Jakob und sein Herr

Buch Jakob und sein Herr

oder Der Glaube an das Walten des Schicksals

Paris, 1796
Diese Ausgabe: Diogenes,


Worum es geht

Schicksal oder Wil­lens­frei­heit?

Folgt unser Leben einem vorherbes­timmten Schicksal oder haben wir die FĂ€den selbst in der Hand? Der launische Diener Jakob und sein namenloser Herr zotteln in Diderots berĂŒhmtem Roman zu Pferd ĂŒbers Land und kommen immer wieder auf diese alles entschei­dende Frage zurĂŒck. Dazu passend, inszeniert der Autor ein lit­er­arisches Ver­wirrspiel der Extraklasse: Es finden sich Liebesgeschichten, die den eigentlichen Reise­bericht un­ter­brechen, Anekdoten, die wiederum diese Liebesgeschichten zweiteilen, ZwischenfĂ€lle, von denen die Anekdoten un­ter­brochen werden, und Kommentare des ErzĂ€hlers, der schließlich alles infrage stellt. Jakob und sein Herr ist an stilis­tis­cher Raffinesse kaum zu ĂŒberbieten und wohl nur mit Laurence Sternes Tristram Shandy zu vergleichen – den Diderot im Roman denn auch ausfĂŒhrlich zitiert. Goethe sprach von einer „köstlichen und großen Mahlzeit in Ein­schiebeschĂŒsseln“, Hans Magnus En­zens­berger nannte den Roman „eines der in­tel­li­gen­testen BĂŒcher der Weltlit­er­atur“. In der Tat: Das Werk liest sich heute so frisch wie vor 200 Jahren.

Take-aways

  • Jakob und sein Herr gilt als Meilenstein des modernen Romans und ist Diderots bekan­ntestes Buch.
  • Inhalt: Jakob und sein Herr unternehmen zu Pferd eine neuntĂ€gige Reise durch Frankreich. Sie erzĂ€hlen sich Geschichten und hören auch von ihren Reise­bekan­ntschaften so manche pikante Anekdote. Immer wieder kommt eine von Jakob aufgestellte These zur Sprache: alles irdische Geschehen sei vorherbes­timmt.
  • Die Geschichte wird nicht linear erzĂ€hlt, sondern immer wieder un­ter­brochen.
  • Der ErzĂ€hler selbst rĂ€umt ein, die Handlung nach Lust und Laune zu verĂ€ndern.
  • Jakobs Schick­sals­glaube wird damit auch formal umgesetzt: Im Roman wie im Leben geschieht nur, was von „höherer Stelle“ gewollt ist.
  • Dieser Verzicht auf die Il­lu­sion­swirkung der Geschichte war seinerzeit höchst innovativ und nahm die The­aterthe­o­rie Bertolt Brechts vorweg.
  • Aus Angst vor den Zensurbehörden ließ Diderot den Text in Frankreich zunĂ€chst nicht veröffentlichen.
  • Friedrich Schiller ĂŒbersetzte 1785 AuszĂŒge ins Deutsche; erst 1796 erschien die französische Orig­i­nalaus­gabe.
  • Schrift­steller von Goethe bis En­zens­berger Ă€ußerten ihre Begeis­terung ĂŒber das Werk.
  • Zitat: „Das musste so kommen, denn es stand dort oben in den Sternen geschrieben ...“
 

Zusammenfassung

In der Hand des Schicksals

Der Diener Jakob und sein Herr sind auf Reisen. Jakob glaubt, dass das Leben vorherbes­timmt ist, und will als Beweis seine persönliche Liebesgeschichte erzÀhlen: Er zog einst mit seinem Regiment in den Krieg, wurde von einer Kugel ins Knie getroffen und auf einem Karren ab­trans­portiert. Vor einer Bauernkate wurde er ohnmÀchtig, spÀter wachte er im Bett der armen Bauern wieder auf.

„Wo waren die beiden einander zum ersten Mal begegnet? – Ei, von ungefĂ€hr, wie alle Leute. – Wie hießen sie? – Was mag’s Euch kĂŒmmern? – Wo kamen sie her? – Vom nĂ€chst­gele­ge­nen Ort. – Wo gingen sie hin? – Kann man denn jemals wissen, wo man hingeht?“ (Leser und ErzĂ€hler ĂŒber Jakob und seinen Herrn, S. 5)

Bevor Jakob weitererzĂ€hlen kann, wird es Nacht und damit Zeit, eine Unterkunft zu suchen. Die beiden kehren in ein Wirtshaus ein. Im Nach­barz­im­mer randalieren ein Dutzend Rabauken, die Jakob mit vorge­hal­tener Pistole ins Bett schickt. Die Überzahl der MĂ€nner macht ihm keine Angst. Wollte das Schicksal, dass ihm etwas zustĂ¶ĂŸt, wĂ€re er ohnehin verloren; da das Schicksal ihm aber wohlgesinnt ist, passiert ihm – so Jakobs Theorie – ganz bestimmt nichts.

„Du siehst, lieber Leser, ich bin schon mitten im ErzĂ€hlen, so recht im Zug, und es hinge bloß von mir ab, dich ein Jahr, zwei oder gar drei Jahre lang nach der ErzĂ€hlung von Jakobs Liebesaben­teuer zappeln zu lassen.“ (ErzĂ€hler, S. 7)

Am folgenden Tag erzĂ€hlt Jakob, wie er in der Bauernkate von einem Wundarzt versorgt wurde und dann den Bauern belauschte, der seiner Frau VorwĂŒrfe machte: Sie hĂ€tte Jakob nicht aufnehmen sollen, die Familie könne sich auch ohne den Gast kaum versorgen. Allerdings scheint der Bauer in der folgenden Nacht die Geldsorgen wieder vergessen zu haben: Soweit Jakob es erlauschen kann, macht er seiner Frau ein weiteres Kind.

Die Uhr und die Börse

WĂ€hrend Jakob und sein Herr ihre Reise fortsetzen und plaudernd vor sich hin reiten, fĂ€llt ihnen auf, dass sie bei ihrer letzten Nachtruhe die Uhr des Herrn und Jakobs Geldbörse haben liegen lassen. Jakob reitet zurĂŒck und bekommt auf dem Weg die Uhr von einem KrĂ€mer angeboten, der das gute StĂŒck zuvor als Diebesgut erstanden haben muss. Jakob nimmt sie ihm ab – mit vorge­hal­tener Pistole. Der KrĂ€mer schreit um Hilfe, Jakob wird verhaftet und im nĂ€chsten Dorf dem PolizeiprĂ€sidenten vorgefĂŒhrt.

„Es stand beides, eins neben dem andern, in den Sternen geschrieben. Alles steht beisam­mengeschrieben. Es ist gleichsam eine riesengroße Schriftrolle, die ganz unmerklich und allmĂ€hlich aufgerollt wird.“ (Jakob, S. 14)

Bei diesem handelt es sich zufĂ€llig um den Gastgeber, bei dem Jakob und sein Herr in der vergangenen Nacht un­tergekom­men sind. Er lĂ€sst seine gesamte Di­ener­schaft vortreten, und der KrĂ€mer erkennt den Dieb, der ihm die Uhr verkauft hat. Die Börse bekommt Jakob von einem MĂ€dchen zurĂŒck, das behauptet, er habe sie damit fĂŒr ihre Liebes­di­en­ste bezahlt. Jakob kann sich nicht daran erinnern, tritt ihr aber – schick­salsergeben – eine kleine Bezahlung ab.

Die Geschichte vom Hauptmann

Jakob erzĂ€hlt seine Liebesgeschichte weiter: In der Bauernkate warf der Wundarzt einen Blick auf Jakobs Knie und stellte zufrieden fest, dass das Bein nicht amputiert werden musste. Zum Entsetzen des Bauern verkĂŒndete er jedoch, dass Jakob noch mehrere Monate liegen mĂŒsse und das Haus nicht verlassen dĂŒrfe.

„,Dieses Gesindel will ich zur Vernunft bringen.‘ ,Weißt du auch, dass ihrer gut ein Dutzend sind?‘ ,Und wĂ€ren sie ihrer hundert, ihre Zahl hat da gar nichts zu besagen, wenn in den Sternen geschrieben steht, sie seien nicht zahlreich genug.‘“ (Jakob und sein Herr, S. 15)

Abermals un­ter­brochen wird die ErzĂ€hlung, weil Jakob und sein Herr an einem Trauerzug vor­beikom­men. Am Sarg entdeckt Jakob das Wappen seines ehemaligen Hauptmanns, den er heiß geliebt und von dem er seine Schick­sal­sphiloso­phie ĂŒbernommen hat. Er erzĂ€hlt, wie der reiche Hauptmann einst in einem halb fre­und­schaftlichen, halb ver­fein­de­ten VerhĂ€ltnis zu einem armen Offizier stand: Die beiden konnten nicht voneinander lassen, duellierten sich, pflegten sich wieder gesund, duellierten sich erneut und wurden vom Kriegsmin­is­ter schließlich auf separate Posten versetzt. Die Trennung jedoch ertrugen sie nicht, weshalb sie beschlossen, einander in einem alles entschei­den­den Kampf zu töten – was in letzter Sekunde von anderen Offizieren verhindert wurde.

Das Pferd des Henkers

Jakobs Pferd geht mehrmals durch und galoppiert jeweils zu einer Bergkuppe, auf der sich ein Hin­rich­tungsplatz befindet. Zu guter Letzt trĂ€gt es Jakob zu einem Haus, an dessen Torbogen er sich böse den SchĂ€del stĂ¶ĂŸt. Wie sich her­ausstellt, gehörte das Pferd zuvor einem Henker und ist nun sozusagen nach Hause gerannt. Jakobs Herr, sonst alles andere schick­salsglĂ€ubig, gibt zu bedenken, das Henker­spferd könne ein schlechtes Omen sein.

„Diesmal nun tat der Herr zuerst den Mund auf und fing mit seinem gewohnten Kehrreim an: ,Und jetzt, Jakob, wie steht’s mit der Geschichte deiner Liebe?‘“ (S. 22)

Jakob erzĂ€hlt weiter: Da er in der Bauernkate nicht willkommen war, verhandelte er mit dem Wundarzt. FĂŒr 24 Franken im Monat wollte der ihn schließlich mit zu sich nehmen und von seiner Frau pflegen lassen. So war Jakob zwar fast sein ganzes Geld los, konnte sich aber zumindest humpelnd bald wieder fortbewegen. Im Nachbardorf traf er vor einem Wirtshaus die weinende Jeanne, die ihren Krug zerbrochen und all ihr Öl verloren hatte. Er schenkte ihr zwölf Franken, wurde dabei beobachtet und fĂŒr einen reichen Mann gehalten. Auf dem Heimweg ging er RĂ€ubern in die Falle: Sie nahmen ihm sein letztes Geld ab.

Die Liebe des Marquis des Arcis

FĂŒr die Nacht machen Jakob und sein Herr wieder Station in einem Wirtshaus. Die Wirtin erzĂ€hlt eine Geschichte ĂŒber einen ihrer GĂ€ste, den Marquis des Arcis. Nach langem Werben konnte der Marquis die stolze Madame de La Pommeraye als Geliebte gewinnen, verlor dann jedoch das Interesse an ihr und begann sie zu vernachlĂ€ssigen. Um ihn auf die Probe zu stellen, sagte sie ihm, ihre Liebe zu ihm sei erloschen, worauf er erwiderte: „Oh, genau wie bei mir!“ Madame de La Pommeraye war verletzt und sann auf Rache. Sie engagierte die Bor­dellbe­sitzerin Madame d’Aisnon und deren Tochter Made­moi­selle DuquĂȘnoi. In einem beschei­de­nen Haus in der Vorstadt quartierte sie die beiden verruchten Damen ein und ließ sie zur Tarnung das strenge Leben höchst en­thalt­samer Christinnen fĂŒhren. Dann inszenierte sie ein Treffen mit dem Marquis, der sich prompt bis ĂŒber beide Ohren in die Tochter verliebte. Bald ĂŒbertrafen sich seine Angebote: Er wollte das MĂ€dchen entfĂŒhren, er bot Geld und Schmuck, schließlich sogar sein halbes Vermögen und eines seiner beiden HĂ€user. Madame de La Pommeraye sorgte jedoch dafĂŒr, dass die Damen alles scheinbar zĂŒchtig ablehnten. So blieb dem Marquis schließlich nichts anderes, als die ehemalige Hure zu heiraten. Nach vollzogener Trauung verriet ihm die Pommeraye tri­um­phierend, wen er sich da zur Frau genommen hatte. Das Schicksal hatte jedoch eine ĂŒberraschende Wendung parat: Nach einem kurzen Wutanfall besann sich der Marquis auf seine Liebe und zog mit der Made­moi­selle aufs Land, wohin ihr schlechter Ruf nicht langte. Die beiden fĂŒhrten fortan ein glĂŒckliches Leben.

Die Geschichte vom armen Richard

Das Wetter ist zu schlecht zum Reisen. Jakob nimmt seine Liebesgeschichte wieder auf: Jeanne, die Frau mit dem zer­broch­enen Ölkrug, arbeitete als Bedienstete im Schloss des Herrn Desglands. Als dieser von der Wohltat Jakobs hörte, ließ er ihn ins Schloss Miramont holen und dort versorgen. FĂŒr seine persönliche Pflege war Denise zustĂ€ndig, die Tochter Jeannes, in die Jakob sich bald verliebte.

„Und dort bog sein Ross plötzlich in ein niedriges Tor ein, sodass zwischen dem Schlussstein besagten Torbogens und Jakobs Kopf ein er­schreck­licher Zusam­men­prall erfolgte. Und dabei musste entweder der Stein das Feld rĂ€umen oder dann Jakob rĂŒcklings herun­ter­fallen. Und wie man sich unschwer denken kann, traf das Zweite ein.“ (S. 101)

Jakobs Herr kennt das Schloss Miramont und verspricht, bei Gelegenheit die Geschichte von Herrn Desglands und seinem Pflaster zu erzĂ€hlen. Als die beiden wieder abreisen, werden sie vom Marquis des Arcis und dessen SekretĂ€r Richard begleitet. Der Marquis erzĂ€hlt ihnen Richards Geschichte. Der junge Mann hatte sich einst zur Ausbildung in ein Kloster begeben. In einem anderen Kloster herrschte zu jener Zeit der Abt Pater Hudson, der zahlreiche seiner Be­ichtkinder miss­brauchte und auch sonst keine Auss­chwei­fung ausließ. Obwohl Hudson sich nach außen wie ein Heiliger gab, kursierten bald GerĂŒchte ĂŒber sein Treiben, und aus­gerech­net Richard wurde als Kommissar in das Kloster geschickt. Hudson erkannte, dass man ihn im Verdacht hatte, und arrangierte ein Treffen zwischen Richard und einer Dirne, die angeblich gegen den Abt aussagen wollte. TatsĂ€chlich wurde nun Richard selbst in Gesellschaft des un­sit­tlichen MĂ€dchens von der Polizei gestellt. Der Abt setzte sich schein­heilig fĂŒr seine Entlassung aus dem GefĂ€ngnis ein und wurde fĂŒr die ver­meintlich großzĂŒgige Geste zum Minister befördert. Richard trat aus dem Kloster aus.

Ergaunerte Liebes­di­en­ste

Am nĂ€chsten Tag erzĂ€hlt Jakob, wie er seine Unschuld verloren hat. Sein Freund Lump und er waren beide die NĂ€herin Justine verliebt. Das MĂ€dchen gab Jakobs Freund den Vorzug, sie schlief jede Nacht mit ihm auf dem HĂ€ngeboden ĂŒber der Werkstatt von Lumps Vater. Eines Morgens ver­schliefen die beiden, und Justine musste auf dem Boden bleiben, weil sie nicht mehr ungesehen an dem Vater vor­beikon­nte. Lump klagte seinem Freund sein Leid, woraufhin Jakob die Lage schamlos ausnutzte: Er stieg selbst auf den HĂ€ngeboden und erpresste Justine: Er drohte ihr, sie zu verraten, wenn sie nicht mit ihm schlief. Anschließend lockte er den Vater aus dem Haus, sodass das MĂ€dchen vom Boden herun­terkon­nte. Lump gegenĂŒber beteuerten sowohl Jakob als auch Justine, dass nichts vorgefallen sei. Lump vertraute daraufhin seinem Freund und seiner Liebsten noch mehr als zuvor.

„,Jakob ist fĂŒr Euch, und Ihr wurdet fĂŒr Jakob geschaffen.‘“ (Jakob zum Herrn, S. 234)

Auch der Herr erzĂ€hlt eine Liebesgeschichte. Er liebte ein MĂ€dchen namens Agathe, machte ihr wertvolle Geschenke, durfte sie aber nicht anfassen. Was er nicht wusste: Sein Freund, der Chevalier de Saint-Ouin, hatte ein VerhĂ€ltnis mit Agathe und war sogar Nutznießer der Geldgeschenke des Herrn. Er wollte diesen deshalb in eine Ehe mit dem MĂ€dchen zwingen. Scheinbar reumĂŒtig beichtete er seine Beziehung zu Agathe und schlug dem Herrn vor, sich an ihr zu rĂ€chen: Er gab ihm einen SchlĂŒssel, mit dem dieser an seiner Stelle in Agathes Zimmer und zu in ihr Bett schlĂŒpfen sollte. Der Herr tat, wie ihm geheißen, und wurde in der Dunkelheit tatsĂ€chlich von zwei weichen Armen empfangen.

Das Ziel der Reise

Jakob unterbricht die ErzĂ€hlung seines Herrn und bittet darum, zunĂ€chst die ver­sproch­ene Geschichte vom Schlossh­errn Desglands und seinem Pflaster hören zu dĂŒrfen. Der Herr erzĂ€hlt: Desglands fĂŒhrte eine Liebes­beziehung mit seiner lebens­fro­hen Nachbarin. Eines Tages ve­r­anstal­tete er ein Abendessen, bei dem nicht nur diese Dame, sondern auch Desglands Nachfolger an ihrer Seite auftauchte. Desglands forderte den Nebenbuhler zum Duell und trug beim Zweikampf ein großes, schwarzes Pflaster auf der Wange. Als der Nebenbuhler schwer verletzt zusam­men­brach, schnitt er sich mit der Schere ein StĂŒckchen von dem Pflaster ab. Immer wieder duellierten die beiden sich, worauf Desglands jeweils ein StĂŒck Pflaster abschnitt, und immer wieder erholte sich der Nebenbuhler. Erst als dieser endlich starb, entfernte der Schlossherr das Pflaster ganz.

„Der Herr: ,Du beklagst dich, wenn man dich unterbricht, und dann un­ter­brichst du einen selbst.‘ Jakob: ,Das kommt vom schlechten Beispiel, das Ihr mir gegeben habt.‘“ (S. 338)

Nun darf der Herr seine Liebesgeschichte mit Agathe zu Ende erzĂ€hlen: Er lag noch in ihren Armen, als der Bettvorhang aufgerissen und der Herr von Agathes gesamter Familie sowie von einem Beamten ans Licht gezerrt wurde. Man verlangte von ihm, Agathe endlich zu heiraten, schließlich sei sie schwanger. Kurz darauf sah der Beamte jedoch zufĂ€llig den Chevalier mit dem Herrn zusam­men­sitzen und erkannte ihn wieder: Der Chevalier war derjenige, von dem der Beamte in der Nacht alarmiert wurde, um den Herrn aus Agathes Bett zu holen. Vor Gericht wurde der Herr zwar nicht dazu verurteilt, Agathe zu heiraten, er musste jedoch fĂŒr den Unterhalt des kleinen Sohnes aufkommen – der dem Chevalier wie aus dem Gesicht geschnitten war. Die Reise, auf der sich der Herr nun mit Jakob befindet, soll ihn mit diesem Sohn zusam­men­brin­gen. Der Herr will das ausstehende Kostgeld bei der Amme bezahlen und den Sohn dann in eine Lehre geben.

Happy End im Schloss Miramont

Jakob erzĂ€hlt das Ende seiner Liebesgeschichte: Der Wundarzt im Schloss schnitt das immer noch schmerzende Knie erneut auf und holte einen Fetzen von Jakobs Hose hervor, der zusammen mit der Kugel ins Fleisch gedrungen war. Nach der Operation heilte das Bein endgĂŒltig aus. Denise pflegte ihn tĂ€glich. Zum Dank kaufte er ihr kleine Geschenke, schließlich ein Strumpfband, von dem er sagte, dass es fĂŒr seine Liebste sei, und er wolle es ihr selbst anlegen. Sie ließ es geschehen.

„Und warum habt Ihr nicht jedes Mal aufgehört, Agathe zu lieben, wenn Ihr es wolltet? Herr, man verbringt drei Viertel seines Lebens damit, zu wollen, ohne etwas zu tun.“ (Jakob, S. 367)

Beim Haus des Sohnes angekommen, trifft der Herr mit dem Chevalier de Saint-Ouin zusammen, der aus­gerech­net an diesem Tag zusammen mit Agathe das Kind besucht. Der Herr sticht ihn wu­tent­brannt nieder und flieht. Der Chevalier stirbt. Jakob wird fĂŒr diesen Mord ins GefĂ€ngnis geworfen, bald jedoch von einer RĂ€uberbande befreit und in deren Gruppe aufgenommen. Der Herr lebt inzwischen auf dem Schloss von Desglands, das von ebenjener RĂ€uberbande ĂŒberfallen wird. Jakob erkennt seinen Herrn und verhindert die PlĂŒnderung. Er bleibt ebenfalls auf dem Schloss, heiratet Denise, zeugt viele Kinder mit ihr und lebt glĂŒcklich in der NĂ€he seines Herrn.

Zum Text

Aufbau und Stil

Diderots Jakob und sein Herr ist als Antiroman bezeichnet worden. TatsĂ€chlich handelt es sich um ein kurios ver­schachteltes ErzĂ€hlkunstwerk und nicht um eine Ro­man­hand­lung im herkömmlichen Sinn, die linear verlĂ€uft. VordergrĂŒndig wird von der neun Tage dauernden Reise berichtet. In diese ErzĂ€hlung werden allerdings so viele Geschichten eingeschoben, dass das Prinzip des Un­ter­brechens schließlich selbst zum Thema wird. Schon auf der ersten Seite setzt Jakob an, seine Liebesgeschichte zu erzĂ€hlen, doch bis zum Ende des Buches wird er dabei stĂ€ndig gestört: von den Zwis­chen­fra­gen seines Herrn, von Diskus­sio­nen, Stre­it­ereien, ErzĂ€hlungen und Anekdoten, die Jakob plötzlich wichtiger erscheinen als seine Liebesgeschichte. Zudem lassen sich die Reisenden von ihren Bekan­ntschaften in GesprĂ€che verwickeln. Dabei kommt es vor, dass auch diese EinschĂŒbe wieder un­ter­brochen werden – etwa weil die Wirtin im Gasthaus sich laufend um ihre Angestell­ten kĂŒmmern muss. Zu allem Überfluss schaltet sich der ErzĂ€hler des Romans ein, um den Leser (der ebenfalls als Figur auftritt) auf die FiktionalitĂ€t des Ganzen hinzuweisen. Das große KunststĂŒck Diderots besteht darin, dass es ihm trotz dieser ver­wirren­den Kon­struk­tion gelungen ist, einen un­ter­halt­samen Roman zu schreiben.

In­ter­pre­ta­tion­sansÀtze

  • Jakob und sein Herr sind Vertreter gegensĂ€tzlicher philosophis­cher Prinzipien: De­ter­min­is­mus vs. Wil­lens­frei­heit. Jakob glaubt, dass alles irdische Geschehen in einer himmlischen Schick­sal­srolle geschrieben steht und vorherbes­timmt ist. Sein Herr dagegen vertritt das Prinzip des freien Willens: der Mensch habe sein Schicksal selbst in der Hand.
  • Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass beide Haupt­fig­uren nicht ihrem jeweiligen Prinzip gemĂ€ĂŸ handeln: Der Schick­sals­glaube fĂŒhrt bei Jakob nicht zu einer got­tergebe­nen PassivitĂ€t, sondern zu einer aktiven und wachen Leben­se­in­stel­lung. Jakob ist ein durch und durch lebenser­fahrener und tatkrĂ€ftiger Mensch – wĂ€hrend der Herr von seinem freien Willen eher selten Gebrauch macht und meistens lethargisch wirkt. Typisch fĂŒr Jakob ist, dass er sĂ€mtliche Vorkomm­nisse erst im Nachhinein als vorherbes­timmt in­ter­pretiert. Er stĂŒrzt sich munter in eine Situation und erklĂ€rt anschließend, er habe ja gar nicht anders handeln können.
  • Diderots ErzĂ€hlweise spiegelt Jakobs De­ter­min­is­mus: Der ErzĂ€hler erklĂ€rt, dass er sich alle Geschichten zufĂ€llig ausgedacht habe und dass er sie auch ganz anders hĂ€tte erzĂ€hlen können. Gle­ichzeitig gibt er vor, sich der Wahrheit verpflichtet zu fĂŒhlen, und bezieht sich auf Dinge, die er wirklich gehört haben will. Jakob und sein Herr fragen sich, ob immer das passiere, was vom Schicksal vorgesehen sei, oder ob man im Nachhinein Schicksal nenne, was sich vorher ereignet habe. Der Leser wiederum weiß nicht, ob der ErzĂ€hler den Verlauf der Handlung oder ob ein vo­r­ange­gan­ge­nes Geschehen die ErzĂ€hlung bestimmt.
  • Diderot nimmt den von Brecht fĂŒr das Theater en­twick­el­ten Ver­frem­dungsef­fekt vorweg: So wie bei Brecht die Schaus­pieler jederzeit als wirkliche Menschen in ihrer Rolle zu erkennen sein sollen, durchbricht Diderot die Illusion der ErzĂ€hlung und weist immer wieder darauf hin, dass der Roman nicht mit der Wirk­lichkeit zu verwechseln sei.

His­torischer Hintergrund

Die AufklÀrung in Frankreich

Der ab­so­lutis­tis­che Regierungsstil Ludwig XIV. verhalf dem französischen Königreich Anfang des 18. Jahrhun­derts zu strahlender GrĂ¶ĂŸe. Frankreich war der politische und kulturelle Mittelpunkt Europas, Französisch wurde weit ĂŒber die Lan­des­gren­zen hinaus als Modesprache gesprochen. Gle­ichzeitig hatten die kriegerische Außenpolitik und die legendĂ€re Ver­schwen­dungssucht des „Sonnenkönigs“ verheerende Folgen fĂŒr die französische Staatskasse. Das Land war verschuldet, die Steuern hoch. Bei Ludwigs Tod war das Volk froh, dass die 72-jĂ€hrige Amtszeit des Königs ein Ende hatte.

Unter seinem Nachfolger Ludwig XV. schĂ€rfte sich dieser kritische Blick des Volkes auf die politische FĂŒhrung. Der junge König rief zu Beginn seiner Amtszeit verstĂ€rkt den Hochadel in höhere Regierungspo­si­tio­nen und festigte damit zunĂ€chst dessen Stellung. Die liberalen KrĂ€fte im Land begannen jedoch zunehmend, gegen das ab­so­lutis­tis­che Staatswesen aufzubegehren. Das durch die Man­u­fak­turen reich gewordene BĂŒrgertum forderte die Gle­ich­stel­lung mit dem Adel sowie die Sicherung grundle­gen­der Rechte und eine moralische UnabhĂ€ngigkeit von der Kirche. Neben Diderot lieferten namhafte In­tellek­tuelle wie Montesquieu, Voltaire und Rousseau das passende religions- und gesellschaft­skri­tis­che Gedankengut. Ihre Theorien der AufklĂ€rung stellten jeglichen AutoritĂ€tsglauben prinzipiell infrage. In Deutschland empfahl unterdessen Immanuel Kant dem Menschen, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“. Die Entwicklung des Buchdrucks und das aufkommende Verlags- und Zeitungswe­sen sorgten dafĂŒr, dass breitere Bevölkerungss­chichten Zugang zu lit­er­arischen und the­o­retis­chen Texten bekamen und plötzlich Möglichkeiten zur Bildung hatten, die ihnen zuvor verwehrt geblieben waren. Es entstand ein kritisches Gesellschaft­sklima, das nach dem Tod Ludwig XV. schließlich zur Französischen Revolution fĂŒhrte.

Entstehung

Eine erste Inspiration zu seinem Roman fand Daniel Diderot vermutlich bei der LektĂŒre von Laurence Sternes Roman Das Leben und die Ansichten Tristram Shandys, dem er das ErzĂ€hlprinzip der stĂ€ndigen Un­ter­brechun­gen entnahm und aus dem er sogar lĂ€ngere Passagen abschrieb – nicht ohne dies im Buch selbst zuzugeben. Aus dem September des Jahres 1771 ist ĂŒberliefert, dass Diderot erste Passagen seines Romans im Fre­un­deskreis vortrug; die endgĂŒltige Fer­tig­stel­lung zog sich jedoch noch einige Jahre hin.

Erst zwischen 1778 und 1780 wurden einige Ausschnitte in der Zeitschrift Cor­re­spon­dance littĂ©raire veröffentlicht. Die Zeitschrift hatte den Vorteil, dass sie handgeschrieben war und zumeist mit der Diplo­maten­post exklusiv an Abonnenten im Ausland geschickt wurde. Damit entging der Text der französischen Zensurbehörde, von der Diderot bereits 1749 fĂŒr seinen re­li­gion­skri­tis­chen Brief ĂŒber die Blinden zu einigen Monaten GefĂ€ngnis verurteilt worden war. Die erste vollstĂ€ndige Ausgabe des Romans wurde in Frankreich erst nach dem Umweg ĂŒber Deutschland veröffentlicht. Friedrich Schiller ĂŒbersetzte die Geschichte von Madame de La Pommerayes Rache und veröffentlichte den Text 1785 in seiner Zeitschrift Rheinische Thalia. Genau dieser Ausschnitt wurde anonym ins Französische zurĂŒckĂŒbersetzt und 1793 in Paris publiziert. Komplett erschien der Roman erstmals 1792, wiederum nur in deutscher Sprache. Die französische Erstausgabe wurde erst 1796 veröffentlicht – nach Diderots Tod.

Wirkungs­geschichte

Die Liste der Schrift­stellerkol­le­gen, die sich im Lauf der Jahrhun­derte begeistert ĂŒber Diderots Roman Ă€ußerten, ist lang. Johann Wolfgang von Goethe las das Manuskript auf Empfehlung Schillers und schrieb im April 1780 in sein Tagebuch: „von 6 Uhr bis halb 12 Diderots Jacques le Fataliste in der Folge durchge­le­sen, mich (...) an einem solchen ungeheuren Mahle ergötzt und Gott gedankt, dass ich so eine Portion mit dem grĂ¶ĂŸten Appetit auf einmal als wĂ€rs ein Glas Wasser und doch mit unbeschreib­licher Wollust ver­schlin­gen kann.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel erklĂ€rte in seiner PhĂ€nomenologie des Geistes das VerhĂ€ltnis von Herrschaft und Knechtschaft gar am Beispiel von Diderots Roman.

Sowohl fĂŒr die BĂŒhne als auch fĂŒr den Film wurde der Text immer wieder bearbeitet. Milan Kundera verfasste 1981 eine Version fĂŒr das tschechis­che Theater, die unter dem Titel Jacques und sein Herr 2003 auf Deutsch erschien. Schließlich fand Hans Magnus En­zens­berger eine einfache ErklĂ€rung dafĂŒr, dass der Roman noch immer nicht an Wirkung verloren hat: Er sei „eines der in­tel­li­gen­testen BĂŒcher der Weltlit­er­atur“.

Über den Autor

Denis Diderot wird am 5. Oktober 1713 als Sohn eines wohlhaben­den Messer­schmieds in Langres geboren. Nach seiner Schulzeit geht er nach Paris, wo er Philosophie und Natur­wis­senschaft studiert. Die vom Vater verlangte the­ol­o­gis­che Karriere schlĂ€gt er aus und er wird stattdessen fĂŒr ein Jahr An­walts­ge­hilfe. Danach lebt er von schlecht bezahlten Gele­gen­heit­sar­beiten, geht hĂ€ufig als Bohemien in die Pariser CafĂ©s, wo er sich mit In­tellek­tuellen wie Jean-Bap­tiste le Rond d’Alembert, Jean-Jacques Rousseau, Étienne Bonnot de Condillac und Melchior Grimm anfreundet. Als er den Vater bittet, in seine Heirat mit einer WĂ€scheverkĂ€uferin einzuwilli­gen, lehnt dieser ab und schickt den Sohn ins Kloster von Troyes. Diderot gelingt bald die Flucht nach Paris, wo das Paar sich 1743 heimlich trauen lĂ€sst. Vier Jahre spĂ€ter wird Diderot Leiter eines berĂŒhmten ver­legerischen Projekts: der 28-bĂ€ndigen EnzyklopĂ€die (EncyclopĂ©die), dem Anspruch nach eine Zusam­men­stel­lung des gesamten Wissens der Zeit. 1749 wird Diderot wegen seines re­li­gion­skri­tis­chen Briefes ĂŒber die Blinden (Lettre sur les aveugles) von der Zensurbehörde fĂŒr drei Monate in Vincennes eingesperrt. Viele seiner lit­er­arischen Werke lĂ€sst er daraufhin unveröffentlicht, darunter spĂ€ter berĂŒhmte Werke wie Die Nonne (La religieuse), Rameaus Neffe (Le neveu de Rameau) oder Jakob und sein Herr (Jacques le fataliste et son maĂźtre). Zu Lebzeiten tritt er vor allem als Philosoph, Natur­wis­senschaftler, Kun­stkri­tiker und Dramatiker in Erscheinung. Seine Abhandlung Paradox ĂŒber den Schaus­pieler (Le paradoxe sur le comĂ©dien, 1773) rev­o­lu­tion­iert die The­ater­szene. 1765 kann Diderot, der stets unter Geldnot leidet, die russische Zarin Katharina II. als MĂ€zenin gewinnen. Sie kauft ihm seine Bibliothek ab und besoldet ihn fĂŒr 50 Jahre im Voraus als Bib­lio­thekar. 1773 reist er auf ihre Einladung hin fĂŒr ein halbes Jahr nach St. Petersburg. Am 31. Juli 1784 stirbt er in Paris an Herzver­sagen.