Innovationen retten Unternehmen
Die Konkurrenz wird härter: kaum ein Markt, der im Zuge der Globalisierung nicht von potenten Wettbewerbern und Billiganbieter belagert wird. Deutschland ist besonders gefährdet. Im Kampf um die besten Mitarbeiter, um Rohstoffe, Kapital und Konsumentenmärkte ist das Land chancenlos. Wer weiß, wie lange Audi und Mercedes im Vergleich mit den asiatischen Mitbewerbern noch die Nase vorn haben? Wer dem zunehmenden Druck standhalten und ohne Zukäufe wachsen will, hat nur eine Möglichkeit: Innovationen.
„Jede Innovation besteht aus zwei Teilen: einer Neuerung – und ihrer erfolgreichen Durchsetzung im Markt.“
Puma etwa hat in den 90er Jahren mit dem Freizeitschuh „Speed Cat“ den Sprung aus der Verlustzone geschafft – eine klassische Produktinnovation. Jägermeister, der biedere Kräuterlikör gegen Verdauungsbeschwerden, wurde dank geschicktem Marketing plötzlich in Discos statt in Altersheimen ausgeschenkt. Das Geschäftsmodell von eBay wiederum hat das Einkaufen revolutioniert. Mit Innovationen sind aber nicht einfach Erfindungen gemeint. Diese bilden nur die Basis und müssen erst erfolgreich vermarktet werden, um Produkt-, Prozess-, Marketing-, Service-, Organisations- oder Geschäftsmodellinnovationen zu werden. Die gute Nachricht: Wirkliche Innovationen entspringen immer wieder ähnlichen Prozessen, und die kann man kopieren.
Produkt- und Prozessinnovation: Villeroy & Boch
Wendelin von Boch hatte einen schlechten Zeitpunkt erwischt, als er 1998 seinen Job als Vorstandsvorsitzender beim Porzellanhersteller Villeroy & Boch antrat. Billiganbieter aus Asien drohten den deutschen Markt zu überschwemmen. Mit ausgefallenen Designs war diese Gefahr nicht abzuwenden, denn kurze Zeit später hätte ein Konkurrent die Tasse oder den Untersetzer nicht nur kopiert, sondern aufgrund der niedrigeren Lohnkosten in seinem Herkunftsland auch billiger hergestellt.
„Nach und nach erkannte ich, dass Innovationen auf Prozessen beruhen, die immer ähnliche Muster aufweisen und die es nachzuvollziehen lohnt.“
Es blieb nur ein Ausweg: Villeroy & Boch musste eine Marke werden, für die die kaufkräftige Klientel in Europa auch zu zahlen bereit war. Gemeinsam mit dem Maschinenbauer Julius Lippert gelang dem Unternehmen eine technische Revolution, eine Fertigungstechnik, ohne die nicht einmal das Design kopiert werden konnte. Mithilfe eines vollautomatischen Druckgussverfahrens stellte Villeroy & Boch erstmals asymmetrische, geschwungene Tassen her – die Produktlinie „NewWave“. Zwar kosteten die Entwicklung des Verfahrens und der erforderliche Anlagenbau 30 Millionen Euro, was Villeroy & Boch vorübergehend rote Zahlen einbrachte. Doch gelohnt hat es sich allemal: Heute macht das Unternehmen bereits 20 % seines Umsatzes mit der „NewWave“-Kollektion.
Produktinnovation: Audi
Es begann als Fluch und ist nun ein Segen: Autos von Audi waren in den USA wenig beliebt, weshalb sich der deutsche Autobauer in den 80er Jahren auf den asiatischen Markt konzentrierte. Während seine Mitbewerber heute unter dem Markteinbruch in den Staaten leiden, freut sich Audi über einen Marktanteil von 42 % im chinesischen Premium-Autosegment. Das Unternehmen erkannte den Bedarf an Statussymbolen für Aufsteiger. Japanische Modelle kamen für Chinesen aus historischen Gründen meist nicht infrage und koreanische Fahrzeuge ließen an Komfort und Prestige zu wünschen übrig.
„Ein modernes, unverwechselbares Design und die innovative Fertigungstechnik müssen so eng miteinander verknüpft sein, dass sich die neue Produktreihe auch rein optisch nicht nachahmen lässt.“
Immer wieder wird Audi für seine Innovationen ausgezeichnet. Der Allradantrieb etwa kommt ebenso aus diesem Haus wie die erste vollverzinkte Karosserie. Damit wird Audi seinem Leitspruch „Vorsprung durch Technik“ gerecht. Neben den technischen Innovationen spricht auch die Marktkenntnis für Audi. So haben chinesische Audis extra viel Platz im Fond – schließlich sitzt oft der Chauffeur vorne und der Autobesitzer hinten. Zudem verschafft sich das Unternehmen ein gutes Image und spart Produktionskosten, indem es einen Teil der Fertigung von Einheimischen durchführen lässt.
Produkt- und Marketinginnovation: Bionade
Mitte der 90er Jahre hatte Diplom-Braumeister Dieter Leipold seine Bionade patentieren lassen: eine wie Bier gebraute Limonade, aber ohne Alkohol und Hopfen, dafür mit Litschi oder Holunder. Seine Erfindung schien eine tolle Innovation zu sein – doch der Markterfolg ließ auf sich warten; die Getränkegroßhändler erkannten das Potenzial der biologischen Limonade nicht.
„Mittelschichtsangehörige aus Peking, Bombay oder Seoul, die ein kostspieliges Hightech-Produkt einer westlichen Edelmarke kaufen, erwerben vor allem den immateriellen Wert – den ‚Beweis‘, den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft zu haben.“
Erst die Ökowelle und ein Zufall machten das Produkt zum Renner: Ende der 90er Jahre trug eine Lieferung Bionade nach Hamburg versehentlich die für den ungarischen Markt vorgesehenen Etiketten – Gerüchte kursierten, und plötzlich wurde Bionade als ein ungarisches Wundermittel für Schwangere und Sportler gehandelt. Die Unternehmenslenker selbst positionierten ihren Softdrink als gesündere Alternative zum klebrig süßen Fanta. Jeder, der Bionade kaufte, sollte im Kampf gegen die skrupellosen Weltkonzerne helfen – im Kampf zwischen David und Goliath. Werbeslogans wie „Holunder statt Blackberry“ ließen die Absatzzahlen von 1,8 Millionen Flaschen 1997 auf 200 Millionen im Jahr 2007 stiegen.
Geschäftsmodellinnovation: Zara
Kaufen die Kunden in den zur spanischen Modekette Inditex gehörenden Zara-Läden ein, können sie hochaktuelle und dennoch bezahlbare Kleidung erwarten. Während andere Unternehmen vier Kollektionen pro Jahr herausbringen, trudelt bei Zara laufend neue Ware ein. Über Scouts und Kundenbefragungen werden Trends ausfindig gemacht. Modelle werden auch schon mal direkt vom Laufsteg weg kopiert und finden sich leicht verändert drei Wochen später in den 1500 Zara-Shops. Dieser Prozess, bei Zara „fast fashion“ genannt, nimmt bei der Konkurrenz mehrere Monate in Anspruch.
„Alkoholfreies Holunderbier? Mit so einer Plörre will sich niemand das Lager vollstellen.“
Modische Kleidung bestellt Zara bei den eigenen Produktionsbetrieben in der Nähe des Inditex-Haupthauses. Die Herstellung der günstigeren Basisgarderobe, bei der Zeit eine geringere Rolle spielt als der Preis, übernehmen Betriebe in asiatischen Niedriglohnländern. Weil sich das Warenangebot ständig ändert, kann Zara „just in time“ produzieren lassen. Das senkt die Lagerkosten – eine Einsparung, welche die hohen Produktionskosten für die topmodischen Modelle wieder ausgleicht.
Der Innovationsprozess
Was diese Erfolgsunternehmen verbindet, ist ein durchgängiger Innovationsprozess. Auf dem Weg von der Idee zum Markterfolg sind die folgenden Schritte nötig:
„Sämtliche Unternehmensbereiche und -funktionen sind einem einzigen Ziel untergeordnet: topaktuelle, aber bezahlbare Mode schneller und in höherer Frequenz in die Verkaufsstellen in aller Welt zu bringen, als das den Wettbewerbern gelingt.“
Schritt 1: Suchen Sie eine Idee. Das ist leichter gesagt als getan. Die Idee muss nämlich nicht nur gut sein, sondern auch ein Kundenbedürfnis befriedigen. Oder erst mal ein Kundenbedürfnis erzeugen: Für den Energydrink Red Bull existierte noch kein Markt, als der Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz in Thailand ein süßes, aufputschendes Getränk – die Urform des heutigen Energydrinks – entdeckte. Damit auch Sie Ihre Chance nicht verpassen, müssen Sie die Augen offenhalten. Sammeln Sie Kundenreaktionen, halten Sie Brainstorming-Workshops ab, durchforsten Sie Datenbanken für Patentanmeldungen. Schritt 1 ist abgeschlossen, sobald Ihnen eine Liste der ansprechendsten Ideen vorliegt, bei denen der voraussichtliche Markterfolg und die Umsetzbarkeit berücksichtigt sind.
„Nach dem kreativen Denken in der ersten Phase stehen unternehmerisches Denken und systematische Analyse im Vordergrund.“
Schritt 2: Analysieren Sie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Bis jetzt reichte Kreativität aus, doch nun ist Unternehmertum gefragt. Analysieren Sie detailliert den Markt, die Eintrittsbarrieren und die Risiken. Ein Businessplan zeigt Ihnen, ob die Idee auch Geld bringen wird. Wenn ja – und nur dann –, geht es weiter zu Schritt 3.
„Oft sind es Menschen von besonderer Weitsicht und Durchsetzungskraft, die dem Neuen zum Durchbruch verhelfen.“
Schritt 3: Entwickeln Sie einen Prototypen. Der kann auch nur virtuell existieren bzw. als Testversion. Ist die Erfindung technisch realisierbar? Legen Sie den Prototypen Testnutzern vor. An diesem Schritt in die Praxis scheitern die meisten Projekte.
Schritt 4: Testen Sie die Idee auf einem Pilotmarkt. Überlassen Sie die Einführung einem erfahrenen Marktforscher. Sie sehen dann, ob die Nachfrage den Erwartungen entspricht, ob die Kunden die Idee verstehen und ob noch Fehler ausgebessert werden müssen. Handelt es sich um eine Prozessinnovation, sind Ihre Mitarbeiter die Tester.
„Je kürzer die Zeitspanne von der Idee bis zur Vermarktung, desto höher der absolute Gewinn, der sich mit der Innovation erzielen lässt.“
Schritt 5: Lancieren Sie die Idee in einem Teilmarkt. Ist Ihre Erfindung auch dort erfolgreich, dann herzlichen Glückwunsch. Nun ist daraus eine Innovation geworden, die breit lanciert werden kann. Kontrollieren Sie laufend die Umsätze, Kosten und Gewinne und vergleichen Sie sie mit den Planzahlen.
„Unzählige großartige Ideen sind schon daran gescheitert, dass es an den für ihre Verwirklichung nötigen Ressourcen mangelte.“
Schritt 6: Bieten Sie die Innovation im gesamten Zielmarkt an. Das ist der letzte Schritt des Innovationsprozesses – aber nicht das Ende Ihrer Anstrengungen. Nun ist es wichtig, dass sich der Marktanteil und der Umsatz kräftig erhöhen. Produktfehler sollen immer seltener werden und die Qualität muss stetig steigen.
Erfolgsfaktoren
Es gibt bestimmte Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit steigern, dass Ihre Idee ein Markterfolg wird. Und es gibt eine einzige Bedingung, die Ihr Produkt, Ihre Dienstleistung oder Ihr Prozess erfüllen muss: Sie muss den Kundenbedarf befriedigen. Bionade war ein Ladenhüter, bis die Ökowelle den Bedarf schuf. In der zweiten Reihe der Erfolgsfaktoren steht zum einen der Innovator, also eine oder mehrere Persönlichkeiten mit Durchsetzungskraft, zum anderen müssen beim Innovationsprojekt die Kosten und der Gewinn mithilfe eines Businessplans im Auge behalten werden. Zudem braucht es einen durchgängigen Innovationsprozess, damit Fehler nicht erst nach dem Markteintritt zutage treten.
„Das gesamte Unternehmen muss vollständig auf Innovation ausgerichtet werden.“
Auf der dritten Ebene der Erfolgsfaktoren findet sich die Erkenntnis, dass Können und Tun wichtiger sind als Kreativität und Wissen. Achten Sie außerdem ständig auf Hindernisse politischer und rechtlicher Art. Wenn möglich, profitieren Sie von Netzwerken und Kooperationen. Fördern und fordern Sie Innovationen in Ihrem Unternehmen, indem Sie den Mitarbeitern erlauben, Fehler zu machen. Machen Sie sich daran, den Innovationsprozess zu beschleunigen – doch Vorsicht, man kann auch seiner Zeit voraus sein, wie man bei Bionade gesehen hat. Investieren Sie schließlich genügend Zeit, Geld und Personalkapazität in die Innovationsprojekte.
Etablieren Sie eine Innovationskultur
Stellen Sie sich Ihr Unternehmen als Haus vor, das vom Dach bis zum Keller auf Innovation eingestellt ist. Das beginnt bei der Innovationsstrategie ganz oben, geht über definierte Verantwortlichkeiten, die Innovatoren, den Innovationsprozess, die Performance-Messung und das Wissens- und Talentmanagement und reicht bis zur Innovationskultur, dem Fundament Ihres Innovationshauses. Die Strategie Ihres Unternehmens muss eine Innovationsstrategie sein und Sie als Chef müssen sich für Innovationen verantwortlich fühlen. Dann kann sich Ihr Unternehmen vielleicht bald rühmen, den bunten Beton, den leichten Stahl, die leuchtende Tapete oder das günstige Elektroauto erfunden zu haben – alles Innovationsprojekte, die als Idee bereits existieren.