Die Familie geht über alles
Die Familie ist dem Spanier wichtiger als seine Karriere und seine Selbstverwirklichung. Ein spanischer Berufsanfänger schließt in der Regel Stellenangebote aus, die eine räumliche Trennung von seiner Familie nach sich zögen – selbst dann, wenn sie Karrierechancen eröffnen würden. Die spanischen Heranwachsenden wohnen durchschnittlich länger bei ihren Eltern als die deutschen; das Hauseigentum der meisten Spanier und die gestiegenen Mietpreise der letzten Jahre festigen diese Gewohnheit. Bei der Berufswahl der Kinder macht das Oberhaupt der Familie nach wie vor seinen Einfluss geltend.
„Wer in Spanien erfolgreich sein will, muss etwas zu bieten haben, und dazu gehört neben den beruflichen Qualitäten die gut entwickelte überfachliche Qualifikation: interkulturelle Handlungskompetenz.“
Die identitätsstiftende Familie umfasst auch weitere Verwandte. Selbst Freundschaften aus der Kinderzeit werden oft ein Leben lang gepflegt und genießen familienähnlichen Status. Zu den Personen dieser Gruppen haben Spanier einen emotionalen, loyalen und solidarischen Bezug.
Während Deutsche bemüht sind, familiäre und private Angelegenheiten vom Berufsleben fernzuhalten, ist es nicht unüblich, dass ein Spanier z. B. ein Geschäftstreffen absagt, weil ein entfernter Verwandter verunfallt ist, oder dass er zumindest das geschäftliche Gespräch regelmäßig unterbricht, um sich nach dem Befinden des Verwandten zu erkunden. Nehmen Sie auf ein solches Verhalten nicht nur Rücksicht, sondern erkundigen Sie sich von sich aus nach familiären Belangen Ihrer Geschäftspartner.
Nähe und Offenheit
Womöglich sind Sie verwundert, wie offenherzig spanische Geschäftspartner über private Angelegenheiten plaudern, selbst wenn man sich noch kaum kennt. Glauben Sie aber nicht, dass Sie damit bereits zum engen Freundeskreis der betreffenden Person gehören, denn bei Spaniern beginnt die Grenze zur Privatsphäre später. Die grundsätzliche Offenheit drückt sich auch in Körperberührungen aus – unabhängig vom Geschlecht. Statt sich die Hände zu schütteln, begrüßen sich Spanier durch einen beidseitigen Wangenkuss. Selbst bei informatorischen Gesprächen sind Berührungen der Schulter, des Rückens oder der Hände des anderen nicht ausgeschlossen.
„Interkulturelle Handlungskompetenz muss trainiert werden. ‚Learning bei Doing‘ reicht nicht aus.“
Seien Sie nicht überrascht, wenn Sie optimal vorbereitet zum Geschäftsessen erscheinen, Ihr Gesprächspartner jedoch keine Anstalten macht, zur Sache zu kommen. Es handelt sich nicht unbedingt um geschäftliches Desinteresse. Vielmehr möchte Ihr Gegenüber Sie zuerst persönlich kennenlernen und ganz nebenbei Hintergrundwissen einholen. Bereiten Sie sich daher nicht nur sachlich vor, sondern bekunden Sie Ihrerseits Interesse an Ihrem Gesprächspartner, indem Sie sich vorab über die Kultur und die Besonderheiten seiner Heimatregion informieren. Erzählen Sie auch von Ihrer Familie, Ihren Hobbys und Interessen – vielleicht finden Sie sogar Gemeinsamkeiten. Da die Spanier stolz auf ihr Land sind, sollten Sie es nicht mit Deutschland vergleichen und keiner Kritik an Spanien zustimmen.
„Spanier haben keine Hemmungen, mit dem Geschäftsführer, wenn sie ihn kennen und mögen, über familiäre Belange zu reden.“
Das Duzen und die Anrede mit Vornamen sind in spanischen Betrieben üblich. Warten Sie allerdings, bis Ihre Geschäftspartner Ihnen die vertrauensvolle Anrede anbieten. Geschäftsführer müssen in Spanien auch gute Gesellschafter sein. Würgen Sie Gespräche mit Mitarbeitern nicht ab, sondern nehmen Sie sie als Menschen wahr – dann werden Sie selbst akzeptiert.
Soziale Beziehungspflege
Sozialen Beziehungen, der Geselligkeit und der Gastfreundschaft messen die Spanier einen hohen Stellenwert bei. Trotzdem dürfen Sie sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn Sie nie in die eigenen vier Wände Ihrer spanischen Geschäftspartner eingeladen werden, sondern ausschließlich in Restaurants oder Cafés. Das eigene Heim sehen die Spanier als schützenden Rückzugsort, der Verwandten und engen Freunden vorbehalten bleibt. Die Spanier sind es gewohnt, häufiger in Bars und Restaurants auszugehen und Gästen auf diese Weise die kulinarische Vielfalt ihres Landes zu präsentieren. Auch untereinander laden sie sich gerne in Cafés oder Restaurants ein, wobei es unüblich ist, die Rechnung aufzuteilen. Die gemeinsam verbrachte Zeit soll nicht durch kleinliches Nachrechnen getrübt werden.
„Die verbale Offenheit darf aus deutscher Sicht nicht mit Freundschaft verwechselt werden. Es gibt durchaus eine Barriere zur Privatsphäre, die jedoch wesentlich später beginnt als bei Deutschen.“
Womöglich gewinnen Sie den Eindruck, dass spanische Mitarbeiter regelmäßig Überstunden machen. Zwar fängt die Arbeitszeit in Spanien etwas später an, aber die Mitarbeiter halten sich oft bis nachts an ihrem Arbeitsplatz auf. Dies liegt an der Verknüpfung zwischen Privat- und Berufsleben. Die Spanier legen gerne Kaffeepausen ein, um sich auszutauschen.
Lieber mündlich als schriftlich
Die freundschaftliche und distanzlose Kommunikation hat in Spanien Vorrang vor geschäftlichen Themen. Die Konsequenz: Geschäftliche Kontakte haben nur auf der Grundlage persönlicher Beziehungen Bestand. Das persönliche, eloquente Gespräch ist so wichtig, dass Spanier lieber den Zeitplan vernachlässigen als eine spannende Unterhaltung zu unterbrechen. Selbst bei Arbeitsbesprechungen dominiert die Beziehungsebene die Sachebene. Mündliche Kommunikation wird der schriftlichen vorgezogen. Protokolle und Anweisungen per Mail stoßen nicht auf viel Gegenliebe. Selbst Auftragsänderungen besiegeln die Spanier per Telefon. Bestehen Sie in bestimmten Fällen auf schriftlichen Notizen oder Protokollen, so müssen Sie deren Zweck und Wichtigkeit deutlich kommunizieren.
„Geschäfte und Verhandlungen brauchen in Spanien Zeit. Deshalb ist in Spanien die Phase des Kennenlernens zu Beginn einer jeden Geschäftsbeziehung von großer Bedeutung.“
Chaotisch mutet es an, wenn bei Besprechungen mehrere Leute durcheinander reden oder sich zwei Gesprächsgruppen bilden. Das sprachliche Feuerwerk wird durch die spanische Grammatik erleichtert: Das Verb steht meist am Anfang des Satzes, sodass die Gesprächspartner den Sinn der Aussage recht früh erfassen und darauf antworten. Vergessen Sie die höfliche Sitte, den anderen aussprechen zu lassen. In Spanien ist das Unterbrechen und Dreinreden üblich. Schweigen hingegen deuten Spanier als Desinteresse. Von einer Führungskraft erwarten die Mitarbeiter allerdings, dass diese sie immer wieder auf die eigentlichen Gesprächsthemen zurückführt – nicht rigoros allerdings; die beziehungsbetonte und freundschaftliche Gesprächsatmosphäre muss gewahrt bleiben.
„In Spanien gilt es als soziale Kunst, eine Konversation aufrechtzuerhalten und sich vor einem breiten Publikum, unter Kollegen oder im Freundeskreis, geistreich zu präsentieren.“
Ungewöhnlich ist die emotionale Intensität, mit der sich Spanier auseinandersetzen. Eskaliert ein Streit, so unterbrechen Sie ihn als Führungskraft, meist ist er in Kürze wieder vergessen. Bei länger anhaltenden Animositäten bitten Sie die Betreffenden in Ihr Büro und klären die Angelegenheit mediatorisch.
Zwischen den Zeilen lesen
Immer wieder sind Geschäftsleute in Spanien konsterniert: Sie lernen einen Kunden kennen, der von Ihrem Produkt allem Anschein nach begeistert ist. Sie tauschen Telefonnummern und E-Mail-Adressen aus – und dann geschieht nichts mehr, der Kunde meldet sich einfach nicht. Was ist passiert? Der Spanier war nicht wirklich interessiert. Aber er wollte sein Gesicht und seinen freundschaftlichen Umgangston wahren. Um Spanier zu verstehen, müssen Sie zwischen den Zeilen lesen können und kritische Untertöne erfassen.
„Die Kommunikationsstärke der Spanier, ihre rhetorische Begabung, die sich z. T. in einem sehr blumigen Stil niederschlägt, der bis ins 19. Jahrhundert bewundert wurde, macht Deutschen in Verhandlungen zu schaffen.“
Wenn Sie einem spanischen Unternehmen einen Verbesserungsvorschlag unterbreiten, ist die Chance hoch, dass dieser abgewiesen wird – mit der Begründung, dass bislang alles reibungslos funktionierte. Für Spanier fallen Deutsche mit ihrer nüchternen Argumentation quasi mit der Tür ins Haus. Durch die Vermischung der persönlichen und der sachlichen Ebene wird in Spanien selbst konstruktive Kritik leicht persönlich aufgefasst. Argumente, selbst überzeugende, greifen nur auf der Basis persönlicher und freundschaftlicher Beziehungen. Würdigen Sie also die bisherigen Leistungen des Unternehmens und zeigen Sie Interesse an seinem Erfolg. Führen Sie Verbesserungsvorschläge vorsichtig durch Fragen ein, wie etwa „Wie wäre es...“ oder „Wäre es nicht sinnvoll...“ Auch die Verbündung mit einer anderen Autoritätsperson im Unternehmen, die für den Vorschlag offen ist, kann ein Weg zum Erfolg sein.
Regeln sind relativ
Die Spanier sehen Regeln und Vorschriften nicht als verbindlich, sondern eher als Richtschnur an. Auch die Zeit als Organisations- und Messinstrument hat einen weit geringeren Stellenwert als etwa in Deutschland. Spanier planen ungern längerfristig; sie bleiben lieber offen für Inspirationen des Augenblicks sowie vertraute Gespräche mit Freunden und Arbeitskollegen. Sie sind aber ebenso bereit, dadurch versäumte Arbeitszeit nachzuholen. Während Deutsche beim Arbeiten meist systematisch vorgehen, lieben die Spanier Flexibilität. Kalkulieren Sie daher bei Terminen einen Zeitpuffer ein. Rechnen Sie mit bis zu einer halben Stunde Verspätung und erwarten Sie keine Entschuldigung, denn innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Spanier von seiner Warte aus pünktlich.
„Anders als deutsche Mitarbeiter, die sich ‚erst die Arbeit, dann das Vergnügen‘ als zeitliches Leitmotiv auf ihre Fahnen geschrieben haben, wollen spanische Angestellte ihre Arbeitsaufgaben gern mit dem Angenehmen verknüpfen.“
Kontrollieren Sie bei wichtigen Angelegenheiten unauffällig den Stand der Bearbeitung. Kritisieren Sie Spanier aber nicht wegen ihres vermeintlichen Fehlverhaltens und setzen Sie sie nicht unter Druck, sondern bringen Sie ihnen nahe, mit welchen Schwierigkeiten Sie persönlich zu ringen haben, wenn eine bestimmte Aufgabe nicht ordentlich oder zeitgemäß erledigt wird.
Hierarchisches Denken
In Spanien existieren zwei Führungsstile nebeneinander. Vor allem ältere Unternehmen, aber auch kleine und mittelständische (die immerhin 90 % aller Firmen ausmachen) praktizieren nach wie vor einen hierarchischen Führungsstil, oft in Form von Familienbetrieben. An der Spitze steht meist der Inhaber, der durch seine Ausstrahlung und Autorität überzeugt. Familienbetriebe haben ihren Ruf, ihre Ehre und ihr Geschäftsvermögen zu wahren, und so wachen die Eigner autokratisch über die Einhaltung ihrer Vorgaben. Jüngere Betriebe zeigen sich deutlich flexibler. Hier werden den Mitarbeitern Freiräume gewährt, innerhalb derer sie ihre Ziele verwirklichen, und sie haben an den Unternehmensentscheidungen teil.
„In Spanien lässt sich Verbindlichkeit nicht nur durch Regeln, Vorschriften und Verträge herstellen. Hier spielt auch das gegenseitige Vertrauen, die vorher etablierte Beziehungsebene eine wichtige Rolle.“
In den spanischen Betrieben, in denen das hierarchische Gefüge noch stark verwurzelt ist, sind Eigenverantwortung und -initiative unter den Angestellten entsprechend geringer. Wundern Sie sich nicht, wenn sich ein spanischer Mitarbeiter erst bei seinem Vorgesetzten rückversichert, ob er Ihnen eine bestimmte Information geben oder eine Entscheidung treffen darf. Mitunter interpretieren Spanier das Übertragen von Rechten und Freiheiten auf Mitarbeiter sogar als Führungsschwäche des Vorgesetzten. Auch die Mitarbeiter selbst vermeiden es, anspruchsvolle Tätigkeiten, mit denen Sie sich profilieren könnten, zu übernehmen, um nicht aus der Gruppe ihrer Arbeitskollegen herauszuragen. Sie akzeptieren das Hierarchiegefälle, und erwarten, dass bedeutende Tätigkeiten von einer Führungskraft ausgeführt werden.
„Im Geschäftsgebaren mit Spaniern ist es sehr wichtig, die Status- und Hierarchiebeziehungen zu kennen und insbesondere bei mündlicher wie schriftlicher Kommunikation die Hierarchieketten zu wahren.“
Der hohe Status der spanischen Geschäftsführer kann jedoch dazu führen, dass sie Entscheidungen fällen, ohne die Führungskräfte zu informieren. Kritik darf in autokratisch geführten Betrieben ohnehin nur von oben nach unten erfolgen. Wenn Sie effizient verhandeln wollen, tun Sie dies nur mit denjenigen Mitarbeitern, die über die entsprechende Kompetenz und Entscheidungsbefugnis verfügen.