren Rating; ein Zwis­chenkredit hingegen wäre schlecht, weil er dies nicht erreicht. Jedoch ließe sich auch ar­gu­men­tieren: Nur durch den Zwis­chenkredit ist in einer Krisen­si­t­u­a­tion das Überleben des Un­ternehmens zu sichern. Somit wäre auch der Zwis­chenkredit indirekt nachhaltig. Fremdmittel sind, so lässt sich ve­r­all­ge­mein­ern, nicht „schlecht“, solange sie nach Abzug der Kosten eine Rendite er­wirtschaften.

„Seit einigen Jahrzehnten denken und agieren die Fi­nanz­mark­t­teil­nehmer zunehmend kurzfristig.“

Basel II hat einiges in Bewegung gebracht: Seit die Kred­itkon­di­tio­nen der Banken vom Zustand der Firma abhängig gemacht werden, haben viele Unternehmen intern aufgeräumt. Das ist langfristig aus­ge­sprochen sinnvoll – insofern sind Kredite wiederum „gutes“ Kapital.

Für den Anleger indes gilt: Ist ihm die Umweltverträglichkeit oder die Nach­haltigkeit der Produkte wichtig, wird er diesen Aspekt in die Abwägung zwischen Risiko und Rendite einbeziehen. Auf jeden Fall sollte er sich an solide Werte halten – nicht an die speku­la­tiven Fi­nanzin­stru­mente, die mit­tler­weile das Geschehen auf den Märkten bestimmen. Je mehr sich die Fi­nanzin­stru­mente von der Re­al­wirtschaft abkoppeln, desto wahrschein­licher wird es, dass der Kap­i­tal­markt plötzlich nicht mehr funk­tion­ieren wird.

Über die Autoren

Guido Eilenberger ist Professor emeritus für Be­trieb­swirtschaft, Bank­be­trieb­slehre und Fi­nanzierung an der Universität Rostock, Sascha Haghani ist Partner im Kom­pe­tenzbere­ich Re­struk­turierung und Corporate Finance bei der Un­ternehmens­ber­atung Roland Berger, Alfred Kötzle lehrt Controlling an der Eu­ropa-Uni­ver­sität Viadrina, Kurt Reding Fi­nanzwis­senschaft an der Universität Kassel und Klaus Spremann Fi­nanzwirtschaft an der Universität St. Gallen.