Die Zukunft des Wettbewerbs: N=1 und R=G
Wenn Ihr Unternehmen im globalen Wettbewerb der Zukunft bestehen will, müssen Sie sich auf grundlegende Veränderungen einstellen. Die Zeit der Firmen, die mehr oder weniger standardisierte Produkte und Serviceleistungen entwickeln und anbieten, nähert sich ihrem Ende. Der Kunde der Zukunft erwartet, dass die Unternehmen, mit denen er Geschäfte macht, ihm eine auf seine Person zugeschnittene positive Erfahrung vermitteln. Die Formel für diesen neuen Trend lautet N=1. Selbst wenn Ihr Unternehmen Millionen von Kunden hat, erwartet jeder einzelne von ihnen, dass Sie ihn als Individuum ernst nehmen und ihm einzigartige Erfahrungen bieten, die seiner individuellen Situation entsprechen.
„Selbst wenn ein Unternehmen 100 Millionen Kunden hat, muss jeder Manager sich darauf konzentrieren, jeweils eine individuelle Kundenerfahrung auf einmal zu erzeugen.“
Der zweite wichtige Aspekt der künftigen Entwicklung ist die Tendenz, sich Geschäftspartner, Zulieferer und hochtalentierte Mitarbeiter auf weltweiter Basis auszusuchen. Dieser Trend kann als R=G bezeichnet werden (Ressourcen=global).
Finnische Schuhe
Ein Beispiel für N=1 ist der noch relativ kleine finnische Schuhhersteller Pomarfin. Das Unternehmen fertigt weiterhin Standardschuhe an, es bietet seinen Kunden aber auch die Möglichkeit, sich die Füße per Scanning-Technologie vermessen zu lassen und so maßgeschneiderte Schuhe zu erhalten. In dieser Zusammenarbeit mit dem Unternehmen wird auf diese Weise ein Mehrwert für jeden einzelnen Kunden geschaffen. Die italienische Designgruppe Mazzucato sorgt für das hochwertige Design, die Schuhe werden in estländischen Werken gefertigt und die Scanning-Technologie stammt von finnischen Softwareentwicklern. Das Scanning der Füße findet mithilfe des firmeneigenen Händlernetzwerks statt, sodass ein direkter Kundenkontakt besteht. Die Zusammenarbeit mit globalen Partnern zur Generierung einzigartiger positiver Kundenerfahrungen entspricht der Tendenz R=G.
iPod und iTunes
Ein weiteres Beispiel für ein Geschäftsmodell, das einzigartige Kundenerfahrungen ermöglicht, ist Apple mit seinem iPod in Kombination mit iTunes. Der Kunde kann seine Musik mithilfe der Software je nach Stimmung selbst neu kombinieren. Zudem kann er die Musik überall hören, zu Hause, im Auto oder im Park. Er kann die Musikstücke auch mit anderen Inhalten, etwa einem Nachrichten-Podcast, mischen. Ganz klar: N=1. Diese freie Wahl für den Kunden hat es Apple ermöglicht, 80 % des Musikmarktes zu erobern. Für die Bereitstellung der Inhalte arbeitet Apple mit vielen Unternehmen aus der Musikindustrie sowie mit unabhängigen Künstlern zusammen. Die Podcast-Inhalte stammen sowohl von traditionellen Medien als auch von anderen Unternehmen und Einzelpersonen. Die Fertigung des iPods erfolgt durch globale Partner wie Toshiba und Matsushita in Japan, Samsung in Korea und Broadcom in den USA. Die Endmontage erledigt das taiwanesische Unternehmen Inventec in seinen Fabriken in China. Das Design stammt aus Kalifornien. Ein klares Beispiel für R=G.
Die Grundprinzipien von N=1
Wenn Sie in Ihrem Unternehmen N=1 verwirklichen wollen, müssen bestimmte Grundvoraussetzungen erfüllt werden:
- Flexibilität: Ihr Unternehmen muss in der Lage sein, flexibel auf jeden einzelnen Kunden einzugehen und ihm so ein individuelles Erlebnis zu vermitteln.
- Hohe Qualität: Eine gute Qualität ist eine Grundvoraussetzung für die Generierung positiver Erfahrungen.
- Geringe Kosten: Kunden erwarten in Zukunft minimalisierte Kosten. Wenn Sie möglichst viele Kunden ansprechen wollen, müssen Sie auf Erschwinglichkeit achten. Denn: Es gibt viel mehr arme Menschen als reiche.
- Kollaborative Netzwerke: Individuelle Erfahrungen können Sie den Kunden nur durch eine Zusammenarbeit mit Partnern garantieren. Ein einzelnes Unternehmen kann nicht alle notwendigen Aspekte allein abdecken.
- Komplexitätskompetenz: Eine solche Koordination von positiven Erfahrungen für jeden einzelnen Ihrer Kunden erfordert, dass Sie in der Lage sind, komplexe Kooperationen erfolgreich zu managen.
- Kundenschnittstellen: Wenn Sie dem Kunden eine einzigartige Erfahrung vermitteln wollen, müssen Sie mit ihm kommunizieren. Die Kommunikationskanäle müssen für ihn leicht zugänglich sein.
- Skalierbarkeit: Sie müssen den Kunden je nach geografischer Lage unterschiedliche Angebote machen. Wal-Mart z. B. hat jede Woche 100 Millionen Kunden und hält im Durchschnitt 100 000 Produkte für sie bereit. Die Produktpalette wird aber an die jeweilige Umgebung angepasst: In Seattle sind mehr Regenschirme im Angebot als sonst wo, im kalifornischen San Diego dagegen mehr Shorts.
Die Grundprinzipien von R=G
Um individualisierte Werte für einzelne Kunden entwickeln zu können, bedarf es einer gut durchdachten Lieferkette. Diese Grundvoraussetzungen sind wesentlich:
- Globale Ressourcenbeschaffung: Wenn Sie Kunden individuell bedienen und dabei Profit machen wollen, können Sie das nicht mehr allein mit Ihrer eigenen Produktion bewerkstelligen. Sie müssen weltweit die besten Partner finden und auch offen für entsprechende Kundenvorschläge sein.
- Schnelligkeit: Ihre Kunden erwarten, dass Sie bei Produkten und Dienstleistungen in kürzester Zeit die besten Lösungen bieten. Eine Möglichkeit ist, die Produktentwicklung auf die gängigen drei Zeitzonen (USA, Europa und Asien) zu verteilen. Auf diese Weise können Sie rund um die Uhr neue Angebote entwickeln.
- Skalierbarkeit: Auch bei der Ressourcenausschöpfung müssen Sie in der Lage sein, je nach Bedarf mehr oder weniger Mitarbeiter einzusetzen. Die beste Lösung ist, sich auf externe Zulieferer zu stützen, die ihrerseits Mitarbeiter je nach Bedarf kurzfristig zur Verfügung stellen können.
- Innovationsvorteile: Sie können sich, selbst wenn Sie ein großes Unternehmen leiten, nicht nur auf hauseigene Innovationen verlassen. Zunehmend wird es wichtig, global mit hochinnovativen kleineren Unternehmen zusammenzuarbeiten.
Geschäftsprozesse als Schlüsselfaktor
Der Schlüssel zur individuellen Kundenbetreuung (N=1) in Verbindung mit der optimalen Nutzung von globalen Ressourcen und Partnern (R=G) liegt in Ihren Geschäftsprozessen. Diese bilden das Rückgrat Ihres Wettbewerbsvorteils. Ihr Unternehmen kann nur das verwirklichen, was in seinen operativen Möglichkeiten liegt. So hat z. B. der Versicherungsriese ING früher etwa zehn Tage benötigt, bevor einer seiner weltweit 5000 Agenten eine Versicherungspolice genehmigen konnte. Nachdem die Geschäftsprozesse transformiert wurden, kann eine Police nun in wenigen Sekunden bearbeitet werden.
„Im Zentrum der Erfahrung steht das Individuum. Wenn sich der Ort des Wertes von Produkten über Serviceleistungen zu Erfahrungen verschiebt, muss die Wertgenerierung beinahe per definitionem auf den individuellen Kunden fokussieren.“
Die Geschäftsprozesse einmalig zu ändern reicht nicht aus. Sie müssen kontinuierlich analysieren, wie sich die Bedürfnisse Ihrer Kunden entwickeln und wie Sie diesen neuen Anforderungen durch eine fortlaufende Anpassung Ihrer Geschäftsprozesse gerecht werden können. Gleichzeitig müssen Sie auch Ihre globalen Lieferketten ständig analysieren. Probleme müssen kurzfristig gelöst und Kooperationschancen schnell wahrgenommen werden.
Die technische Architektur
Aus den Anforderungen an die neuen Geschäftsprozesse ergibt sich, dass die Informations- und Kommunikationstechnologie Ihres Unternehmens künftig eine Schlüsselrolle spielen wird. Nur mit entsprechender ICT-Architektur können Sie jedem Kunden positive einzigartige Erfahrungen vermitteln und dazu die weltweit besten Ressourcen koordinieren.
„Die Individualität, die Einzigartigkeit eines Menschen in all seinen Rollen (Kunde, Mitarbeiter, Investor, Lieferant, Bürger) anzuerkennen, wird zu einer Voraussetzung für eine erfolgreiche Wertgenerierung.“
Das Problem liegt allerdings darin, dass gerade große Unternehmen schon vor längerer Zeit solche Systeme eingeführt haben, dass diese aber nicht für die neue Welt des N=1 und R=G geeignet sind. Wegen des erforderlichen Aufwands und der Kosten ist es nun in der Regel nicht möglich, die alten Systeme völlig zu ersetzen oder sie über Nacht in eine neue, zukunftstaugliche ICT-Architektur zu integrieren. Da Ihre Geschäftstätigkeit weitergehen muss, empfiehlt es sich, die Veränderung der ICT-Architektur auf eine kontinuierliche, evolutionäre Weise voranzutreiben, statt eine radikale Revolution anzustreben.
Die soziale Architektur
Die beste Informations- und Kommunikationsarchitektur nützt wenig, wenn das Management nicht bereit ist, die alten Werte und Sichtweisen abzulegen und sich gezielt auf die Zukunftschancen einzustellen. Sie müssen die Managementsysteme, Prozesse, Überzeugungen und Werte, die Ihre Organisation prägen, verändern. Die Verbrauchererwartungen gerade der jungen Generation, die mit moderner Technologie aufgewachsen ist, sind in dieser Hinsicht hoch.
„Die Suche nach hoch qualifizierten Mitarbeitern geht weit über Kostenvorteile hinaus.“
Wenn Sie Ihr Unternehmen konsequent auf N=1 und R=G ausrichten wollen, müssen Sie in der Regel ein neues Geschäftsmodell entwickeln. Dabei spielen die Mentalität Ihrer Manager und eine dominante Unternehmenslogik eine entscheidende Rolle. Diese drückt sich etwa darin aus, welcher Typ von Manager am meisten geschätzt wird oder welche Projekte die größten Chancen haben, finanziert zu werden.
Hoch qualifizierte Mitarbeiter flexibel einsetzen
Früher betrieben viele Unternehmen aus Kostengründen Outsourcing. Mittlerweile sehen fortschrittliche Konzerne den Vorteil einer globalen Mitarbeiterrekrutierung vor allem darin, Engpässe im Pool der hoch qualifizierten Angestellten zu vermeiden. Nicht wenige Unternehmen verlagern deshalb die Fertigung nicht einfach zu ausländischen Partnern, sondern etablieren in Ländern wie Indien eigene Einrichtungen für Forschung, Softwareentwicklung oder Serviceleistungen.
„Ein Geschäftsprozess ist – wie das Kreislaufsystem des Körpers – auf Organisationsebene oft unsichtbar, aber von lebenswichtiger Bedeutung.“
Die Gewinnung und Koordination der global besten Mitarbeiter wird zunehmend zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor und zu einer wesentlichen Managementaufgabe. Je nach Bedarf werden diese Mitarbeiter überregional und global neu eingesetzt. So beschäftigt etwa IBM für eines seiner Projekte Forscher, Regulierungsspezialisten, Engineering-Manager und Softwareentwickler an Standorten in zwölf amerikanischen Städten und in Indien. British Telecom entwickelt seine Software gleichzeitig in London und Indien.
„Das ist die neue Führungsherausforderung: gleichzeitig das Hier und Jetzt und die Zukunft zu erkennen.“
Um den neuen Anforderungen zu genügen, müssen Manager einen guten Überblick über den ihnen zugänglichen globalen Talentpool haben. Sie müssen auch in der Lage sein, kurzfristig zusammengestellte Teams (so genannte Velcro-Organisationen, in denen alle nur wie ein Klettverschluss eine begrenzte Zeit lang zusammenarbeiten) mit Mitgliedern aus mehreren Regionen und Kulturkreisen erfolgreich zu führen.