Teure Lektionen

Buch Teure Lektionen

Was Sie von den schlimmsten Managementfehlern lernen können und wie Sie sie vermeiden

FinanzBuch,


Rezension

Kein Un­ternehmensführer ist unfehlbar. Zu erfahren, wo die Gründe für das Scheitern großer Projekte wie Fusionen oder Übernahmen lagen, kann die Sicht auf die Dinge verändern. Wer dieses Buch liest, muss schmerzhafte Erfahrungen nicht am eigenen Leib machen, sondern kann von denen anderer profitieren. So lassen sich eine Menge Stolper­fallen umgehen. Das Buch nimmt im Wesentlichen auf Firmen in den USA Bezug, wobei einige – Motorola und Kodak sowie der deutsche Global Player Daimler – natürlich auch hiesigen Lesern ein Begriff sind. Neben den vielen de­tail­lierten Beispielen geben die Autoren dem Leser jede Menge Fragen mit auf den Weg. Wer sich die stellt, bevor er eine Entschei­dung fällt, führt seine Firma möglicher­weise sicherer in die Zukunft als andere. BooksInShort empfiehlt die Lektüre darum allen Managern, die rich­tungsweisende Beschlüsse fassen müssen.

Take-aways

  • Viele Großprojekte wie etwa Firmenübernahmen gehen schief. Trotzdem werden die meisten Übernahmes­trate­gien hartnäckig weit­er­ver­folgt.
  • Syn­ergieef­fekte werden viel zu häufig überschätzt.
  • „Financial Engineering“ findet auf einem schmalen Grat zwischen aggressiver Buchführung und Betrug statt.
  • Wer Konkur­renten aufkaufen will, sollte sein Vorhaben vorher gut durchgerech­net haben.
  • Möglicher­weise verdienen Sie Ihr Geld in der Zukunft auf ganz andere Art und Weise als heute. Halten Sie die Augen offen.
  • Nachbarmärkte zu erobern, ist zwar mit relativ wenig Risiko, aber auch mit geringen Er­fol­gsaus­sichten verknüpft.
  • Fusionen scheitern häufig an zu un­ter­schiedlichen Un­ternehmen­skul­turen.
  • Hören Sie genau hin, wenn jemand Kritik an Ihrem Handeln äußert. Er könnte Recht haben.
  • Holen Sie sich vor einer Übernahme einen Advocatus Diaboli ins Haus, der Ihnen kritische Fragen stellt.
  • Lassen Sie sich nicht von Ihren Gefühlen leiten und vertrauen Sie lieber Zahlen als blumigen Ver­sprechun­gen.
 

Zusammenfassung

Die Syn­ergiefalle

Es gibt zweifellos Unternehmen, die nach einer Übernahme von Synergien profitieren: General Electric z. B. oder Cisco Systems. Aber generell sollte man die Erwartungen an eine Übernahme und erst recht an die Syn­ergieef­fekte nicht zu hoch schrauben. Das zeigt eine Umfrage der Un­ternehmens­ber­atung Bain: Die meisten Befragten hatten schon negative Erfahrungen mit Übernahmen gesammelt. Und nicht nur das: Unter den 250 befragten Managern, die für Übernahmen und Fusionen zuständig waren, stimmten 90 % mit einer Erhebung überein, aus der hervorging, dass bei mindestens zwei Dritteln aller Übernahmen der Wert des kaufenden Un­ternehmens sank. 50 % gaben an, dass Übernahmen nicht zustande gekommen seien, weil die Ergebnisse der Kaufprüfung nicht gut genug waren. Wiederum 50 % erklärten, dass der Übernah­mekan­di­dat im Vorfeld „hübsch gemacht“ worden sei – trotzdem wollte keiner der Befragten die Übernah­meanstren­gun­gen stoppen.

„Synergien gaukeln vor, dass man etwas umsonst bekommt.“

Dabei können überschätzte Syn­ergieef­fekte regelrecht zum Ruin führen, wie die Geschichte von UnumProv­i­dent zeigt. Unum und Provident waren in ihrem Feld die größten Anbieter: Der eine verkaufte Berufsunfähigkeitsver­sicherun­gen an Gruppen, der andere an Pri­vat­per­so­nen. Gemeinsam wollte man neue Kunden erreichen, die noch keine Policen hatten. Zudem wollte man den Be­stand­skun­den die Produkte des jeweils anderen als Zusatzpo­li­cen verkaufen. Der erste CEO des neu geschaf­fe­nen Ver­sicherungsriesen war ein absoluter Profi. Dennoch musste er seinen Sessel nach nur vier Monaten räumen, als UnumProv­i­dent Zusatzkosten von 623,7 Millionen Dollar veröffentlichte, darunter unerwartete fu­sions­be­d­ingte Ausgaben in Höhe von 42,5 Millionen Dollar.

„Die Idee der Syn­ergies­trate­gien ist, dass eins plus eins gleich drei sei; die Un­ter­schiede in Un­ternehmen­skul­tur, Fähigkeiten oder Systemen können aber dafür sorgen, dass Synergien, die einfach zu erreichen scheinen, nie realisiert werden können.“

Woran scheiterte der Zusam­men­schluss? Beispiel­sweise daran, dass es 34 un­ter­schiedliche In­for­ma­tion­ssys­teme gab, die keine Daten un­tere­inan­der aus­tauschten. Sogar sechs Jahre nach der Fusion waren erst vier von ihnen abgebaut worden. Hinzu kam, dass die Vertriebler des einen Un­ternehmen­steils nicht die Produkte des anderen verkaufen wollten. Und die Kunden reagierten auf den Zusam­men­schluss überhaupt nicht: Wer vorher noch keine Police hatte, kaufte auch jetzt keine, und die Be­stand­skun­den waren gesättigt. Noch schlimmer kam es, als einige Zeit darauf der Konzern Zahlungen aus Berufsunfähigkeitsver­sicherun­gen zu Unrecht ablehnte und schließlich von Gerichten dazu verurteilt wurde. Innerhalb von nur zwei Jahren fiel der Aktienkurs um 50 %, weitere zwei Jahre später lag er 90 % unter dem Vor-Fu­sions-Niveau. Fazit: Syn­ergiepoten­ziale vermuteten nur die Strategen – den Kunden sind Synergien egal. Un­ter­schiede in den Un­ternehmen­skul­turen und Systemen ver­hin­derten die Nutzung von scheinbar einfach zu erzielenden Synergien.

Math­e­ma­tis­cher Hokuspokus

Auch darauf fallen viele Un­ternehmensführer herein: „Financial Engineering“ oder aggressive Buchhaltung wird von vielen Firmen benutzt, um Bilanzen zu schönen. Das war z. B. bei Enron der Fall, aber auch Green Tree ließ sich auf Zahlen­spiele ein. Das Unternehmen finanzierte in der besten Zeit 40 % aller Trailer-Häuser, die verkauft wurden. Trailer-Häuser sind mobile Fertighäuser, eine Art Container, die von Jahr zu Jahr an Wert verlieren und längstens 15 Jahre halten. Green Tree vergab allerdings Kredite mit 30-jähriger Laufzeit. Also zahlte der Kunde noch, wenn das Haus längst Schrott war – und auch der Kreditgeber hatte keinen Gegenwert mehr in der Hand. Zusätzlich waren die Zinsen bei einer 30-jährigen Laufzeit viel höher als bei der sonst üblichen 15-jährigen Laufzeit. Also zahlten die Käufer für ihren Wohn­con­tainer erst viel zu viel – und irgendwann gar nicht mehr. Green Tree bündelte die Hypotheken, teilte sie in Pfandbriefe und verkaufte diese. Gle­ichzeitig rechnete das Unternehmen aus, was es verdienen würde, wenn die Darlehen künftig zurückgezahlt würden, und verbuchte diese Summe nach den Ver­briefun­gen als Gewinn. 1998 wurde Green Tree von Conseco gekauft – 2002 war das Käufer­un­ternehmen pleite, und zwar aufgrund der Green-Tree-Prob­leme, die Conseco natürlich mitgekauft hatte. Dabei war auch der CEO von Conseco ein Geschäftsmann mit viel Erfahrung. Er hatte in 17 Jahren 40 Ver­sicherun­gen übernommen und seine Firma erfolgreich geführt.

„Angesichts der geschichtlichen Erfahrung, dass Sie mit 40-%iger Wahrschein­lichkeit daneben­liegen und mit 25-%iger Wahrschein­lichkeit um über ein Viertel daneben­liegen, sollten Sie Ihre Strategie überdenken, wenn Sie keine große Fehler­tol­er­anz haben.“

Wenn Sie sichergehen wollen, nach einer Übernahme nicht auf schöngerechnete Finanzen zu stoßen, sollten Sie auf folgende Punkte achten: Gibt es oft kleine Gewinne, aber nur selten kleine Verluste? Werden von Analysten gemachte Durch­schnittsprog­nosen öfter getroffen oder sogar ein bisschen übertroffen, nur selten jedoch knapp verfehlt? Wenn Sie selbst Zahlen frisieren, sollten Sie sich über eines im Klaren sein: Sie lösen damit eine Spirale aus. Denn was jetzt schöngerechnet wird, ist der Maßstab fürs nächste Quartal.

Viele Musiker machen noch kein Orchester

Wenn ein Unternehmen viele Konkur­renten aufkauft, die Branche also aufrollt, hat das sicher viele Vorteile. Beispiel­sweise hat ein größeres Unternehmen eine höhere Kaufkraft als viele kleine, bei Banken kommt man günstiger an einen Kredit und Marketingmaßnahmen rechnen sich eher. Zwei Er­fol­gs­beispiele für gelungene Roll-ups sind die von Sysco Corporation und AutoNation. Doch sie sind selten. Denn auch zum Thema Roll-ups gibt es eine Studie: Fast die Hälfte der Unternehmen, die andere aufkauften, haben zwischen 1998 und 2000 mehr als 50 % ihres Marktwerts verloren.

„Fi­nan­cial-En­gi­neer­ing-Strate­gien können Fi­nanzpro­dukte mit sys­temim­ma­nen­ten Schwächen her­vor­brin­gen, die kurzfristig für die Kunden interessant sind, aber den Anbieter (und oft auch die Kunden) langfristig einem unangemessen hohen Aus­fall­risiko aussetzen.“

Das Bestat­tungsin­sti­tut Loewen z. B. wurde in den 1950er Jahren gegründet. 1975 gehörten 14 andere Unternehmen zur Loewen-Gruppe, 1989 waren es bereits 131. Im Jahr 1998 machte man über eine Milliarde Dollar Umsatz und mehr als 1100 Institute sowie 400 Friedhöfe gehörten zu Loewen. Aber: Die Menge an Filialen hatte kaum Auswirkung auf die Optimierung der Geschäftsabläufe. Benachbarte Bestatter konnten einen Le­ichen­wa­gen oder eine Ein­bal­samierung­sein­rich­tung teilen, viel mehr Synergien gab es nicht. Höhere Preise und ein schlechterer Service trieben die Kunden in die Arme der Konkurrenz. Zudem ging die Sterberate zurück, und nach einer weiteren Übernahme hatte sich ein Schulden­berg angehäuft. 1999 meldete das Unternehmen Insolvenz an, 2006 wurde es zu einem Spottpreis verkauft.

„Die Umsetzung einer Technologie kostet meist mehr an Zeit und Ressourcen, als man denkt, selbst wenn man vorher wusste, dass sie mehr Zeit und Ressourcen kosten würde, als man denkt.“

Das Beispiel zeigt: Bevor Sie eine Branche aufrollen, sollten Sie sich gründlich Gedanken machen. Eine Übernahme ist immer eine bewegte Zeit. Wie viele Stunden werden Ihre Manager benötigen, um Struktur ins Chaos zu bringen? Warum sollte Ihre Marktmacht nach einer Übernahme größer werden? Wo können Sie die Preise um wie viel und weswegen anheben? Was müssen Sie zunächst ausgeben, um künftig einen Gewinn zu erzielen? Welchen Preis können und wollen Sie aufgrund welcher Annahmen maximal bezahlen?

Den Zeitgeist verschlafen

Noch eine Stolper­falle: Über 100 Jahre alt ist das Unternehmen Kodak. In den 1960er und 70er Jahren galten die Wertpapiere des Un­ternehmens als solide Anlage, die Geschäfte liefen bis in die 90er hinein sehr gut. Doch dann wurden Filme für Fo­toap­pa­rate nicht mehr benötigt. Man fo­tografierte digital. Diese Entwicklung war nicht plötzlich gekommen, sondern seit den 50ern vo­rausse­hbar. Allerdings wollten die Manager bei Kodak das nicht wahrhaben. Dabei hatte der Firmengründer Eastman das Unternehmen schon mehrfach den Gegeben­heiten angepasst – beispiel­sweise hatte Kodak die Nase vorn, als Farb- die Schwarz-Weiß-Filme verdrängten. Mit der Umstellung auf Dig­i­tal­fo­tografie tat sich das Unternehmen jedoch schwer. Es erfand jede Menge Services, die der selbstständige In­ter­net­nutzer gar nicht braucht, eroberte sich aber schließlich doch einen Platz in der Riege der Firmen, die gute Dig­italk­a­m­eras herstellen. Allerdings: Die Konkurrenz ist groß. 2002 legte Kodak bei jeder Kamera für 400 $ rund 60 $ drauf. Das Unternehmen hat in nur zehn Jahren 75 % seines Wertes an der Börse verloren. 2005 beschäftigte es nur noch rund ein Drittel so viele Mitarbeiter wie 20 Jahre zuvor.

„Möglicher­weise kaufen Sie nicht nur Vermögenswerte, von denen Sie wissen, sondern auch Probleme, von denen Sie nichts wissen.“

Das Beispiel zeigt, dass Un­ternehmensführer bereit sein müssen zu erkennen, dass das Geschäft der Zukunft ein anderer Markt sein kann als der heutige. Ähnliche Probleme wie Kodak hat übrigens die Musikin­dus­trie, der beim CD-Verkauf die Einnahmen wegbrechen, weil heute überwiegend einzelne Titel online gekauft werden. Übrigens: Auch das andere Extrem, der Glaube an zu viel Hightech, kann Sie ins Aus führen. Motorola beispiel­sweise hielt viel zu lange an seiner Irid­ium-Strate­gie, dem Satel­litenkom­mu­nika­tion­ssys­tem, fest. Schließlich wurde das Projekt von der Handy­branche überrollt. Der finanzielle Verlust ging in die Milliarden. Damit Ihnen so etwas nicht passiert, sollten Sie die kritischen Stimmen, die laut werden, nicht nur hören, sondern sich auch fragen: Könnten sie vielleicht Recht haben?

Wenn Nachbarmärkte fern sind

Ist auf dem Gebiet ihrer Kernkom­pe­tenz nichts mehr zu holen, denken viele Unternehmen darüber nach, Nachbarmärkte in Angriff zu nehmen. Eine Fünf­jahresstudie hat gezeigt, dass diese so genannte Adjazenz durchaus zu einem nach­halti­gen, profitablen Wachstum führen kann. Allerdings scheiterten sage und schreibe 75 % der 1850 un­ter­suchten Unternehmen bei dem wenig risiko­r­e­ichen Versuch, ihre Kernkom­pe­ten­zen in benachbarte Märkte zu verschieben. Die Gründe dafür: Entweder fehlt es ihnen am nötigen Know-how für den Nach­bar­markt oder sie überschätzen die Möglichkeiten des Cross-Sell­ing. Der Kos­metikher­steller Avon ist in die Nach­bar­mark­t­falle getappt. Als immer weniger Kunden tagsüber erreichbar waren, um ihnen zu Hause in Ruhe etwas zu verkaufen, nahm das Unternehmen Gesund­heit­sar­tikel in sein Angebot auf, um bei weniger Kunden mehr zu verkaufen – mit großem Erfolg. Als man dann jedoch Firmen kaufte, die Pflegeheime betrieben, übernahm sich das Unternehmen: Das nötige Fachwissen fehlte, zudem war der Ver­trieb­sweg ein komplett anderer.

„Wenn die Leute erst einmal auf eine bestimmte Entschei­dung zusteuern, suchen sie nur noch nach In­for­ma­tio­nen, die diese Lösung bestätigen, und ignorieren alles, was dagegen spricht.“

Sie lernen daraus, dass bloße Ähn­lichkeiten für den Eintritt in einen Nach­bar­markt nicht ausreichend sind. Sie sollten darum vorher die Ver­trieb­swege, die Kunden und natürlich die Produkte genau analysieren. Damit sich der Weg in einen neuen Markt für Sie lohnt, sollte ein Kosten­vorteil von mindestens 30 % entstehen.

Eins und eins bleibt zwei

Selbst wenn vieles zu passen scheint, kann ein Un­ternehmen­szusam­men­schluss schiefgehen. Denken Sie an das Daim­ler­Chrysler-De­bakel: Die Ingenieure des einen Un­ternehmens wollten nicht mit denen des anderen zusam­me­nar­beiten. Außerdem war die Lage auf dem US-Au­tomarkt kritisch, und Daimler musste Zahlungsverpflich­tun­gen an Chrysler-Rent­ner schultern. Das Ende der Geschichte ist bekannt. Ein Zusam­men­schluss zweier Firmen nimmt im Übrigen an Komplexität zu, je größer die Unternehmen sind. Schließlich müssen zwei Un­ternehmen­skul­turen miteinander verbunden werden, die u. U. wenig gemeinsam haben.

Sie wollen es trotzdem tun?

Wenn Sie trotzdem unbedingt ein Unternehmen übernehmen wollen, dann achten Sie auf folgende Punkte:

  • Lernen Sie aus Ihren Fehlern – und aus denen anderer.
  • Bitten Sie Ihre Mitarbeiter explizit, Ihnen nur Gründe zu nennen, die gegen eine Fusion sprechen. Wenn Sie sie lediglich um ihre Meinung fragen, bekommen Sie möglicher­weise nur Bestätigung.
  • Prüfen Sie zuerst alle In­for­ma­tio­nen, bevor Sie eine Lösung fa­vorisieren.
  • Glauben Sie an Zahlen, die Sie nachvol­lziehen können, nicht an Geschichten.
  • Suchen Sie einen Advocatus Diaboli, dessen Job es ist, Ihnen unangenehme Fragen zur Übernahme zu stellen. Können Sie alle zu seiner Zufrieden­heit beantworten?

Über die Autoren

Paul B. Carroll schrieb 17 Jahre lang für das Wall Street Journal und gründete 1997 das erste New-Econ­omy-Mag­a­zin. Chunka Mui arbeitet in einer Un­ternehmens­ber­atung.