Wirtschaftsfaktor Vielfalt
Die Weltwirtschaft ist immer enger vernetzt, und damit verändert sich notwendigerweise auch das klassische Bild des Unternehmens. Reale und imaginäre Grenzen fallen; die Führungsgremien und Belegschaften werden zunehmend internationaler und weiblicher. Waren noch vor einem halben Jahrhundert ausländische Arbeitnehmer oder weibliche Führungskräfte in deutschen Firmen eine Ausnahme, so prägen sie heute das Gesicht vieler Betriebe.
„Längst sind Landesgrenzen für die Wirtschaft gefallen.“
Dieser tief greifende Wandel in Sachen Mitarbeitervielfalt stellt ganz neue Herausforderungen an das Management. Um multikulturelle Belegschaften künftig auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören und ihr vielfältiges Wissen zu nutzen, ist ein Umdenken in der Führung erforderlich. Die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Individuen, Gruppen oder Standorten müssen in allen Prozessen mit einbezogen werden. Eine solche, als Diversity-Management bezeichnete Führung berücksichtigt nicht nur körperliche, geschlechtliche oder demografische Merkmale, sie geht auch auf kulturelle, religiöse, sprachliche oder fachliche Unterschiede ein. Ziel ist einerseits, dass die Abläufe im Unternehmen trotz kultureller Unterschiede effizient bleiben. Andererseits soll die Diversität der Belegschaften den Unternehmen Zugang zu neuen Produkten, neuen Kunden und neuen Märkten verschaffen.
Gesellschaftliche Veränderungen nutzen
Diversifizierung der Belegschaft heißt nicht nur Internationalisierung. Die Industriegesellschaften weisen eine Reihe weiterer Veränderungen auf, die bedeutende Auswirkungen auf künftige Kunden- und Marktentwicklungen haben. So sind z. B. immer mehr Frauen berufstätig, der Anteil der älteren Generationen wächst, die religiösen Strukturen wandeln sich, völlig neue Berufsbilder entstehen oder neue Lebensformen wie die Patchworkfamilie entwickeln sich. Wenn Unternehmen sich gezielt auf die daraus resultierenden Veränderungen im Kaufverhalten einstellen wollen, sollten ihre Belegschaften diese Entwicklungen auch widerspiegeln.
„Das neue Jahrtausend bringt einen Paradigmenwandel: Integration, gegenseitige Wertschätzung und Chancengleichheit stehen im Fokus.“
Richtiges Diversity-Management kann die Innovationsfähigkeit Ihres Unternehmens steigern, Ihr Ansehen im Wettbewerb um Fachkräfte verbessern und für ein positives Medienecho sorgen. Trotzdem ist Diversity-Management gerade in Deutschland noch nicht weit verbreitet. Mehrere Studien belegen, dass besonders kleinere Firmen dem Thema keine große Bedeutung beimessen. Das mag daran liegen, dass viele Führungen an einer positiven Wirkung dieses Instruments auf den Unternehmensgewinn oder die Kundenzufriedenheit zweifeln.
Von Multikulti zur Firmenkultur
Geschicktes Diversity-Management beschränkt sich nicht darauf, eine vielfältige Belegschaft mehr oder weniger problemlos zu führen. Um Nutzen aus der Vielfalt zu ziehen und ehrgeizige wirtschaftliche und strategische Ziele zu erreichen, braucht es ein klares Bekenntnis zur Diversität. Individuelle und gruppenspezifische Unterschiede oder Ähnlichkeiten müssen als wesentliche Ressourcen anerkannt und behandelt werden. Als Manager müssen Sie sich aktiv damit auseinandersetzen – immer mit dem Ziel, aus der Vielfalt eine einheitliche Firmenkultur zu entwickeln.
„Vielfalt in der Weise zu managen, dass sie nicht als Störung empfunden wird, sondern als Ressource genutzt werden kann, ist die wirklich neue Herausforderung für die Führungskräfte und deren Teams.“
Ein erster und wichtiger Schritt zu einer solchen Kultur ist es, die Ängste und Vorurteile ernst zu nehmen, die in der Zusammenarbeit und vor allem bei notwendigen Veränderungen immer wieder auftreten. Schaffen Sie unter Ihren Mitarbeitern ein Bewusstsein für das Erfolgspotenzial von Vielfalt. Sorgen Sie für regelmäßige Reflexionsmöglichkeiten, um auf Widerstände einzugehen und die Basis für gemeinsame Werte zu legen.
Teamentwicklung
Der Umgang mit der Mitarbeitervielfalt lässt sich am besten anhand eines Teams nach der Fusion zweier internationaler Unternehmen illustrieren. In der neuen Mannschaft treffen nicht nur zwei nationale Kulturen aufeinander, sondern auch Männer und Frauen, die unterschiedliche fachliche Voraussetzungen mitbringen. Um das Potenzial des Teams aufzudecken und gemeinsam zu nutzen, muss die Führungskraft alle Ähnlichkeiten und Unterschiede sichtbar machen. Das Modell des Diversity-Managements sieht dabei vier Arbeitsfelder vor:
- Prüfen Sie die individuelle Haltung der Teammitglieder in Bezug auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
- Legen Sie gemeinsame Regeln und Arbeitsweisen fest.
- Entwickeln Sie ein gemeinsames Ziel.
- Reflektieren Sie die tägliche Zusammenarbeit.
„Diversity bedeutet die Vielfalt von Unterschieden und Ähnlichkeiten bei Individuen, Gruppen, Teams, Organisationen und in der Gesellschaft.“
Der Erfolg eines Teamprojekts hängt nicht davon ab, ob Sie die vier Felder nacheinander bearbeiten oder nicht. Sie können die Reihenfolge beliebig verändern. Dem Thema Haltung ist jedoch besonders viel Aufmerksamkeit zu widmen: Hier wird die entscheidende Basis für eine vorurteilsfreie Zusammenarbeit gelegt. Klären Sie die bewussten wie auch die unbewussten Wert- und Normvorstellungen aller Teammitglieder. In ihnen sucht jeder Einzelne Orientierung. Sich widersprechende Werte und Normen lösen in jeder Gruppe schnell Konflikte aus, die sogar den Zerfall des Teams zur Folge haben können. Versuchen Sie, in einem Kennenlernprozess zunächst die Vielfalt in der Gruppe sichtbar zu machen und eine so genannt ethnorelative Einstellung zu fördern. Sie beinhaltet, dass die eigene Kultur und individuelle Wertvorstellungen nicht als das einzig Richtige angesehen, sondern immer in Relation zu anderen Kulturen betrachtet werden. Nur mit einer solchen Haltung kann innerhalb des Teams eine offene Auseinandersetzung über die individuellen Unterschiede und ihr Konfliktpotenzial geführt werden – mit dem Ziel, die verschiedenen Sichtweisen zu integrieren.
„Innerhalb eines Teams können mehrere Identitätsgruppen bestehen, so z. B. unterschiedliche Nationalitäten oder weibliche und männliche Führungskräfte.“
Um die für die Zusammenarbeit notwendigen Regeln gemeinsam festzulegen, ist ein umfassender Feedbackprozess ebenso Voraussetzung wie aktives Zuhören. Erst auf dieser Basis lassen sich gemeinsame Ziele formulieren. Unterscheiden Sie bei der Erarbeitung dieser Ziele zwischen einzelnen, begrenzten Projekten und einer langfristigen Zusammenarbeit von Teams. In beiden Fällen sollten herausfordernde Ziele entwickelt werden, um die Motivation der Mitarbeiter hochzuhalten und die Vielfalt an Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen.
„Je mehr Unterschiede zutage treten, desto mehr bedeutet das für ein Team Neuerungen und Veränderungen, die Unsicherheit und Angst auslösen können.“
Der langfristige Erfolg der Zusammenarbeit wird schließlich entscheidend von einer wirksamen Reflexion beeinflusst. Das bedeutet, dass die Ergebnisse, die Arbeitsabläufe und die sich wandelnden Sichtweisen der Mitarbeiter in Bezug auf die Ziele laufend im Team diskutiert werden müssen. So lassen sich neue Ideen entwickeln, notwendige Änderungen vornehmen und ggf. die Ziele anpassen.
Anforderungen an den Diversity-Manager
Die Arbeit mit einem Team, das sich aus ganz unterschiedlichen Kulturen und Fähigkeiten zusammensetzt, erfordert von einer Führungskraft spezielle Fähigkeiten. Unerlässliche Voraussetzung ist der Wille zur Auseinandersetzung mit sich selbst, mit den eigenen Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen. Konkret heißt das, lernen zu wollen und alte Denkweisen wenn nötig hinter sich zu lassen. Darüber hinaus gibt es drei grundsätzliche Anforderungen an den Umgang mit Mitarbeitern:
- Akzeptieren Sie unterschiedliche Wahrnehmungen. Jeder Mensch hat seine eigene Sichtweise. Lassen Sie sich darauf ein, und machen Sie es sich zur Aufgabe, diese Sichtweisen zusammenzuführen.
- Kommunizieren Sie einfühlsam. Begegnen Sie Ihrem Gegenüber mit Offenheit, hören Sie aufmerksam zu und nehmen Sie Ihre eigenen emotionalen Reaktionen wahr.
- Üben Sie den bewussten Umgang mit sich selbst. Dazu zählt das Eingestehen von Fehlern genauso wie das Vertreten von konträren Ansichten. Der letzte Punkt ist die Fähigkeit, Widersprüche und Ungeklärtes auch einmal stehen zu lassen und Lösungen nicht unbedingt erzwingen zu wollen.
Die Grenzen des Diversity-Management-Modells
Eine offene Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Werten innerhalb eines Teams legt zwar das Konfliktpotenzial offen. Dessen direkte Thematisierung ermöglicht aber erst, dass Menschen ihre Widerstände und Vorurteile abbauen und sich einer gemeinsamen Aufgabe verschreiben können. Mehr noch: Das Sich-Einlassen auf andere Menschen legt die Basis dafür, dass das Team sein volles Potenzial entfaltet. Diversity-Management macht den Weg frei für Kreativität und Innovation.
„Teams sind heute nicht nur interkultureller, sondern auch interdisziplinärer, größer und vielfältiger.“
Das Instrument ist dennoch kein Wundermittel. Es stößt vor allem dort an seine Grenzen, wo die Konflikte in einer Gruppe bereits so tiefe Gräben gerissen haben, dass ein gegenseitiges Verständnis unmöglich ist oder nur noch mit übermäßigem Aufwand zu erreichen wäre. Diversity-Management ist nur dann sinnvoll, wenn Menschen bereit sind anzuerkennen, dass es nicht nur eine richtige Wahrnehmung gibt.
Konkrete Übungen
Um Führungskräften den konkreten Umgang mit der Mitarbeitervielfalt im Alltag zu erleichtern, sind zahlreiche Methoden entwickelt worden. Diese Maßnahmen beinhalten z. B. Fragebögen zur Erfassung der aktuellen Situation, Selbsteinschätzungen oder Übungen, die bestimmte Aspekte des Diversity-Managements gezielt trainieren: Empathie, Wahrnehmung, Ambiguitätstoleranz oder den Umgang mit sich selbst. Dabei sind die Methoden wiederum auf die vier bereits genannten Hauptfelder zugeschnitten: Haltung prüfen, Regeln festlegen, Ziele entwickeln, Zusammenarbeit prüfen.
„Die Akzeptanz von Unterschiedlichkeiten und das Nutzen der Vielfalt werden im Team zu verbindlichen Werten erklärt – eine Voraussetzung für die Diversity-Kompetenz des Teams.“
Die Einstellung der Mitarbeiter zu Wertunterschieden lässt sich z. B. durch Übungen wie „Ambiguität – Freund oder Feind?“ oder „Bildbetrachtung“ schulen. In der ersten Maßnahme sprechen die Mitarbeiter paarweise über vorgegebene Aussagen bezüglich der Akzeptanz von Unterschieden. Bei der „Bildbetrachtung“ tauschen sie sich über ihre unterschiedlichen Bewertungen von Kunstwerken aus und beobachten, wie sich dadurch ihre Sichtweisen verändern.
„Kultur ist das dynamische Beziehungsgebilde eines sozialen Kollektivs.“
Bei der Zielfindung hilft beispielsweise die Übung „Erfolgsdefinition“: Die Mitarbeiter bringen Dokumente, Urkunden, Zeitungsartikel etc. mit, mit denen sich „Erfolg“ belegen lässt. Diese Zeugnisse werden nach Gruppen geordnet, um unterschiedliche Definitionen von Erfolg sichtbar zu machen. Eine andere Übung zur Zielfindung ist die Projektion der Teamarbeit in die Zukunft. Es werden verschiedene Szenarien entworfen und daraus konkrete Maßnahmen für die Gegenwart abgeleitet.
„Fehlendes Vertrauen in die Teammitglieder und/oder in die Führung verhindert, dass Unterschiede und Ähnlichkeiten offenbart werden können.“
Die Reflexion wiederum lässt sich mit der Übung „Fieberkurve des Teamprozesses“ trainieren. Dabei soll jedes Gruppenmitglied rückblickend die gemeinsame Arbeit anhand einer eigenen, die Höhen und Tiefen abbildenden Fieberkurve bewerten. Für das Aufstellen von gemeinsamen Arbeitsregeln schließlich gibt es Methoden wie den „Hausbau“, „Leitsätze basierend auf Werten“ oder die „Ressourceninventur“. Dabei wird mit vorhandenen Materialien ein eigenes Teamhaus gebaut, es werden gemeinsame Leitsätze entwickelt oder paarweise die individuellen Fähigkeiten herausgearbeitet.