Bekenntnisse eines englischen Opiumessers

Buch Bekenntnisse eines englischen Opiumessers

London, 1821/22
Diese Ausgabe: Insel,


Worum es geht

Freuden und Leiden des Opiums

Unmittelbar nachdem er sich von einer gut 15 Jahre währenden Opiumsucht befreit hatte, schrieb Thomas De Quincey seine auf­se­hen­erre­gen­den Beken­nt­nisse eines englischen Opiumessers. Der Tonfall ist weder zerknirscht noch besser­wis­serisch, sondern – wenn es nicht gerade um die Beschrei­bung eines Rausches geht – nüchtern analysierend. Das Werk war De Quinceys Versuch, die Opiumsucht geistig zu bewältigen, modern gesprochen also eine Art psy­cho­an­a­lytis­che Selb­st­ther­a­pie. De Quincey nahm Opium erstmals 1804 als Schmerzmit­tel ein und steigerte in den nächsten Jahren den Konsum, bis er sich 1820 in einem qualvollen Prozess davon befreite. In seinem Buch un­ter­schei­det er selbst die Phase des kon­trol­lierten Gebrauchs bis 1813 von derjenigen des anschließenden Missbrauchs. Das schock­ierende Thema und De Quinceys rückhaltlose Offenheit machten den Autor und seinen Erstling schlagartig bekannt. Die späteren Werke aus seiner Feder erlangten nicht mehr die gleiche Bedeutung für die Nachwelt wie die zum Klassiker avancierten Beken­nt­nisse.

Take-aways

  • Thomas De Quinceys Beken­nt­nisse eines englischen Opiumessers gilt als die erste lit­er­arische Darstellung selbst erlebter Rauschzustände.
  • Inhalt: Als Student nimmt De Quincey Opium als Schmerzmit­tel. Er entdeckt dessen be­wusst­sein­ser­weit­ernde Wirkung und gerät nach Jahren des Konsums in eine ihn selbst er­schreck­ende Abhängigkeit, die mit furchtbaren Albträumen einhergeht. Schließlich gelingt ihm der Entzug.
  • Unmittelbar nach dem Ende seiner Opiumzeit entstanden, hatte der Er­fahrungs­bericht für De Quincey eine selb­st­ther­a­peutis­che Funktion.
  • Das Buch machte den Autor umgehend bekannt.
  • De Quincey nimmt in den Schilderun­gen seiner Ängste und Träume auf lit­er­arische Weise Erken­nt­nisse der späteren Psy­cho­analyse vorweg.
  • Er gehörte zur ersten Generation der ro­man­tis­chen Schrift­steller Englands, die unter der Bezeichnung „Lake Poets“ bekannt wurden.
  • Trotz seiner Bekanntheit war das Leben von De Quinceys und seiner Familie von bitterer materieller Not gekennze­ich­net.
  • Bedeutende Künstler wie Hector Berlioz und Charles Baudelaire wurden von den Beken­nt­nis­sen eines englischen Opiumessers inspiriert.
  • Das Buch ist eine ein­dringliche Warnung vor den Gefahren des Missbrauchs des seinerzeit sehr gebräuchlichen Schmerzmit­tels Opium.
  • Zitat: „Doch nahm ich es, und nach einer Stunde, oh, Himmel, welch ein Umschwung, wie erhob sich mein innerer Geist aus seinen untersten Schichten empor, welche Apokalypse der Welt in mir!“
 

Zusammenfassung

Jugend eines Opiumessers

De Quincey will sich zu seinem jahrelangen Opiumkonsum bekennen, zu einer Verirrung, die Teil seines „Philosophen­lebens“ gewesen ist. Let­z­tendlich ist es ihm gelungen, sich von der Sucht zu befreien. Als Abhängigem ist ihm bewusst geworden, wie erstaunlich groß die Zahl der Opi­umkon­sumenten ist.

„Nicht um mir Genuss zu schaffen, sondern um Schmerzen schlimmster Art zu lindern, begann ich, Opium als Mittel der täglichen Diät zu nehmen.“ (S. 15)

Im Alter von sieben Jahren verliert De Quincey seinen Vater, der ihm ein beschei­denes Vermögen hinterlässt. Dieses reicht aus, um seinen Schulbesuch zu finanzieren. Er ist formell der Aufsicht von vier Vormunden unterstellt. Derjenige, mit dem er sich am besten versteht, lebt weit entfernt, zwei von ihnen kümmern sich so gut wie gar nicht um ihn. Sie überlassen die Entschei­dun­gen dem vierten, der gegen Ende von De Quinceys Schulzeit nur noch wenig Verständnis für den Ju­gendlichen zeigt. Der Junge ist lerneifrig und sprach­be­gabt. Spätestens im Alter von 15 Jahren beherrscht er Latein und Griechisch so meisterhaft, dass er in diesen Sprachen dichten und rhetorisch brillieren kann. Das wird von wohlmeinen­den Lehrern anerkannt, andere, die weniger souverän sind, neiden ihm seine Überlegen­heit. Das Interesse an anspruchsvoller geistiger Beschäftigung, vor allem an Philosophie und All­ge­mein­bil­dung, bleibt De Quinceys Hauptinhalt im Leben. Er schlägt allerdings keine akademische Laufbahn ein, sondern bleibt Pri­vat­gelehrter. Einer Er­werb­s­beschäftigung geht er nicht nach, auch nicht in Zeiten bitterster Not.

Flucht aus der Schule

Im Alter von 17 Jahren möchte De Quincey die Schule abbrechen und vorzeitig auf die Universität Oxford wechseln, doch sein Vormund verweigert ihm diesen Wunsch. De Quincey bewohnt ein eigenes Zimmer im Haus des Schul­vorste­hers. Mit etwas geliehenem Geld wagt er an einem Som­mer­mor­gen die Flucht – die aber beinahe scheitert: Ein Gepäckträger schleppt seinen Koffer die Treppe hinunter und gleitet dabei aus. Zum Glück weckt das Gepolter aber nicht den von Schlaflosigkeit geplagten Schul­vorste­her, der an diesem Morgen offenbar eine Tief­schlaf­phase hat. Nor­maler­weise erscheint er beim kleinsten Geräusch wie ein Wachhund an der Treppe.

Unterkunft bei der Mit­telschicht und der Un­ter­schicht

Eine erste Zuflucht findet De Quincey im Norden von Wales, bei einer Vermieterin, die eine Zeit lang Kindermädchen beim Bischof von Bangor gewesen ist. Selbst diese einfache Frau spiegelt die hochmütige Haltung der mittelständischen Bischofs­fam­i­lie wider, die nicht über die Souveränität adliger Familien verfügt, sondern ihren Status andauernd hervorkehrt, indem sie nach außen Distanz wahrt. Da „Seine Eminenz“ den Verdacht geäußert hat, es könnte sich bei De Quincey um ein zweifel­haftes Individuum handeln, wird das Mietverhältnis bald beendet. Die anschließenden, schnell wechselnden Aufenthalte in Wirtshäusern und Quartieren einfacher Leute zehrt De Quinceys Barmittel auf. Letzte Zuflucht ist eine Unterkunft bei sieben Brüdern und Schwestern in einer ärmlichen Bauernhütte, die sich als äußerst liebenswürdig erweisen. De Quincey hilft im Gegenzug den anal­pha­betis­chen Schwestern, indem er etliche Liebes­briefe für sie schreibt. Als die frommen Eltern von einer Methodis­ten­ver­samm­lung zurückkehren, wird De Quincey hin­auskom­pli­men­tiert.

Überleben­skampf in London

De Quincey gelangt nach London. Seine Geldmittel sind aufge­braucht und so quälen ihn viele Wochen lang Hunger, Kälte und Schlaflosigkeit. Einige Zeit verbringt er als Obdachloser. Ein sehr beschei­denes, kostenloses Obdach gewährt ihm schließlich der obskure Recht­san­walt Brunell, ein Winke­lad­vokat und Schuldenein­treiber, der ein großes, aber unmöbliertes, ver­wahrlostes und von Ratten bevölkertes Palais bewohnt. Er ist selbst nur selten anwesend und kümmert sich nicht besonders um De Quincey. Dieser lernt Ann, ein 16-jähriges Straßenmädchen, kennen und die beiden freunden sich an. Die Tage verbringt der junge Mann mehr oder weniger damit, auf den Straßen Londons herumzus­tre­unen. Bei einem Spaziergang mit Ann bekommt De Quincey in der Nähe des Soho Square einen so drama­tis­chen Schwinde­lan­fall, dass er nur durch ein Glas Portwein – von Ann bezahlt – gerettet werden kann. Trotz seiner tiefen Sympathie für Ann verlieren sich die beiden nach einiger Zeit aus den Augen. Ann verloren zu haben, bedauert er zeit seines Lebens immer wieder zutiefst.

Suche nach Kredit

Von einem mitfühlenden Freund seiner Familie, dem er zufällig auf der Straße begegnet, erhält De Quincey ein wenig Geld. Außerdem will er bei jüdischen Geld­ver­lei­h­ern sein künftiges Erbe mit einem Kredit belasten. An seine Vormunde wendet er sich nicht, weil er fürchtet, sie könnten ihn wieder zurück auf die Schule schicken. Da Referenzen bezüglich seiner Kreditwürdigkeit bzw. Bürgen von ihm verlangt werden, reist er zu einem adligen, vermögenden Freund nach Eton. Beim Aufbruch zu dieser Reise am Piccadilly Square sieht er Ann zum letzten Mal. Nach einer umständlichen Postkutschen­fahrt erfährt er, dass sich der junge Lord inzwischen in Cambridge aufhält. Ein anderer junger Earl aus seinem Fre­un­deskreis bewirtet ihn zwar gast­fre­undlich und großzügig, knüpft eine Bürgschaft aber an Bedingungen, die die Juden nicht annehmen wollen, und windet sich so heraus. Schließlich kommt es zu einer Versöhnung von De Quincey mit seinen Angehörigen und er kann zum Studium nach Oxford übersiedeln.

Die Freuden des Opiums

Von Oxford aus fährt De Quincey immer wieder nach London. Als er während eines dieser Aufenthalte von Zahnweh geplagt wird, taucht er seinen Kopf in kaltes Wasser und legt sich anschließend mit nassen Haaren schlafen. Am nächsten Morgen wacht er mit erheblichen Schmerzen am Kopf, speziell im Gesicht, auf, die drei Wochen lang anhalten. In einer Apotheke besorgt er sich auf Anraten eines Freundes Opium. Die Schmerzen ver­schwinden. Mehr noch: Das Mittel macht ihn unerwartet heiter und zufrieden. Diese Wirkung hält acht bis zehn Stunden lang an. Im Gegensatz zum Alko­hol­rausch, der einen kurzfristi­gen Kon­trol­lver­lust hervorruft, ist die Opi­umwirkung anhaltend und gleichmäßig. Zudem beflügelt sie den Geist; das Opium hebt die Stimmung und steigert die Konzen­tra­tionsfähigkeit. De Quincey nimmt mehr davon. In der Oper tritt eine gefeierte Sängerin auf, deren Darbietung er durch das Opium verstärkt wahrnimmt. Auch das Treiben auf den dicht belebten Straßen Londons an Sam­stagaben­den regt ihn an. Einen depressiven Effekt beim Nachlassen der Opi­umwirkung kann er nicht feststellen, auch kein Verfallen in Apathie, wie sie von den Türken überliefert ist. Jahrelang beherrscht De Quincey die Opi­umein­nahme vollkommen kon­trol­liert.

Leben auf dem Land

1812 ist De Quinceys Studienzeit in Oxford zu Ende. Er bezieht ein beschei­denes Landhäuschen 250 Meilen entfernt, das er nur mit einer Haushälterin bewohnt, und widmet sich weiterhin philosophis­chen Studien, vorwiegend der zeitgenössischen deutschen Meta­physiker Kant, Fichte und Schelling, deren Werke seine immer um­fan­gre­icher werdende Bibliothek ergänzen. Ab 1813 leidet De Quincey an Ma­gen­schmerzen. Von nun an nimmt er täglich Opium. Ob das Magenleiden mit der schwindel­er­re­gen­den Entkräftung während der Londoner Hungerzeit zu tun hat, vermag er nicht zu sagen. Nach der Schmerzat­tacke gelingt es De Quincey, die Dosis deutlich zu reduzieren, doch es bleibt bei einer täglichen Einnahme. Es wird sein glücklichstes Jahr, frei von Schwermut und bei höchster Klarheit des Geistes, was seinen Kant-Stu­dien zugutekommt.

„Es ist schlimm, wenn ein Knabe seinen Lehrern an Kenntnissen oder an Geis­teskraft weit überlegen ist und es weiß.“ (S. 17)

In dieser ländlichen Einsamkeit klopft eines Tages ein Malaie in ori­en­tal­is­cher Tracht und mit Turban an die Tür. Das Dienstmädchen ist erschreckt und entsetzt. Der rätselhafte Orientale hat sich offenbar verirrt. Eine Verständigung ist aufgrund mangelnder Sprachken­nt­nisse beider Seiten nicht möglich. Nach kurzem Aufenthalt zieht der Orientale, mit etwas Opium beschenkt, wieder von dannen, aber der Eindruck des Besuchs prägt sich De Quincey tief ein. Weitere drei Jahre lang genießt er ganz bewusst das Glück stiller Zurück­ge­zo­gen­heit und idyllischer Gelehrsamkeit, am liebsten an kühlen Herbst- und Wintertagen, nahe am wärmenden Feuer in seiner Bibliothek, mit reichlich Tee – und der Karaffe mit rubinrotem Laudanum (in Alkohol gelöstem Opium). In der Regel widmet er sich von abends um acht bis morgens um vier Uhr der Lektüre. Die Dosis des Opiums steigt in diesen Jahren wieder.

Leidensanfänge

Für die Zeit von 1817 an vermag De Quincey seine Erin­nerun­gen nur noch bruchstückhaft wiederzugeben. An eine Ver­ringerung der Opiumdosis ist wegen der damit verbundenen schmerzhaften Entzugser­schei­n­un­gen zunächst nicht zu denken. Die erken­nt­nis­the­o­retis­chen Studien hat De Quincey inzwischen aufgegeben. Wenn er Besuch bekommt, findet er gele­gentlich Vergnügen am Vorlesen von Gedichten. Schon seit Längerem in­ter­essiert er sich für Nationalökonomie, die meisten Vertreter dieser Wis­senschaft kanzelt er aber als völlig unbedeutend ab. 1819 erhält er jedoch von einem Freund ein Buch des Nationalökonomen Ricardo zugeschickt, das ihn sogleich begeistert und ihn aus seiner geistigen Lethargie wachrüttelt. Nach der Lektüre beschließt er, selbst ein Werk zu verfassen. Es soll den Titel Prolegomena aller künftigen Systeme der Nationalökonomie tragen. Doch dieses Vorhaben kommt bald zum Erliegen. De Quincey fühlt sich schläfrig, schwach, verwirrt. Hinzu kommen Albträume.

Erste Hal­luz­i­na­tio­nen

Ab Mitte des Jahres 1817 wird De Quincey zunehmend von sehr realen Angstträumen gequält. Er kämpft mit willkürlich her­vorgerufe­nen Hal­luz­i­na­tio­nen, archaischen Träume und Ängsten vor schwindel­er­re­gen­den Abgründen – und das Nacht für Nacht. Als besonders ein­drucksvoll registriert er ein verändertes Raum- und Zeitgefühl: Der Raum scheint kolossal anzuschwellen, die Zeit dehnt sich ins schier Unendliche aus. De Quincey sieht vor seinem geistigen Auge Szenen aus seiner Kindheit oder längst vergessene Bilder aus späteren Jahren. Er erlebt den sekun­den­schnellen Ablauf eines ganzen Lebens und gelangt zu der Erkenntnis, dass es gar kein Vergessen gibt – was einer Höllenstrafe gleichkommt. Besonders intensive Leseeindrücke his­torischer Werke, etwa über die römische Geschichte oder den englischen Bürgerkrieg zwischen König und Parlament, werden in einer Art Traumthe­ater lebendig. Auch die düsteren Ar­chitek­tur­fan­tasien des römischen Zeichners Piranesi, die De Quincey kennt, flackern auf. Sie wechseln sich ab mit spiegelnden Wasser­oberflächen und men­schlichen Antlitzen aller Art.

Traumbilder und Traumerzählungen

Im Frühjahr 1818 wird der Malaie, der vor Jahren unverhofft vor der Tür des Landhäuschens stand, zum Kristalli­sa­tion­spunkt weiterer Ängste. Seine Gestalt erscheint in Träumen über ori­en­tal­is­che Kulturen und Religionen von Ägypten über Indien bis China. De Quincey wird in seinen Visionen einerseits vergöttlicht, an­der­er­seits gefoltert und geopfert. Zudem erscheinen ihm im Traum gefährliche Fantasievögel und Reptilien. Das Schlimmste ist die Vorstellung, jahrhun­derte­lang unter Krokodilen leben zu müssen.

„Natürlich war ich mit der Kunst und den Mysterien des Opiumessens nicht vertraut (...). Doch nahm ich es, und nach einer Stunde, oh, Himmel, welch ein Umschwung, wie erhob sich mein innerer Geist aus seinen untersten Schichten empor, welche Apokalypse der Welt in mir!“ (S. 73)

Eine lange Traum­se­quenz verbindet den Tod eines Kindes mit einer Beerdigung an einem Os­ter­son­ntag­mor­gen, eingebettet in eine weite Landschaft. Dahinter sieht De Quincey eine kuppelgekrönte Stadt, die Jerusalem sein könnte. Und dort wiederum erscheint ihm Ann, die er 17 Jahre zuvor aus den Augen verloren hat.

„Der Wein raubt dem Menschen die Macht über sich selbst, das Opium stärkt sie in hohem Maß.“ (S. 76)

Ein Traum aus dem Jahr 1820 hat eine apoka­lyp­tis­che Schlacht zum Inhalt. Gewaltige Heere sind zum Klang von Fanfaren und hym­ne­nar­tiger Musik auf­marschiert, De Quincey befindet sich mitten in dem Getümmel, das immer chaotischer wird. Es kommt ihm vor, als hinge die Entschei­dung allein von ihm ab, aber er ist wie gelähmt. Er wünscht sich nur noch, nicht mehr schlafen zu müssen.

„Die Zeit zwischen den letzten Ok­to­ber­wochen und dem Wei­h­nachtsabend ist daher die Blütezeit des Glücks, und in meiner Vorstellung tritt sie ins Zimmer mit dem Teebrett in der Hand.“ (S. 110)

Angesichts all dieser Qualen erkennt er, dass er nur die Wahl hat, zu sterben oder auf das Opium zu verzichten. Zunächst reduziert er die tägliche Menge, wobei er Todesqualen durchleidet. Schließlich kommt ihm der Entzug aber wie eine Wieder­aufer­ste­hung vor, und er gibt das Rauschmit­tel ganz auf.

Zum Text

Aufbau und Stil

Wie bei einem au­to­bi­ografis­chen Text nicht anders zu erwarten, sind die Beken­nt­nisse in der Ich-Form geschrieben. Das Buch setzt sich aus mehreren klar voneinander abge­gren­zten Teilen zusammen: Die „Vor­beken­nt­nisse“ enthalten den Werdegang De Quinceys bis zu seinem ersten Opiumkonsum. Sie machen annähernd die Hälfte des Buches aus. In „Die Freuden des Opiums“ schildert der Erzähler die ersten – positiv bewerteten – Erfahrungen mit dem Heilmittel und grenzt sie vom Alko­hol­rausch ab. Darauf folgt ein kurzer Abschnitt mit dem Titel „Einführung in die Leiden des Opiums“, worin De Quincey eine Phase von Vere­in­samung, zeitweiser gesund­heitlicher Beeinträchtigung und Melancholie beschreibt. In „Die Leiden des Opiums“ sind Albträume, Qualen und Angstzustände der Gegenstand. Nur in diesem letzten Teil findet De Quincey zu einer gesteigerten, in­ten­siv­eren Tonlage, ansonsten bedient er sich einer schnörkellosen, nüchternen Sprache – eine Beson­der­heit im Umfeld der ro­man­tis­chen Literatur jener Zeit, die meist bewusst den poetisch-überhöhten Ausdruck suchte. So ve­r­ar­beit­ete etwa William Wordsworth seine Lebens­geschichte in hochlit­er­arischer Weise (The Prelude). Im Übrigen enthält De Quinceys Text viele Zitate und An­spielun­gen auf englische und antike Autoren sowie auf einige seinerzeit bekannte Schrift­steller oder Persönlichkeiten.

In­ter­pre­ta­tion­sansätze

  • De Quinceys Werk ist ein Selb­ster­fahrungs­bericht; man könnte es auch eine Art Selb­st­ther­a­pie nennen. Es ist die ebenso sensible wie aufrichtige und nirgendwo beschönigende Darstellung der eigenen Person, die die Beken­nt­nisse auszeichnet.
  • Im weiteren Sinn lässt sich das Buch auch als Bil­dungsro­man sehen: De Quincey schildert, wie er wurde, was er ist. Dies gilt nicht nur für die Opi­umer­fahrung. Auch die ausführliche Behandlung seines Schul- und Aus­bil­dungsweges ist ihm of­fen­sichtlich wichtig.
  • Die Erfahrung des Unbewussten, vor allem die Schilderun­gen gegen Ende des Buches, sind so etwas wie ein Vorgriff auf Erken­nt­nisse der Psy­cho­analyse, wie sie um 1890 von Sigmund Freud entwickelt wurde. De Quincey ist sich bewusst, dass sich ihm diese Traumwelt ohne die Dro­gen­er­fahrung nicht erschlossen hätte – und diese wiederum nicht ohne die Elendszeit in London.
  • De Quincey kommt zu in­ter­es­san­ten psy­chol­o­gis­chen Erken­nt­nis­sen, etwa wenn er das Gedächtnis als Palimpsest betrachtet, also als mehrfach beschriebenes Schriftstück, dessen untere Schichten nicht verloren sind, sondern im Opiumrausch wieder zum Vorschein kommen.
  • Die Traumpas­sagen zeigen Parallelen zur modernen Stream-of-Con­scious­ness-Tech­nik und haben Autoren der Moderne beeinflusst.
  • Die Beken­nt­nisse sind als Warnung vor dem Opiumkonsum gedacht. Der Buchaufbau macht deutlich, dass das Entsetzen der späteren Leiden die anfänglichen Freuden bei Weitem überwiegt.

His­torischer Hintergrund

Die Lake Poets und das Opium

Thomas De Quincey zählt mit William Wordsworth, Samuel Taylor Coleridge und Robert Southey zur ersten Generation der englischen ro­man­tis­chen Dichter. Wordsworth war die zentrale Figur der Gruppe und ihr einziger Vertreter, der nie mit materiellen, gesund­heitlichen und familiären Problem zu kämpfen hatte. 1795 schloss er enge Fre­und­schaft mit Coleridge. Gemeinsam veröffentlichten sie eine Sammlung von Gedichten (Lyrical Ballads) und bereisten Deutschland. Danach zog Wordsworth in die Ortschaft Grasmere im heimatlichen Lake District im Nordwesten Englands.

Coleridge und Southey zogen ebenfalls in die Nähe, schließlich auch der eher einzelgängerische De Quincey. Dieser romantische Dichterkreis wird daher „Lake District Poets“ oder einfach „Lake Poets“ genannt. Southey und Coleridge verband der jugendliche Plan, in die USA auszuwan­dern und in Penn­syl­va­nia eine Dichterkom­mune zu gründen. Daraus wurde jedoch nichts. Stattdessen heirateten die beiden ein Schwest­ern­paar und wurden damit verschwägert. Southey war ein zu seiner Zeit viel gelesener Autor und Journalist, der auch zum „Poet laureate“, zum offiziellen Hofdichter des Königs ernannt wurde.

Coleridge war wie De Quincey opiumabhängig. Die Sucht führte dazu, dass sich die Familien Wordsworth und Coleridge wieder ent­fremde­ten. Coleridge ging nach London. De Quincey blieb und zog sogar in das Haus von Wordsworths Familie, das idyllische Dove Cottage, nachdem es den Wordsworths zu klein geworden war.

Entstehung

Im Alter von 19 Jahren, auf einem seiner Ausflüge von seinem Studienort Oxford nach London, nahm De Quincey erstmals Opium ein. Als er die Beken­nt­nisse schrieb, war er 35 Jahre alt. Es war sein erstes lit­er­arisches Werk überhaupt und der Beginn einer überaus reichen schrift­stel­lerischen Produktion, mit der er gegen Ende seines Lebens eine 14-bändige Werkausgabe füllte. Bekannt ist er aber vor allem für seinen Erstling. Die Beken­nt­nisse wurden erstmals im London Magazine veröffentlicht, einer anspruchsvollen lit­er­arischen Zeitschrift, die bereits eine 50-jährige Tradition aufwies und nach einer Un­ter­brechung 1820 neu ins Leben gerufen worden war. Auch Wordsworth und andere Romantiker zählten zu ihren Autoren. 1822 folgte eine Buchausgabe der Beken­nt­nisse.

Für die Herausgabe seiner gesammelten Werke übe­rar­beit­ete De Quincey den Text und erweiterte vor allem die Erzählung seiner Jugend und seines Bil­dungsweges um lit­er­arische und philosophis­che Themen, teilweise in ausführlichen Fußnoten.

Wirkungs­geschichte

Die Beken­nt­nisse eines englischen Opiumessers erregten bei ihrem Erscheinen enormes Aufsehen und machten De Quincey als Autor schlagartig bekannt. Noch nie war über Drogensucht so offen geschrieben worden. Opiumkonsum war in jener Zeit allerdings weit verbreitet. Vor allem als Laudanum, einer Mischung aus Opium, Alkohol und Wasser, befand sich das Mittel – wie heute Aspirin – in jeder Hausapotheke.

Einen überraschend direkten Einfluss hatten die Beken­nt­nisse eines englischen Opiumessers auf ein musikalis­ches Werk: Hector Berlioz gab an, dass seine berühmte Symphonie Fantastique (1830) von dem Buch und den darin geschilderten inneren Kämpfen inspiriert sei, und beschrieb deren Inhalt ausdrücklich als „Geschichte eines Künstlers mit lebhafter Vorstel­lungskraft“, der unter dem Einfluss von Opium seiner inneren Verzwei­flung Ausdruck verliehen habe. Berlioz’ eigene Verzwei­flung, die wohl auch in das Werk einge­flossen ist, bezog sich allerdings auf seine unerwiderte Liebe zu einer irischen Schaus­pielerin.

Un­mit­tel­baren lit­er­arischen Einfluss hatten die Beken­nt­nisse auf Charles Baudelaire, der sie ins Französische übersetzte und der selbst über und unter Rauschgift­fe­in­fluss schrieb (Die künstlichen Paradiese), sowie auf den Amerikaner Fitz Hugh Ludlow (Der Haschis­chesser). De Quincey steht am Anfang einer Reihe von Autoren, die über ihren persönlichen Dro­genkon­sum und dessen Auswirkun­gen schrieben und nicht selten zu einer gewissen Fantastik neigten, von Edgar Allan Poe über Aldous Huxley und Gottfried Benn bis hin zu den Vertretern der so genannten Beat­gen­er­a­tion – Jack Kerouac, Allen Ginsberg und William Burroughs – und den Poplit­er­aten der 1990er Jahre, unter ihnen der Schweizer Christian Kracht.

Über den Autor

Thomas De Quincey wird am 15. August 1785 in Manchester geboren. Sein Vater stirbt 1793. Die Mutter zieht wenig später mit dem Jungen nach Bath. Zu der Zeit fügt sie dem Nachnamen das adlig klingende „De“ hinzu. In der Schule fällt De Quincey durch her­aus­ra­gende Leistungen in alten Sprachen auf. Einer seiner Lehrer sagt einmal zu einem Fremden: „Dieser Knabe könnte eine bessere Ansprache an eine athenische Volksmenge halten als Sie oder ich an eine englische.“ 1802 verlässt De Quincey die Schule heimlich und lebt monatelang mittellos in Wales und London. Eine Zeit lang ist er dem Verhungern nahe. Bekannte bringen den Ausreißer zurück zu seiner Familie, und nach der Aussöhnung kann er in Oxford studieren. Von dort aus fährt er des Öfteren nach London, wo er 1804 eine Neuralgie erleidet, die ihn zum Opiumkonsum führt. An dem mündlichen Examen zum Abschluss seines Studiums nimmt De Quincey nicht teil. Er zieht in den Lake District, in die Nähe des von ihm verehrten ro­man­tis­chen Dichters William Wordsworth, und lebt später sogar in dessen Dove Cottage, einem idyllischen Landhaus, das der Familie Wordsworth zu klein geworden ist. Dort scheint der schmächtige De Quincey, wie ein Besucher notiert, „in einem Ozean deutschsprachiger Literatur zu ertrinken“. De Quincey gibt sehr viel Geld für Bücherkäufe aus. 1817 heiratet er die Bauern­tochter Margaret Simpson. Die Ehe ist glücklich, aber weil sie als nicht standesgemäß angesehen wird, entfremdet er sich von Wordsworth und dessen Familie. Seit dem Beginn seiner Ehe ist De Quinceys Erbe aufge­braucht. Er arbeitet als Journalist, Übersetzer und Autor. 1821 erscheinen die Confessions of an English Opium-Eater (Beken­nt­nisse eines englischen Opiumessers), durch die er bekannt wird. Dennoch lebt die bis auf zehn Köpfe anwachsende Familie in permanenter Armut. 1826 zieht der Autor mit seiner Familie der besseren Arbeitsmöglichkeiten wegen nach Edinburgh, 1833 muss er den Bankrott erklären. Nach dem Tod seiner Frau 1837 verstärkt sich De Quinceys Opiumsucht erneut. Er stirbt am 8. Dezember 1859.