Der Aufstieg der Anderen

Buch Der Aufstieg der Anderen

Das postamerikanische Zeitalter

Siedler,


Rezension

Fareed Zakaria macht eine in­ter­es­sante Beobachtung: Im Sommer 2008 kam es bei Han­dels­ge­sprächen zu einem Eklat zwischen Indien und den USA. Kurz darauf besetzte Russland Georgien. China richtete im gleichen Jahr die teuersten Olympischen Spiele aller Zeiten aus. Hier treten Nationen aus dem Schatten, die sich so etwas vor wenigen Jahren noch nicht getraut hätten oder wirtschaftlich nicht dazu fähig gewesen wären. Zakaria spürt in seinem Buch dem Aufstieg der anderen Nationen nach, die sich anschicken, die USA vom Thron der wirtschaftlichen und politischen Macht zu stoßen. Das Buch ist angenehm jour­nal­is­tisch geschrieben, faktenreich, wenn auch nicht frei von Wieder­hol­un­gen. Zuweilen haut Zakaria mächtig auf die Pauke, erschrickt an anderen Stellen aber wieder über seine eigene Courage und rudert zurück. Dass China, Indien & Co. die Gewinner der kommenden Dekade sein könnten, weiß heute jeder. Aber wie sieht die Welt von morgen konkret aus? Der Autor muss nicht auf Nostradamus machen, aber ein wenig schärfere Konturen der Zukunft hätte man sich zwischen den ganzen Fakten und Zahlen doch gewünscht. Sei’s drum: BooksInShort empfiehlt das Buch allen, die sich für die Entwicklung der Weltwirtschaft in­ter­essieren.

Take-aways

  • Die Finanzkrise von 2008 zeigt, wie stark Wirtschaft­sna­tio­nen vernetzt sind.
  • Im 15. Jahrhundert begann der Aufstieg des Westens, im 20. Jahrhundert en­twick­el­ten sich die USA zur Supermacht.
  • Im 21. Jahrhundert übernehmen China und Indien die Führung.
  • Nach dem Kalten Krieg wurde der Kap­i­tal­is­mus für viele Nationen attraktiv, die vorher aus ide­ol­o­gis­chen Gründen seine erbitterten Feinde waren.
  • Das weltweite Pro-Kopf-Einkom­men ist in den ersten Jahren dieses Jahrhun­derts so stark gestiegen wie nie zuvor.
  • Liberale Politik, glob­al­isierte Wirtschaft und moderne In­for­ma­tion­stech­nolo­gie bilden die drei Triebkräfte des Aufstiegs der Anderen.
  • Chinas soziale und ökologische Probleme sind so groß wie sein Wirtschaftswach­s­tum.
  • Das Selb­st­be­wusst­sein der auf­streben­den Nationen kann in Na­tion­al­is­mus umschlagen.
  • Wirtschaftliche Prosperität und friedliche Zusam­me­nar­beit bedingen sich gegenseitig.
  • Die USA müssen sich an eine neue Rolle gewöhnen: Statt militärisch aufzutrumpfen, sollten sie eher Ko­op­er­a­tio­nen suchen und als Vermittler auftreten.
 

Zusammenfassung

Die Finanzkrise, ein Lehrstück der Glob­al­isierung

Zur weltweiten Finanzkrise 2008 konnte es nur kommen, weil sich Schuldner und Gläubiger gegenseitig anfeuerten, und zwar über Ländergrenzen hinweg. Die USA als ein Land, in dem jeder Haushalt durch­schnit­tlich 13 Kred­itkarten und mehr als 100 000 $ Schulden (in Form von Hypotheken) besitzt, ist auf Kredite angewiesen. Es ist dort normal, dass man auf Pump lebt. Im Gegensatz dazu gehört China als auf­strebende Wirtschaft­sna­tion eher zu den vor­sichti­gen Ländern. Die Chinesen haben ihr Geld auf die hohe Kante gelegt und es – statt es im eigenen Land zu investieren – an Nationen wie die USA verliehen. Das ermunterte die Amerikaner dazu, immer schön weiter Kredite aufzunehmen. Irgendwann brach das gigantische Kartenhaus zusammen, und zwar mit einem weltweiten Knall.

„Dieses Buch handelt nicht vom Niedergang Amerikas, sondern vom Aufstieg der Anderen.“

Die Finanzkrise ist vor allem deshalb so schlimm, weil sie im kap­i­tal­is­tis­chsten Land der Welt ausgebrütet wurde. Der Kap­i­tal­is­mus ist aus dem Kalten Krieg als siegreiches Wirtschaftssys­tem her­vorge­gan­gen und hat weltweit die auf­streben­den Nationen umgarnt, gelockt und gewonnen. Und jetzt so etwas: Der Kap­i­tal­is­mus frisst seine Kinder! Die Krise kann in einer glob­al­isierten Wirtschaft nur durch eine gemeinsame Anstrengung der vernetzten Nationen – mit teilweise sehr un­ter­schiedlichen politischen Systemen – gelöst werden. Das birgt auch Chancen: Wenn alle miteinander vernetzt und voneinander abhängig sind, kann keiner ausscheren und sein eigenes Ding machen. Wirtschaftlicher Aufschwung und friedliches Miteinander bedingen sich gegenseitig.

Der Siegeszug des Westens

In der Geschichte gab es bisher drei große Machtver­schiebun­gen. Im 15. Jahrhundert kam es zum Aufstieg der westlichen Welt, befördert durch Wis­senschaft und Ent­deck­un­gen. China hätte bereits im 15. Jahrhundert eine der größten Seefahrerna­tio­nen der Welt werden können: Die Kaiser der Ming-Dy­nas­tie bauten Schiffe, gegen die die Santa Maria von Christoph Kolumbus wie eine Nussschale gewirkt haben muss. Aber dann gab es einen Poli­tik­wech­sel: Die Chinesen igelten sich ein, verbrannten ihre Schiffe und untersagten sogar jede Bemühung, das Meer zu befahren. Ihre Kultur stagnierte, sie fielen in einen Dornröschenschlaf und überließen es dem Westen, die großen Ent­deck­un­gen der Neuzeit zu machen und auszubeuten. Europa unterschied sich von Asien auch in der politischen Or­gan­i­sa­tion: Hier gab es in der frühen Neuzeit bereits unzählige Stadt­staaten, Herzogtümer, Republiken, Königreiche, die alle ihr eigenes Süppchen kochten und miteinander in Konkurrenz standen. Wer in einem Fürstentum schlecht behandelt wurde, zog einfach weg. Wer an einem Ort seine Erfindungen nicht machen konnte, folgte den Ver­lock­un­gen der Konkurrenz. In China und Indien gab es dagegen eine Zen­tral­ge­walt, die nötigenfalls auch befehlen konnte, dass die Uhren rückwärts gehen. So etwas unterband jede Innovation und jeden Forschergeist.

„Im Verlauf der letzten 20 Jahre begaben sich etwa zwei Milliarden Menschen in die Welt der Märkte und des Handels – eine Welt, die bis vor kurzem einem kleinen Klub westlicher Länder vorbehalten war.“

Im ausgehenden 19. Jahrhundert kam es zum Aufstieg der USA zur unange­focht­e­nen Nummer eins der Welt. Jetzt, am Beginn des 21. Jahrhun­derts, erleben wir den Aufstieg der anderen Nationen, die bislang wirtschaftlich eher im Schatten standen. Was sind das für Nationen, die den USA zukünftig den Rang ablaufen könnten? Wer sind diese Anderen, die ein post­amerikanis­ches Zeitalter einläuten? Es sind Staaten wie China, Brasilien, Mexiko, Südkorea, Taiwan, Indien, Argentinien, Chile, Malaysia und Südafrika. Von einem asiatischen Jahrhundert zu sprechen, wäre genauso falsch, wie vom Untergang der USA zu reden. „Post­amerikanisch“ bedeutet nicht, dass die USA gänzlich in die Be­deu­tungslosigkeit absinken. Aber Entschei­dun­gen auf geopoli­tis­cher Ebene werden sich künftig nur noch im Konzert mit den Anderen treffen lassen.

Der Aufstieg der Anderen

Zwischen 2000 und 2007 erlebte die globale Wirtschaft einen Boom, der die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen 40 Jahre locker in den Schatten stellte. Trotz aller Kriege und ter­ror­is­tis­chen Attentate, trotz des Traumas des 11. Septembers 2001, des Irakkriegs, des Gaza-Kon­flikts usw. ist das weltweite Pro-Kopf-Einkom­men jährlich so stark gewachsen wie nie zuvor. Auch wenn uns das Fernsehen etwas anderes erzählt, weil es von schlechten Nachrichten lebt, befinden wir uns derzeit in einer besonders ruhigen und friedlichen Epoche der Geschichte. Diese Rah­menbe­din­gun­gen machen den Aufstieg der Anderen besonders wahrschein­lich.

„Seit den frühen 80er Jahren ver­brauchten die Amerikaner mehr, als sie pro­duzierten – und sie schlossen die Lücke, indem sie Kredite aufnahmen.“

Noch vor dem Fall der Berliner Mauer haben sich auf­strebende Nationen für einen politischen Kurswechsel entschieden und den Kap­i­tal­is­mus oder ihre persönliche Variante davon gewählt. Immer mehr ausländische Studenten kamen an westliche Universitäten und kehrten dann in ihre Länder zurück, um ihr mark­twirtschaftliches Wissen in die Tat umzusetzen. Mit dem frei flot­tieren­den Kapital ohne feste Wech­selkurse kam in den 70er und 80er Jahren das finanzielle Schmier­mit­tel in die Welt, das ein gren­zen­loses Kap­i­ta­lange­bot ermöglichte. Die Gründung unabhängiger Zen­tral­banken und die er­fol­gre­iche Bekämpfung der Inflation führten zu einem stabileren Fi­nanzsys­tem. Schließlich sorgte die Technologie dafür, dass die Erde „flach“ wurde: Via Internet wurden In­for­ma­tio­nen weltweit verfügbar. Auch Preise sind In­for­ma­tio­nen – und so sprang die Out­sourc­ing-Maschinerie an. Logistik und Prozess­man­age­ment führten dazu, dass Kleider, Hosen, Schuhe und Spielzeug heute made in China und Di­en­stleis­tun­gen made in India sind. Das indische Bollywood hat in Sachen Größe sein Vorbild, das amerikanis­che Hollywood, schon weit hinter sich gelassen.

„Amerika wird ökonomisch dem stärksten Konkur­ren­z­druck ausgesetzt sein, den es je erlebt hat.“

Mit dem Selb­st­be­wusst­sein der Anderen wächst auch deren Na­tion­al­stolz – der Na­tion­al­is­mus ist dann oft nicht weit. Aber man kann den neuen Wirtschaft­sna­tio­nen ihre Un­zufrieden­heit kaum verübeln, wenn sie nach wie vor keinen Zugang zu in­ter­na­tionalen Gremien wie dem UN-Sicher­heit­srat haben, die immer noch durch die Großmächte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs bestimmt werden.

China – der Her­aus­forderer

Albert Speer jr. ist Architekt wie sein Vater. Doch anders als dieser, der für Hitler die Umgestal­tung Berlins vo­rantreiben sollte, baut Speer jr. in Peking. Aus seiner Feder stammt der Boulevard von der Verbotenen Stadt zum Olympiapark, den China für die Olympischen Spiele 2008 anlegen ließ. Pekings Architektur ist das Symbol für ein Land, das die Gi­gan­tomanie in neue Dimensionen gerückt hat. 1978 produzierte China rund 200 Kli­maan­la­gen. Knapp 20 Jahre später sind es 48 Millionen. Diese Entwicklung wurde im Dezember 1978 ausgelöst, als Parteichef Deng Xiaoping auf einer Zen­tralkomi­teesitzung den wirtschaftlichen Fortschritt des Landes forderte und den pro­gram­ma­tis­chen Satz prägte, dass es egal sei, ob eine Katze weiß oder schwarz sei – solange sie Mäuse fange. Gut gesprochen und konsequent in die Tat umgesetzt: Heute hat China 400 Millionen Arme weniger, das Einkommen der Bevölkerung hat sich ver­sieben­facht und das Wirtschaftswach­s­tum erreicht durch­schnit­tlich knapp 10 % jährlich. Und das alles unter einem kom­mu­nis­tis­chen Regime mit zentraler Planung. So etwas dürfte eigentlich gar nicht funk­tion­ieren, und dennoch klappt es irgendwie. Die Regierung konnte Reformen rücksichtslos vo­rantreiben, ohne auf politische Gegenwehr zu treffen. Die Politik der kleinen Schritte, wie Pekings Wirtschaft­sre­for­men genannt werden, funk­tion­iert, auch wenn die Schritte teilweise winzig sind: Nach wie vor sind 34 der 35 größten Ak­tienge­sellschaften, die an der Shanghaier Börse notiert sind, teilweise oder komplett in staatlicher Hand.

„Eine Dritte Welt im strengen Sinne gibt es eigentlich nirgendwo mehr.“

Der Aufschwung hat natürlich seine Schat­ten­seiten. Die Umwelt leidet unter der massiven Mod­ernisierung der chi­ne­sis­chen Industrie. Von den rund 560 Millionen Chinesen, die in Großstädten leben, atmet nur 1 % gesund­heitlich unbe­den­kliche Luft ein. 26 % der chi­ne­sis­chen Flüsse sind hochgradig verschmutzt. Neben der ökologischen wird auch die soziale Frage immer virulenter: Die Landflucht verändert das soziale Gefüge Chinas, der Verkehr nimmt exorbitant zu (um 26 % jährlich). Tief­greifende politische Reformen gibt es noch nicht, aber mit dem höheren Einkommen wird sich auch die Ansicht der arrivierten Chinesen zum Regime ändern. Zudem wird die wirtschaftliche Entwicklung die Dezen­tral­isierung fördern. So gut wie alle Länder, die sich zu mark­twirtschaftlichen Prinzipien bekennen, werden früher oder später demokratisch organisiert. In­ter­es­san­ter­weise war es Karl Marx, der diesen Zusam­men­hang herstellte. Die politische Wirk­lichkeit gibt ihm Recht. Die Regierung in China möchte das zwar gern verhindern, muss aber bereits jetzt kleinere Zugeständnisse machen.

Indien – der Verbündete

Die Hochrech­nun­gen sprechen für Indien: Noch ist es wirtschaftlich gesehen Chinas kleiner Bruder, aber in naher Zukunft könnte das Land ein echter Überflieger werden. Wenn sich der derzeitige wirtschaftliche Aufschwung fortsetzt, wird Indien 2020 die Wirtschaft­sleis­tung Großbritanniens erreichen und 20 Jahre später die weltweite Nummer drei sein. Prognosen sind natürlich mit Vorsicht zu genießen, aber bereits heute tut sich viel in dem Land, in dem die meisten asiatischen Millionäre und gle­ichzeitig 40 % aller Armen weltweit wohnen. Indien hat viele gut aus­ge­bildete junge Leute: Einen drohenden Engpass an „Hu­mankap­i­tal“, wie ihn China mit seiner Ein-Kind-Poli­tik herbeigeführt hat, wird es dort nicht geben.

„Amerika veränderte die Welt nicht nur dank seiner Macht, sondern auch dank seiner Ideale.“

Eines der wichtigsten Argumente für Indien ist die englische Sprache, die als Relikt der Kolo­nial­herrschaft dem Land heute Bildung und Anschluss an westliches Know-how gewährt. 50 % des Brut­toin­land­spro­dukts werden im Di­en­stleis­tungssek­tor er­wirtschaftet. Indien besitzt eine alte Demokratie mit allen wichtigen demokratis­chen Instanzen – zumindest in der Theorie, denn Korruption und Mit­telver­schwen­dung nagen an den Grundlagen des Staates. Das Verhältnis zwischen den USA und Indien ist sehr positiv: Die derzeitige Nummer eins der Welt genießt bei über zwei Dritteln der Inder großen Respekt. Umgekehrt ist es genauso.

Was wird aus den USA?

Während sich China und Indien – die Prototypen der Anderen – auf dem Vormarsch befinden, haben sich die Konturen der amtierenden Wirtschaft­sna­tion Nummer eins verwischt. Zwar sind die USA lange nicht so schlecht, wie sie gern dargestellt werden – die Aus­bil­dungsquote z. B. von Ingenieuren im Vergleich mit China und Indien wurde in den Medien oft verfälscht. Dennoch wird sich das Land auf eine neue globale Aufgabe vorbereiten müssen. Eine Supermacht ist Amerika immer noch: wirtschaftlich, politisch und vor allem militärisch. Treten die USA in Ver­hand­lun­gen mit anderen Nationen, fühlen diese sich noch immer, als seien sie trib­utpflichtige Vasallen. Das zeugt vom Einfluss, den die USA nach wie vor haben, aber auch von ihrer Arroganz im Umgang damit.

„Offenheit ist letztlich Amerikas große Stärke.“

Die USA müssen an ihrer Wirkung auf andere Nationen arbeiten, nur dann wird ihre Führungsrolle auch mit Respekt belohnt werden. Das in­ter­na­tionale Ansehen der USA wird die zukünftige Rolle der Supermacht in der Welt bestimmen. Der US-Präsident sollte versuchen, zu allen Regierungen gute Beziehungen aufzubauen, um schließlich Dreh- und Angelpunkt bei der Lösung von Konflikten zu werden. Keine säbelk­lir­rende Powernation also, sondern Vermittler, Konfliktlöser und Mediator.

Über den Autor

Fareed Zakaria, 1964 in Bombay geboren, lehrte an der Harvard University In­ter­na­tionale Beziehungen sowie Politische Philosophie und war leitender Redakteur von Foreign Affairs. Seit 2000 ist er Chefredak­teur von Newsweek In­ter­na­tional. Außerdem moderiert Zakaria eine außen­poli­tis­che Sendung auf CNN.