Die Kehrseiten der Perfektion
Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass Sie eine Aufgabe fehlerfrei erledigen. Schließlich braucht Ihr Unternehmen fleißige, gewissenhafte Mitarbeiter. Perfektionismus aber ist etwas anderes. Perfektionisten geben sich aus Prinzip nie zufrieden, nicht mit ihrer Arbeit, nicht mit sich selbst und schon gar nicht mit den Menschen um sich herum. Sie gewöhnen sich ein Schwarz-Weiß-Denken an, das alles, was nicht perfekt ist, als Müll aussortiert: das verkochte Essen im Betrieb, die Präsentation mit dem Kommafehler und den Kollegen, der eine E-Mail nicht weitergeleitet hat. Damit machen sie sich – so widersprüchlich es klingt – das Leben zu einfach.
„Auch wenn es Ihnen vielleicht am Anfang schwerfällt: Es müssen nicht immer 110 % sein, oft reichen auch gute oder nur durchschnittliche Leistungen völlig aus.“
Wenn Sie zu diesen Perfektionisten gehören, sollten Sie Ihre radikale Einstellung ändern. Es gibt immer mehr als nur eine Lösung, und nur sehr selten ist eine völlig richtig und eine andere völlig falsch – meistens liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Die erfolgreichsten Mitarbeiter sind natürlich nicht die Nieten, aber eben auch nicht die Perfektionisten. Die Gründe liegen auf der Hand:
- Dem Chef fällt die konstante Perfektion gar nicht mehr auf.
- Perfektionismus bringt Stress mit sich – und damit erst recht Fehler.
- Perfektionisten haben Angst vor Fehlern, und ängstlichen Menschen traut man keine Führungskompetenzen zu.
- Wer sich vor Kritik fürchtet, entwickelt kein Selbstbewusstsein, und ohne dieses geht es karrieremäßig nicht bergauf.
Gut ist gut genug
Schrauben Sie die Ansprüche, die Sie an sich selbst und an andere haben, mal ein bisschen runter. Niemand sagt, dass Sie schlampen sollen, aber Sie können ruhig dann aufhören, wenn die Leistung gut ist. Führen Sie sich die schlimmstmöglichen Konsequenzen vor Augen, wenn Sie eine Aufgabe nicht 110%ig perfekt erledigen. Selbst wenn Ihr Chef Choleriker ist und deshalb einen Anfall kriegen sollte – er beruhigt sich schon wieder. Jeder macht mal Fehler, und so schnell wird niemand vor die Tür gesetzt, jedenfalls nicht, solange Sie in wichtigen Angelegenheiten zuverlässig bleiben.
„So mancher Perfektionist kommt leider aus dem Sich-Sorgen gar nicht mehr heraus.“
Damit sich Ihr Chef nicht wundert, weshalb Sie plötzlich nicht mehr bis Mitternacht im Büro sitzen, sollten Sie ihn um ein Downshifting-Gespräch bitten. Bringen Sie dabei sachlich und ruhig den Wunsch vor, künftig etwas entlastet zu werden. Je konkreter Sie erklären können, wo die Ursache für Ihre Überlastung liegt, umso besser wird Ihr Vorgesetzter Ihre Situation nachvollziehen können. Ist er selbst ein Perfektionist, versichern Sie ihm, dass Ihre Leistung unter dem Downshifting nicht leiden wird.
„Manche Perfektionisten nehmen nur noch Dinge wahr, die ihre bisherige Überzeugung stützen, und schieben Zwischentöne, die nicht in ihre Schublade passen, einfach aus dem Sichtfeld.“
Auch wenn Sie keinem Chef Rede und Antwort stehen müssen, weil Sie selbstständig arbeiten, tun Sie sich möglicherweise genauso schwer mit Downshifting. Sie sehen immerzu einen „kosmischen Buchhalter“ über sich schweben, der Ihnen vorgaukelt, mit dem nötigen Perfektionismus könne nichts schiefgehen. Sobald dann aber etwas doch nicht so rund läuft, geraten Sie ins Grübeln und kauen stundenlang die immergleichen Gedanken durch. Was hätte, was wäre, was könnte – damit quält sich ein Thinkaholic tage- und nächtelang – und blockiert sich selbst. Nachdenken ist eine feine Sache, aber es sollte in einer konkreten Handlung münden, nicht in einer Endlosschleife. Wenn Sie einen Anfall von Thinkaholismus haben, stoppen Sie sich selbst ganz bewusst und zwingen Sie sich, etwas anderes zu tun und zu denken.
Angst drosselt die Effizienz
Angst – vor Fehlern oder vor dem Jobverlust – ist natürlich, und in gewissem Maß auch konstruktiv, weil sie vor Nachlässigkeit schützt. Aber wenn die Angst übermächtig wird und Ihr Leben bestimmt, schlägt ihre Wirkung ins Gegenteil um. Sie versuchen sie mit Aktionismus zu kompensieren, in der irrigen Meinung, Ihre 110%-Leistung bewahre Sie vor allen möglichen Katastrophen. In Wirklichkeit resultiert daraus bloß unproduktiver Stress. Es gibt tatsächlich Unternehmen, die ihre Mitarbeiter mit 110%-Forderungen massiv unter Druck setzen. Sie vergessen, dass allein in Deutschland die stressbedingten Fehler 135 Milliarden Euro pro Jahr kosten.
„Einerlei, ob es sich um falsche Entscheidungen, misslungene Innovationen oder nur um Kleinigkeiten handelt – Fehler sind eines der letzten Tabus des Wirtschaftslebens.“
Dazu passt, dass sich hierzulande kaum jemand in die Selbstständigkeit wagt. 46,5 % der Deutschen können sich eine unabhängige Tätigkeit aus Angst vor dem Scheitern nicht vorstellen. In den USA machen die Angsthasen nur 21 % aus. Dort gibt es auch Unternehmen wie Google, die ihre Mitarbeiter zum Ausprobieren neuer Ideen explizit auffordern. Fehler werden einkalkuliert – und es kommen Hits dabei heraus wie z. B. Google Mail.
„Die unkluge Strategie vieler Perfektionisten, Fehler und Kritik um jeden Preis vermeiden zu wollen, ist nicht nur für sie selbst stressig, sondern hat auch noch weiter reichende Konsequenzen.“
Unternehmen, die Perfektion erwarten und keine Fehler dulden, ersticken hingegen jede mögliche Innovation im Keim. Dabei verläuft das Leben, auch jenes der Perfektionisten, ohnehin nie fehlerfrei. Worauf es ankommt, ist, richtig zu reagieren, d. h. aus den Fehlern zu lernen und sie nicht einem Kollegen unterzuschieben. Das ist auch karrieretechnisch klüger.
„Leider ist es ein folgenschwerer Irrglaube, dass bei 110-%-Leistung auch immer ein Mehr an Ergebnis herauskommt.“
Krankhaften Perfektionisten fehlt es an Selbstbewusstsein, sonst würden sie nicht bei jeder Kritik von Selbstzweifeln befallen. Wer stets perfekt sein will, verhält sich oft schon bei der kleinsten negativen Äußerung wie eine Mimose und interpretiert alles Mögliche in die Aussagen hinein. Gehen Sie mit sich nicht so hart ins Gericht, selbst wenn eine Kritik zielsicher Ihre Achillesferse trifft.
„Je mehr Sie sich bemühen, etwas absolut richtig zu machen, desto mehr Stress bauen Sie auf und können dadurch im entscheidenden Moment nicht richtig reagieren.“
Gewöhnen Sie sich an, Kritik zu hinterfragen – vielleicht ist der Nörgler ja überhaupt nicht kompetent oder für Ihre Karriere und Ihren Lebensweg nicht maßgebend. Sie müssen also nicht auf jede Kritik reagieren – übrigens auch nicht auf Druck und schon gar nicht auf Manipulation in Form von „Sie haben mich tief enttäuscht“. Da schrillen bei Perfektionisten alle Alarmglocken, sie rasen los, um alles wiedergutzumachen – und der andere lehnt sich grinsend zurück.
„Jedes Mal, wenn wir also unter Stress ein Problem lösen, erlernen wir relativ flott ein Denkmuster, das wir zukünftig in ähnlichen Situationen wieder abrufen können.“
Ein weiteres Dilemma für Perfektionisten sind Situationen, in denen Entscheidungen gefragt sind. Dazu können sie sich nämlich nur schwer durchringen, da sie immer in Erwartung einer noch besseren Information und einer folglich noch perfekteren Entscheidung sind. Effizient ist das nicht. Dass Sie sich den Kopf zerbrechen, sieht nämlich niemand – Sie wirken lediglich unentschlossen, und das ist nicht das Image, das Sie für Ihre Karriere brauchen.
Guter und schlechter Stress
Das Ärgerliche am Perfektionismus ist, dass er so cool daherkommt. Menschen, die ehrgeizig, ordnungsliebend und immer erst mit 110 % zufrieden sind, werden in unserer Gesellschaft bewundert. Außenstehende glauben in ihnen oft die Leistungsträger schlechthin zu erkennen. Dass sich hinter all dem Perfektionismus möglicherweise ein sturer Pedant verbirgt, der sich in Aufgaben festbohrt, statt zum Ergebnis zu kommen, bleibt ihnen verborgen.
„Wenn Sie sich für eine bestimmte Aufgabe einen kürzeren Zeitraum geben, gehen Sie in vielen Fällen viel effizienter an die Sache heran und sind dann auch schneller fertig.“
Dabei sind Perfektionisten nicht selten Workaholics, die mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften. Zur Führungskraft taugen sie schon gar nicht, weil sie viel zu akribisch am Hier und Jetzt feilen und strategischen Weitblick vermissen lassen. Weiter als ins mittlere Management bringen es Perfektionisten also kaum. Ganz oben braucht man entkrampfte Typen, die motivieren statt Angst zu verbreiten.
„Andere Menschen denken anders als Sie und reagieren auf Ihre meist gut gemeinten Absichten nicht immer so, wie Sie sich das vorstellen.“
Sicher: Stress kann durchaus motivierend sein. Etwas Vernünftiges kommt aber nur dann zustande, wenn es sich um Eustress (griech. eũ = gut), also guten Stress handelt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Ihnen der Chef eine wichtige Aufgabe überträgt, die Sie als Herausforderung sehen und auf die Sie sich freuen. Ihr Körper schüttet die Glückshormone Noradrenalin und Serotonin aus, die Sie in Euphorie versetzen, das Immunsystem stimulieren und die Vernetzung der Hirnzellen fördern. Beste Voraussetzungen also, um Höchstleistungen zu erbringen.
„Erwecken Sie den Anschein, Ihre Leistungen seien tadellos und perfekt – auch wenn Sie selbst eigentlich finden, dass es noch einiges zu kritisieren gäbe.“
Allerdings darf die Arbeitseuphorie nicht in Dauerstress ausarten, wozu Perfektionisten leicht neigen. Wenn Entspannungsphasen zu kurz sind oder ganz ausbleiben, steigt die Gefahr eines Burn-out-Syndroms. Natürlich können Sie mit der Arbeit nicht ganz aufhören, aber Sie können anders arbeiten, gelassen, intelligent und mit Freude.
„Sie müssen sich klarmachen, dass der ‚Nasenfaktor‘, also die Sympathie, die ein Chef für Sie empfindet, manchmal mehr zählt als die beste Topleistung.“
Dieses entspannte Verhalten baut Stress ab, und zwar den schlechten, den so genannten Distress. Damit ist es aber noch nicht getan. Perfektionisten geraten generell schnell aus dem Häuschen, machen sich für alles verantwortlich, sehen überall Katastrophen lauern und halten ihren Stresshormonspiegel so ständig im Grenzbereich. Zu den wirksamsten Stresskillern gehören Humor und Ausdauersport. Letzterer allerdings nur, solange Sie dabei nicht gleich wieder olympische Leistungen von sich fordern, sondern sich tatsächlich entspannen.
Ordnung und Zeitmanagement
Setzen Sie Ihrem Ordnungswahn Grenzen. Klar müssen Sie hin und wieder Ihren Schreibtisch aufräumen, aber jeden Morgen und Abend alles pedantisch zurechtzurücken – das können Sie sich sparen.
Wenn Sie ein eingefleischter Perfektionist sind, steht Ihnen möglicherweise Ihre Rigidität im Weg: Was Sie sich vorgenommen haben, das machen Sie auch. Ein wenig mehr Flexibilität ist angebracht, damit neue Denkmuster eine Chance haben – und ein vernünftiges Ordnungssystem, das Sie alles in Sekundenschnelle finden lässt.
Das Wichtigste im Kampf gegen Perfektionismus ist aber das Zeitmanagement. Setzen Sie Prioritäten. Damit freunden sich Perfektionisten nur ungern an. Außerdem halten sie sich selbst für extrem wichtig, trauen anderen nichts zu und übernehmen deshalb laufend Aufgaben, für die sie eigentlich schon längst keine Zeit mehr haben. Den großen Berg von Arbeit schieben sie dann aber vor sich her, weil sie sich nicht entscheiden können, womit sie anfangen sollen. Stattdessen wuseln sie geschäftig durchs Büro, ohne wirklich Wichtiges zu tun.
Was hilft, ist, Aufgaben nach Wichtigkeit und Dringlichkeit zu unterteilen und immer erst die A-Aufgaben, dann die B-Aufgaben zu erledigen statt die Zeit mit C- und D-Aufgaben zu verplempern. Legen Sie Ihren Tagesablauf fest, und lassen Sie 40 % davon frei, um flexibel zu bleiben für die Überraschungen. Halten Sie so konsequent wie möglich am Zeitplan fest, aber ohne sich hetzen zu lassen.
Es muss nicht perfekt sein, aber perfekt aussehen
Die einen arbeiten perfekt und die anderen setzen sich perfekt in Szene. Das Gemeine an der Sache: Befördert werden die guten Selbstdarsteller. Ständige Selbstkritik hindert den Perfektionisten daran, seine Leistungen so zu verkaufen, dass der Chef ihn positiv wahrnimmt. Das klappt nicht mit Angeberei, aber mit Kompetenz und Selbstbewusstsein. Bei den Kollegen erhalten Sie Anerkennung, indem Sie die Messlatte auf ein normales Niveau heruntersetzen, auch mal zu einem Kompromiss bereit sind und ehrliches Lob verteilen, statt immer nur zu kritisieren.
Was Ihre eigenen Leistungen angeht, stellen Sie diese ins allerbeste Licht. Es muss ja keiner wissen, dass Sie mit sich evtl. nicht ganz zufrieden sind. Wenn Sie 80 % geben, ist das genug. Machen Sie ein wenig Show, das gehört dazu. Haben Sie z. B. einen wichtigen Punkt beim Meeting vergessen, erläutern Sie einfach schlagfertig, warum der Punkt gar nicht relevant ist. Auf derartige Perfektion kommt es nämlich nicht an, vielmehr darauf, ob Sie mit Ihren Leistungen Ziele erreichen und ob Sie Ihrem Chef sympathisch sind. So machen Sie Karriere – und nicht, indem Sie Ihren Bürostuhl heiraten.